Zivilrecht

Examensrelevante Rechtsprechung ZR

Entscheidungen von 2021

Kündigung des Wohnraummietverhältnisses wegen erheblicher Zahlungsrückstände

Kündigung des Wohnraummietverhältnisses wegen erheblicher Zahlungsrückstände

13. Februar 2025

7 Kommentare

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

V vermietet M eine Wohnung für monatlich €700. Im Januar 2022 zahlt M €150 zu wenig, im Februar gar nicht. V kündigt Mitte Februar fristlos, hilfsweise ordentlich. Im März 2022 begleicht M die Rückstände. Bereits 2021 hatte V wegen Zahlungsverzugs gekündigt und M erst nachträglich gezahlt.

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Einordnung des Falls

Kündigung des Wohnraummietverhältnisses wegen erheblicher Zahlungsrückstände

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. V könnte den Mietvertrag mit M durch außerordentliche Kündigung beendet haben (§§ 543 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 3 lit. a Alt. 2 BGB).

Ja!

Die außerordentliche Kündigung setzt (1) eine Kündigungserklärung und (2) einen Kündigungsgrund voraus. Die Kündigung beendet den Mietvertrag mit Wirkung für die Zukunft (ex nunc). Der Vermieter hat dann Anspruch auf Rückgabe der Mietsache (§§ 546 Abs. 1, 985 BGB). Man unterscheidet die befristete (z.B. § 540 Abs. 1 S. 2 BGB) und die fristlose (z.B. § 543 Abs. 1, Abs. 2 BGB) außerordentliche Kündigung. Ein ordentliches Kündigungsrecht besteht nur bei unbefristeten Mietverträgen (Umkehrschluss aus § 542 Abs. 2 BGB).
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2. Ist es gesetzlich geregelt, wann der Teil der Miete, mit dem sich der Mieter in Verzug befindet, nicht unerheblich im Sinne des § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 lit. a Alt. 2 BGB ist?

Genau, so ist das!

§ 569 Abs. 3 Nr. 1 BGB besagt, dass der rückständige Teil der Miete nur dann nicht unerheblich ist, wenn er eine Monatsmiete übersteigt. Kommentiere - sofern zulässig - § 569 Abs. 3 BGB an § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BGB. Beachte die Systematik des Mietrechts: Die §§ 549-577a BGB befinden sich im Untertitel über die Wohnraummiete. Auf Mietverhältnisse über andere Sachen (z.B. Geschäftsräume) finden diese Normen nur kraft Verweisung in § 578 BGB Anwendung!

3. Der Mietrückstand des M in Höhe von €850 ist nicht unerheblich im Sinne des § 569 Abs. 3 Nr. 1 BGB.

Ja, in der Tat!

Der rückständige Teil der Miete ist nur dann nicht unerheblich, wenn er die Miete für einen Monat übersteigt. § 569 Abs. 3 Nr. 1 S. 1 BGB bezieht sich auf den Gesamtrückstand im Vergleich zu einer Monatsmiete. Der Gesamtrückstand beläuft sich auf €850. Dies ist mehr als die monatlich geschuldeten €700, sodass die Voraussetzungen von § 569 Abs. 3 Nr. 1 S. 1 BGB vorliegen.

4. Allerdings setzt § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 lit. a Alt. 2 BGB darüber hinaus voraus, dass jeder einzelne monatliche Rückstand im Verhältnis zur Monatsmiete erheblich ist.

Nein!

BGH: § 569 Abs. 3 Nr. 1 S. 1 BGB regele abschließend, wann ein „nicht unerheblicher Rückstand" vorliegt. Aus Gründen der Rechtssicherheit sei § 543 BGB nicht um ein ungeschriebenes, zweites Erheblichkeitserfordernis zu erweitern (RdNr. 15ff.). Die Vorinstanz LG Berlin hatte die Kündigung noch für unwirksam erklärt. Nicht unerheblich sei der einzelne monatliche Rückstand nur, wenn er sich „etwa" auf eine hälftige Monatsmiete belaufe. Der Rückstand aus Januar 2022 (€150) sei im Vergleich zur Monatsmiete (€700) daher unerheblich.

5. Ist die außerordentliche Kündigung dadurch unwirksam geworden, dass M die Rückstände im März 2022 beglichen hat?

Nein, das ist nicht der Fall!

Eine Kündigung wird unwirksam, wenn der Mieter spätestens bis zum Ablauf von 2 Monaten nach Rechtshängigkeit des Räumungsanspruchs die Mietrückstände ausgleicht (§ 569 Abs. 3 Nr. 2 S. 1 BGB). Dies gilt nicht, wenn vor nicht länger als 2 Jahren bereits eine Kündigung auf diese Weise unwirksam geworden ist (§ 569 Abs. 3 Nr. 2 S. 2 BGB). Bereits 2021 ist eine Kündigung des V dadurch unwirksam geworden, dass M die Rückstände beglichen hat. Die außerordentliche Kündigung ist nicht nach § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB unwirksam geworden.

6. Damit steht V ein Anspruch auf Rückgabe der Mietsache zu (§ 546 Abs. 1 BGB).

Ja, in der Tat!

Der Herausgabeanspruch aus § 546 Abs. 1 BGB setzt voraus: (1) Mietvertrag und (2) Beendigung des Mietverhältnisses. V hat den bestehenden Mietvertrag außerordentlich, fristlos gekündigt. Ihm steht damit ein Rückgabeanspruch zu. Die Ansicht des BGH hat folgende Konsequenz: Zahlt der Mieter im Vormonat nur einen Cent zu wenig, so ist der Vermieter am vierten Werktag (§ 556b Abs. 1 BGB) des Folgemonats zur außerordentlichen Kündigung berechtigt, wenn die Miete für diesen Monat noch nicht gezahlt wurde. Der BGH lässt offen, ob der Kündigung in einem solchen Fall §§ 241 Abs. 2, 242 BGB entgegenstünde (RdNr. 30).

7. Wenn man mit dem LG Berlin eine außerordentliche Kündigung ablehnt, käme es auf die ordentliche Kündigung an. Ist diese schon deshalb unwirksam, weil sie nur hilfsweise erklärt wurde?

Nein!

Die Kündigung ist ein Gestaltungsrecht. Gestaltungsrechte sind aus Gründen der Rechtssicherheit grundsätzlich bedingungsfeindlich (Rechtsgedanke § 388 S. 2 BGB). Führt eine Bedingung nicht zu Rechtsunsicherheit, so ist sie zulässig. Anerkannte Ausnahmen sind Rechts-, Potestativ- und innerprozessuale Bedingungen. Die hilfsweise für den Fall der Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung erklärte ordentliche Kündigung ist zulässig. Es handelt sich um eine bloße Rechtsbedingung. Denn eine ordentliche Kündigung setzt tatbestandlich voraus, dass der Vertrag nicht schon durch eine außerordentliche Kündigung beendet wurde.

8. Wenn man mit dem LG Berlin eine außerordentliche Kündigung ablehnt, so läge eine wirksame ordentliche Kündigung vor (§ 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB).

Nein, das ist nicht der Fall!

Die ordentliche Kündigung von Wohnraummietverhältnissen (§ 573 BGB) setzt voraus: (1) Kündigungserklärung, (2) Berechtigtes Interesse, (3) Einhaltung der Frist, (4) Kein wirksamer Widerspruch (§§ 574ff. BGB), (5) Keine Fortsetzung des Gebrauchs (§ 545 BGB). Ein berechtigtes Interesse nach § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB verlangt eine schuldhafte, nicht unerhebliche Pflichtverletzung. Nach der Rspr. des BGH (NJW 2013, 159) liegt eine erhebliche Pflichtverletzung erst bei einem Rückstand von einer Monatsmiete und einer Verzugsdauer von einem Monat vor. An letzterem fehlt es hier.
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