Bereicherung durch Naturereignis

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Bio-Bauer Bs Weide ist von seinen Kühen vollkommen leergegrast. Deshalb treibt er die Kühe in einer Nacht und Nebel-Aktion auf die benachbarte Weide der Landwirtin L, welche ihre Weide fachmännisch pflegt. Dort grasen die Kühe nun das Gras ab. L verlangt Ersatz von B.

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Einordnung des Falls

Bereicherung durch Naturereignis

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. B hat „etwas erlangt“ (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB).

Ja!

Bereicherungsgegenstand bei der Nichtleistungskondiktion ist jede vorteilhafte Rechtsposition. Hierbei kommt es nicht auf einen Vermögenswert oder auf eine Gegenständlichkeit an. Dadurch, dass B seine Kühe auf Ls Weide hat grasen lassen, hat er sich selbst Futterkosten erspart. Er hat also die ersparten Aufwendungen erlangt.
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2. B hat die ersparten Aufwendungen auf sonstige Weise erlangt (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB).

Genau, so ist das!

Der Bereicherungsschuldner erlangt den Bereicherungsgegenstand „in sonstiger Weise“, wenn er ihn nicht durch Leistung erlangt. Ob eine Leistung vorliegt, bestimmt sich nach den Grundsätzen der Leistungskondiktion. L hat das Vermögen des B nicht ziel- und zweckgerichtet gemehrt. Es liegt keine Leistung vor. B hat die ersparten Futterkosten auf sonstige Weise erlangt.

3. Da die Kühe selbst die Weide abgegrast haben, hat B nicht selbst in den Zuweisungsgehalt eines fremden Rechts eingegriffen. Es liegt kein Eingriff vor.

Nein, das trifft nicht zu!

Das Tatbestandsmerkmal „auf dessen Kosten“ ist erfüllt, wenn ein Eingriff in ein fremdes Recht vorliegt. Eingriff bedeutet nach der herrschenden Zuweisungstheorie die Verletzung des Zuweisungsgehalts eines fremden Rechts. Vorliegend geht es um einen Eingriff in das Eigentum (die Weide) der L. B hat seine Kühe gezielt auf Ls Weide gelenkt und hat das abgrasen auch beabsichtigt. Er hat gezielt in Ls Eigentum eingegriffen. Somit hat er die Bereicherung auf Kosten der L erlangt.

4. Bs Bereicherung liegt ein Rechtsgrund iSd § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB zugrunde.

Nein!

Die Bereicherung des Bereicherungsschuldners ist ohne Rechtsgrund, wenn dem Schuldner kein Behaltensgrund zusteht. Es gibt gesetzliche und vertragliche Behaltensgründe. Gesetzliche Behaltensgründe, wie etwa der gutgläubige Erwerb, kommen nicht in Betracht. Auch ist kein vertraglicher Behaltensgrund ersichtlich. Bs Bereicherung war somit ohne Rechtsgrund.

5. B hat das abgegraste Gras in natura herauszugeben (§ 818 Abs. 1 BGB).

Nein, das ist nicht der Fall!

Grundsätzlich ist die Rechtsfolge des Bereicherungsanspruchs aus § 812 Abs. 1 S. 1 BGB die Herausgabe der Bereicherung. B kann das Gras aber nicht mehr in natura herausgeben. Allerdings haftet er nach § 818 Abs. 2 BGB auf Wertersatz.Auch ist B nicht etwa entreichert (§ 818 Abs. 3 BGB), da er durch eigene Aufwendungen erspart hat.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

FABY

Faby

20.3.2022, 20:37:38

Bei der ersten Frage, ob B etwas erlangt hat, wird definiert, dass jeder Bereichungsgegenstand bei der

Nichtleistungskondiktion

jeder Verwendungs-, Nutzungs- oder Eingriffserfolg eines fremden Rechts ist. In der Subsumtion wird dann gesagt, dass B Aufwendungen erspart hat. Mir fehlt für eine vollständige Subsumtion noch ein Hinweis darauf, ob damit nun ein Verwendungs-, Nutzungs- oder Eingriffserfolg vorliegt (oder nicht). Das ist mir auch bei vorherigen Fällen schon aufgefallen :)

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

21.4.2022, 10:54:03

Hallo Faby, wir haben an dieser Stelle den Maßstab noch einmal angepasst. Sowohl bei der Leistungs- als auch der

Nichtleistungskondiktion

ist das erlangte Etwas im Wesentlichen eine vorteilhafte Rechtsposition (vgl. Schwab, in: MüKo-BGB, 8.A. 2020, § 812 RdNr. 1 BGB). Die weitere Unterteilung in Verwendungs-, Nutzungs- oder Eingriffserfolg bietet insoweit keinen großen Mehrwert und verwirrt letztlich mehr. Es genügt insoweit zu benennen, worin der Vorteil liegt (hier also die ersparten Futterkosten). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Irina95

Irina95

1.11.2022, 10:35:34

In meinen Augen findet doch ein gesetzlicher Eigentumserwerb aufgrund von Vermischung vor, oder ist das zu abwegig? Würde dies einen Rechtsgrund für das Behalten begründen? Also das Futter im Magen der Kühe würde sich mit dem Futter von Bs Weide vermischen = gesetzlicher Eigentumserwerb.

Nora Mommsen

Nora Mommsen

12.11.2022, 13:02:07

Hallo Irina95, danke für deine Frage. :) Tatsächlich ist es so, dass der Zeitpunkt der Eingriffshandlung relevant ist. Erlangtes Etwas ist schon in dem Moment erreicht, in dem die Kühe ins Gras beißen und es im Magen zwar noch vermischt wird. Wenn man darin ein Vermischen im Sinne des § 948 BGB sehen würde, läge dies nicht im Moment der Eingriffshandlung - nämlich des Abbeißens durch die Kühe vor - und ist somit im Hinblick auf den bereicherungsrechtlichen Rückerstattungsanspruch irrelevant. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

Paulah

Paulah

13.7.2024, 13:38:08

@[

Nora Mommsen

](178057) Was ist denn der Unterschied zwischen Hühnern und Kühen? In dem Fall "A füttert die Hühner des E ..." verbinden sich die Hühner mit dem Futter und es ist eine Verbindung beweglicher Sachen nach § 947 Abs. 1 BGB.

Steinfan

Steinfan

4.4.2024, 13:15:59

Als erlangtes Etwas wird hier auf die ersparten Futterkosten abgestellt. Hier verstehe ich nicht, weshalb dies bei der

Eingriffskondiktion

anders gehandhabt wird, als bei der Leistungskondiktion. Dort würde man (laut Jurafuchs und entgegen früherer Rspr.) erst iRd

Entreicherung

auf das Ersparte gucken. Das „Etwas“ hingegen würde zunächst rein gegenständlich und nicht vermögensmäßig betrachtet. Ich würde daher die Lösung wie folgt abwandeln: „Etwas“ ist jede vorteilhafte Rechtsposition. Hierzu zählt insbesondere das Eigentumsrecht (§ 903). Ob das Erlangte als Vermögensvorteil im Vermögen des Bereicherungsschuldners verblieben ist, etwa als ersparte Aufwendung, ist zunächst unerheblich. Vorliegend hat sich das abgetrennte Gras mit dem Verzehr durch die Kühe mit diesen zu wesentlichen Bestandteilen der Tiere verbunden, §§ 90a S. 3, 947 I, 93 BGB. Mit der Abtrennung vom Grundstück ist das Gras eine bewegliche Sache. Die Kühe sind als „Hauptsache“ anzusehen, §§ 90a S. 3, 947 II BGB. Die Kühe standen im Eigentum des B. Dieser hat gem. §§ 90a S. 3, 947 I, II, 93 BGB kraft Gesetzes Alleineigentum an dem Gras erworben; mithin „Etwas“ im Sinne des § 812 I 1 Alt. 2 BGB. Das geschah auch „auf Kosten“ der L. Diese war Eigentümerin der Weide und daher Eigentümerin des abgetrennten Grases (vgl. §§ 953 ff. BGB). Ferner stellt der gesetzliche Eigentumserwerb gem.

§ 947 BGB

kein Recht zum Behaltendürfen dar. Es soll lediglich die Eigentumslage geregelt werden, nicht aber die vermögensmäßige Zuordnung, was sich aus der Existenz des § 951 BGB ergibt. Zuletzt ist B auch nicht gem.

818 III BGB

entreichert, da das Erlangte in Form ersparter Futterkosten als Gegenwert in seinem Vermögen verblieben ist. LG

Foxxy

Foxxy

16.8.2024, 18:12:20

Hallo Steinfan, vielen Dank für Deinen Vorschlag! Wir haben ihn notiert und werden in einer der nächsten Redaktionssitzungen prüfen, inwiefern wir hierzu noch weitere Aufgaben mit aufnehmen können. Beste Grüße, Foxxy, für das Jurafuchs-Team

VALA

Vanilla Latte

21.7.2024, 02:24:52

"Erspartr Aufwendungen" reichen aber laut der h.L. soweit ich weiß nicht aus für "Erlangtes Etwas", sondern sind erst Thema der

Entreicherung

. Worauf könnte ich stattdessen hier abstellen? Nutzung ist es nicht, da Verbrauch und kein Gebrauch.

Tobias Krapp

Tobias Krapp

31.7.2024, 00:26:52

Hallo Vanilla, danke für deine Frage. In der Tat sind nach h.L.

ersparte Aufwendungen

kein tauglicher Bereicherungsgegenstand, da es bei diesen nach h.L. nur darum geht, ob der Vorteil noch im Vermögen des Bereicherten vorhanden ist. Daher prüft die h.L. dies erst bei der Frage der

Entreicherung

. Bereicherungsgegenstand ist stattdessen der Gebrauchsvorteil, also die Nutzung. Dies lässt sich hier durchaus übertragen: Zwar kann nicht eine Nutzung des Grases angenommen werden, da hier, wie du richtig anmerkst, ein Verbrauch vorliegt. Allerdings kann eine Nutzung des Grundstücks angenommen werden. Dann hätte B den Nutzungsvorteil an der Nachbarweide erlangt. Auch ein etwas "verrückterer" Ansatz wäre denkbar: In einem ähnlichen Fall hat aus strafrechtlicher Sicht das LG Karlsruhe (Urteil vom 21.06.1993 - 8 AK 25/93) einen Diebstahl an dem Gras durch den Bauer angenommen. Zwar besteht die Sachqualität des Grases erst dadurch, dass es durch das Abreißen vom Boden beweglich wird und auch nur bis zu dem Augenblick, in dem es durch die Tiere verschluckt wird. Mit der Argumentation, dass die Tiere als Werkzeuge und damit quasi als “verlängerter Arm” fungierten, rechnete das LG dem Bauer aber die “Inbesitznahme” des Grases durch die Tiere zu dem Zeitpunkt, als sie das Gras in ihrem Maul hielten, zu. Wenn man das nicht nur für den Gewahrsam, sondern auch zivilrechtlich für den Besitz so sieht (der ja noch eher von Fiktionen durchzogen ist wie der Gewahrsam), könnte man sagen, B hat hier Besitz an dem Gras erlangt. Der einfachere - und aus meiner Sicht saubererer und in der Klausur weniger angreifbare Weg - wäre aber sicher die Annahme eines Nutzungsvorteils. Ich hoffe, das hat dir weitergeholfen! Viele Grüße - für das Jurafuchsteam - Tobias @[Wendelin Neubert](409)


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