Öffentlich-rechtlicher Abwehranspruch

31. Mai 2025

20 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Die Gemeinde G eröffnet neben dem Grundstück der N einen öffentlichen Grillplatz, auf dem am Wochenende zwischen 12 und 20 Uhr gegrillt werden darf. Der Platz wird tatsächlich fast permanent genutzt. N fühlt sich durch den dauerhaften Geruch belästigt und will, dass die Nutzungszeiten eingehalten werden.

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Einordnung des Falls

Öffentlich-rechtlicher Abwehranspruch

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. N begehrt, dass sich die Nutzer des Grillplatzes an die Nutzungsvorschriften halten. Ein (privatrechtliches) Vorgehen gegen die einzelnen Störer ist allerdings wenig vielversprechend.

Ja, in der Tat!

Geht eine Rechtsgutsverletzung von Privatpersonen aus, besteht die Möglichkeit, einen zivilrechtlichen Unterlassungsanspruch bezogen auf die verletzenden Handlung gegenüber der Privatperson durchzusetzen. Gerade, wenn es sich um eine Vielzahl von unterschiedlichen Störern handelt, ist dies für den Belasteten nahezu unmöglich. Ist die Belästigung gerade auch auf das Handeln eines Hoheitsträgers zurückzuführen, muss der Betroffene die Möglichkeit haben, einen Anspruch gegenüber der öffentlichen Gewalt durchzusetzen. Ns Belästigung durch die privaten Störer ist auch darauf zurückzuführen, dass G den öffentlichen Grillplatz eingerichtet hat und nicht sicherstellt, dass sich an die Nutzungsordnung gehalten wird.
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2. In Betracht kommt der sogenannte öffentlich-rechtliche Abwehranspruch.

Ja!

Der öffentlich-rechtliche Abwehranspruch ist einschlägig, wenn der Betroffene von der öffentlichen Gewalt die Beseitigung einer bestehenden Rechtsgutsverletzung verlangt. Typischer Anwendungsfall ist die Abwehr von öffentlich-rechtlichen Immissionen. Öffentlich-rechtliche Immissionen sind z.B. solche, die von Grundstücken ausgehen, die einem öffentlichen Zweck gewidmet sind. Für den Begriff der Immissionen kann auf die Legaldefinition des § 3 Abs. 2 BImSchG zurückgegriffen werden. Der Platz wurde der öffentlichen Nutzung zum Grillen gewidmet. Bei den Gerüchen und dem Qualm handelt es sich um öffentlich-rechtliche Immissionen. Unerheblich ist es, dass die Immissionen von Privatpersonen verursacht werden. Es kommt nur auf die öffentlich-rechtliche Widmung des Grundstücks an, die ja gerade die Ursache für das Handeln der Privatpersonen ist.

3. Der öffentlich-rechtliche Abwehranspruch ist gesetzlich ausdrücklich geregelt.

Nein, das ist nicht der Fall!

Der öffentlich-rechtliche Abwehranspruch ist nicht ausdrücklich geregelt. Die Herleitung ist umstritten. Teilweise wird der Anspruch direkt aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) hergeleitet. Nach einer anderen Ansicht ist er Ausfluss der Grundrechte. Wieder andere führen eine analoge Anwendung von §§ 12, 862, 1004 BGB an. Jedenfalls ist der Anspruch allgemein anerkannt. Aufgrund der allgemeinen Anerkennung des Anspruchs darf die Herleitung in der Klausur nicht (mehr) ausgebreitet werden. Eine kurze Aufzählung der Herleitungsmöglichkeiten genügt. Der Anspruch wird teilweise auch als Abwehr- und Unterlassungsanspruch bezeichnet und zusammen mit dem vorbeugenden Unterlassungsanspruch behandelt.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

SCH

schokokeks

8.8.2022, 08:57:16

Hallo :) Wieso kommt hier der Abwehr- und nicht der (künftigen Beeinträchtigungen vorbeugende) Unterlassungsanspruch in Betracht? Mir fällt die Abgrenzung teilweise schwer.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

8.8.2022, 18:38:02

Hallo schokokeks, der Abwehr- und Duldungsanspruch liegen in der Tat eng beieinander. Während der Abwehranspruch eine fortdauernder Störung voraussetzt, bedarf es für den Duldungsanspruch der Gefahr einer erneuten (bzw. in engen Fällen auch erstmaligen) Störung. Aus der Illustration geht hervor, dass hier tatsächlich gerade eine Beeinträchtigung durch aktive Griller vorliegt. Im Hinblick auf alle weiteren drohenden Grillsessions wäre aber in der Tat ein Unterlassungsanpruch zu prüfen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

STE

StellaChiara

5.7.2023, 13:57:13

Hallo:) warum wird hier nicht der FBA geprüft? Stellen die Emmissionen keine Folgen im Sinne des FBA dar? Sehe hier eigentlich das gleiche Problem wie bei einer Laterne, die aufgrund des Lichteinfalls ins Schlafzimmer entfernt werden soll

Pilea

Pilea

10.8.2023, 14:46:57

Schließe mich der Frage an.

J-Lo

J-Lo

19.8.2023, 08:42:51

Freue mich auch über eine Antwort! :-)

kokapidis

kokapidis

11.9.2023, 11:41:43

Ein FBA ist auf die Beseitigung von Folgen ÖffR Handelns oder Wiederherstellung des vorherigen Zustands gerichtet. Vorliegend beghert N, dass die Nutzungszeiten des Grillplatzes eingehalten werden. Sie möchte also, dass ein Verhalten (= die Nutzung außerhalb der Öffnungszeiten), unterlassen wird. Man könnte andenken, dass das damit gleichzusetzen ist, dass ein vorheriger Zustand wiederhergestellt werden soll. Das gibt der SV aber nicht her. Dafür müsste der Platz ursprünglich iRd Öffnungszeiten genutzt worden sein und aktuell nicht mehr, wogegen N sich dann gerichtet hätte. Der SV gibt aber an, dass der Platz noch nie ordnungsgemäß benutzt wurde. Zudem sind auch keine Folgen bei N eingetreten, die beseitigt werden könnten. Das wäre beispielsweise der Fall, wenn N durch den Rauch des ständigen Grillens eine Lungenkrankheit erlitten hätte, die dann einen Schaden bei ihr verursacht hätte. Wenn diese negative Folge ein Eingriff in das ET der N darstellen würde, würde ein Entschädigungsanspruch aus einem enteignendem Eingriff in Betracht kommen. Also wenn beispielsweise der Rauch in die Wände der Wohnung einzieht, was dann zu einem Schaden bei N führt. Korrigiert mich gerne, wenn ich falsch liege. :-)

CR7

CR7

22.11.2023, 15:24:16

Ich schließe mich @[kokapidis](14792) an! Der FBA knüpft an das

Erfolgsunrecht

an; der Ab.u.Un-Anspruch jedoch an das Handlungsunrecht. Beim FBA kommt es nicht darauf an, ob die Handlung rechtmäßig oder

rechtswidrig

war, sondern lediglich darauf, ob der herbeigeführte, andauernde Zustand rechtmäßig oder

rechtswidrig

war. Wie schon richtig erklärt, wird hier auf die Handlung (das Grillen außerhalb der Nutzungszeit) abgestellt und diese Handlung soll zukünftig unterlassen werden. Wäre bei der Antragstellerin zusätzlich noch eine

Gesundheitsschädigung

eingetreten, dann wäre das unmittelbare Folge des Handelns, dessen Rechtmäßigkeit aber aufgrund tatsächlicher

Unmöglichkeit

nicht wiederhergestellt werden kann, so dass ihr ein Folgeentschädigungsanspruch zusteht. Dieser kann ggf. im Wege der objektiven Klagehäufung geltend gemacht werden.

Naticat

Naticat

6.3.2024, 10:50:31

Ich glaube in der Lsg ist ein Fehler -müsste es nicht §§ 823, 906,

1004 BGB analog

heißen?

F. Rosenberg 🦅

F. Rosenberg 🦅

28.3.2024, 11:30:36

§§ 1004,

906 BGB analog

müsste es heißen. Meine Quellen: VGH Baden-Württemberg (

Beschluss

vom 06.03.2012 - 10 S 2428/11); Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 2.4.1988 - 7 C 33.87)

Charliefux

Charliefux

1.4.2024, 19:10:54

@[Lukas_Mengestu](136780) Stimmst du der Herleitung hier zu? :) LG

WY

Wysiati

30.8.2024, 01:56:17

@[Naticat](137690) Ich meine §§ 12, 862 und

1004 BGB

normieren, dass man von jemandem eine Handlung verlangen kann. Ich sehe hier also durchaus den roten Faden, wird man in irgendeiner Art und Weise beeinträchtigt, muss die Möglichkeit bestehen, dies abzuwehren.

§ 906 BGB

setzt dem eine untere Grenze. Bei fehlender oder nur unwesentlicher Beeinträchtigung kann man das Verhalten nicht verbieten. Ich denke, dass das nicht all zu eng zu sehen ist. Man muss bedenken, eine ausdrückliche gesetzliche Normierung gibt es nicht. Aber vergleichbare Rechtsgedanken finde ich, ohne hier Quellen angeben zu können, in all den oben genannten Normen.

Tomˑ

Tomˑ

18.10.2024, 09:49:39

Sehe bei den zitierten Normen auch die Gemeinsamkeit eine bestimmte Handlung (konkret die "Beseitigung der Beeinträchtigung bzw. Störung") und ggf. weiteres Unterlassen von jemandem verlangen zu können.

OKA

okalinkk

11.3.2025, 10:51:45

Ist der öffentliche rechtliche Abwehranspruch gleichzusetzen mit dem öffentlich rechtlichen Unterlassungsanspruch?

FL

Florian

21.4.2025, 19:15:57

Nein, das sind zwei unterschiedliche Ziele. Beim einen wird eine Abwehr (ein aktives Tun begehrt), beim zweiten wird ein Unterlassen begehrt. Hier ist es der Abwehranspruch, weil Maßnahmen begehrt werden, die die Benutzung innerhalb der Nutzungszeiten sicherstellen.

NES

nessi1006

24.3.2025, 10:57:33

könnte man hier nicht auch einen Anspruch aus einer polizeilichen Grundklausel herleiten (zB. aus

17 ASOG

) und das damit begründen, dass wegen den Immissionen eine

Ermessensreduzierung auf null

vorliegt und deshalb die Polizei einschreiten muss?

LELEE

Leo Lee

27.3.2025, 13:50:13

Hallo nessi1006, vielen Dank für die sehr gute und wichtige Frage! In der Tat könnte man sich hier auch überlegen, ob man nicht die Polizei dazu verpflichten sollte, dort einzugreifen. Allerdings ist die insofern unschädlich für unseren Anspruch, als dieser Zweck ebenfalls mit dem ÖR-Abwehranspruch erreicht werden kann. Denn wenn der Staat dazu verpflichtet wird, den Immissionen vorzubeugen, dann wird er dies z.B. durch den Einsatz von

Polizeikontrolle

n sicherstellen. Anderenfalls müsste unser Kläger jedes Mal eine

Verpflichtungsklage

erheben, was dann wiederum eine

FFK

L wäre, weil das Grillen zumeist ohnehin zeitlich erledigt sein wird, um sein Ziel zu erreichen :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo


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