Zivilrecht

Geschäftsführung ohne Auftrag (GoA)

Die echte GoA – Sonderfälle

GoA-Anspruch bei Selbstaufopferung im Straßenverkehr? (§ 7 Abs. 2 StVG a.F.) II

GoA-Anspruch bei Selbstaufopferung im Straßenverkehr? (§ 7 Abs. 2 StVG a.F.) II

16. April 2025

5 Kommentare

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Klassisches Klausurproblem

Im Jahr 1957 befährt A eine Straße mit 30 km/h. Der fünfjährige J überquert - gut sichtbar - die Straße. A ist in ein Gespräch mit Beifahrerin B vertieft. Erst im letzten Moment nimmt A den J wahr und reißt das Steuer scharf nach links. Der Wagen überschlägt sich. Alle Beteiligten bleiben unverletzt, nur As Wagen ist beschädigt. Hätte A auf die Straße geachtet, hätte er rechtzeitig bremsen können.

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Einordnung des Falls

GoA-Anspruch bei Selbstaufopferung im Straßenverkehr? (§ 7 Abs. 2 StVG a.F.) II

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. A kann von J Ersatz für die Schäden am Auto verlangen, wenn er einen Anspruch auf Aufwendungsersatz hat (§§ 677, 683 S. 1, 670 BGB hat).

Ja!

Voraussetzung für einen Aufwendungsersatzanspruch nach §§ 677, 683 S. 1, 670 BGB ist, dass A (1) ein fremdes Geschäft (2) mit Fremdgeschäftsführungswillen, (3) ohne Auftrag oder einer sonstigen Berechtigung geführt hat und (4) die Geschäftsführung berechtigt war. Das Herumreißen des Steuers ist eine tatsächliche Tätigkeit. A hat ein Geschäft besorgt. Zudem handelt es sich nicht bereits um ein obnjektiv fremdes Geschäft, weil A nach den äußerlich erkennbaren Umständen zumindest auch in seinem eigenen Interesse, den Unfall zu verhindern, handelte. Eine ausführliche gutachterliche Prüfung haben wir uns an dieser Stelle gespart, da Du diese bereits aus den vorherigen Fällen kennst.
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2. Ein Kraftfahrer, der versucht durch Ausweichen einen Unfall mit einem anderen zu verhindern, besorgt grundsätzlich ein auch-fremdes Geschäft. Könnte sich etwas anderes daraus ergeben, wenn der Kfz-Halter für den verhinderten Schaden voll haften würde?

Genau, so ist das!

Unter „auch-fremde“ Geschäfte fallen Tätigkeiten, die ihrer äußeren Erscheinung nach nicht nur in den Interessenkreis des Geschäftsführers fallen, sondern auch einem Dritten zugute kommen (Handeln im Doppelinteresse). BGH:Ein auch-fremdes Geschäft liege jedenfalls dann nicht vor, wenn A für den verhinderten Unfall nach § 7 Abs. 1 StVG gehaftet hätte. Dann liege das Ausweichen nur in seinem Interesse. Dies ergebe sich daraus, dass die Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG eine verschuldensunabhängige Haftung für die Betriebsgefahr sei, dh allein dafür, dass ein Kfz im Straßenverkehr benutzt wird. Der Halter eines Kfz müsse alle Schäden ersetzten, die er anderen zufügt. Dann sei es ihm aber erst recht zuzumuten, eigene Schäden selbst zu tragen. Diese gesetzliche Risikoverteilung dürfe nicht durch die Anwendung der GoA umgangen werden.

3. Hätte A den J angefahren, statt vorbeizulenken, so hätte er sich (nach altem Recht) gemäß § 7 Abs. 1 StVG haftbar gemacht.

Ja, in der Tat!

Bis zum 31.07.2002 schied die verschuldensunabhängige Haftung iSv § 7 Abs. 1 StVG aus, wenn es sich um ein unabwendbares Ereignis iSv § 7 Abs. 2 StVG alte Fassung handelte. Unabwendbar ist ein Ereignis, das auch bei der äußersten möglichen Sorgfalt nicht abgewendet werden kann. Jedenfalls aufgrund des Umstandes, dass A hier in das Gespräch mit B vertieft war, statt auf den Straßenverkehr zu achten, hat er die im Straßenverkehr notwendige Sorgfalt nicht beachtet. Bei Beachtung dieser Maßstäbe wäre es ihm möglich gewesen, rechtzeitig zu bremsen. Es lag kein "unabwendbares Ereignis" (§ 7 Abs. 2 StVG alte Fassung) vor. Die Enthaftung bei Vorliegen eines unabwendbaren Ereignisses gibt es nach der Novellierung des StVG weiterhin, aber primär beschränkt auf Unfälle zwischen zwei Kraftfahrzeugen (§ 17 Abs. 3 StVG), also nicht zwischen Fußgänger und Kraftfahrzeug.

4. Indem A das Steuer herumgerissen hat, hat er (nach altem Recht) ein auch-fremdes Geschäft besorgt (BGH).

Nein!

Unter „auch-fremde“ Geschäfte fallen Tätigkeiten, die ihrer äußeren Erscheinung nach nicht nur in den Interessenkreis des Geschäftsführers fallen, sondern auch einem Dritten zugute kommen (Handeln im Doppelinteresse). Ein solches liegt nach Rspr. des BGH nicht vor, wenn der Geschäftsführer durch die Geschäftshandlung eine eigene Haftung vermeidet. Bei einer Kollision mit J hätte A gehaftet. Ein solcher Unfall wäre für A kein "unabwendbares Ereignis" (§ 7 Abs. 2 StVG alte Fassung) gewesen. Durch das Ausweichen hat A deshalb primär eigene Belange wahrgenommen (nicht zu haften). BGH: Wenn A Fremdschäden zu tragen habe, müsse er erst recht eigene Schäden tragen.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

TeamRahad 🧞

TeamRahad 🧞

2.4.2021, 08:16:13

Sehr cool, wie die Illustration zum Jahr passt 😊👍

julia_purpose

julia_purpose

20.2.2024, 18:18:54

In einer der Erklärungen heißt es, die Haftung seie seit der Novellierung des StGB (Rechtschreibfehler nehme ich an, gemeint ist wahrscheinlich die Novellierung des StVG) durch den

§ 17 StVG

auf Unfälle mit mehreren Kraftfahrzeugen beschränkt. Allerdings besagt der § 17 IV StVG, dass die Vorschriften der Absätze I-III entsprechend anzuwenden sind, wenn der Schaden durch ein Kraftfahrzeug und ein Tier oder durch ein Kraftfahrzeug und eine Eisenbahn verursacht wird. Folglich ist der

§ 17 StVG

nicht ausschließlich auf Unfälle mit mehreren Kraftfahrzeugen gerichtet, wenn ich das richtig erfasst habe.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

27.2.2024, 15:50:10

Hallo julia_purpose, wir haben hier präzisiert, dass es uns darum geht, dass Kollisionen zwischen Fußgänger und Kfz nicht mehr darunter fallen. In der Tat finden die Vorschriften des

§ 17 StVG

auch noch auf andere Konstellationen durch entsprechende Verweisungen Anwendung (s. zB die neu geregelte Anhängerhaftung in § 1

9 StVG

). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team


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