Beschneidung

5. Dezember 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Der 3 Monate alte K soll auf Bitte seiner Eltern von Arzt A beschnitten werden. Medizinisch notwendig ist der Eingriff nicht. A klärt die Eltern entsprechend auf und führt den Eingriff fehlerfrei durch. K hat weder während des Eingriffs noch in seinem späteren Leben Schmerzen oder Beschwerden.

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Einordnung des Falls

Beschneidung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. A hat den K durch die Beschneidung "körperlich misshandelt" (§ 223 Abs. 1 Var. 1 StGB).

Genau, so ist das!

Eine körperliche Misshandlung ist jede üble und unangemessene Behandlung, durch die das körperliche Wohlbefinden oder die körperliche Unversehrtheit nicht nur unerheblich beeinträchtigt wird. Indem A den K beschnitten hat, hat er Ks Körpersubstanz verletzt. Dies stellt eine üble und unangemessene Behandlung dar, die die körperliche Unversehrtheit mehr als nur unerheblich beeinträchtigt.
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2. Indem A bei K die Beschneidung vornahm, hat er ihn "an der Gesundheit geschädigt" (§ 223 Abs. 1 Var. 2 StGB).

Ja, in der Tat!

Eine Gesundheitsschädigung ist das Hervorrufen oder Steigern eines nicht nur unerheblichen krankhaften (= pathologischen) Zustandes. Krankhaft ist der vom Normalzustand der körperlichen Funktionen nachteilig abweichende Zustand. Dies ist insbesondere bei substanzverletzenden Einwirkungen zu bejahen. Nach der Rechtsprechung ist dies selbst dann der Fall, wenn die Verletzung durch einen kunstgerecht vorgenommenen ärztlichen Eingriff verursacht wurde. Die durch die Beschneidung zugefügte Wunde stellt einen vom Normalzustand abweichenden heilungsbedürftigen Zustand und damit eine Gesundheitsschädigung dar. Zudem hat K durch den Eingriff einen Teil seiner Haut, mithin ein Körperteil verloren. Unabhängig davon, ob Schmerzen auftreten oder nicht, liegt damit eine Gesundheitsschädigung vor.

3. A ist durch die Einwilligung der Eltern gerechtfertigt (§ 228 StGB).

Ja!

Ein ärztlicher Heileingriff kann durch Einwilligung gerechtfertigt sein, wenn der Eingriff lege artis, also fehlerfrei, durchgeführt wird. Für die ausdrückliche Einwilligung ist eine wirksame Einwilligungserklärung erforderlich. K selbst war als Minderjähriger nicht einwilligungsfähig. Seine Eltern konnten dagegen als Vertreter (§§ 1626, 1629 BGB) des K einwilligen. Die Einwilligungserklärung der Eltern in die Beschneidung ihres männlichen Kindes ist gesetzlich wirksam (§ 1631d Abs. 1 S. 1 BGB). Andere Wirksamkeitsmängel sind nicht ersichtlich. A ist somit gerechtfertigt und nicht wegen Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) strafbar.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Vulpes

Vulpes

3.8.2020, 22:00:27

Ich finde die Erklärungen unzulänglich. Hier wird einfach behauptet, dass beide Merkmale vorliegen. Insb. bei der Gesundheitsschädigung frage ich mich worin diese bestehen soll. Da würde ich präziser sein wollen, sonst muss man sich am Ende noch Vorwerfen lassen pauschal etwas gegen Beschneidung aus religiösen Gründen zu haben, was gerade bei Studierenden, die es betrifft, komisch ankommt.

Orfeas

Orfeas

4.3.2021, 01:18:21

Man muss sich gar nichts vorwerfen lassen. Es ist nur das Ergebnis von Definition und Subsumtion. Die Haut die abgeschnitten wird hat eine körperliche Funktion, sei es nur eine sensitive. Diese gehört auch zum körperlichen Normalzustand. Eine Gesundheitsschädigung ist daher gegeben.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

22.7.2021, 16:34:25

Vielen Dank euch beiden! Im Hinblick auf die mit der Beschneidung einhergehende Substanzverletzung des Kindes, wird die Verwirklichung des objektiven Tatbestands der Körperverletzung in der juristischen Diskussion tatsächlich einhellig bejaht. Dies ist insofern nicht verwunderlich, da gerade die Rechtsprechung den Tatbestand der Körperverletzung selbst bei medizinisch indizierten Eingriffen bejaht und erst auf Ebene der Rechtswidrigkeit zu einem Strafbarkeitsausschluss kommt (Einwilligung). Um Missverständnissen vorzubeugen, haben wir dennoch die Hinweistexte noch etwas ergänzt. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Im🍑nderabilie

Im🍑nderabilie

11.1.2023, 10:35:16

Gibt es Meinungen die vertreten, dass bei invasiver Religionsausübung zulasten des Kindes die Religionsmündigkeit abgewartet werden soll und deshalb eine rechtfertigende Einwilligung ausscheidet? Ich finde die Annahme einer rechtfertigenden Einwilligung bei einem nicht indizierten Eingriff - lege artis hin oder her - eher schwierig. Gerade bei Kindern müsste ja der Begriff des Heileingriffs eher eng auszulegen sein.

KI

kimchi92

10.7.2023, 19:22:56

Ist es wirklich eine unangemessene Behandlung iSd 223 I Alt. 1 StGB, wenn die Eltern es aus religiöser Überzeugung vornehmen lassen? Und wird nicht die Beschneidung in einigen Kulturkreisen auch zur Vorbeugung von Verletzungen vorgenommen? Kann das dann unangemessen sein?

D34

D34

17.2.2024, 15:09:53

Es gibt auf jeden Fall innerhalb der Strafrechtswissenschaft Kritiker der Kindesbeschneidung. Dass diesbezüglich eine Debatte grundsätzlich existiert, wird schon dadurch klar, dass es unterschiedliche Maßstäbe bei Jungen und Mädchen gibt. Die Beschneidung bei Mädchen ist schließlich als eigene Straftat normiert. Bei Jungen ist sie sogar ohne religiösen Zusammenhang erlaubt. Der religiöse Zusammenhang bei Mädchen ist zugegebenermaßen auch etwas diffuser, weil es sich bei der weiblichen Genitalverstümmelung (man beachte abweichende Benennung M/F) eher um eine kulturelle Praktik handelt als einer religiösen. Wobei das im einzelnen natürlich auch zu kurz greift. Zumindest im Rahmen nichtreligiöser Beschneidungen wird sich der Gesetzgeber hier aber vorwerfen lassen müssen mit zweierlei Maß zu messen. Entsprechende Vertreter der Ansicht, dass männliche Beschneidung zumindest als nicht-religiöse Handlung nicht zu rechtfertigen ist, sind Jörg Scheinfeld in Mainz oder Holm Putzke in Passau.


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