Zivilrecht

BGB Allgemeiner Teil

Geschäftsfähigkeit

Wirksame Erfüllung gegenüber einem beschränkt Geschäftsfähigen

Wirksame Erfüllung gegenüber einem beschränkt Geschäftsfähigen

21. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Nachbarin N schuldet der 12-jährigen K noch €100 für die Gitarre, die sie K mit Einverständnis von Ks Eltern abgekauft hat. Als N die K zufällig am See trifft, möchte sie dies aus der Welt schaffen und übergibt ihr einen 100-Euro-Schein. Diesen verliert K auf dem Heimweg.

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Einordnung des Falls

Wirksame Erfüllung gegenüber einem beschränkt Geschäftsfähigen

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. K hat Eigentum an dem 100-Euro-Schein erlangt (§ 929 S. 1 BGB).

Genau, so ist das!

Zur Übertragung des Eigentums an einer beweglichen Sache ist erforderlich, dass der Eigentümer die Sache dem Erwerber übergibt und beide darüber einig sind, dass das Eigentum übergehen soll (§ 929 S. 1 BGB). Die Einigung über den Eigentumsübergang ist ein dinglicher Vertrag, den ein Minderjähriger nur dann ohne Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters abschließen kann, wenn er für ihn lediglich rechtlich vorteilhaft ist. Dies ist allenfalls dann der Fall, wenn der Minderjährige der Erwerber des Eigentums ist. N hat K den Geldschein übergeben und beide waren sich darüber einig, dass das Eigentum daran auf K übergehen soll. Der Eigentumserwerb ist für K lediglich rechtlich vorteilhaft.
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2. Ks Kaufpreiszahlungsanspruch gegen N ist nach h.M. durch Erfüllung erloschen (§ 362 Abs. 1 BGB).

Nein, das trifft nicht zu!

Nach h.M. (Theorie der realen Leistungsbewirkung) tritt die Erfüllungswirkung ein, wenn der Leistungserfolg bewirkt wird und der Leistungsempfänger empfangszuständig ist. Die Erfüllung ist also kein Rechtsgeschäft, sondern ein Realakt. Obwohl sie für einen Minderjährigen rechtlich nachteilig ist, weil sie seinen Anspruch zum Erlöschen bringt, ist § 107 BGB somit nicht anwendbar. Um trotzdem den Minderjährigenschutz sicherzustellen, wendet die h.M. den § 107 BGB auf die Erfüllung analog an. Ein beschränkt Geschäftsfähiger ist hiernach nur dann empfangszuständig für die Leistung, wenn er sie mit Zustimmung des gesetzlichen Vertreters erhält. Ks Eltern haben nur in den Kaufvertrag, nicht jedoch in den Empfang des Geldes durch K eingewilligt.

3. Da mit Übergabe des 100-Euro-Scheins keine Erfüllungswirkung eingetreten ist, hat N einen Anspruch auf Rückübereignung des Scheins gegen K (§ 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 BGB).

Nein!

Wer durch die Leistung eines anderen etwas erlangt, ohne dass der mit der Leistung nach dem Inhalt des Rechtsgeschäfts bezweckte Erfolg eintritt, ist dem Leistenden zur Herausgabe verpflichtet (§ 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 BGB i.V.m. § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB). Die Verpflichtung zur Herausgabe ist jedoch ausgeschlossen, soweit der Empfänger nicht mehr bereichert ist (§ 818 Abs. 3 BGB). Die N hat der K den Geldschein gegeben, um den Kaufpreiszahlungsanspruch der K zu erfüllen. Dieser von ihr bezweckte Erfolg ist mangels Einwilligung ihrer Eltern nicht eingetreten. Der Anspruch ist jedoch ausgeschlossen, da die K den Geldschein verloren hat und somit entreichert ist.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Helena

Helena

13.12.2021, 18:56:47

Ich finde die Frage etwas verwirrend. Denn die N hat ja den Anspruch, dieser ist nur nicht durchsetzbar wegen

Entreicherung

.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

13.12.2021, 19:25:00

Hallo Helena, vielen Dank für Deine Rückfrage. Bei der

Entreicherung

handelt es sich allerdings um eine von Amts wegen zu berücksichtigende Einwendung, wie zB die Unmöglichkeit nach § 275 Abs. 1 BGB und nicht bloß um eine "Einrede". Der Anspruch erlischt insofern unmittelbar durch die

Entreicherung

, es wird nicht bloß die Durchsetzung des Anspruchs durch die Erhebung einer Einrede gehemmt (vgl. Schwab, in: MüKo-BGB, 8.A. 2020, § 818 RdNr. 185). Insofern ist es durchaus korrekt, dass N hier keinen Anspruch mehr auf die Leistung hat. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

MER

Merida

13.7.2023, 13:31:58

Ich schließe mich Helena an. Das Grundproblem ist, dass man aus der Systematik eurer Fragen an sich bei der Fragestellung hier erwartet, dass erst gefragt wird, ob grundsätzlich der Anspruch besteht, und als folgefrage dann die

entreicherung

kommt. Wenn das (ausnahmsweise) nicht so ist liegt man bei derartigen Fragen falsch und hat sie dauernd bei wiederholen obwohl man an sich nicht falsch gelegen hätte. Vielleicht findet ihr dafür noch eine bessere Lösung 😇

NN

NN

21.4.2024, 15:45:41

Kann mich den Beiden nur anschließen!

MAT

Matschegenga

12.6.2024, 21:42:18

Statt einfach schon die Wirksamkeit der

Übereignung

mit dem Argument des Minderjährigenschutzes auszuschließen, wendet man stattdessen den §

107 BGB

lieber analog auf den Eintritt der Erfüllungswirkung an. Die Folge: Man stelle sich vor, der Schuldner schuldet dem Minderjährigen Geld. Solange die Eltern ihre Einwilligung in die Erfüllung verweigern, kann der Minderjährige vom Schuldner immer wieder Geldzahlung fordern, das Geld ausgeben, wieder Geldzahlung fordern und wieder ausgeben. Abgesehen von der Frage, wie der Minderjährigenschutz so eine Analogie in Abwägung mit dem Schutz des Rechtsverkehrs und den Interessen des Schuldners überhaupt rechtfertigen soll. Wer möchte denn überhaupt unter diesen Umständen mit einem Minderjährigen kontrahieren? Zumal die gesetzlichen Vertreter dem Verpflichtungsgeschäft zugestimmt haben und somit bereits fest damit rechnen dürften, dass eine Leistung an ihr Kind bewirkt wird - wie soll die Schutzwürdigkeit des Minderjährigen da so groß sein, dass ein solches Konstrukt gerechtfertigt ist?

TI

Timurso

13.6.2024, 10:31:35

Sicherlich kann man geteilter Meinung darüber sein. Nichtsdestotrotz sehe ich hier schon einen gewissen Schutzbedarf, da die Zustimmung zum Kaufvertrag nur das "Ob" der Leistung an das Kind bestimmt, nicht jedoch das "Wie". Die Eltern haben hier ein Interesse daran, sicherzustellen, dass das Kind das Geld nicht verliert. Der Rechtsverkehr ist dadurch auch nicht über Gebühr eingeschränkt, in Kenntnis der Rechtsprechung sollte die N das Geld eben einfach den Eltern als Vertreter des Kindes geben und hat keine Probleme.

TO

Tom98

26.6.2024, 10:45:17

Das ist doch für einen Laien völlig realitätsfremd. Man kann durchaus erwarten, dass jemand, der nicht aus dem juristischen Bereich kommt, weiß, dass minderjährige beschränkt geschäftsfähig sind. Die Annahme, dass diese zusätzlich Kenntnis über das Abstraktion und

Trennungsprinzip

haben, ist aber realitätsfremd. Als Laie würde ich annehmen, dass in der Einwilligung zum Rechtsgeschäft (Verpflichtungsgeschäft) jedenfalls eine

konkludent

e Einwilligung zur üblichen Erfüllung (des

Verfügungsgeschäft

es) steckt. Dass Fälle nicht erfasst sind, in denen beispielsweise mit 1 Cent Münzen oder an Erfüllung statt/

erfüllungshalber

geleistet werden soll, ist aber klar.

Dogu

Dogu

5.7.2024, 12:26:44

@[Tom98](228224) Dein Ansatz würde bedeuten, dass einem 7-jährigen der Verkaufspreis für sein Grundstück in die Hand gedrückt werden könnte. Das ist mE genauso unvertretbar. Und ja, aus steuerlichen Gründen werden Kinder oft über ihre Eltern Grundstückseigentümer.

TO

Tom98

5.7.2024, 16:33:29

Ich denke, dass man da durchaus differenzieren darf. Das kann nämlich auch der Laie! Vieles in der Juristerei kann man ad absurdum führen. Das Wenigste ist deswegen gleich Murks.

Dogu

Dogu

5.7.2024, 17:24:19

Mir ging's nicht ums ad absurdum führen, sondern um die Betonung, wie schützenswert das Vermögen des Minderjährigen ist und dass man die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters deshalb nicht auf die Erfüllung ausdehnen darf.

BEN

benjaminmeister

12.11.2024, 17:20:13

Die Regelung hat wie @[Dogu](137074) schon dargegelegt hat definitiv seine Berechtigung. In deiner @[Matschegenga](138216) Konstruktion dürfte man übrigens relativ schnell auch einfach mal zu § 242 BGB (Stichwort: Einwand des Rechtsmissbrauchs bei widersprüchlichem Verhalten) gelangen.


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