"Malen" auf Autos (verschuldensunfähig und Aufsichtspflichtverletzung)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Der fünfeinhalbjährige S wird von seiner alleinerziehenden Mutter M auf den Spielplatz vor dem Wohnkomplex geschickt, in dem sie leben. Nach 2 Stunden wird S langweilig und er beginnt geparkte Autos mit Steinen zu "bemalen". Dabei entsteht auch ein Lackschaden am Wagen des N.
Einordnung des Falls
"Malen" auf Autos (verschuldensunfähig und Aufsichtspflichtverletzung)
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. S ist verschuldensfähig, sodass N einen Anspruch gegen S wegen der Beschädigung seines Fahrzeugs hat (§ 823 Abs. 1 BGB).
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Nein, das trifft nicht zu!
2. M ist gegenüber S aufsichtspflichtig (§ 832 Abs. 1 BGB).
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Ja!
3. Es genügt, dass der Aufsichtsbedürftige den Schaden widerrechtlich, nicht aber schuldhaft verursacht hat (§ 832 Abs. 1 BGB).
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Genau, so ist das!
4. Das Verhalten der M verletzt ihre Aufsichtspflicht.
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Ja, in der Tat!
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Dennis
21.10.2020, 08:02:21
Für eine belastbare Bewertung der Aspekte „Eigenart und Charakter des Kindes“ gibt der SV m.E. zu wenig her. Die reine Zeitgrenze von 30 Minuten halte ich an dieser Stelle zu pauschal. Hier wäre eine Konkretisierung des Sachverhalts schön, da sich eine Argumentation, wonach „ein 5 jähriger in einer bekannten Umgebung unweit der Aufsichtspflichtigen auch länger alleine spielen kann, sofern es zuvor nicht zu Auffälligkeiten kam“ ebenfalls hören lässt. Gruß DB

Lukas_Mengestu
9.12.2021, 18:28:02
Hallo Dennis, vielen Dank für den guten Hinweis. Wir haben nun die Zeitspanne deutlich erhöht, um es etwas klarer zu machen. In der Tat hast Du aber recht, dass es im Einzelfall natürlich auf das spezifische Kind ankommt. Letztlich ist aber auch zu berücksichtigen, dass der Aufsichtspflichtige exkulpieren muss. Er trägt insoweit die Darleguns- und Beweislast dafür, dass das von ihm zu beaufsichtigende Kind längere Zeit unbeaufsichtigt bleiben kann. Je länger die Zeitspanne ist, desto eher wird ihm diese Exkulpation im Einzelfall nicht gelingen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
🦊LEXDEROGANS
6.2.2021, 23:03:39
Warum insbesondere „bei bestehender Ehe beide Elternteile“? 🤔

Vulpes
7.2.2021, 17:21:57
Nur ein Vorschlag: Vlt. weil a) nur bei bestehender Ehe die Vermutung gilt, dass der Ehemann der Vater ist vgl. § 1592 Nr. 1 BGB und b) im Falle einer gescheiterten Ehe die Aufsichtspflicht dann fraglich ist, wenn dem Elternteil nach der Scheidung das Sorgerecht entzogen worden ist. Somit könnte es im Falle einer bestehenden Ehe besonders Nahe liegen, dass beide Eltern Aufsichtspflichtig sind? 🤔

Lukas_Mengestu
9.12.2021, 18:18:39
Hallo ihr beiden, Vulpes hat es eigentlich schon recht treffend auf den Punkt gebracht. Während bei der Mutter die Zuordnung zum Kind biologisch erfolgt, leitet sich die "Vaterschaft" im BGB zunächst über die Mutter ab. Derjenige, der mit ihr verheiratet ist, gilt als Vater (§ 1592 Nr. 1 BGB). Aber natürlich gibt es auch für nicht verheiratete Paare eine Sonderregelung im Hinblick auf die Verteilung der Personensorge. Hier ergibt sich diese nach § 1626a Abs. 1 BGB, also insbesondere bei einer entsprechenden gemeinsamen Erklärung (Sorgeerklärung). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
🦊LEXDEROGANS
6.2.2021, 23:19:28
Zwar bedarf es bei § 832 Abs. 1 weder eines Verschuldens von S noch seiner Verschuldensfähigkeit, die Vorschrift erfordert aber durchaus ein „Aufsichtsverschulden“ von M, welches jedoch „widerleglich vermutet“ wird (S.2). (Kropholler Studienkommentar BGB, 11. Aufl. § 832 Rn. 1)

Lukas_Mengestu
9.12.2021, 18:21:14
Danke Lexderogans, das haben wir nun auch noch einmal präzisiert. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
evanici
11.9.2023, 14:02:20
Spielt die Haftungsprivilegierung aus § 1664 hier gar keine Rolle? Also ist die Aufsichtspflichtverletzung keine Ausprägung der Personensorge, sodass M hier ggf. vortragen könnte, dass sie sich immer so verhält und somit ihrer Aufsichtspflicht i.S.d. § 832 S. 2 genügt? Daran anknüpfend: Wenn § 1664 einschlägig wäre, müsste sich M aber aktiv darauf berufen und darlegen, dass sie sich in solchen Situationen immer so verhält, also der reduzierte Haftungsmaßstab wird dann nicht einfach so festgestellt, um die Vermutung des § 832 S. 1 zu widerlegen?

CitiesOfJudah
21.9.2023, 14:15:38
Der § 1664 BGB greift in der Konstellation nicht, da der für Sachverhalte gedacht ist, in denen die Eltern den Kindern einen Schaden zufügen (vgl. Wortlaut "dem Kind gegenüber") Grund für den § 1664 BGB ist die Wahrung des Familienfriedens. Der hier geschädige N ist aber nicht Teil der Familie und damit vom Schutzzweck der Norm nicht erfasst. Wenn der § 1664 BGB greift, müssen sich die Eltern darauf berufen, und den Maßstab ihrer eigenen Sorgfalt darlegen und beweisen (vgl. Eitzinger in: Beck OGK, § 1664, Rn. 36)