Ärztlicher Heileingriff
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
B wird mit einer lebensbedrohlichen Blinddarmentzündung ins Krankenhaus eingeliefert. Arzt A teilt ihm mit, dass er den Blinddarm entfernen muss. B will auf keinen Fall, dass eine solche Operation vorgenommen wird. A ignoriert die Proteste des B, versetzt ihn in Narkose und entfernt den Blinddarm in einer fehlerfreien Operation.
Diesen Fall lösen [...Wird geladen] der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.
Einordnung des Falls
Ärztlicher Heileingriff
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Die Rechtsprechung sieht einen ärztlichen Heileingriff als tatbestandsmäßige Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) an.
Ja, in der Tat!
Jurastudium und Referendariat.
2. Nach einer Literaturauffassung scheidet eine Körperverletzung aus, wenn es sich um einen lege artis erfolgreich durchgeführten Heileingriff handelt.
Ja!
3. Indem A dem B gegen dessen Willen den Blinddarm entfernte, hat er nach h.M. eine Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) begangen.
Genau, so ist das!
Jurastudium und Referendariat.
Jurafuchs kostenlos testen
Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Tigerwitsch
15.4.2021, 23:48:28
Hat es denn keine Auswirkung, dass im Fall die Blinddarmentzündung lebensbedrohlich ist? Mir ist klar, dass an sich keine Einwilligung (weder ausdrücklich/konkludent noch mutmaßlich vorliegt). Auch wenn aus Sicht des Arztes die fehlende Einwilligung unvernünftig ist, ist das Selbstbestimmungsrecht zu beachten. Gibt es davon keine Ausnahme, etwa wenn offensichtlich das Leben bedroht ist und der Tod eintritt, falls nichts unternommen wird?
Tigerwitsch
15.4.2021, 23:51:56
Denn wenn der Arzt nichts unternehmen würde, würde er doch sich wohl wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen oder ggf sogar §§ 212 Abs. 1, 13;
323c StGBstrafbar machen. Ich hätte zumindest an Schuldlosigkeit des Arzt in dieser Situation gem. § 35 StGB gedacht...
Tigerwitsch
15.4.2021, 23:53:31
...also § 35 StGB im Falle des Heileingriffes entgegen der Einwilligung bzw. fehlender Einwilligung bei einer lebensbedrohlichen Verletzung/Krankheit
Speetzchen
16.4.2021, 19:15:33
Hey! Nach Respr. des BGH macht der Arzt sich schon nicht wegen Totschlags durch Unterlassen strafbar, wenn er eine (begonnenen) medizinischen Behandlung unterlässt, beendet oder abbricht (Behandlungsabbruch) und dies dann zum Tode des Patienten führt, wenn diese Handlung dem tatsächlichen oder mutmaßlichen Patientenwillen entspricht. Das muss dann auch hier gelten. Zudem entspricht das alleine der Wertung des Gesetzgebers (siehe § 1901a BGB; Patientenverfügung). Lg 🐝
Lenny
23.6.2021, 10:55:20
Hallo zusammen, ich fand den Einwurf von Tigerwitsch hinsichtlich einer eventuellen Entschuldigung nach § 35 interessant. Die Rechtfertigung gem. den §§ 32, 34 entfällt schon, glaube ich, wegen fehlendem Angriff bzw. fehlender Gefahr. § 35 kommt doch soweit ich weiß nur bei einem engen Personenkreis mit besonderer persönlicher Beziehung in Betracht. Ich frage mich, ob das auch hier bejaht werden könnte. Dennoch gibt es ja noch (zu Gunsten der Angeklagten) die Möglichkeit außergesetzlicher Entschuldigungsgründe. Ich frage mich nur, wie man, auch nach dem, was Speetzchen geschrieben hat, so etwas begründen will. Es ist doch das Grundrecht jeder einzelnen Person “nicht zu leben”. Wenn es jeder Person mittelbar über das Strafrecht erlaubt wäre, dahingehend einzugreifen, wäre dieses Grundrecht doch unterlaufen, oder nicht? Sind nur spontane Gedanken. Wäre dankbar, wenn mehr Personen ihre Meinungen dazu teilen könnten ☺️
Lenny
23.6.2021, 11:22:41
Nochmal als Nachtrag: Ich lese gerade, dass §35 gleichsam eine “Gefahr” voraussetzt. Wie kann man eine solche in einer Konstellation, wie der in diesem Fall, begründen?
ri
9.8.2021, 03:26:30
Die Garantenstellung setzt einen Behandlungsvetrag voraus, der hier durch die ausdrückliche Ablehnung des Patienten nicht zustande gekommen ist. Gleichermaßen entfällt die Strafbarkeit des Arztes beim Sterbewunsch eines Todgeweihten, selbst wenn dieser bewusstlos wird, greift die Garantenstellung nicht mehr, da der Behandlungsvertrag gekündigt ist.