Zivilrecht

Geschäftsführung ohne Auftrag (GoA)

Die echte GoA – Sonderfälle

GoA-Anspruch bei Selbstaufopferung im Straßenverkehr? (§ 7 Abs. 2 StVG a.F.) I

GoA-Anspruch bei Selbstaufopferung im Straßenverkehr? (§ 7 Abs. 2 StVG a.F.) I

15. Juni 2025

17 Kommentare

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Klassisches Klausurproblem

A befährt im Jahr 1962 eine ruhige und übersichtliche Landstraße. A fährt vorschriftsmäßig 50 km/h. Plötzlich gerät der 9-jährige Radfahrer R unverschuldet und für A unvorhersehbar, auf As Fahrbahn. A reißt das Steuer seines Wagens herum und prallt gegen einen Baum.

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Einordnung des Falls

GoA-Anspruch bei Selbstaufopferung im Straßenverkehr? (§ 7 Abs. 2 StVG a.F.) I

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. A kann von R Ersatz für die Schäden am Auto verlangen, wenn er einen Anspruch auf Aufwendungsersatz nach §§ 677, 683 S. 1, 670 BGB hat.

Genau, so ist das!

Voraussetzung für einen Aufwendungsersatzanspruch nach §§ 677, 683 S. 1, 670 BGB ist, dass A (1) ein fremdes Geschäft (2) mit Fremdgeschäftsführungswillen, (3) ohne Auftrag oder einer sonstigen Berechtigung geführt hat und (4) die Geschäftsführung berechtigt war.
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2. Indem A das Steuer herumgerissen hat, hat er eine rein tatsächliche Handlung vorgenommen. Scheidet damit das Vorliegen einer GoA bereits aus (§ 677 BGB)?

Nein, das trifft nicht zu!

Ein Anspruch aus §§ 677, 683 S. 1, 670 BGB setzt zunächst voraus, dass der Geschäftsführer eine Geschäftsbesorgung vorgenommen hat. Geschäftsbesorgung ist hier wie im Auftragsrecht (§ 662 BGB) weit zu verstehen und umfasst jede fremdnützige tatsächliche oder rechtsgeschäftliche Tätigkeit, auch von kurzer Dauer. Das Herumreißen des Steuers ist eine tatsächliche Tätigkeit. Auch diese fällt unter den Begriff der Geschäftsbesorgung.

3. Indem A das Steuer herumgerissen hat, hat er ein objektiv fremdes Geschäft besorgt.

Nein, das ist nicht der Fall!

Der Geschäftsführer muss das Geschäft für einen anderen besorgen (§ 677 BGB). Dies erfordert den nach außen erkennbaren Willen und das Bewusstsein, für einen anderen tätig zu werden (Fremdgeschäftsführungswille). Die Unterscheidung zwischen objektiv fremden, subjektiv fremden und auch-fremden Geschäften ist Voraussetzung für die Bestimmung des Maßstabs, der für den Fremdgeschäftsführungswillen gilt. Unter objektiv fremde Geschäfte fallen Tätigkeiten, die schon ihrem äußeren Erscheinungsbild nach in einen anderen Rechts- und Interessenkreis fallen, z.B. Hilfeleistungen, Gefahrabwendung und Zahlung fremder Schulden. Hier lag das Ausweichmanöver aber auch im Interesse des A . Ein Kraftfahrer hat äußerlich erkennbar Interesse daran, keine andere Person zu überfahren. Das Geschäft ist nicht objektiv fremd.

4. A könnte grundsätzlich durch das Ausweichen ein „auch-fremdes“ Geschäft besorgt haben.

Ja, in der Tat!

Unter „auch-fremde“ Geschäfte fallen Tätigkeiten, die ihrer äußeren Erscheinung nach nicht nur in den Interessenkreis des Geschäftsführers fallen, sondern auch einem Dritten zugute kommen (Handeln im Doppelinteresse).Der BGH nimmt für die Fälle, in denen der Geschäftsführer durch seine Geschäftsbesorgung eine Kollision im Straßenverkehr verhindert hat, eine Einschränkung vor. Ein auch-fremdes Geschäft liege jedenfalls dann nicht vor, wenn der Geschäftsführer für den verhinderten Unfall nach § 7 Abs. 1 StVG hätte haften müssen. In diesem Fall liege das Ausweichen nur in seinem Interesse (= Verhinderung der Haftung). Dahinter stünde auch der Zweck von § 7 Abs. 1 StVG: Dieser ist eine verschuldensunabhängige Haftung für die Betriebsgefahr. Der Halter haftet für Schäden, die bei anderen entstehen, allein deswegen, weil das Kfz im Straßenverkehr genutzt wird. Somit sei es ihm erst recht zuzumuten, eigene Schäden zu tragen. Diese gesetzliche Risikoverteilung dürfe nicht durch die Anwendung der GoA umgangen werden.

5. Nach § 7 Abs. 1 StVG i.V.m. § 7 Abs. 2 StVG a.F. gab es eine Ausnahme von der Haftung, wenn es sich um ein unabwendbares Ereignis handelte. Hätte A danach gehaftet, wenn er R angefahren hätte?

Nein!

Bis zum 31.07.2002 schied die verschuldensunabhängige Haftung (§ 7 Abs. 1 StVG) aus, wenn es sich um ein unabwendbares Ereignis handelte (§ 7 Abs. 2 StVG alte Fassung). Unabwendbar war nach § 7 Abs. 2 StVG alte Fassung ein Ereignis, das auch bei der äußersten möglichen Sorgfalt nicht abgewendet werden kann. BGH: A habe nicht damit zu rechnen brauchen, dass einer der Radfahrer plötzlich ohne ersichtlichen Grund in die Gegenfahrbahn einbiegen werde. Auf ein so ungewöhnliches Verhalten brauche sich auch der besonders sorgfältige Kraftfahrer selbst gegenüber 10- bis 11jährigen Radfahrern nicht einzustellen, solange ihr Verhalten keinen Anlass zu einer solchen Befürchtung biete. Die Enthaftung bei Vorliegen eines unabwendbaren Ereignisses, findet sich nach der Novellierung des StVG noch bei Unfällen zwischen zwei Kraftfahrzeugen (§ 17 Abs. 3 StVG).

6. Indem A das Steuer herumgerissen hat, hat er (nach damaligem Recht) ein auch- fremdes Geschäft besorgt. Wird der Fremdgeschäftsführungswille daher vermutet (BGH)?

Genau, so ist das!

Unter „auch-fremde“ Geschäfte fallen Tätigkeiten, die ihrer äußeren Erscheinung nach nicht nur in den Interessenkreis des Geschäftsführers fallen, sondern auch einem Dritten zugute kommen (Handeln im Doppelinteresse). Bei einer Kollision mit R hätte A nicht gehaftet. Ein solcher Unfall wäre ein für A „unabwendbares Ereignis“ (§ 7 Abs. 2 StVG alte Fassung) gewesen. Durch das Ausweichen hat A deshalb primär Belange des R wahrgenommen, indem er ihn davor bewahrte, verletzt oder gar getötet zu werden. Die Verhinderung des Unfalls lag aber auch im Interesse des A. Mangels anderer Anhaltspunkte besteht nach Ansicht des BGH die Vermutung von As Fremdgeschäftsführungswillen. Du löst die Fälle grundsätzlich nach der aktuellen Rechtslage, es sei denn, es gibt einen entsprechenden Hinweis in der Aufgabe. Die Rechtslage nach 2002 schauen wir uns im nächsten Fall an!
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