Strafrecht

BT 1: Totschlag, Mord, Körperverletzung u.a.

Mord, § 211 StGB

Vorsätzliche Geisterfahrt mit einem PKW auf der Autobahn

Vorsätzliche Geisterfahrt mit einem PKW auf der Autobahn

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

T fährt nachts ohne Licht entgegen der Fahrtrichtung auf der Autobahn. Er steuert mit 110km/h auf einen PKW zu, um sich beim Zusammenstoß selbst zu töten. T nimmt billigend den Tod der Insassen des anderen PKWs in Kauf. O und seine vier Kinder sterben.

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Einordnung des Falls

Vorsätzliche Geisterfahrt mit einem PKW auf der Autobahn

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. T hat O und seine vier Kinder "mit gemeingefährlichen Mitteln" getötet (§ 211 Abs. 2 Gr. 2 Var. 3 StGB).

Ja!

Das objektive Mordmerkmal der gemeingefährlichen Mittel erfüllt der Täter, der ein Medium einsetzt, das in der konkreten Tatsituation abstrakt geeignet ist, eine unbestimmte Mehrzahl von Menschen an Leib und Leben zu gefährden, weil er die Ausdehnung der Gefahr nicht in seiner Gewalt hat. Die Gefährlichkeit des Tatmittels bestimmt sich nicht abstrakt nach dessen typischer Wirkung, sondern nach dessen Eignung zur Gefährdung Dritter in der konkreten Tatsituation. Nicht notwendig ist, dass die Gefährdung konkret eingetreten ist ("abstrakt geeignet"). BGH: Ein PKW sei abstrakt betrachtet nicht gemeingefährlich. T habe jedoch in der konkreten Tatsituation mit seiner Fahrweise die Insassen des entgegenkommenden PKW sowie weiterer Fahrzeuge gefährdet. Welche Personen gefährdet, verletzt und getötet werden konnten, sei für T nicht mehr beherrschbar gewesen (RdNr. 16).
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2. T hatte Vorsatz bezüglich der Gemeingefährlichkeit des Mittels (§ 211 Abs. 2 Gr. 2 Var. 3 StGB).

Genau, so ist das!

Der Vorsatz muss sich auf alle objektiven Tatbestandsmerkmale beziehen (Umkehrschluss aus § 16 StGB). Das Mordmerkmal "mit gemeingefährlichen Mitteln" ist ein tatbezogenes, objektives Mordmerkmal. Der Täter hat Vorsatz bezüglich der Gemeingefährlichkeit des Mittels, wenn er die Wirkung des Tötungsmittels kennt und dessen mangelnde Beherrschbarkeit zumindest in Kauf nimmt. T fährt bewusst in entgegengesetzter Fahrtrichtung auf den PKW zu und nimmt zumindest billigend in Kauf, dass auch andere Autofahrer (und weitere Insassen) gefährdet und letztlich getötet werden können.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

AdamFFM

AdamFFM

3.3.2024, 14:03:09

Liebes Jurafuchs-Team, wäre es in diesem Fall nicht denkbar, die Gemeingefährlichkeit des Autos zu verneinen? Meines Erachtens könnte nämlich argumentiert werden, dass hier die konkrete Situation (Nacht, Landstraße) dazu führt, dass eigentlich nur die Insassen des erste entgegenkommenden Autos gefährdet seien, da, bei lebensnaher Auslegung des Sachverhalts, nachts selten mehrere Autos hintereinander fahren, insbesondere auf Landstraßen. Aus dieser Auslegung würde sich aber jedoch ergeben, dass nur so viele Menschen gefährdet werden können, wie die Kapazität des Autos es erlaubt. Dies wäre doch wiederum aber keine unbestimmte Anzahl an möglichen gefährdeten Personen. Vielen Dank im Voraus!

Nora Mommsen

Nora Mommsen

4.3.2024, 16:29:00

Hallo AdamFFM, in der Rechtswissenschaft ist ja bekanntermaßen ziemlich vieles vertretbar und diskutabel und es findet sich immer jemand der es auch so sieht, von daher ist es durchaus vertretbar anderer Meinung als der BGH zu sein ;) An dieser Stelle ist es aber wichtig im Kopf zu haben welchen Strafzweck das Merkmal der "Gemeingefährlichkeit" verfolgt. Es geht darum, dass der Täter ein Tatmittel "in die Welt" lässt, das er im Anschluss nicht mehr kontrollieren kann und so eine besondere Gefährdungslage schafft, unabhängig davon für wie viele Personen am Ende tatsächlich ein Schaden eintritt. Daher ist auch eine generelle Gefährlichkeit ausreichend, der Eintritt einer konkreten Gefahr ist nicht erforderlich. (vgl. Fischer, StGB, § 211 Rn. 59). An dieser Stelle würde ich daher beim BGH bleiben: Denn grundsätzlich ist es für den T eben nicht mehr kontrollierbar, wie viele Autos und damit auch wie viele Personen durch das Tatmittel gefährdet werden. Denn auch das ist wichtig: Es geht nicht unbedingt um eine besonders große Zahl an Menschen, sondern darum dass in diesem Fall eine Mehrzahl nicht individualisierter Personen gefährdet wird. Anders wäre es wenn der T als Fahrer mit Insassen im Auto den PKW von der Straße ab und gegen einen Baum fährt in suizidaler Absicht. Denn dann beschränkt sich die Gefährdung auf die Personen im Auto, es besteht keine Drittgefährlichkeit. (dazu die Urteile NStZ 2007, 330 und NStZ 2021, 361 f. (1 StR 500/20). Dann wiederum wäre ich bei dir in der Situation, in der die Gefährdung Dritter sicher ausgeschlossen ist. Dann reicht die abstrakte Gefährdung nicht aus. Das könnte man z.B. auf einem Privatgrundstück oder abgelegenen Feldweg annehmen, vorliegend fuhrt T aber auf einer Autobahn. Auch wenn da nachts definitiv selten viel Verkehr ist, erscheint es doch unmöglich eine Gefährdung Dritter (in der Kontrolle des Täters!) sicher auszuschließen. Ich hoffe, das hat deine Frage beantwortet. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

AdamFFM

AdamFFM

4.3.2024, 18:50:03

Vielen Dank für die ausführliche Antwort, jetzt verstehe ich die Einordnung als gemeingefährliches Mittel in diesem Fall viel besser :)


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