Zivilrecht

Kaufrecht

Verbrauchsgüterkauf

Entbehrlichkeit der Fristsetzung beim mangelbedingten Rücktritt/Schadensersatz, § 475d Abs. 1 Nr. 3 BGB

Entbehrlichkeit der Fristsetzung beim mangelbedingten Rücktritt/Schadensersatz, § 475d Abs. 1 Nr. 3 BGB

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Verbraucherin V kauft von Unternehmerin U ein Regal. Zuhause merkt V, dass bei dem Regal viele Bretter fehlen. Als V U darauf anspricht, erwidert diese, dass dies den meisten gar nicht auffällt und sie so eben ihr Geschäft betreibe.

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Einordnung des Falls

Entbehrlichkeit der Fristsetzung beim mangelbedingten Rücktritt/Schadensersatz, § 475d Abs. 1 Nr. 3 BGB

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Regelungen des § 475d BGB beziehen sich nur auf die unmittelbar davor geregelten Waren mit digitalen Elementen.

Nein, das trifft nicht zu!

§ 475d BGB ist auf alle Verbrauchsgüterkäufe anwendbar, nicht nur auf die vorstehenden Waren mit digitalen Elementen (§§ 475a-c BGB). Nötig ist also nur ein Verbrauchervertrag (§ 310 Abs. 3 BGB) über den Kauf von Waren (§ 474 Abs. 1 S. 1 BGB). Es liegt ein Verbrauchervertrag vor. Ein Regal ist auch eine Ware im Sinne des § 241a Abs. 1 BGB. Der Anwendungsbereich des § 475d BGB ist eröffnet.
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2. V möchte vom Vertrag zurücktreten. Dafür muss sie zwingend zunächst Nacherfüllung verlangen.

Nein!

Normalerweise hat der Verkäufer ein Recht zur zweiten Andienung. Die Nacherfüllung ist vor anderen Gewährleistungsrechte geltend zu machen. § 475d Abs. 1 Nr. 3 BGB sieht allerdings die Möglichkeit vor, dass der Verbraucher auch sofort vom Kaufvertrag zurücktreten kann. Voraussetzung ist, dass der Mangel derart schwerwiegend ist, dass der sofortige Rücktritt gerechtfertigt ist. Wann dies der Fall ist, ist durch eine Abwägung der widerstreitenden Interessen von Verbraucher und Unternehmer zu ermitteln.

3. Die fehlenden Regalbretter in Kombination mit Us arglistigem Verhalten stellen einen derart schwerwiegenden Mangel dar, dass ein sofortiger Rücktritt gerechtfertigt ist (§ 475d Abs. 1 Nr. 3 BGB).

Genau, so ist das!

Der Mangelbegriff im Kaufrecht ist in § 434 BGB geregelt. Ob der Mangel derart schwerwiegend ist, dass er einen sofortigen Rücktritt rechtfertigt, ist durch eine Abwägung der widerstreitenden Interessen von Verbraucher und Unternehmer zu ermitteln. Das Regal weicht von den objektiven Anforderungen ab (§ 434 Abs. 3 S. 1 Nr. 1, Nr. 2 lit. a) BGB). Das Verhalten der U lässt das Vertrauen in ihre Zuverlässigkeit schwinden. Besonders im Falle von Arglist lässt sich ein schwerwiegender Mangel bejahen. V kann also sofort vom Vertrag zurücktreten. Ob bei der Abwägung nur die Aspekte, die einen unmittelbaren Bezug zum Mangel haben, oder alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind, ist (noch) ungeklärt.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

MDL

mdln.k

28.6.2024, 08:28:37

Hallo! Warum muss man hier auf den §

475d

abstellen? Könnte man nicht sagen, dass die Frist schon nach § 323 II Nr. 3 entbehrlich ist? Oder ist §

475d

lex specialis dazu? Vielen Dank im Voraus :)

Dogu

Dogu

28.6.2024, 11:22:38

§

475d

verdrängt in seinem Anwendungsbereich 323 II ("abweichend von" und nicht "unbeschadet" o.Ä.).

LELEE

Leo Lee

29.6.2024, 03:27:10

Hallo mdln.k, vielen Dank für die sehr gute und wichtige Frage! Wie Dogu bereits richtigerweise angemerkt hat, steht 323 im AT, während

475d

im BT (und dort nochmal bei VBK) steht, weshalb bei Einschlägigkeit eines VBK der

475d

lex specialis ist. Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre vom Jauernig, Berger §

475d

Rn. 2 ff. sehr empfehlen :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo


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