Zivilrecht

Bereicherungsrecht

Die Leistungskondiktion

Ausschluss nach § 817 S. 2: Begrenzung auf den Gegenstand der Leistung (Darlehen)

Ausschluss nach § 817 S. 2: Begrenzung auf den Gegenstand der Leistung (Darlehen)

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Klassisches Klausurproblem

Bank B gewährt dem S ein Darlehen in Höhe von 100.000 für 12 Monate. Der Zins liegt bei 17 %, wobei 4 % marktüblich sind. B zahlt S den Betrag in bar aus. S hört später, der Vertrag sei nichtig und will die 100.000 € nicht zurückzahlen.

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Einordnung des Falls

Ausschluss nach § 817 S. 2: Begrenzung auf den Gegenstand der Leistung (Darlehen)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 11 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. B und S haben einen wirksamen Darlehensvertrag geschlossen (§ 488 BGB).

Nein, das trifft nicht zu!

B und S haben sich zwar geeinigt, aber der Vertrag könnte gem. § 138 Abs. 1 BGB nichtig sein. Das wäre dann der Fall, wenn der Vertrag gegen die „guten Sitten, also das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden, verstößt. Um diese Begrifflichkeiten auszufüllen, haben Rechtsprechung und Lehre Fallgruppen herausgearbeitet, eine davon: das „wucherähnliche Geschäft. Dies liegt bei einem auffälligem Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung vor, wenn noch weitere Umstände, wie z.B. eine verwerfliche Gesinnung hinzutreten. Bei Krediten ist Wucher in der Regel zu bejahen (BGH, 1990), wenn die geschuldeten Zinsen die marktüblichen Zinsen um absolut 12 Prozentpunkte relativ 100 % übersteigen.Beides liegt hier vor. In der Folge wird die verwerfliche Gesinnung der B vermutet. Der Vertrag ist nichtig.
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2. S hat „etwas erlangt“ (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB).

Ja!

„Etwas“ im Sinne von § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB ist jede vorteilhafte Rechtsposition. Der Vorteil muss tatsächlich in das Vermögen des Schuldners übergegangen sein. Man kann vier Kategorien unterscheiden: (1) Rechte (z.B. Eigentum), (2) vorteilhafte Rechtsstellungen (z.B. Besitz), (3) Befreiung von Verbindlichkeiten, (4) erlangte Nutzungen an fremden Sachen oder Rechten.Bei den Geldscheinen handelt es sich um körperliche Gegenstände und damit Sachen (§ 90 BGB). S hat Eigentum (§ 929 S. 1 BGB) und Besitz (§ 854 Abs. 1 BGB) an dem Bargeld (100.000 €) erlangt. Eigentum ist ein Recht, Besitz eine vorteilhafte tatsächliche Rechtsstellung.

3. B hat die Leistung an S ohne rechtlichen Grund" (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB) erbracht.

Ja, in der Tat!

Das Merkmal „ohne rechtlichen Grund entscheidet darüber, ob der Bereicherte die Bereicherung behalten darf. Es gibt keine einheitliche Definition der Rechtsgrundlosigkeit, die für alle Leistungskondiktionen gelten würde. Es sind zu unterscheiden: (1) Leistung zur Befreiung von einer Verbindlichkeit (condictio indebiti), (2) Rechtsgrund bestand, ist aber ex nunc entfallen (condictio ob causam finitam), (3) Leistung verfolgt einen Zweck, der über Befreiung von einer Verbindlichkeit hinausgeht (condictio ob rem) und (4) Gesetzes- oder Sittenverstoß des Leistungsempfängers (condictio ob turpem vel iniustam causam). Zu 1:Bei der condictio indebiti fehlt der Rechtsgrund,wenn der mit der bewussten Vermögensmehrung verfolgte Zweck verfehlt worden ist.B wollte ihre Schuld aus dem Darlehensvertrag erfüllen. Dieser Zweck wurde verfehlt, weil S diesen Anspruch nicht hatte.

4. Der Darlehensnehmer ist zudem verpflichtet, für die Zeit der Bereitstellung die ursprünglich vereinbarten Zinsen zu zahlen.

Nein, das trifft nicht zu!

Nach § 817 S. 2 ist die Leistungskondiktion ausgeschlossen, wenn dem Empfänger und dem Leistenden ein Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot oder guten Sitten zur Last fällt. Allerdings beschränkt sich die Kondiktionssperre auf den Leistungsgegenstand.Leistungsgegenstand ist hier die zeitweise Überlassung des Eigentums. Einigkeit besteht insoweit, dass beim nichtigen Darlehen, der Darlehensgeber keinen Anspruch auf die vereinbarten Zinsen hat. Umstritten ist aber, ob der Darlehensgeber überhaupt keinen oder nicht zumindest einen eingeschränkten Zinsanspruch hat.

5. Nach der Rechtsprechung kann der Darlehensgeber angemessene Zinsen für die Bereitstellung des Darlehens verlangen.

Nein!

Bei Wucherdarlehen sei ein bereicherungsrechtlicher Zinsanspruch des Darlehensgebers (§ 818 Abs. 1 bzw. 2 BGB) insgesamt ausgeschlossen (§ 817 Satz 2 BGB). Da die sittenwidrige Leistung des Darlehensgebers gerade in der Kapitalüberlassung auf Zeit bestand, müsse er dem Darlehensnehmer den Kredit auf die (rechtsunwirksam) vereinbarte Zeit überlassen. Für diese Zeit stehen demnach die Nutzungen (=Zinsen) dem Darlehensnehmer und nicht dem Darlehensgeber zu. Nur durch dieses Risiko werde für den Darlehensgeber der notwendige Anreiz geschaffen, angemessene Zinsen zu vereinbaren.

6. Nach einem Teil der Literatur kann der Darlehensgeber zumindest angemessene Zinsen für die Bereitstellung des Darlehens verlangen (§ 818 BGB).

Genau, so ist das!

Ein Teil der Literatur (z.B. Lorenz; Bodenbrenner) sieht in der völligen Versagung des Zinsanspruches eine übermäßige Begünstigung des Kreditnehmers. Dies stelle zudem eine dem bürgerlichen Recht ansonsten fremde Privatstrafe dar. Deshalb habe der Darlehensgeber zwar keinen Anspruch auf den vereinbarten Wucherzins, wohl aber auf einen angemessenen, d.h. marktgerechten oder wenigstens den gesetzlichen Zins.

7. S hat das Bargeld „durch Leistung“ der B erlangt (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB).

Genau, so ist das!

Leistung ist jede bewusste und zweckgerichtete Mehrung fremden Vermögens. Die Zweckbestimmung der Leistung ist eine geschäftsähnliche Handlung. Das Vorliegen einer Leistung ist aus der objektiven Empfängersicht (§§ 133, 157 BGB) zu beurteilen.B wollte ihre Verpflichtung aus dem Darlehensvertrag (§ 488 BGB) erfüllen. Sie hat dazu zweck- und zielgerichtet das Vermögen des S gemehrt.

8. Die Rückforderung der Darlehenssumme (100.000 €) könnte aber nach § 817 S. 2 BGB ausgeschlossen sein.

Ja, in der Tat!

Nach § 817 S. 2 ist die Leistungskondiktion ausgeschlossen, wenn dem Empfänger und dem Leistenden ein Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot oder guten Sitten zur Last fällt. Der Grundgedanke dahinter ist, dass derjenige, der verbots- oder sittenwidrig handelt, sich bei der Rückforderung nicht auf das eigene sittenwidrige Verhalten berufen können soll.

9. Die Erhebung von „Wucherzinsen“ ist sittenwidrig. Scheitert die Anwendung des § 817 S. 2 BGB daran, dass nur B und nicht auch S gegen die guten Sitten verstößt?

Nein!

Nach hM genügt es auch, wenn nur der Leistende gegen die guten Sitten verstoßen hat. Der Leistende dürfte nicht dadurch besser stehen, dass der Empfänger sich nicht sittenwidrig verhalten hat.Dass S als Empfänger nicht sittenwidrig gehandelt hat, steht der Anwendung des § 817 S. 2 BGB also nicht entgegen.

10. Bei einem Darlehen liegt die Leistung i.S.v. § 817 S. 2 BGB in der dauerhaften Bereitstellung des Kapitals.

Nein, das ist nicht der Fall!

Eine Leistung i.S.d. § 817 S. 2 BGB liegt nur vor, wenn der Vermögensvorteil endgültig in das Vermögen des Leistungsempfängers übergegangen ist und dort auch verbleiben soll.Das Darlehen wird lediglich auf Zeit gewährt. Leistungsgegenstand i.S.d. § 817 S. 2 BGB ist also nicht die dauerhafte Bereitstellung des Bargelds, sondern lediglich die vorübergehende Bereitstellung.

11. Ist die Rückforderung der Darlehenssumme (100.000 €) dauerhaft ausgeschlossen (§ 817 S. 2 BGB)?

Nein, das trifft nicht zu!

Nach § 817 S. 2 ist die Leistungskondiktion ausgeschlossen, wenn dem Empfänger und dem Leistenden ein Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot oder guten Sitten zur Last fällt. Allerdings beschränkt sich die Kondiktionssperre auf den Leistungsgegenstand.B fällt der Sittenverstoß zur Last, sodass § 817 S. 2 BGB grundsätzlich eingreift. Da die Leistung aber nur in der zeitweisen Überlassung und nicht in der dauerhaften Verschaffung des Eigentums und Besitzes liegt, ist die Rückforderung der Darlehenssumme nicht dauerhaft ausgeschlossen. Nach Ablauf der vereinbarten Darlehenszeit kann B die Darlehenssumme also zurückverlangen.
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