+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Der schöne S fährt gerne Fahrrad, will sich aber nicht mit einem Fahrradhelm seine Frisur zerstören. Als er eines Tages wieder ohne Helm von der Uni nach Hause fährt, wird er fahrlässig von Rentner R angefahren. Nur weil K keinen Helm trägt, erleidet er eine leichte Schädelprellung sowie eine Platzwunde am Kopf (erforderliche Heilungskosten: 500 €).
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Einordnung des Falls
Fehlender Fahrradhelm begründet kein Mitverschulden
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Wenn der Geschädigte den Schaden mitverschuldet hat, kann sein Schadensersatzanspruch gekürzt werden (§ 254 Abs. 1 BGB).
Ja!
Wenn ein Schadensersatzanspruch und sein Umfang festgestellt sind, kann der Anspruch durch ein Mitverschulden des Geschädigten zu einer Kürzung führen (§ 254 BGB). § 254 Abs. 1 BGB betrifft Mitverschulden bei der Schadensentstehung, § 254 Abs. 2 BGB (Unterlassungs-)Mitverschulden bei der Schadensabwendung- bzw. minderung. § 254 Abs. 1 BGB setzt dabei voraus, dass (1) der Geschädigte die Schadensentstehung zurechenbar mitverursacht hat und (2) ihn ein Verschulden gegen sich selbst trifft (Obliegenheitsverletzung).
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2. S hätte den Schaden auch erlitten, wenn er einen Helm getragen hätte.
Nein, das ist nicht der Fall!
Die zurechenbare Mitverursachung setzt voraus, dass der Geschädigte eine Handlung vorgenommen oder unterlassen hat, die den Schadenseintritt zurechenbar mitverursacht hat. Die Zurechenbarkeit bestimmt sich nach den gleichen Grundsätzen wie bei der Haftung des Schädigers (Äquivalenz, Adäquanz, Schutzzweckzusammenhang). Hätte S einen Helm getragen, wäre es nicht zu der Körper- und Gesundheitsverletzung gekommen und die Heilbehandlungskosten wären nicht entstanden (= Äquivalenz). Dass man Schädelprellungen erleiden kann, wenn man ohne Helm am Straßenverkehr teilnimmt, liegt nicht außerhalb jeglicher Lebenserfahrung (= Adäquanz). Schließlich soll das Tragen eines Helmes auch gerade vermeiden, dass es zu dieser Art von Verletzungen kommt (= Schutzzweckzusammenhang). S hat den Schaden (kausal und zurechenbar) mitverursacht.
3. Weiterhin müsste S eine Obliegenheitsverletzung begangen haben. Kann ein Verschulden gegen sich selbst kann nur dann Vorliegen, wenn S rechtlich zum Tragen eines Helms verpflichtet war?
Nein, das trifft nicht zu!
BGH: Ein Mitverschulden des Verletzten iSv § 254 Abs. 1 BGB sei bereits dann anzunehmen, wenn dieser diejenige Sorgfalt außer Acht lasse, die ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens anzuwenden pflege. Er müsse sich „verkehrsrichtig“ verhalten, was sich nicht nur durch die geschriebenen Regeln der Straßenverkehrsordnung bestimme, sondern durch die konkreten Umstände und Gefahren im Verkehr sowie nach dem, was den Verkehrsteilnehmern zumutbar sei, um diese Gefahr möglichst gering zu halten. Danach reiche es für eine Mithaftung des Geschädigten aus, wenn für Radfahrer das Tragen von Schutzhelmen zur Unfallzeit nach allgemeinem Verkehrsbewusstsein zum eigenen Schutz erforderlich gewesen sei (RdNr 9).
4. Mit dem Fahrrad ohne Helm am Straßenverkehr teilzunehmen, begründet heutzutage immer ein Verschulden gegen sich selbst (Obliegenheitsverletzung).
Nein!
Nach h.M. begründet der Geschädigte kein Verschulden gegen sich selbst, wenn er ohne Helm Fahrradfährt. Das gilt jedenfalls, soweit das Fahrrad als schlichtes Fortbewegungsmittel im Alltagsverkehr und nicht im Sport (Rennrad o.ä.) verwendet wird. Dass ein Helm Schäden verhindern kann, genügt alleine für ein Mitverschulden nicht, da ein auf optimale Schadensverhinderung ausgerichtetes Verhalten im Alltag nicht zumutbar ist. Da auch dem Gesetzgeber das Problem bekannt ist und er es bewusst nur für Krafträder gesetzlich geregelt hat (§ 21a Abs. 2 StVO), gehört im Umkehrschluss nach der gesetzgeberischen Wertung das Helmtragen für Fahrradfahrer nicht zu einem ordnungsgemäßen, verkehrsrichtigen Verhalten. Somit liegt auch kein Indiz für seine Obliegenheitsverletzung vor. Allein der Umstand, dass S auf seinem Rad keinen Helm getragen hat, begründet keine Obliegenheitsverletzung. S trifft damit kein Mitverschulden nach § 254 Abs. 1 BGB. Anders wäre es, wenn S auf einem Motorrad oder Rennrad unterwegs gewesen wäre.