Zivilrecht

Deliktsrecht

§ 823 Abs. 1 BGB

„Malen auf Autos“ (verschuldensunfähig und Aufsichtspflichtverletzung

„Malen auf Autos“ (verschuldensunfähig und Aufsichtspflichtverletzung

22. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Der fünfeinhalbjährige S wird von seiner alleinerziehenden Mutter M auf den Spielplatz vor dem Wohnkomplex geschickt, in dem sie leben. Nach 2 Stunden wird S langweilig und er beginnt geparkte Autos mit Steinen zu "bemalen". Dabei entsteht auch ein Lackschaden am Wagen des N.

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Einordnung des Falls

„Malen auf Autos“ (verschuldensunfähig und Aufsichtspflichtverletzung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. S ist verschuldensfähig, sodass N einen Anspruch gegen S wegen der Beschädigung seines Fahrzeugs hat (§ 823 Abs. 1 BGB).

Nein, das trifft nicht zu!

Die Beurteilung der Verschuldensfähigkeit von Minderjährigen richtet sich nach einem abgestuften System (§ 828 BGB). Eine Person, die das 7. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, ist nicht für den Schaden, den sie anderen Personen zufügt, verantwortlich (§ 828 Abs. 1 BGB). S hat eine rechtswidrige Verletzungshandlung begangen, indem er fremdes Eigentum beschädigt hat. Allerdings ist er erst fünfeinhalb Jahre alt, sodass es ihm an der Verschuldensfähigkeit fehlt. Damit fehlt es für einen Anspruch gegen S an dessen Verschulden.
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2. M ist gegenüber S aufsichtspflichtig (§ 832 Abs. 1 BGB).

Ja!

Grundsätzlich tragen die Eltern die elterliche Sorge für das minderjährige Kind (§ 1626 BGB). Kraft Gesetzes sind zur Aufsicht über Minderjährige diejenigen verpflichtet, denen nach den familienrechtlichen Vorschriften die Personensorge obliegt. Bei bestehender Ehe sind dies beide Elternteile. Etwas anderes kann sich ergeben, wenn ein Elternteil verstorben ist oder das Sorgerecht entzogen wurde (§ 1666 BGB). M ist alleinerziehend. Damit ist davon auszugehen, dass sie das alleinige Sorgerecht hat und somit aufsichtspflichtig ist.

3. Es genügt, dass der Aufsichtsbedürftige den Schaden widerrechtlich, nicht aber schuldhaft verursacht hat (§ 832 Abs. 1 BGB).

Genau, so ist das!

Die Haftung aus § 832 BGB knüpft an widerrechtliches Verhalten und damit an ein Delikt des Aufsichtsbedürftigen an. Eine Verschuldensfähigkeit des Minderjährigen im Sinne des § 828 BGB ist dementsprechend nicht erforderlich. Das vorwerfbare Verhalten ist somit allein die Missachtung einer Aufsichtspflicht.

4. Das Verhalten der M verletzt ihre Aufsichtspflicht.

Ja, in der Tat!

Das Maß der gebotenen Aufsicht über Minderjährige richtet sich nach Alter, Eigenart und Charakter des Kindes, wobei sich die Grenze der erforderlichen und zumutbaren Maßnahmen danach richtet, was verständige Eltern in der konkreten Situation tun müssen, um Schädigungen Dritter durch ihr Kind zu verhindern. Als fünfeinhalbjähriges Kind kann S eine gewisse Zeit ohne unmittelbare Einwirkungsmöglichkeit und Aufsicht gelassen werden. Allerdings kann er in diesem Alter aufgrund des ausgeprägten Spieltriebs und des geringen Verständnisses für fremdes Eigentum nicht für länger als 30 Minuten unbeaufsichtigt bleiben.Das Aufsichtsverschulden wird widerleglich vermutet (§ 832 Abs. 1 S. 2 BGB).
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

DEN

Dennis

21.10.2020, 08:02:21

Für eine belastbare Bewertung der Aspekte „Eigenart und Charakter des Kindes“ gibt der SV m.E. zu wenig her. Die reine Zeitgrenze von 30 Minuten halte ich an dieser Stelle zu pauschal. Hier wäre eine Konkretisierung des Sachverhalts schön, da sich eine Argumentation, wonach „ein 5 jähriger in einer bekannten Umgebung unweit der Aufsichtspflichtigen auch länger alleine spielen kann, sofern es zuvor nicht zu Auffälligkeiten kam“ ebenfalls hören lässt. Gruß DB

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

9.12.2021, 18:28:02

Hallo Dennis, vielen Dank für den guten Hinweis. Wir haben nun die Zeitspanne deutlich erhöht, um es etwas klarer zu machen. In der Tat hast Du aber recht, dass es im Einzelfall natürlich auf das spezifische Kind ankommt. Letztlich ist aber auch zu berücksichtigen, dass der Aufsichtspflichtige exkulpieren muss. Er trägt insoweit die Darleguns- und Beweislast dafür, dass das von ihm zu beaufsichtigende Kind längere Zeit unbeaufsichtigt bleiben kann. Je länger die Zeitspanne ist, desto eher wird ihm diese Exkulpation im Einzelfall nicht gelingen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

🦊LEXD

🦊LEXDEROGANS

6.2.2021, 23:03:39

Warum insbesondere „bei bestehender Ehe beide Elternteile“? 🤔

Vulpes

Vulpes

7.2.2021, 17:21:57

Nur ein Vorschlag: Vlt. weil a) nur bei bestehender Ehe die Vermutung gilt, dass der Ehemann der Vater ist vgl. § 1592 Nr. 1 BGB und b) im Falle einer gescheiterten Ehe die Aufsichtspflicht dann fraglich ist, wenn dem Elternteil nach der Scheidung das Sorgerecht entzogen worden ist. Somit könnte es im Falle einer bestehenden Ehe besonders Nahe liegen, dass beide Eltern Aufsichtspflichtig sind? 🤔

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

9.12.2021, 18:18:39

Hallo ihr beiden, Vulpes hat es eigentlich schon recht treffend auf den Punkt gebracht. Während bei der Mutter die Zuordnung zum Kind biologisch erfolgt, leitet sich die "Vaterschaft" im BGB zunächst über die Mutter ab. Derjenige, der mit ihr verheiratet ist, gilt als Vater (§ 1592 Nr. 1 BGB). Aber natürlich gibt es auch für nicht verheiratete Paare eine Sonderregelung im Hinblick auf die Verteilung der Personensorge. Hier ergibt sich diese nach § 1626a Abs. 1 BGB, also insbesondere bei einer entsprechenden gemeinsamen Erklärung (Sorgeerklärung). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

🦊LEXD

🦊LEXDEROGANS

6.2.2021, 23:19:28

Zwar bedarf es bei § 832 Abs. 1 weder eines Verschuldens von S noch seiner Verschuldensfähigkeit, die Vorschrift erfordert aber durchaus ein „Aufsichtsverschulden“ von M, welches jedoch „widerleglich vermutet“ wird (S.2). (Kropholler Studienkommentar BGB, 11. Aufl. § 832 Rn. 1)

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

9.12.2021, 18:21:14

Danke Lexderogans, das haben wir nun auch noch einmal präzisiert. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

EVA

evanici

11.9.2023, 14:02:20

Spielt die

Haftungsprivilegierung

aus § 1664 hier gar keine Rolle? Also ist die Aufsichtspflichtverletzung keine Ausprägung der Personensorge, sodass M hier ggf. vortragen könnte, dass sie sich immer so verhält und somit ihrer Aufsichtspflicht i.S.d. § 832 S. 2 genügt? Daran anknüpfend: Wenn § 1664 einschlägig wäre, müsste sich M aber aktiv darauf berufen und darlegen, dass sie sich in solchen Situationen immer so verhält, also der reduzierte Haftungsmaßstab wird dann nicht einfach so festgestellt, um die Vermutung des § 832 S. 1 zu widerlegen?

CitiesOfJudah

CitiesOfJudah

21.9.2023, 14:15:38

Der § 1664 BGB greift in der Konstellation nicht, da der für Sachverhalte gedacht ist, in denen die Eltern den Kindern einen Schaden zufügen (vgl. Wortlaut "dem Kind gegenüber") Grund für den § 1664 BGB ist die Wahrung des Familienfriedens. Der hier geschädige N ist aber nicht Teil der Familie und damit vom

Schutzzweck der Norm

nicht erfasst. Wenn der § 1664 BGB greift, müssen sich die Eltern darauf berufen, und den Maßstab ihrer eigenen Sorgfalt darlegen und beweisen (vgl. Eitzinger in: Beck OGK, § 1664, Rn. 36)

Steinfan

Steinfan

6.4.2024, 11:51:41

Die Aufsichtspflicht ergibt sich im Rahmen der elterlichen Personensorge ausdrücklich aus § 1631 I BGB. Vielleicht könnte man den zitieren. LG

CR7

CR7

2.7.2024, 08:42:51

Stimmt


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