Öffentliches Recht

VwGO

Fortsetzungsfeststellungsklage

Statthaftigkeit der FFK bei Erledigung VOR Klageerhebung: analoge Anwendung

Statthaftigkeit der FFK bei Erledigung VOR Klageerhebung: analoge Anwendung

21. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Klassisches Klausurproblem

Auf einer Demo gegen den G20-Gipfel kommt es zu körperlichen Auseinandersetzungen zwischen den Demonstranten und der Polizei. Teilnehmerin T filmt die Polizei. Polizistin P stellt das Aufnahmegerät sicher. Es wird T am nächsten Tag wieder ausgehändigt. T will klagen.

Diesen Fall lösen [...Wird geladen] der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

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Einordnung des Falls

Statthaftigkeit der FFK bei Erledigung VOR Klageerhebung: analoge Anwendung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. T will sich gegen einen Verwaltungsakt wehren. Statthaft ist die Anfechtungsklage.

Nein, das ist nicht der Fall!

Die Statthaftigkeit der Anfechtungsklage setzt voraus, dass der Verwaltungsakt noch Rechtswirkung entfaltet, durch die der Kläger in seinen Rechten verletzt sein könnte (vgl. § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO). Sobald sich ein Verwaltungsakt erledigt hat, kommt eine Anfechtungsklage nicht mehr in Betracht (vgl. § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO). Erledigung i.S.d. § 43 Abs. 2 VwVfG, § 113 Abs. 1 S. 4 VwVfG bedeutet, dass sich der Verwaltungsakt inhaltlich erschöpft hat und alle seine in die Zukunft weisenden Rechtswirkungen weggefallen sind. P hat das beschlagnahmte Gerät an T herausgegeben. Die Beschlagnahme (= Verwaltungsakts) entfaltet keine Rechtswirkung mehr.
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2. Nach § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO kann die Rechtswidrigkeit eines bereits erledigten Verwaltungsakts festgestellt werden.

Ja, in der Tat!

Erledigt sich ein zunächst angefochtener Verwaltungsakt nach Klageerhebung, kann die Anfechtungsklage auf eine Fortsetzungsfeststellungsklage umgestellt werden. Diese richtet sich dann auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit des inzwischen erledigten Verwaltungsakts (§ 113 Abs. 1 S. 4 VwGO).

3. Nach § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO ist es irrelevant, ob sich der Verwaltungsakt vor oder nach Klageerhebung erledigt hat.

Nein!

Nach dem eindeutigen Wortlaut von § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO ist die Fortsetzungsfeststellungsklage statthaft, wenn sich der Verwaltungsakt nach Klageerhebung und vor Abschluss der mündlichen Verhandlung erledigt hat. § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO kann deswegen nicht direkt angewendet werden, wenn sich der Verwaltungsakts bereits vor Klageerhebung erledigt hat. Es gibt auch keine anderen gesetzlichen Regelungen, die diesen Fall betreffen.

4. Die Rechtswegsgarantie (Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG) gebietet, dass ein rechtsschutzbedürftiger Kläger auch effektiven Rechtsschutz erhalten können muss, wenn der Verwaltungsakt sich bereits vor Klageerhebung erledigt hat.

Genau, so ist das!

Es gibt viele Fälle, in denen sich verwaltungsrechtliche Maßnahmen so schnell erledigen, dass der Kläger gar keine Chance hat, vorher Rechtsschutz zu erlangen. Dazu gehören vor allem vollzugspolizeiliche Maßnahmen (z.B. aufgrund einer Standardmaßnahme oder Befugnisgeneralklausel). Es wäre nicht mit der verfassungsrechtlichen Rechtsschutzgarantie vereinbar, wenn der Kläger keinen Rechtsschutz erlangen könnte, nur weil die Maßnahmen besonders schnell vorbei sind. Denn auch kurz andauernde Maßnahmen können eine schwere Belastung für den Adressaten bedeuten, gerade im Polizeirecht (z.B. Schlag mit einem Knüppel).

5. Nach h.M. findet § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO analoge Anwendung, wenn sich der Verwaltungsakt vor Klageerhebung erledigt hat.

Ja, in der Tat!

Es ist unbestritten, dass der Betroffene auch Rechtsschutz erlangen können muss, wenn sich der Verwaltungsakt schnell erledigt hat. Auf welchem Weg der Rechtsschutz gewährleistet werden soll, ist dagegen strittig. Vertreten wird z.B. die Statthaftigkeit der allgemeinen Feststellungsklage sowie eine Klage sui generis. Durchgesetzt hat sich aber eine analoge Anwendung von § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO. Dafür spricht, dass es nur vom Zufall abhängt, ob sich ein Verwaltungsakt vor oder nach Klageerhebung erledigt. Es ist daher am sachgerechtesten, beide Fälle nach den gleichen Maßstäben zu beurteilen.

6. Die Beschlagnahme hat sich vor Klageerhebung erledigt. Statthaft ist die Fortsetzungsfestellungsklage.

Ja!

Ob sich ein Verwaltungsakt vor oder nach Klageerhebung erledigt, hängt nur vom Zufall ab. Nach h.M. ist es daher sachgerecht, § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO analog anzuwenden, wenn sich der Verwaltungsakt bereits vor Klageerhebung erledigt. Die Beschlagnahme des Aufnahmegeräts (= Verwaltungsakts) hat sich mit der Herausgabe an T erledigt. T kann die Fortsetzungsfeststellungsklage erheben. Diese richtet sich darauf, die Rechtswidrigkeit der Beschlagnahme feststellen zu lassen. Ob T ein "besonderes Interesse" an dieser Feststellung hat, wird erst i.R.d. Rechtsschutzbedürfnisses relevant.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Linda

Linda

10.10.2023, 16:58:16

Hallo liebes Jura-Fuchs-Team, sollte man in der Klausur darauf hinweisen, dass es sich bei Erledigung vor Klageerhebung und

Statthaftigkeit

der Verpflichtungsklage um eine doppelte Analogie handelt?

BL

Blotgrim

15.11.2023, 20:47:05

Also uns wurde gesagt dass es da beides gibt. Einige sprechen von einer doppelten Analogie, andere sagen so etwas gibt es nicht und sprechen einfach nur von einer Analogie. Ich glaube es reißt die jetzt aber auch keiner den Kopf ab wenn du von einer doppelten Analogie sprichst

L.G

L.Goldstyn

26.8.2024, 18:40:06

Meiner Erfahrung nach ist das tatsächlich sinnvoll, es kommt aber sicher auch auf das jeweilige Bundesland an. Dafür spricht, dass man dem Korrektor damit relativ deutlich zeigen kann, dass man verstanden hat: § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO ist aus zwei Gründen nicht direkt anwendbar. Anders als im ZivilR ist das Schlagwort der doppelten Analogie im ÖffR auch relativ weit verbreitet und wird daher wohl kaum zu Abzügen führen.

Linne_Karlotta_

Linne_Karlotta_

2.9.2024, 16:07:21

Hallo in die Runde, aus den von @[L.Goldstyn](251555) genannten Gründen kann man m.E. das Schlagwort der „doppelten Analogie“ nennen. Dies ist aber, wie @[Blotgrim](167544) richtig festgestellt hat, ein untechnischer Begriff, da eine Norm nicht doppelt analog, sondern eben nur analog angewendet werden kann. Auf der sicheren Seite ist man daher, wenn man den Begriff in Anführungszeichen setzt. Es dürfte aber auch nicht als falsch angestrichen werden, wenn man „nur“ von einer analogen Anwendung spricht. Viele Grüße, Linne - für das Jurafuchs-Team

SARA

Sarah

5.2.2024, 10:07:34

Hi liebes Jurafuchs-Team, in der letzten Frage dieser Aufgabe wird nach der

Statthaftigkeit

der Fortsetzungs

feststellungsklage

im vorliegenden Fall gefragt. Da eine Frage zuvor allerdings auf die genaue Differenzierung zwischen der direkten und der analogen Anwendung eingegangen wird, ist die letzte Frage irreführend. Es wäre verständlicher, wenn nach der

Statthaftigkeit

der FFK analog gefragt würde. LG

DerChristoph

DerChristoph

15.3.2024, 10:51:19

Das sehe ich auch so! Ich habe hier - meiner Meinung nach zurecht - die Frage verneint, weil die FFK ja gerade NICHT statthaft ist. Ich würde hier auch um Prüfung bitten, ob das so richtig ist.

MLENA

MLena

13.4.2024, 16:26:17

Ich verstehe was ihr meint, aber es handelt sich ja trotzdem um eine FFK, sie wird nur nicht direkt auf 113 I 4 gestützt, sondern der § wird eben analog angewendet oder sehe ich das falsch?


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