Kein Störer - Naturereignis

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Eigentümerin E gehört ein Haus unterhalb eines von B betriebenen Staudamms. Dieser entspricht geltenden Sicherheitsstandards. Bei einem gewaltigen Erdbeben wird die Mauer des Staudamms dennoch beschädigt. Dadurch entweicht Wasser aus dem See und das Haus des E wird unter Wasser gesetzt.

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Einordnung des Falls

Kein Störer - Naturereignis

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. E kann von B die Beseitigung der Beeinträchtigung, also das Abpumpen des Wassers, nach § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB verlangen, wenn dessen Voraussetzungen vorliegen.

Ja!

Der Anspruch nach § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB setzt voraus, dass (1) der Anspruchsteller Eigentümer ist, (2) eine Eigentumsbeeinträchtigung vorliegt, (3) der Anspruchsgegner Störereigenschaft hat, (4) die Eigentumsbeeinträchtigung rechtswidrig ist und (5) keine Pflicht zur Duldung der Störung besteht.
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2. Es liegt eine Eigentumsbeeinträchtigung bei E vor.

Genau, so ist das!

Der Begriff der Beeinträchtigung ist nicht legaldefiniert. Er wird jedoch allgemein weit gefasst, sodass nach h.M. darunter jede rechtliche oder tatsächliche, von außen kommende Einwirkung auf die Sache zu verstehen ist. Die Überflutung des Hauses mit dem Wasser aus dem Stausee stellt eine solche tatsächliche Einwirkung auf die Sache dar. Die genaue Reichweite des Begriffs ist umstritten. Näheres hierzu findest Du in der Einheit "RF: Beseitigungsanspruch".

3. B ist auch Störer.

Nein, das trifft nicht zu!

Störer ist derjenige, auf wessen Willensbetätigung die Beeinträchtigung unmittelbar oder adäquat mittelbar zurückzuführen ist. Dabei wird unterschieden zwischen dem Handlungsstörer, der durch sein Verhalten die Beeinträchtigung herbeiführt und dem Zustandsstörer, bei dem Beeinträchtigungen vom Zustand einer Sache in seinem Herrschaftsbereich ausgehen. Ausgenommen sind Einwirkungen die primär durch ein zusätzliches, von außen einwirkendes besonderes Naturereignis ausgelöst werden (BGH NJW 1993, 1855). Hier hat B die Beeinträchtigung nicht direkt durch eine Handlung verursacht, sodass B allein als Zustandsstörer haften könnte. Der Staudamm war indes nach den geltenden Sicherheitsstandards errichtet. Im Hinblick auf das Erdbeben lag höhere Gewalt vor, sodass B nicht als Störer haftet.Eine Zurechnung bestünde dagegen dann, wenn der Staudamm bereits nicht ordnungsgemäß errichtet worden wäre.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

EDDIE

Eddietheeagle

8.5.2023, 06:22:37

Muss hier nicht - ebenso wie im PolizeiR - im Hinblick auf die Effektivität der Gefahrenabwehr trotzdem B in Anspruch genommen werden können?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

8.5.2023, 16:57:25

Hallo Eddietheeagle, danke für deine Frage. Den Grundsatz der Effektivität der Gefahrenabwehr kennt das Sachenrecht im Speziellen und das Zivilrecht im Allgemeinen nicht. Dieser ist dem Gefahrenabwehrrecht eigen. Mangels Verantwortlichkeit von B für den Schaden scheidet ein Schadensersatz aus sachenrechtlichen Ansprüchen aus. Aus dem gleichen Grund scheidet auch ein Anspruch aus § 836 BGB, der zwar die Verantwortlichkeit vermutet aber eben keine verschuldensunabhängige Haftung normiert. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

Simon

Simon

30.8.2023, 22:18:12

Ist die Beeinträchtigung hier tatsächlich primär auf höhere Gewalt bzw. ein Naturereignis zurückzuführen? Der Staudamm verändert maßgeblich die Wirklichkeit, mit anderen Worten: ohne den Staudamm wäre es gar nicht zu einer Überschwemmung gekommen. Die Beeinträchtigung ist mE daher v.a. auf die Errichtung und den Betrieb des Damms zurückzuführen. Oder braucht es generell eine gewisse "Pflichtverletzung" (unsachgemäße Errichtung des Damms als Verkehrspflichtverletzung), um die Störereigenschaft zu bejahen, da ansonsten die Verantwortlichkeit des B zu weit ausgedehnt würde?

LELEE

Leo Lee

31.8.2023, 11:34:01

Hallo Simon, so ist es! Zwar wäre - wie du richtigerweise anmerkst - ohne den Staudamm (und die Errichtung dessen) es nicht zu dieser Katastrophe gekommen. Jedoch muss man - ebenfalls von dir richtig angemerkt - irgendwo die "Grenze ziehen". Hier wird dies bei der Störereigenschaft vorgenommen: Sowohl der Handlungs- als auch der Zustandsstörer erfordert einen Willenselement (ungeachtet dessen ob unmittelbar oder mittelbar gestört wird), was hier nicht vorliegt. Deshalb wäre diese Eigenschaft, wenn keine weiteren Anhaltspunkte im SV gegeben sind wie hier, zu verneinen. Man kann bei §

1004

BGB als grobe Faustformel nehmen, dass die Störereigenschaft auch sinngemäß die "obj. Zurechnung" i.S.d. Strafrechts mit verkörpert. Hierzu kann ich dir die Lektüre von MüKo-BGB, 9. Auflage, Raff §

1004

Rn. 159 ff. empfehlen :). Liebe Grüße - für das Jurafuchsteam - Leo

Simon

Simon

31.8.2023, 17:45:33

Vielen Dank für Deine Antwort und den Vertiefungshinweis!

Jana

Jana

5.9.2024, 21:26:54

“Ausgenommen sind Einwirkungen die primär durch ein zusätzliches, von außen einwirkendes besonderes Naturereignis ausgelöst werden (BGH NJW 1993, 1855)”. In einer anderen Aufgabe heisst es, dass die Beeinträchtigung ausschließlich auf höhere Gewalt etc. beruhen müsse… Dies erscheint mir auch sinnvoller, da die Überflutung im ersten Fall meiner Ansicht nach auch primär auf dem Naturereignis beruht, der Unterschied aber darin liegt, dass diese Ursache eben nicht ausschließlich dazu geführt hat, sondern eben auch die mangelhafte Errichtung.


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