GoA-Anspruch bei Selbstaufopferung im Straßenverkehr?


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Klassisches Klausurproblem

A befährt im Jahr 1962 eine ruhige und übersichtliche Landstraße. A fährt vorschriftsmäßig 50 km/h. Plötzlich gerät der 9-jährige Radfahrer R unverschuldet und für A unvorhersehbar, auf A's Fahrbahn. A reißt das Steuer seines Wagens herum und prallt gegen einen Baum.

Einordnung des Falls

GoA-Anspruch bei Selbstaufopferung im Straßenverkehr?

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. A kann von R Ersatz für die Schäden am Auto verlangen, wenn er einen Anspruch auf Aufwendungsersatz nach §§ 677, 683 S. 1, 670 BGB hat.

Genau, so ist das!

Voraussetzung für einen Aufwendungsersatzanspruch nach §§ 677, 683 S. 1, 670 BGB ist, dass A (1) ein fremdes Geschäft (2) mit Fremdgeschäftsführungswillen, (3) ohne Auftrag oder einer sonstigen Berechtigung geführt hat und (4) die Geschäftsführung berechtigt war.

2. Indem A das Steuer herumgerissen hat, hat er "ein Geschäft besorgt" (§ 677 BGB).

Ja, in der Tat!

Geschäftsführung ohne Auftrag (GoA) begründet ein gesetzliches Schuldverhältnis. Sie liegt vor, wenn jemand (der Geschäftsführer) ein Geschäft für einen anderen (den Geschäftsherrn) besorgt, ohne von ihm beauftragt oder ihm gegenüber sonst dazu berechtigt zu sein. Geschäftsbesorgung ist hier wie im Auftragsrecht (§ 662 BGB) weit zu verstehen und umfasst jede fremdnützige tatsächliche oder rechtsgeschäftliche Tätigkeit, auch von kurzer Dauer. Das Herumreißen des Steuers ist eine tatsächliche Tätigkeit. A hat ein Geschäft besorgt.

3. Der Geschäftsführer besorgt das Geschäft "für einen anderen" (§ 677 BGB), wenn er das Geschäft jedenfalls nicht nur als eigenes, sondern auch als fremdes Geschäft führt.

Ja!

Der Geschäftsführer muss das Geschäft für einen anderen besorgen (§ 677 BGB). Dies erfordert den nach außen erkennbaren Willen und das Bewusstsein, für einen anderen tätig zu werden (Fremdgeschäftsführungswille). Dabei ist zu unterscheiden: objektiv fremde Geschäfte fallen schon äußerlich in einen fremden Interessenkreis, hier wird der Wille (widerleglich) vermutet. Subjektiv fremde Geschäfte sind neutral, der Wille muss positiv festgestellt werden. Bei "auch-fremden" Geschäften liegt die Übernahme im eigenen und im fremden Interesse. Der Wille wird nach der Rechtsprechung grundsätzlich auch hier vermutet, insbesondere wenn das Interesse des Anderen an der Vornahme der Handlung im Vordergrund steht (sehr strittig).

4. Indem A das Steuer herumgerissen hat, hat er ein objektiv fremdes Geschäft besorgt. Der Fremdgeschäftsführungswille wird vermutet.

Nein, das ist nicht der Fall!

Unter objektiv fremde Geschäfte fallen Tätigkeiten, die schon ihrem äußeren Erscheinungsbild nach in einen anderen Rechts- und Interessenkreis fallen, zB Hilfeleistungen, Gefahrabwendung und Zahlung fremder Schulden. Hier lag das Ausweichmanöver aber auch im Interesse des A . Ein Kraftfahrer hat äußerlich erkennbar Interesse daran, keine andere Person zu überfahren.

5. Ein Kraftfahrer, der durch Ausweichen versucht einen Unfall mit einem anderen zu verhindern, besorgt stets ein auch-fremdes Geschäft. Daran ändert sich auch nichts, wenn er für die Verletzungen des anderen bei einer hypothetischen Kollision haften würde.

Nein, das trifft nicht zu!

Unter "auch-fremde" Geschäfte fallen Tätigkeiten, die ihrer äußeren Erscheinung nach nicht nur in den Interessenkreis des Geschäftsführers fallen, sondern auch einem Dritten zugute kommen (Handeln im Doppelinteresse).BGH: Ein auch-fremdes Geschäft liege jedenfalls dann nicht vor, wenn A für den Unfall nach § 7 Abs. 1 StVG haften muss. Dann liege das Ausweichen nur in seinem Interesse. Dies ergebe sich daraus, dass die Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG eine verschuldensunabhängige Haftung für die Betriebsgefahr sei, d.h. allein dafür, dass ein Kfz im Straßenverkehr benutzt wird. Der Halter eines Kfz müsse alle Schäden ersetzten, die er anderen zufügt. Dann sei es ihm aber erst recht zuzumuten, eigene Schäden zu tragen. Diese gesetzliche Risikoverteilung dürfe nicht durch die Anwendung der GoA umgangen werden.

6. Hätte A den R angefahren, statt vorbeizulenken, so hätte er sich damals nach § 7 Abs. 1 StVG i.V.m. § 7 Abs. 2 StVG a.F. haftbar gemacht.

Nein!

Bis zum 31.07.2002 schied die verschuldensunabhängige Haftung (§ 7 Abs. 1 StVG) aus, wenn es sich um ein unabwendbares Ereignis handelte (§ 7 Abs. 2 StVG alte Fassung). Unabwendbar war nach § 7 Abs. 2 StVG alte Fassung ein Ereignis, das auch bei der äußersten möglichen Sorgfalt nicht abgewendet werden kann. BGH: A habe nicht damit zu rechnen brauchen, dass einer der Radfahrer plötzlich ohne ersichtlichen Grund in die Gegenfahrbahn einbiegen werde. Auf ein so ungewöhnliches Verhalten brauche sich auch der besonders sorgfältige Kraftfahrer selbst gegenüber 10- bis 11jährigen Radfahrern nicht einzustellen, solange ihr Verhalten keinen Anlass zu einer solchen Befürchtung biete. Die Enthaftung bei Vorliegen eines unabwendbaren Ereignisses, findet sich nach der Novellierung des StVG noch bei Unfällen zwischen zwei Kraftfahrzeugen (§ 17 Abs. 3 StVG).

7. Indem A das Steuer herumgerissen hat, hat er (nach damaligem Recht) ein auch- fremdes Geschäft besorgt. Der Fremdgeschäftsführungswille wird vermutet.

Genau, so ist das!

Unter "auch-fremde" Geschäfte fallen Tätigkeiten, die ihrer äußeren Erscheinung nach nicht nur in den Interessenkreis des Geschäftsführers fallen, sondern auch einem Dritten zugute kommen (Handeln im Doppelinteresse). Bei einer Kollision mit R hätte A nicht gehaftet. Ein solcher Unfall wäre ein für A "unabwendbares Ereignis" (§ 7 Abs. 2 StVG alte Fassung) gewesen. Durch das Ausweichen hat A deshalb primär Belange des R wahrgenommen, indem er ihn davor bewahrte, verletzt oder gar getötet zu werden.

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