Zivilrecht
Sachenrecht
Vindikation & Eigentümer-Besitzer-Verhältnis
Bösgläubigkeit beim Erwerb durch Besitzdiener
Bösgläubigkeit beim Erwerb durch Besitzdiener
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
V beauftragt ihren (bislang) äußerst zuverlässigen Angestellten A damit, Kameras zu kaufen. A erwirbt von D 10 Kameras für €1000 und damit weit unter ihrem Wert. A wundert sich, hakt aber nicht nach. D hatte die Kameras zuvor dem E gestohlen. Die Kameras werden kurz darauf zerstört.
Diesen Fall lösen [...Wird geladen] der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.
Einordnung des Falls
Bösgläubigkeit beim Erwerb durch Besitzdiener
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. E kann von A wegen der zerstörten Kameras Schadensersatz aus §§ 990, 989 BGB verlangen.
Nein, das trifft nicht zu!
Jurastudium und Referendariat.
2. Stattdessen könnte ein Schadensersatzanspruch des E gegen V bestehen, wenn die Voraussetzungen der §§ 990, 989 BGB vorliegen.
Ja!
3. V selbst war bei dem Erwerb bösgläubig.
Nein, das ist nicht der Fall!
4. A war bei dem Erwerb bösgläubig.
Ja, in der Tat!
5. Dem Eigentümer kann im EBV unter Umständen das Verhalten seines Besitzdieners zugerechnet werden.
Ja!
6. Stellt man für die Zurechnung auf § 831 BGB analog ab, so müsste V sich die Bösgläubigkeit des A zurechnen lassen.
Nein, das ist nicht der Fall!
7. Stellt man mit der h.M. für die Zurechnung auf § 166 BGB analog ab, so müsste V sich die Bösgläubigkeit des A zurechnen lassen.
Ja, in der Tat!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Petrus
3.4.2023, 08:06:47
Hier wird geschrieben, dass eine Zurechnung nach §278 mangels Schuldverhältnis ausscheidet. Aber die anderen Zurechnungsnormen werden ja auch analog herangezogen, daher finde ich es nicht überzeugend §278 nur ausscheiden zu lassen, weil dieser nicht direkt anwendbar ist. Letztlich würde ich §278 aber auch ablehnen, weil er verschulden zurechnet und kein Wissen und daher nicht so gut passt wie 166.
Lukas_Mengestu
4.4.2023, 14:36:53
Hallo Petrus, vielen Dank für Deinen Kommentar! In der Tat ist im Zivilrecht stets auch zu überlegen, ob eine analoge Anwendung in Betracht kommt. Dafür braucht es (1) einer ausfüllungsbedürftigen, planwidrigen Regelungslücke (die haben wir hier) und (2) einer vergleichbaren Interessenlage. Hintergrund der Verschuldenszurechnung in
§ 278 BGBist das Bestehen einer Sonderrechtsbeziehung zwischen Gläubiger und Schuldner. Diese Beziehung rechtfertigt es, den Schuldner verschuldensunabhängig für das Handeln seines Gehilfen einstehen zu lassen. Fehlt es an einer solchen, so scheidet also nicht nur die direkte Anwendung aus. Es fehlt dann vielmehr auch eine vergleichbare Interessenlage, sodass eine analoge Anwendung ebenfalls ausscheidet. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
jomolino
21.6.2023, 11:04:43
Ich glaube ich stehe gerade ein bisschen auf dem Schlauch, aber warum fehlt es hier am schuldverhältnis? Der V hat mit seinem Angestellten doch eines aus dem Arbeitsvertrag oder nicht ?
Saufen_Fetzt
2.7.2023, 16:32:34
Relevant ist nicht die Beziehung zum Angestellten sondern zum Geschädigten.
Anastasia
26.9.2023, 21:10:08
Warum wird Zurechnung überhaupt im Lichte des 831 diskutiert? Nach 831 haftet man ja für sein eigenes Fehlverhalten: Dem Geschäftsherrn wird nicht Wissen oder Wollen des Verrichtungsgehilfen zugerechnet. Ich würde eher problematisieren, ob V zusätzlich zum EBV noch nach 831 ggb. analog haftet, soweit diese Regelung von EBV nicht erfasst ist.
Leo Lee
30.9.2023, 16:48:57
Hallo Anastasia, die Zurechnung der Bösgläubigkeit erfolgt wie du richtig anmerkst nicht über § 8
31 BGBunmittelbar, sondern nur analog. Dies hat den Grund, dass eine Zurechnung nach § 166 I BGB analog keine Möglichkeit für eine Exkulpation mehr ließe (was aber bei § 8
31 BGBmöglich wäre). Eine „separate“ Anwendung von § 8
31 analognach den EBV hat das Problem, dass das Deliktsrecht (was den Schaden betrifft) eben gesperrt wird von den §§ 987 ff., sobald das EBV (also die Voraussetzungen den § 985 BGB) vorliegt :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo
HannaHaas
2.10.2023, 14:10:08
Sehe ich das richtig, dass bei der fünften Frage nicht "dem Eigentümer" sondern "dem Besitzherrn kann im EBV unter Umständen das Verhalten seines
Besitzdieners zugerechnet werden".? V ist hier ja auch nur der Besitzherr oder?
Leo Lee
7.10.2023, 18:35:13
Hallo Rébecca Haas, so ist es! V kann zwar Besitz (durch seinen
Besitzdiener) erhalten, jedoch nicht Eigentum, da die Kamers gestohlen und so nie eigentumsfähig waren (und ein gutgläubiger Erwerb gem. § 935 BGB ebenfalls ausscheidet). Somit geht es um die Zurechnung der Bösgläubigkeit nur um das Verhältnis zw. Dem
Besitzdienerund dem Besitzherren. Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre von MüKo-BGB 9. Auflage, Raff § 990 Rn. 20 ff. sehr empfehlen :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo
HannaHaas
7.10.2023, 19:27:12
Danke Leo für deine ausführliche Antwort!:)
Leo Lee
7.10.2023, 21:29:06
Sehr gerne!
lexspecialia
23.4.2024, 10:33:39
kommt mangels bestehende SV nicht in Betracht, denn das gesetzliche Schuldverhältnis entsteht erst durch den Besitzerwerb. Ist mit dem Besitzerwerb gemeint, dass das gesetzliche SV erst entsteht wenn der
Besitzdienerdie Sache an den übergibt, der ihn beauftragt hat ? Kann mir jemand diesen Zeitpunkt genauer erläutern, wann das gesetzliche SV entsteht und wieso
§ 278 BGBkeine anwendung findet Danke schonmal im voraus :)
Timurso
23.4.2024, 11:05:12
Fangen wir mal hinten an: Gesetzliches Schuldverhältnis ist der
Vindikationsanspruchvon E gegen V. Dieser entsteht in dem Zeitpunkt, in dem V in den Besitz der Sache gelangt. Dies geschieht dadurch, dass A als
Besitzdienerdie tatsächliche Sachherrschaft erlangt. Da § 990 I 1 BGB bereits in diesem Zeitpunkt die Kenntnis voraussetzt, das Schuldverhältnis jedoch erst dadurch entsteht, kommt eine Zurechnung nach
§ 278 BGBerst eine juristische Sekunde später in Betracht. Dann gilt nach § 990 I 2 BGB jedoch ein höherer Standard (
positive Kenntnis).
lexspecialia
23.4.2024, 11:17:58
Vielen Dank!!
Bioshock Energy
9.10.2024, 13:19:41
Wieso wird hier § 166 analog und nicht direkt angenommen? Der Angestellte verhandelt doch selbst mit dem D und gibt im Namen der V eine eigene Willenserklärung ab. Hier liegt doch eine klassische Stellvertretung vor oder nicht? Das Kennenmüssen der A wird dann der V gem. § 166 I zugerechnet.
Leo Lee
13.10.2024, 09:18:48
Hallo Bioshock Energy, vielen Dank für die sehr gute und wichtige Frage! In der Tat könnte man sich diese Frage stellen. Beachte allerdings, dass es hier darum geht, dass A BÖSGLÄUBIG war, also um ein Kennen bzw. Kennenmüssen. 166 I ist hierauf dann nicht unm. anwendbar, weil die Bösgläubigkeit bzw. Kenntnis eben KEINE Willenserklärungen darstellen. Auch kann man nicht beim Besitzerwerb selbst vertreten und 166 I unm. anwenden, weil Besitzannahme ein
Realaktist, worauf 104 ff. ebenfalls nicht unm. angewendet werden können. Deshalb muss hier 166 I analog zur Anwendung gelangen. Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre vom MüKo-BGB 9. Auflage, Raff § 990 Rn. 21 sehr empfehlen :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo