+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs Illustration: T bringt an einem Auto Sprengstoff an.
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T montiert mit Tötungsabsicht eine Bombe an das Auto des O, nachdem dieser es in einem Wohngebiet vor seinem Haus abgestellt hat. Nach Vorstellung des T soll diese zünden, sobald O das Auto startet. Am nächsten Tag fährt ausnahmsweise die Frau des O (X) das Auto. Als X das Auto startet geht die Bombe hoch. X stirbt sofort.

Einordnung des Falls

In diesem Klassiker ist zwischen einer aberratio ictus und einem error in persona abzugrenzen. Bei der aberratio ictus lenkt der Täter seinen Angriff auf ein bestimmtes, von ihm individualisiertes Tatobjekt. Dieser Angriff geht jedoch fehl und trifft ein anderes Objekt, das der Täter gar nicht anvisiert und in sein Bewusstsein aufgenommen hatte. Währenddessen irrt der Täter bei dem error in person über die Identität des konkret individualisierten Opfers. Bei sog. Sprengfallen platziert der Täter Sprengstoff, der eine andere Person treffen sollte als das tatsächliche Opfer. Bei Sprengstofffallen an einem Auto individualisiert der Täter das Opfers nur insoweit, als dass die Person getroffen wird, die als nächstes das Auto nutzt. Ist der Benutzer ein anderer als angedacht, stellt dies einen unbeachtlichen error in persona dar.

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 9 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Könnte sich T wegen Totschlags strafbar gemacht haben (§ 212 Abs. 1 StGB), indem er die Bombe am Auto des O montierte, die zum Tod der X führte?

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Ja!

§ 212 StGB setzt tatbestandlich voraus, dass der Täter vorsätzlich den Tod eines anderen Menschen herbeiführt. An dieser Stelle kannst du das Gutachten entweder mit dem Totschlag (§ 212 Abs. 1 StGB) oder mit dem Mord (§ 211 StGB) beginnen. Dies hängt davon ab, ob Du den Mord als eigenständiges Delikt (so die Rechtsprechung) oder lediglich als Qualifikation des Totschlags (so die herrschende Lehre) einordnest. Bereits an dem Aufbau wird also deutlich, welcher Ansicht du folgst. Du musst Deinen Aufbau dabei nicht begründen! Wichtig ist an dieser Stelle, dass die Prüfung konsequent durchgeführt wird. Vorliegend wird der Ansicht der Literatur gefolgt, welche im Mord den Qualifikationstatbestand zum Totschlag sieht. Deshalb beginnen wir hier mit der Prüfung des Totschlags.

2. Ist T der tatbestandsmäßige Erfolg kausal und objektiv zurechenbar, bwohl abweichend vom Tatplan des T, die X mit dem Auto gefahren ist?

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Genau, so ist das!

Ein Verhalten ist nach der conditio-sine-qua-non-Formel dann kausal, wenn es nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele. Objektiv zurechenbar ist eine Handlung hingegen, wenn der Täter dadurch ein rechtlich missbilligtes Risiko schafft und dieses sich gerade im Erfolg realisiert.Durch das Montieren der Bombe am Auto hat T ein rechtlich missbilligtes Risiko für das Leben der X geschaffen. Dieses Risiko hat sich auch kausal im Todeserfolg realisiert. Es liegt nicht außerhalb jeglicher Lebenserfahrung, dass sich eine andere Person als das anvisierte Opfer im Wirkungskreis der Tat befindet. Daher ist die Tat dem T objektiv zurechenbar, auch wenn X und nicht O getroffen wurde.

3. Richtet es sich danach, ob T auch vorsätzlich handelte, ob es sich beim versehentlichen Tod der X um ein Fehlgehen der Tat (aberratio ictus) handelt oder dies nur einen (unbeachtlichen) Irrtum über die Identität des Opfers darstellt (error in persona)?

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Ja, in der Tat!

Der Täter hat Vorsatz, wenn er mit dem Willen zur Verwirklichung des Tatbestands (voluntatives Element) in Kenntnis aller objektiven Tatumstände (kognitives Element) handelt. Der Vorsatz muss sich auf alle Merkmale des objektiven Tatbestandes beziehen (§ 16 StGB). Irrt sich der Täter über die Identität der konkret individualisierten Person oder Sache (error in persona vel obiecto), ist diese Objektsverwechslung für den Vorsatz unbeachtlich, wenn das konkret getroffene und das erwartete Objekt tatbestandlich gleichwertig sind. Von der Objektsverwechslung (error in persona vel obiecto) zu unterscheiden ist das Fehlgehen der Tat (aberratio ictus). Dabei lenkt der Täter seinen Angriff auf ein bestimmtes, von ihm individualisiertes Tatobjekt, dieser Angriff geht jedoch fehl und trifft ein anderes Objekt, das der Täter gar nicht anvisiert und in sein Bewusstsein aufgenommen hatte. Problematisch ist hier, dass T das Tatopfer hier nicht unmittelbar individualisiert hat, sondern nur mittelbar über das vermeintliche Auto.

4. Hat sich Ts Vorsatz nach Auffassung der herrschenden Meinung auf O konkretisiert, sodass der Tod der X sich als Fehlgehen der Tat darstellt (aberratio ictus) und der Vorsatz entfällt?

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Nein!

Ausschlaggebend bei der mittelbaren Individualisierung ist nach hM, dass das Objekt getroffen werde, was entsprechend den „Programmvorgaben des Täters“ getroffen werden soll. BGH: Dabei mache es keinen Unterschied, ob der Täter das Opfer zuvor optisch wahrgenommen habe oder nicht. Durch das Anbringen der Sprengfalle stellte T lediglich sicher, dass der nächste Benutzer des Wagens getötet wird. Weitere Individualisierungsmaßnahmen unternahm er nicht. Dass es sich bei dem nächsten Benutzer nicht um O, sondern dessen Frau X handelt, stellt damit lediglich einen unbeachtlichen Identitätsirrtum dar.

5. Müsste man ein Fehlgehen der Tat annehmen (aberratio ictus), wenn man bei der mittelbaren Individualisierung darauf abstellt, was sich der Täter vor seinem geistigen Auge vorstellt?

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Genau, so ist das!

Nach einer teilweise vertretenen Ansicht (Herzberg) erfolge bei der mittelbaren Individualisierung die Vorsatzkonkretisierung durch das, was sich der Täter vor seinem “geistigen Auge” vorstellt. Wird nun ein anderes Objekt getroffen, weicht dies vom anvisierten Verletzungsobjekt ab und es liegt ein Fehlgehen der Tat vor (aberratio ictus).Indem sich T hier den O als Opfer vor seinem geistigen Auge vorgestellt hatte, hat sich sein Vorsatz auf diesen konkretisiert. Da stattdessen X getroffen wurde, läge ein Fehlgehen der Tat vor, welches den Vorsatz nach § 16 StGB entfallen lässt. Im Hinblick auf X läge dann lediglich eine fahrlässige Tötung (§ 222 StGB) vor.Für die herrschende Meinung spricht indes, dass der Täter es bei der mittelbaren Individualisierung nicht in der Hand hat, ob tatsächlich auch das Opfer getötet wird, dass er nach seiner Vorstellung töten wollte. Der Täter trägt hier das Individualisierungsrisiko. Überlässt er es dem Zufall, welche Person getroffen wird, dann unterfällt dies noch seinem generellen Schädigungsvorsatz.

6. Könnte sich T durch das Anbringen der Autobombe zudem wegen Mordes strafbar gemacht haben (§ 211 StGB)?

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Ja, in der Tat!

Zusätzlich zur vorsätzlichen Tötung eines anderen Menschen, setzt der Mord voraus, dass der Täter mindestens ein Mordmerkmal erfüllt. Bei den Mordmerkmalen unterscheidet man zwischen tatbezogenen Mordmerkmalen (Gr. 2), welche im objektiven Tatbestand geprüft werden und täterbezogenen Mordmerkmalen (Gr. 1+3), welche im subjektiven Tatbestand geprüft werden.

7. Hat T durch das Anbringen der Autobombe eines gemeingefährlichen Mittels bedient (§ 211 Abs. 1, Gr. 2, Alt. 3 StGB)?

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Ja!

Gemeingefährlich ist ein Mittel, das in der konkreten Tatsituation eine Vielzahl von Menschenleben gefährden kann, weil der Täter die Ausdehnung des Tatmittels nicht beherrschen kann.Der Täter kann die Wucht der Explosion regelmäßig nicht beherrschen, sodass bei einer Bombenexplosion regelmäßig eine Vielzahl von Menschenleben gefährdet werden. T hat das objektive Mordmerkmal des gemeingefährlichen Mittels erfüllt.

8. Hat T auch heimtückisch gehandelt (§ 211 Abs. 1, Gr. 2, Alt. 3 StGB)?

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Genau, so ist das!

Heimtückisch handelt, wer die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst ausnutzt. Arglos ist, wer sich zum Zeitpunkt der Tat, keines Angriffs versieht.Als X sich in das Auto setzte, musste sie nicht damit rechnen Opfer eines Angriffs zu werden. Mithin hat T die Arg- und Wehrlosigkeit seines Opfers bewusst ausgenutzt. T handelte heimtückisch.Nach einer Mindermeinung ist zusätzlich ein Vertrauensbruch zwischen Täter und Opfer erforderlich. Diese Ansicht ist jedoch abzulehnen, da sie keine normative Stütze im Gesetz findet und dieses zu restriktiv auslegt.

9. Hat T sich weiterhin durch das Anbringen der Bombe am Auto wegen versuchten Mordes gegenüber O strafbar gemacht (§ 212 Abs. 1, 211 Abs. 1, Abs. 2, 22, 23 StGB)?

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Nein, das trifft nicht zu!

Der Vorsatz des T beschränkte sich auf die Tötung eines Menschen. Diesen hat er durch den Mord an X „verbraucht“. Würde man daneben zusätzlich noch einen Mordversuch an O annehmen, würde der Vorsatz doppelt verwertet werden.

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