§ 951 BGB

4. Dezember 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Auf dem Weg zur Uni verliert V unbemerkt ihren ungeschliffenen Diamanten im Wert von €2000. Juwelier J findet ihn und schleift den Stein aufwendig. So hat der Diamant einen Wert von €14.000. Später erkennt V ihren Stein bei J wieder und möchte diesen zurück.

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Einordnung des Falls

§ 951 BGB

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Es könnte sein, dass J neben dem Besitz auch Eigentum erlangt hat (§ 950 Abs. 1 S. 1 BGB).

Genau, so ist das!

Damit J Eigentum erworben hat, müsste J durch Verarbeitung oder Umbildung eine neue Sache hergestellt haben. Durch den Schliff hat J den Wert des Stein ganz erheblich gesteigert. Auch ist der Markt für ungeschliffene, im Gegensatz zu geschliffenen Diamanten, ein anderer. Wirtschaftlich betrachtet ist also eine neue Sache entstanden. An dieser neuen Sache hat J durch Umgestaltung bzw. Verarbeitung Eigentum erworben nach § 950 Abs. 1 S. 1 BGB. J hat somit Eigentum und Besitz erlangt.
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2. J hat Eigentum am Stein nicht durch Leistung erlangt und somit „in sonstiger Weise“ (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB).

Ja, in der Tat!

J hat Eigentum am Stein kraft Gesetzes erworben (vgl. § 950 Abs. 1 S. 1 BGB) und nicht durch Leistung. Es liegt somit ein Erwerb „in sonstiger Weise“ vor.

3. Das Tatbestandsmerkmal „auf dessen Kosten“ ist erfüllt, wenn ein Eingriff in ein fremdes Recht vorliegt.

Ja!

Eingriff bedeutet nach der herrschenden Zuweisungstheorie die Verletzung des Zuweisungsgehalts eines fremden Rechts. Es ist also auf die Rechtsposition, um die es bereicherungsrechtlich geht, abzustellen. Diese muss von der Rechtsordnung dem Gläubiger zur ausschließlichen Verfügung zugewiesen wird. Deutlich wird dies nochmal am Beispiel des Eigentums (§ 903 S. 1 BGB). Die Rechtsordnung weist hier dem Eigentümer sämtliche denkbaren Nutzungsmöglichkeiten der Sache zu. Wer in das Eigentum eingreift, begeht einen Eingriff iSd § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB.

4. Es liegt ein Eingriff in ein fremdes Recht vor.

Ja, in der Tat!

Eingriff bedeutet nach der herrschenden Zuweisungstheorie die Verletzung des Zuweisungsgehalts eines fremden Rechts. Die Rechtsposition, um die es hier geht ist das Eigentum (§ 903 S. 1 BGB). Das Eigentum weist jegliche Nutzungsmöglichkeiten ausschließlich dem Eigentümer zu, also auch die Umgestaltung des Eigentums. J hat durch die Verarbeitung in Vs Eigentum eingegriffen. Ein Eingriff liegt vor.

5. Die Voraussetzung „ohne Rechtsgrund“ entspricht der gleichnamigen Voraussetzung bei der Leistungskondiktion (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB).

Nein!

Bei dem Tatbestandsmerkmal „ohne Rechtsgrund“ bei der Leistungskondiktion kommt es darauf an, ob ein Kausalverhältnis für die Vermögensverschiebung vorliegt (z.B. ein Kaufvertrag). Im Gegensatz dazu kommt es bei der Nichtleistungskondiktion darauf an, ob die Rechtsordnung dem Bereicherungsschuldner einen Behaltensgrund für den Bereicherungsgegenstand vorsieht. In Betracht kommen gesetzliche Behaltensgründe (gutgläubiger Erwerb, §§ 932 ff. BGB, gutgläubiger entgeltlicher Erwerb, § 816 Abs. 1 BGB) und vertragliche Behaltensgründe (z.B. Anspruch, den der eingreifende Schuldner selbst erfüllt hat).

6. In dem Eigentumserwerb des J liegt ein Behaltensgrund. Die Vermögensverschiebung ist nicht „ohne Rechtsgrund“ iSd § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB.

Nein, das ist nicht der Fall!

Zur Beurteilung dieser Frage ist die Wertung des § 951 Abs. 1 S. 1 BGB maßgeblich. Die Norm sieht vor, dass die durch den Eigentumserwerb erlangte Bereicherung nicht endgültig ist. Der Eigentümer kraft Gesetzes hat die Bereicherung nach den §§ 812 ff. BGB herauszugeben. Es wird also auch auf die Eingriffskondiktion verwiesen. § 951 BGB würde leerlaufen, wenn der Eigentumserwerb gleichzeitig einen Behaltensgrund iSd § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB für die Bereicherung darstellen würde. Der Eigentumserwerb nach § 950 Abs. 1 S. 1 BGB stellt also keinen Behaltensgrund für die Bereicherung dar. Der Eingriff des J war ohne Rechtsgrund.

7. J hat den Diamanten in natura herauszugeben (§ 818 Abs. 1 BGB).

Nein, das trifft nicht zu!

Grundsätzlich ist die Rechtsfolge des Bereicherungsanspruchs aus § 812 Abs. 1 S. 1 BGB die Herausgabe der Bereicherung. Allerdings schuldet J nach § 951 Abs. 1 BGB nur Vergütung in Geld. J haftet also nach § 818 Abs. 2 BGB auf Wertersatz. Er hat also den Wert des Steins (€2000) herauszugeben.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

ANY

ANY

31.1.2022, 19:53:09

Wieso ist die sachenrechtliche Eigentumszuweisung nicht endgültig, wenn ein schuldrechtlicher Ausgleichsanspruch besteht, der sich zudem gemäß § 951 Abs. 1 auf eine Vergütung in Geld beschränkt?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

9.2.2022, 15:49:41

Danke für den Hinweis, Any. Das war in der Tat etwas unglücklich formuliert und wurde von uns geändert. In der Sache ging es darum deutlich zu machen, dass J zwar Eigentümer ist. Der Eigentumserwerb nach §

950 BGB

stellt insoweit aber keinen Behaltensgrund der Bereicherung nach § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB dar. Jedenfalls der Wertzufluss ist hierdurch dem Eigentümer nicht endgültig zugeflossen, sondern über das

Bereicherungsrecht

abschöpfbar. Allerdings - wie Du völlig richtig einwendest - nicht über einen

Herausgabeanspruch

, sondern nur über den Wertersatz. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Johaennzen

Johaennzen

5.3.2022, 10:55:56

Ist in den Fällen, in den ein Besteller (F) einen Gegenstand zum Werkunternehmer (J) bringt, nicht der Besteller als Hersteller i.S.d. §950 anzusehen? Natürlich sind die Informationen dafür etwas knapp & vllt. habe ich das auch falsch in Erinnerung, aber ich dachte, dass in solchen Fällen F als Hersteller angesehen wird...

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

14.3.2022, 14:53:30

Hallo Johaennzen, vielen Dank für die gute Frage. Früher, d.h. vor der Schuldrechtsmodernisierung 2002, entsprach es in der Tat der herrschenden Ansicht, dass der Besteller auch Eigentümer der herzustellenden Ware ist. Das hatte den Hintergrund, dass vor der Reform die Regelungen des Werkvertrages auch auf die Herstellung neuer beweglicher Sachen Anwendung fanden und damit auch die Regelungen des Unternehmerpfandrechts (§ 647 BGB). Dieses Pfandrecht ergibt indes nur Sinn, wenn der Besteller als Eigentümer der Ware angesehen wird. Was hat sich nun nach der Reform verändert? Die Lieferung herzustellender oder zu erzeugender beweglicher Sachen wurde nunmehr dem

Werklieferungsvertrag

(heute § 650 Abs. 1 S. 1 BGB) und damit den Regelungen des Kaufvertrages unterworfen. Nach § 433 Abs. 1 BGB schuldet der Unternehmer damit auch die Verschaffung des Eigentums. Diese Verpflichtung wäre indes gänzlich gegenstandslos, wenn man den Besteller weiterhin als Hersteller ansieht und ihm damit nach §

950 BGB

das Eigentum an der beweglichen Sache zuordnet. Aus diesem Grund wird mittlerweile von einem Teil der Literatur vertreten, dass nunmehr der Unternehmer als Hersteller einzuordnen sei (zB Röthel, NJW 2005, 625). Ein anderer Teil will dagegen weiterhin den Besteller als hersteller ansehen und insoweit den Verweis in § 651 S. 1 BGB dahingehend zu reduzieren, dass der Unternehmer nur zur Übertragung des Besitzes verpflichtet ist. Zum Schutz des Unternehmers solle das Unternehmerpfandrecht analog § 647 BGB anwendbar sein (zB Füller, in: MüKo-BGB, 8.A. 2020, § 950 RdNr. 22). Da in diesem Fall der Fokus aber auf einem gänzlich anderen Thema liegt, haben wir den Sachverhalt nun modifiziert und F entfernt. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Johaennzen

Johaennzen

15.3.2022, 09:01:14

Vielen Dank für die ausführliche Antwort & die Korrektur! :)

TO

Toralf

17.3.2022, 08:25:48

Wie kann man einen geschliffenen Diamanten als eigenen erkennen, wenn er vorher ungeschliffen war?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

17.3.2022, 11:37:40

Hi Toralf, zugegebenermaßen ist hierfür etwas Fantasie gefragt. Aber für das Einprägen der Konstellation ist es sicher dennoch hilfreich. Beste Grüße, Lukas- für das Jurafuchs-Team

SAUFE

Saufen_Fetzt

23.2.2023, 00:17:24

Sind die §§ 950, 951 dann “aus einem anderen Grunde” iSd 818 ii ?

TI

Timurso

23.2.2023, 21:14:22

Das könnte man so sehen. Oder man sagt, dass § 951 I BGB lex specialis ist und insoweit die § 818 I, II BGB verdrängt. Im Ergebnis kommt es wohl aufs gleiche raus.

SAUFE

Saufen_Fetzt

23.2.2023, 21:16:28

Danke! Wird das, was ich da gefreestyled habe, von irgendwem vertreten? In der Klausur ist es wohl wurscht, weil man das einfach als gegeben annimmt, meine ich.

LEA

Lea

13.11.2023, 16:21:38

Wieso besteht nur ein Anspruch i.H.v. 2000€ und nicht ein Anspruch i.H.v. 12.000€ (14.000-2000)? Liegt das daran, dass das sozusagen das von dem einen allein geleistete ist und der Diamant nur den Wert von 2000€ hatte, als er verloren gegangen ist ?

Richter Alexander Hold

Richter Alexander Hold

21.11.2023, 16:35:00

Genau, der Bereicherungsschuldner hat Wertersatz dafür zu leisten, dass durch die Verarbeitung gem. § 950 I BGB dem ursprünglichen Eigentümer und Bereicherungsgläubiger das Eigentum verloren gegangen ist. Der Wert dieses Eigentums war im Zeitpunkt der Verarbeitung und damit des gesetzlichen Eigentumserwerbs 2000 €, da es sich noch um den Rohdiamant handelte. Die Wertsteigerung gebührt hier demjenigen, der sozusagen „die Arbeit reingesteckt hat“. Diese Wertsteigerung hat er der Bereicherungsschuldner durch eigene Arbeitsleistung herbeigeführt und ist diesbezüglich nicht auf Kosten des Bereicherungsgläubigers und ursprünglichen Eigentümers bereichert.

FW

FW

14.11.2024, 10:40:49

Hi, ich hatte das so verstanden, dass §§ 951, 812 ein eigenständiger Anspruch auf Wertersatz neben § 812 I 1 Alt. 2 ist. Ich meine, dass wurde auch in eurer Übersicht so dargestellt. Somit verstehe ich nicht ganz, warum hier direkt der § 812 geprüft wird und dann letztlich bei der Rechtsfolge der § 951 angesprochen wird. Grundsätzlich müsste doch nach dem allgemeinen Prüfungsschema der §§ 951, 812 zuerst geprüft werden. Dieser stellt ja auch eine Sache eindeutig klar: Das Eigentum kann nicht mehr herausgegeben werden; mithin besteht durchaus auch ein Rechtsgrund zum Behaltendürfen HINSICHTLICH des Eigentums. Der Wert muss jedoch nach

bereicherungsrecht

lichen Grundsätzen ersetzt werden. DIESBEZÜGLICH besteht somit kein Rechtsgrund zum Behaltendürfen.

LOU

louisaamaria

22.11.2024, 11:06:47

Stimme dir da zu @[FW](139488), finde den Aufbau auch ein bisschen missverständlich. Würde es auch eher so prüfen: I. Rechtsverlust infolge § 950 II. § 951 I 1 als Rechtsgrundverweisung III. Prüfung des einschlädigen Kondiktionstatbestandes: da hier NK einschlägig ist, muss der Streit um die LK nicht geführt werden. 1.

etwas erlangt

: (gesetzl.) Eigentumserwerb 2. Eingriff in den Zuweisungsgehalt: "Verwertung" des Diamanten nur durch Eigentümer 3. Ohne Rechtsgrund zum Behaltendürfen: § 950 verändert zwar die dingliche Zurodnung, gibt aber keinen rechtlichen Grund für eine Vermögensverschiebung IV. Rechtsfolge: hier Modifikation der §§ 812, 818 durch § 951 -> nur Wertersatz

FalkTG

FalkTG

20.11.2024, 13:35:29

... Alltag an der Uni Frankfurt


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