Zivilrecht

Examensrelevante Rechtsprechung ZR

Entscheidungen von 2019

Anspruch auf Beseitigung von Birken bei Einhaltung des Grenzabstands durch den Nachbarn

Anspruch auf Beseitigung von Birken bei Einhaltung des Grenzabstands durch den Nachbarn

22. November 2024

4,7(10.373 mal geöffnet in Jurafuchs)

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Auf dem Grundstück des B stehen drei Birken. Der landesrechtlich vorgeschriebene Mindestabstand zur Grundstücksgrenze wird eingehalten. Trotzdem verursachen die Birken Dreck auf dem Nachbargrundstück des K. K verlangt die Entfernung der Birken und Zahlung einer Entschädigung.

Diesen Fall lösen 68,8 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

Einordnung des Falls

Anspruch auf Beseitigung von Birken bei Einhaltung des Grenzabstands durch den Nachbarn

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. K hat gegen B einen Anspruch auf Beseitigung der Birken, wenn sie zu einer von B zu verantwortenden Beeinträchtigung des K führen (§ 1004 BGB).

Ja!

Der Beseitigungsanspruch des K könnte sich aus § 1004 Abs. 1 BGB ergeben.Die Voraussetzungen dafür sind: (1) Eigentumsbeeinträchtigung durch eine fortdauernde Störung, (2) B ist Störer, (3) keine Duldungspflicht des K. Durch die Immissionen der Birke, d.h. den Dreck, den sie abwirft, wird das Grundstück des K beeinträchtigt. B müsste für die Beeinträchtigung darüber hinaus als Störer verantwortlich sein.
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

2. B ist Störer (§ 1004 Abs. 1 BGB), weil er Eigentümer des Grundstücks ist, auf dem die Birken stehen.

Nein, das ist nicht der Fall!

Störer ist, wer für die Beeinträchtigung verantwortlich ist. Nach ständiger Rechtsprechung reicht es dafür nicht aus, Eigentümer eines Grundstücks zu sein. BGH: Es sei vielmehr die Feststellung erforderlich, ob es Sachgründe gebe, B als Grundstückseigentümer die Verantwortung des Geschehens aufzuerlegen. Dies sei nur dann zu bejahen, wenn B eine „Sicherungspflicht“ habe, d.h. sich aus der Art seiner Nutzung des Grundstücks ergebe, dass er für den gefahrenträchtigen Zustand seines Grundstücks verantwortlich ist. Maßgeblich sei insbesondere, ob sich die Art der Nutzung im Rahmen einer ordnungsgemäßen Bewirtschaftung halte (RdNr. 9).

3. B ist für die Störung "verantwortlich" (§ 1004 Abs. 1 BGB), da sich die Art und Nutzung seines Grundstücks nicht im Rahmen einer ordnungsgemäßen Bewirtschaftung hält.

Nein, das trifft nicht zu!

Die Kriterien für eine ordnungsgemäße Bewirtschaftung ergeben sich nicht allein aus dem BGB (§§ 906ff.), sondern aus den Regelungen des Nachbarrechts als Ganzem (vgl. Art. 124 EGBGB). BGH: Landesrechtliche Abstandsregelungen seien Ausdruck des Gebots gegenseitiger Rücksichtnahme. Bei Einhaltung der festgelegten Grenzen handle es sich in aller Regel um eine ordnungsgemäße Bewirtschaftung des Grundstücks. B sei daher nicht für Immissionen von Bäumen, die die Abstandsgrenzen einhalten, verantwortlich (RdNr. 15). B ist daher nicht Störer. Ein Beseitigungsanspruch des K aus § 1004 Abs. 1 BGB scheidet aus.

4. K hat gegen B einen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung für die Beeinträchtigung durch die Birken (§ 906 Abs. 2 BGB).

Nein!

Der Anspruch kann sich aus § 906 Abs. 2 S. 2 BGB (analog) ergeben. In direkter Anwendung setzt der Anspruch eine Duldungspflicht des K nach § 906 Abs. 2 S. 1 BGB gegenüber einer von B zu verantwortenden Beeinträchtigung voraus. BGH: Der Grund dafür, dass K die Immissionen hinzunehmen hat, liege darin, dass B nicht für sie verantwortlich ist – und nicht in einer Duldungspflicht (RdNr. 31). Aus demselben Grund scheide auch ein Anspruch in analoger Anwendung des § 906 Abs. 2 S. 2 BGB aus. Voraussetzung sei auch hier, dass B für die Beeinträchtigung verantwortlich und damit Störer im Sinne von § 1004 Abs. 1 BGB sei - das sei hier nicht der Fall (RdNr. 30).
Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen
Jurafuchs
Eine Besprechung von:
Jurafuchs Brand
facebook
facebook
facebook
instagram

Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!


Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

PEL

Pelin

15.12.2023, 17:49:05

Ich verstehe nicht ganz wieso man bei B nicht annehmen kann, dass er

Zustandsstörer

ist. Als Eigentümer des Grundstückes befindet sich die Beeinträchtigung in seinem Herrschaftsbereich oder verstehe ich das was falsch? Ich hätte eine Beeinträchtigung verneint und wäre gar nicht erst zur Störereigenschaft gelangt. Kann das jemand mal erläutern? :) Danke im Voraus!

GO

GO

24.1.2024, 11:44:22

Ich verstehe leider auch nicht ganz, warum man bei der Störereigenschaft auf die "Verantwortlichkeit" abstellt? §1004 I ist doch gerade verschuldensunabhängig.

lexspecialia

lexspecialia

8.4.2024, 14:59:18

Das würde mich auch Interessen

PETE

Peter

11.4.2024, 21:36:46

So wie ich das Urteil verstanden habe, stellt der BGH bei der Frage des

Zustandsstörer

s grundsätzlich darauf ab, ob sich der Zustand als ordnungsgemäße Bewirtschaftung darstellt. Sofern das so ist, soll eine

Zustandsstörer

eigenschaft nicht vorliegen. Zur Beurteilung der Frage greift der BGH dann auch auf die öffentlich-rechtlichen Normen über Abstandsregeln (wahrscheinlich LBO) zurück: sofern die Abstandsregeln eingehalten sind, handelt es sich um eine ordnungsgemäße Bewirtschaftung und damit scheidet eine

Zustandsstörer

schaft aus.

Sebastian Schmitt

Sebastian Schmitt

17.9.2024, 09:30:52

Hallo @Pelin, vielen Dank Dir für die gute Nachfrage und den anderen für die Ergänzungen. Die Antwort von @Peter ist hier schon genau richtig. Von mir noch einige Ergänzungen: Zunächst scheint es mir nicht ganz unvertretbar, auch schon eine Beeinträchtigung abzulehnen. Man wird das allerdings wohl darauf stützen können, dass es sich hier um ein natürliches Phänomen handelt, für das B auch nicht einzustehen hat - was uns wiederum zu denselben, jetzt zu erörternden Grundsätzen bringt, die der BGH iRd Störereigenschaft thematisiert. Nach der st Rspr des BGH folgt die Störereigenschaft nicht allein aus dem Eigentum oder Besitz an einem Grundstück (manche nennen das die "Anlagentheorie" des BGH). Vielmehr bedarf es darüber hinaus einer "Sicherungspflicht", einer Verantwortlichkeit des Eigentümers oder Besitzers nach wertender Betrachtung. Bei Naturereignissen (wie hier) sei dafür insbesondere ausschlaggebend, ob der Eigentümer/Besitzer das Grundstück ordnungsgemäß bewirtschaftet, bei Bäumen zB, ob die nachbarrechtlichen Abstandsregeln eingehalten werden (BGH NJW 2020, 607, 607 f). Um herauszufinden, warum der BGH dieses Kriterium eingeführt hat, müsste man noch deutlich tiefer graben. Meine Vermutung, ohne dass ich genau nachgeschaut habe: Eben wegen des fehlenden Verschuldenskriteriums wird die Haftung aus §

1004 BGB

schnell uferlos. Mit einer zusätzlichen Stellschraube, die wertungsabhängig ist, behält sich der BGH ein erhebliches Maß an Entscheidungsfreiheit, um Einzelfällen gerecht zu werden. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team

Rechthaber

Rechthaber

26.4.2024, 14:55:16

Ich hätte das Kriterium der ordnungsgemäßen Bewirtschaftung mit den Anforderungen an die Abstandsflächen unter das Tatbestandsmerkmal der Wesentlichkeit im Rahmen des 906 I. 1 subsumiert, anstatt die Störereigenschaft zu problematisieren. Finde das Kriterium der Erheblichkeit passend, weil 906 I 2 von "in der Regel "spricht und selbst als Indiz für die Erheblichkeit die Überschreitung von gesetzlichen Grenz und Richtwerten nennt zb TA Lärm. Bei den Abstandsflächen handelt es sich ja auch um nichts anderes als gesetzlich festgelegte Grenzwerte, die genauso wie die Richtwerte der TA Lärm eine Ausprägung des Rücksichtsnahmegebot darstellen. Würde mich um eine Antwort freuen, ob das eine vertretbare Lösung wäre. LG Marcel


Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und mit 15.000+ Nutzer austauschen.
Kläre Deine Fragen zu dieser und 15.000+ anderen Aufgaben mit den 15.000+ Nutzern der Jurafuchs-Community
Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen