Aggressivnotstand
14. Juni 2025
10 Kommentare
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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
A und B gehen mit ihren Hunden spazieren. Auf einmal reißt sich der Hund des A (Hasso) los und greift Bs Hund (Rudi) an. Um Rudi zu schützen, entreißt B der Passantin P einen Regenschirm und schlägt damit auf Hasso ein. Dabei geht der Schirm zu Bruch. Hasso wird nur leicht verletzt.
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Einordnung des Falls
Aggressivnotstand
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Die Eigentumsverletzung der P durch B ist durch einen Defensivnotstand gerechtfertigt (§ 228 BGB).
Nein!
2. Die Eigentumsverletzung der P durch B ist durch einen Aggressivnotstand gerechtfertigt (§ 904 S. 1 BGB).
Genau, so ist das!
3. P hat gegen B einen Anspruch auf Schadensersatz wegen der Einwirkung auf ihr Eigentum (§ 904 S. 2 BGB).
Ja, in der Tat!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Isabell
21.11.2020, 14:17:37
Ein Aufbauschema dazu wäre noch schön.
evanici
11.9.2023, 13:42:18
§ 228 S. 2 ist ja auch eine AGL. Was könnte man sich darunter vorstellen? Wenn man den angreifenden Hund als Angegriffener zum Beispiel provoziert? Dann würde man bei der tatbestandlichen
Rechtswidrigkeitim Rahmen von § 823 I trotzdem rausfliegen?
Linitus
5.1.2025, 16:45:29
Sehe ich es richtig, dass es sich dann beim § 904 S. 2 um eine sachenrechtliche AGL Handelt? Falls ja, müsste man doch streng genommen nach der üblichen Reihenfolge erst den sachenrechtlichen und dann den deliktischen Anspruch prüfen oder nicht? Hier ist es doch aber so, dass wir erst durch die Prüfung des § 823 I auf den § 904 kommen…

Linne Hempel
24.4.2025, 15:49:22
Hey @[Linitus](277875), danke für die wichtige Frage! Zunächst einmal hast Du Recht damit, dass es sich bei dem Anspruch aus § 904 S. 2 BGB um eine sachenrechtliche Ausgleichsanspruch handelt. §
904 BGBsteht im Sachenrecht und regelt die Befugnis zur Einwirkung auf eine fremde Sache zur Gefahrenabwehr. Satz 2 enthält eine eigenständige, gesetzliche Anspruchsgrundlage für den Ersatz des Schadens, der dem Eigentümer durch diese gerechtfertigte Einwirkung entsteht. Hierbei handelt es sich aber nicht um einen Schadensersatzanspruch im klassischen Sinne (so wie
§ 823 Abs. 1 BGB), sondern soll einen Ausgleich für die Duldungspflicht aus § 904 S. 1 BGB schaffen. Letzteres wirkt sich auf die Prüfungsreihenfolge aus: Bei § 904 S. 2 BGB ist der Prüfungsaufbau etwas speziell, weil dieser Anspruch nur dann relevant wird, wenn eine Rechtfertigungslage nach § 904 S. 1 BGB vorliegt. Der Anspruch setzt damit also voraus, dass ein
rechtswidriges Handeln i.S.v.
§ 823 Abs. 1 BGBnicht vorliegt. In der Prüfung ist es daher vorzugswürdiger, wie folgt vorzugehen: 1. Du prüfst zunächst den deliktischen Anspruch aus § 823 I BGB. -> Dabei kommst du zur Frage: Ist die Handlung
rechtswidrig? -> Die
Rechtswidrigkeitwird durch § 904 S. 1 BGB verneint (Rechtfertigungsgrund). 2. Erst dann kommt § 904 S. 2 BGB ins Spiel, weil er den Ausgleich trotz Rechtfertigung regelt. In der Regel geht eine Klausurfrage von dem deliktischen Anspruch gemäß
§ 823 Abs. 1 BGBaus. Wenn die Frage aber einmal ausdrücklich nur auf etwaige Ausgleichsansprüche gerichtet sein sollte, kannst Du auch direkt § 904 S. 2 BGB prüfen und musst dann inzident feststellen, dass eine Rechtfertigung nach § 904 S. 2 BGB vorliegt. Jedenfalls ist es kein „Aufbaufehler“, wenn Du zuerst
§ 823 Abs. 1 BGBprüfst, vielmehr wird dies gängigerweise erwartet werden:
§ 823 Abs. 1 BGBist der „natürliche“ erste Schritt bei einer
Eigentumsverletzung. Ich hoffe, ich konnte Dir damit weiterhelfen. Viele Grüße – Linne, für das Jurafuchs-Team
jc1909
25.2.2025, 16:32:55
Kann man sich den Schadensersatz bei dem Hundehalter, der die Person zur Realisierung des Schadens am Regenschirm quasi herausgefordert hat, regress nehmen?

Sebastian Schmitt
6.5.2025, 14:52:46
Hallo @[jc1909](167873), deine Idee ist völlig richtig: Es kann eigentlich nicht sein, dass B hier auf dem Schaden sitzen bleibt. Das Regressinteresse des B wird man in Form eines Anspruchs gegen A aus § 833 S 1 BGB zu prüfen haben. Dort wird man sicher kurz etwas dazu sagen müssen, dass hier das Verhalten des Hundes zwar kausal für die Rechts(guts)verletzung war, der Hund aber ja zB den Regenschirm nicht selbst zerbissen hat. In der Sache wird man das "selbstschädigende" Verhalten des B (indem der sich dem SchE-Anspruch nach § 904 S 2 BGB aussetzte) aber nach denselben Grundsätzen wie bei den Herausforderungsfällen zu beurteilen haben (dazu MüKoBGB/Wagner, 9. Aufl 2024, § 833 Rn 16). Man käme dann zum Ergebnis, dass B sich sehr wohl herausgefordert fühlen durfte und sogar nach § 904 S 1 BGB gerechtfertigt war und daher den SchE, den er an P zahlen muss, als eigenen Schaden ggü B geltend machen kann. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team