Unechter Erfüllungsbetrug
26. August 2025
16 Kommentare
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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

A, der einen Felgenhandel betrieb, verkaufte gefälschte Markenfelgen zu einem geringen Preis. Dabei waren die Felgen objektiv das Geld wert. B, der davon ausging, dass es sich um Originalprodukte handle, kaufte einige Felgen, bemerkt den Schwindel jedoch bald.
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Einordnung des Falls
Unechter Erfüllungsbetrug
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Dem B ist bei Vertragsabschluss ein Vermögensschaden (§ 263 Abs. 1 StGB) entstanden.
Nein!
2. Dem B ist bei der Erfüllung durch Lieferung der Felgen nach Ansicht der Rspr. ein Schaden entstanden.
Nein, das ist nicht der Fall!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

lucylawless
30.1.2021, 13:01:01
Was genau ist denn der Unterschied zu der Aufgabe davor mit der Wollhose? In beiden Fällen ist der Käufer davon ausgegangen, das echte Produkt (Markenfelgen, Wollhose) zu bekommen, während er ein anderes Produkt bekam (markenlose Felgen und andere Hose aber beides den gezahlten Preis wert). Warum ist der erste Fall eine
Täuschungund der zweite bloß ein schlechteres Geschäft?
Victor
4.2.2021, 16:58:42
Im ersten Fall zahlt der Käufer den Preis für das Originalprodukt und bekommt jedoch eine minderwertigere Hose zugeschickt, die im Wert hinter dem Kaufpreis zurückbleibt. Im zweiten Fall stellt sich der Käufer vor er würde Originalware erhalten. Er zahlt einen Kaufpreis der jedoch dem Wert der Ware entspricht die er erhält. Nach der
Gesamtsaldierunghat er somit keinen Schaden.

Orfeas
17.2.2021, 15:08:50
@Victor stimmt nicht. Der Sachverhalt bzgl. der Wollhose ist dahingehend missverständlich formuliert. Es heißt aber die Hose sei den gezahlten Kaufpreis objektiv Wert. Der Unterschied ist hier nur, dass der Felgenhändler von Anfang an keine Originalfelgen versenden wollte. Während der Hosenhändler zunächst die Qualitativ höherwertige Wollhose zunächst noch senden wollte(Zeitpunkt der Eingehung) und sich erst später bei der
Erfüllungumentscheidet(=
echter Erfüllungsbetrug). Der Felgenhändler wollte von Anfang an mit gefälschter Ware erfüllen(=
unechter Erfüllungsbetrug, weil
Täuschungshandlung schon im Eingehungszeitpunkt vorgenommen wurde). Unschlüssig ist aber warum der BGH nur den Täter bestraft, der erst später entscheidet dem Opfer falsche Ware zu schicken.

Orfeas
17.2.2021, 15:10:47
Schließlich müsste doch dann der Täter, welcher schon von Anfang an vertragswidrig liefern will, erst Recht zu bestrafen sein 🤔

Isabell
30.3.2021, 19:01:32
Ich glaube dann fehlt in den Antworten des Falles zuvor irgendwo ein "nicht".
Kind als Schaden
17.2.2025, 21:15:55
@[Orfeas](116285) Die Idee des BGH (ich teile sie ausdrücklich nicht!) ist folgende: Im Felgen-Fall führt die
Täuschungzumindest nicht direkt zu einem
Vermögensschaden. Dass dann später doch noch ggf. ein Schaden annehmbar ist durch die
Erfüllungentgegen des Vertrages (Zivilrechtlich kann man hier auch nochmal gesondert über
Erfüllungswirkung usw. reden) ist dem BGH aber egal. Die Tathandlung der
Täuschungendet praktisch nach der Feststellung, dass kein Schaden vorliegt im Zeitpunkt des Vertragsschlusses. Dass freilich auch später noch ein Schaden entstehen kann, sieht der BGH in diesem Fall nicht so -> Den Schaden, den man im Felgenfall mit der Lit. annehmen kann (Stichwort: Anspruch ist bereits Teil des Vermögens des Geschädigten geworden), den sieht der BGH nicht, da dieser "Schaden" dann nicht mehr auf einer
Täuschungbasiert, sondern unabhängig von der
Täuschungim Eigehungsstadium eintritt. Im Wollhosen-Fall liegen die Dinge anders. Dort kann praktisch eine Verknüpfung zwischen der
Täuschungund dem Schaden hergestellt werden, sodass, obwohl die Fälle fast identisch sind, hier eine Strafbarkeit bejaht wird. Ich halte die Lösung für sehr umstritten und denke, dass es nicht richtig ist, eine Unterscheidung des Betrugs in
Erfüllung- und Eingehungsbetrug (echt/unecht) derart spitzfindig vorzunehmen, dass letztlich wenige Stunden zwischen dem
Täuschungsentschluss einen derart gravierenden Unterschied in der rechtlichen Bewertung eines Sachverhalts machen, der seinem Wortlaut nach gänzlich keine eine derart diffizile Unterscheidung der Begehungsvarianten kennt.

Simon
6.6.2025, 16:40:26
Ich würde mich tatsächlich - entgegen der h.M. in den Forumskommentaren ;) - der Ansicht des BGH anschließen. (1) Wichtig ist, denke ich, zwischen Zivil- und Strafrecht zu unterscheiden. Nicht jede Vertragsverletzung soll strafrechtlich sanktioniert werden (Stichwort: ultima ratio und Fragmentarität). Zivilrechtlich hat O natürlich nach §§ 437 Nr. 3 Alt. 1, 280 I, III, 281,
475dI Nr. 3, II 1 BGB einen Anspruch auf Schadensersatz hinsichtlich seines positiven
Erfüllungsinteresses. Dies resultiert daraus, dass O einen Anspruch auf Übergabe und
Übereignungder Felgen aus § 433 I 1 BGB hatte, den T nicht erfüllt hat. (2) (a) Den Schaden, der aus der Nicht
erfüllungdieses Anspruchs resultiert, könnte man also zum Anlass nehmen, auch einen
Vermögensschadeni.S.d. § 263 I StGB zu bejahen. Allerdings sollte man beachten, dass der
Vermögensbegriffim Strafrecht unstrittig von einem wirtschaftlichen Verständnis ausgeht (das von der h.M. über den juristisch-ökonomischen
Vermögensbegriffdann korrigiert wird), sodass sich Zivil- und Strafrecht hier nicht völlig decken. So wäre z.B. ein Anspruch gegen eine vermögenslose Person wirtschaftlich wertlos, sodass dieser kein Vermögen i.S.d. strafrechtlichen Verständnisses darstellen würde. (b) Nun kann man mit Recht anmerken, dass dies mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar ist, da T nicht vermögenslos ist und der Anspruch gegen ihn damit grundsätzlich werthaltig war. Der von Anfang an bestehende Vorbehalt, geringwertigere Felgen zu liefern könnte danach ebenfalls nicht beachtlich sein, da dies nichts daran ändert, dass O auf diesen Anspruch (berechtigterweise) vertraut und mit ihm schon geplant hat, sodass er seinem Vermögen zuzurechnen war. Zudem könnte er ihn notfalls im Wege der Zwangsvollstreckung durchsetzen. (3) (a) Der entscheidende Unterschied liegt m.E. aber in der Tathandlung. Beim echten
Erfüllungsbetrugtäuscht der Täter erst nach Vertragsschluss, sodass das Opfer seinen Anspruch nicht voll geltend macht, sondern sich mit dem geringwertigeren
Erfüllungsgegenstand zufrieden gibt. Daher liegt in der nicht vollständigen
Erfüllungdes Anspruchs ein
Vermögensschaden. Beim unechten
Erfüllungsbetrughingegen täuscht der Täter schon beim Vertragsschluss. Zwar kann man den dadurch entstandenen Anspruch durchaus zum Vermögen des Opfers zählen [s.o. unter (2)(b)]. Allerdings erlangt das Opfer diesen Anspruch durch dieselbe Tathandlung, mit dem es ihn auch wieder verliert: Bei Zusammentreffen von Eingehungs- und
Erfüllungsbetrugliegt nach ganz h.M. nämlich nur eine Betrugstat vor, d.h.
Täuschungbei Vertragsschluss und
Täuschungbei Vertrags
erfüllungwerden zu einer Tat bzw. einer (lediglich fortwirkenden)
Täuschungzusammengefasst. Damit verliert O hier durch die Tathandlung des T nur einen Anspruch, der ihm infolge der Tathandlung überhaupt erst entstanden ist. Im Endeffekt stellt sich seine Vermögenslage ohne den Betrug daher genauso dar, wie mit dem Betrug. (b) Angenommen, die Originalfelgen wären 2.000€ wert, die gefälschten nur 500€, wobei der Kaufpreis ebenfalls 500€ beträgt. Das Vermögen des O beläuft sich auf 100.000€. Vor der einheitlichen Betrugstat (bestehend aus
Täuschungbei Vertragsschluss und
Täuschungbei
Erfüllung) hatte O im Ausgangsfall also 100.000€ Vermögen. Nach der Tat flossen zwar 500€ aus seinem Vermögen ab, allerdings kamen auch Felgen im Wert von 500€ hinzu. Damit liegt kein Schaden vor; der ausgebliebene Gewinn ist irrelevant. Beim echten
Erfüllungsbetrughingegen wäre Os Vermögen schon vor der Betrugstat (
Täuschungbei
Erfüllung) durch den Vertragsschluss um 1.500€ gemehrt gewesen (+2.000€ Felgen - 500€ Kaufpreis), sodass es sich auf 101.500€ belief. Nach der Tat beträgt sein Vermögen aber nur 100.000€, da er zwar Felgen im Wert von 500€ erhielt, allerdings auch 500€ zahlte und die Verwirklichung seines Geschäftsgewinns i.H.v. 1.500€ ausblieb. M.a.W.: (1)
Echter Erfüllungsbetrug: Vermögen=100.000€ + 1.500€ Gewinnexspektanz -> Betrug (
Täuschungbei
Erfüllung) -> Vermögen=100.000€; (2)
Unechter Erfüllungsbetrug: Vermögen=100.000€ -> Betrug (
Täuschungbei Vertragsschluss und
Erfüllung) -> Vermögen=100.000€. (4) Dieser Ansatz bestätigt sich auch mit einem Blick auf die zivilrechtliche Lage: Dort wäre ein Schadensersatz aus §§ 280 I, 241 II, 311 II Nr. 1 BGB (c.i.c.) wegen der
Täuschungbei Vertragsschluss nur auf Ersatz des negativen Interesses gerichtet, d.h. der Schaden bestünde im Vertragsschluss selbst. Der Schadensersatz wegen des positiven Interesses [s.o. unter (1)] gründet sich nicht auf die
Täuschung, sondern resultiert schlichtweg aus der Nicht
erfüllungdes Anspruchs aus § 433 I 1 BGB. Strafrechtlicher Anknüpfungspunkt ist aber nicht die Nicht
erfüllung, sondern die
Täuschung. (5) (a) Das Argument, dass derjenige, der schon bei Vertragsschluss täusche besser stehe als der, der nur bei
Erfüllungtäusche, verfängt m.E. nicht, da es einen vergleichbaren Unrechtsgehalt beider
Täuschungen impliziert, der schlichtweg nicht existiert: Einmal (beim echten
Erfüllungsbetrug) wird das Opfer um eine feste Gewinnexspektanz gebracht, die schon vor der
Täuschungbestand, ein anderes mal (beim unechten
Erfüllungsbetrug) wird lediglich eine vage Gewinnaussicht, die durch die
Täuschungselbst begründet wurde, enttäuscht. (b) Würde man das anders sehen, so würde man letztlich die Dispositionsbefugnis des Opfers schützen, da bei jeder
Täuschungüber wertbildende Faktoren i.R.d. Vertragsschlusses ein
Erfüllungsbetrugbejaht werden müsste, obwohl die gekaufte Ware objektiv "ihr
Geldwert ist". Das ist nicht Sinn und Zweck des § 263 StGB.
Becca_la
13.6.2025, 14:48:50
@[Simon](131793) richtig gute Ausführungen 👍🏻 Mega!
Kjello
13.7.2025, 20:44:27
@[Simon](131793) Erstmal vielen Dank für deine Ausführung, zum ersten Mal habe ich bei diesem Fall überhaupt verstanden, wie der BGH zu so einer Ansicht kommen kann. Aber mal ehrlich: Angenommen der Verkäufer stellt erst nach Vertragsschluss fest, dass er die vereinbarten Originalfelgen nicht vorrätig hat. Er schickt dem Käufer daher Fälschungen und macht sich strafbar. Gleicher Fall, nur diesmal hat der Verkäufer von Anfang an vor, Fälschungen zu schicken und macht sich daher nicht strafbar. Ich bin jetzt mal ungeheuer anmaßend und behaupte, wenn so ein Ergebnis dogmatisch richtig ist, läuft da etwas ganz furchtbar verkehrt. Ich stelle mir das in der Verhandlung schon grotesk vor, dass der Angeklagte dann darauf hinweist, dass er von Anfang Fälschungen schicken wollte und dies sich nicht erst aus der Not heraus ergab, und die Richter daraufhin sagen: „Also wenn sie das von Anfang an vorhatten, können wir keine Strafbarkeit sehen.“ Außerhalb der Jura-Bubble ist das keinem Menschen begreiflich zu machen, und auch innerhalb dieser scheint es ja ein erhebliches Störgefühl zu geben.
Claudia
25.10.2021, 14:16:28
Bitte noch weitere Fälle zu: - Abgrenzung
Sachbetrug<>
Trickdiebstahl-
Dreiecksbetrug<> Diebstahl in mittelbarer Täterschaft - und gerne noch Provisionsvertreterfälle Das wäre toll 🤗🤗🤗

Lukas_Mengestu
25.10.2021, 17:43:06
Lieben Dank, Claudia. Wir sind stetig dabei unsere Rechtsgebiete noch zu erweitern und nehmen Deine Vorschläge gerne mit auf die Liste. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Hannah B.
30.3.2022, 15:14:23
Die Thematik kam in der mündlichen Prüfung im 1. Examen Thüringen Frühjahr 2021 dran.
Vincent
5.2.2025, 13:07:00
Mir erschließt sich nicht ganz, warum der
Vermögensschadenhier verneint wird. Schließlich ist das Verkaufen gefälschter Markenprodukte grundsätzlich verboten. Ich könnte eine Begründung im der Richtung verstehen, dass angeführt wird, dass der O den Vertrag anfechten kann. Die Begründung, dass die Felgen jedoch "das
Geldwert sind" verstehe ich nicht. Denn die gefälschten Felgen haben eigentlich keinen wirtschaftlichen Wert, da er diese nicht problemlos weiterverkaufen darf.

Sarah
5.6.2025, 15:58:20
Das würde mich auch interessieren ☺️

Absenderhorizont
18.6.2025, 14:48:40
ich finde es auch sehr widersprüchlich formuliert, dass gefälschte Felgen objektiv ihr
Geldwert sein können. Vielleicht handelt es sich um „hochwertigere“ gefälschte Felgen, die lediglich suggerieren sollen, dass sie von einem bestimmten, bekannten Hersteller stammen, ohne dabei qualitativ minderwertig sein zu müssen?

Noah 1248549102178439372
8.6.2025, 19:47:57
Wäre schön, wenn die Thematik etwas umfassender und nachvollziehbar dargestellt wäre.