Strafrecht

Examensrelevante Rechtsprechung SR

Entscheidungen von 2020

"Falscher Schlüssel" bei Vergessen der Existenz?

"Falscher Schlüssel" bei Vergessen der Existenz?

9. Mai 2023

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs Illustration: T nimmt einen Wohnungsschlüssel aus einem Schlüsselkasten in Gedanken an das Entwenden von Geld aus der Wohnung.
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besonders examenstauglich

T entnimmt aus dem Schlüsselkasten seiner neuen Freundin F den Wohnungsschlüssel ihrer ehemaligen Schwiegereltern. Diese hatten vergessen, dass F noch einen Schlüssel besitzt. T weiß, dass die Schwiegereltern im Urlaub sind und betritt mithilfe des Schlüssels deren Wohnung. Er entwendet Geld und Wertsachen.

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Einordnung des Falls

Ob ein Schlüssel falsch ist, hängt von der Widmung des Schlüssels zur Öffnung durch den Berechtigten ab. Die (Ent-)Widmung des Schlüssels müsse laut BGH ausdrücklich oder zumindest konkludent geschehen. Hat der Berechtigte jedoch die Existenz des Schlüssels nur vergessen, macht dies ihn nicht zu einem falschen Schlüssel. Denn beim Vergessen finde eine Willensbildung gerade nicht statt.

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Normiert § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB den sogenannten „Wohnungseinbruchsdiebstahl“?

Genau, so ist das!

§ 244 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 4 StGB regeln den Qualifikationstatbestand des Wohnungseinbruchsdiebstahls. Es handelt sich zugleich um einen Spezialfall des Regelbeispiels in § 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StGB. Mit ihm ist ein gravierender Eingriff in die Opfersphäre verbunden, der häufig ein dauerhaftes Bedrohtheits- und Schutzlosigkeitsgefühl entstehen lässt, das über das Gefühl des Verlustes persönlicher Gegenstände hinausreicht. Wohnungen sind abgeschlossene und überdachte Räume, die Menschen zumindest vorübergehend als Unterkunft dienen. Der Täter muss zur Ausführung der Tat in die Wohnung einbrechen, einsteigen, mit einem falschen Schlüssel eindringen oder sich im Verborgenen halten. Ein schlichtes „Hineingelangen“ reicht indes nicht aus.
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2. Ist T zur Ausführung der Tat in eine Wohnung „eingebrochen“ (§ 244 Abs. 1 Nr. 3 Alt. 1 StGB)?

Nein, das trifft nicht zu!

Der Täter bricht ein, wenn er eine den Zutritt verwehrende Umschließung – regelmäßig gewaltsam – von außen öffnet oder eine bereits vorhandene Lücke so erweitert, dass ein Zutritt möglich wird. Erforderlich ist eine gewisse Kraftentfaltung im Sinne des Überwindens eines Hindernisses.T hat die Tür zur Wohnung mit einem Schlüssel aufgeschlossen. Eine Kraftentfaltung war nicht notwendig.

3. Ist T zur Ausführung der Tat in eine Wohnung „eingestiegen“ (§ 244 Abs. 1 Nr. 3 Alt. 2 StGB)?

Nein!

Der Täter steigt ein, wenn er in die Wohnung auf eine an sich nicht vorgesehene Weise gelangt (z.B. Übersteigen oder Hindurchkriechen eines Hindernisses). Im Unterschied zum Einbrechen muss er die Umschließung mit Geschicklichkeit oder Kraft überwinden, ohne sie aufzubrechen oder zu beseitigen.T hat die Tür zur Wohnung mit einem Schlüssel aufgeschlossen. Dies entspricht der völlig typischen Zutrittsweise.

4. Ist T mit einem „falschen Schlüssel“ in eine Wohnung eingedrungen (§ 244 Abs. 1 Nr. 3 Alt. 3 StGB), wenn der Schlüssel zum Tatzeitpunkt nach dem Willen des Berechtigten nicht zur Öffnung bestimmt ist?

Genau, so ist das!

Falsch ist ein Schlüssel, der zum Tatzeitpunkt vom zur Verfügung über die Wohnung Berechtigten nicht oder nicht mehr zur Öffnung bestimmt ist. Die Bestimmung zur Öffnung muss ein bestimmtes Schloss und einen bestimmten Schlüssel betreffen. Sie kann durch eine vom Willen des Berechtigten getragene Entwidmung enden. Der Wille kann ausdrücklich erklärt werden oder sich konkludent durch ein erkennbar auf eine Entwidmung gerichtetes Verhalten ergeben.

5. Haben die Schwiegereltern den Schlüssel entwidmet, indem sie die Existenz des Schlüssels vergessen haben?

Nein, das trifft nicht zu!

BGH: Dem Vergessen sei immanent, dass eine Willensbildung des Berechtigten in Bezug auf den Gebrauch gerade nicht stattfinde. Gegen eine Erweiterung des Anwendungsbereichs auf Fälle des bloßen Vergessens spreche, dass die Qualifikation des § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB und die verschärfte Strafdrohung des § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StGB gänzlich unabhängig vom Willen des Berechtigten zur Anwendung kommen würden. Ein vergessener Schlüssel sei nur dann ein falscher Schlüssel, wenn der Berechtigte sich wieder an den Schlüssel erinnere und ihn dann ausdrücklich oder konkludent als endgültig verloren betrachte (BGH, RdNr. 15ff.).

6. Macht T sich bezüglich der Entwendung des Geldes und der Wertsachen aus der Wohnung unter anderem wegen Diebstahls (§ 242 Abs. 1 StGB) strafbar?

Ja!

Mangels bewusster Entwidmung des Schlüssels durch die ehemaligen Schwiegereltern der F, benutzte T hier keinen „falschen Schlüssel“. Damit ist in erster Linie der Grundtatbestand des Diebstahls (§ 242 Abs. 1 StGB) einschlägig. Ebenfalls verwirklicht ist auch der Hausfriedensbruch (§ 123 Abs. 1 StGB), da T ohne das Einverständnis der Schwiegereltern - und damit widerrechtlich - in ihre Wohnung eindringt. Da T nicht die Qualifikation des Wohnungseinbruchsdiebstahl verwirklicht hat, tritt der Hausfriedensbruch nicht auf Konkurrenzebene (Konsumtion) zurück.
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Prüfungsschema

Wie prüfst Du die Strafbarkeit wegen Diebstahls (§ 242 Abs. 1 StGB)?

  1. Tatbestandsmäßigkeit
    1. Subjektiver Tatbestand
      1. Vorsatz
      2. Absicht rechtswidriger Zueignung
    2. Objektiver Tatbestand
      1. Fremde bewegliche Sache
      2. Wegnahme
  2. Rechtswidrigkeit
  3. Schuld
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Eine Besprechung von:
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Isabell

Isabell

4.1.2021, 19:11:24

Könnt ihr - falls da tatsächlich Unterschieden bestehen - präzisieren, ob sich die Examensrelevanz auf's erste oder zweite Examen bezieht?

Speetzchen

Speetzchen

4.1.2021, 19:25:15

ich glaube, dass es für beide Examina nicht schadet dieses Urteil bzw. Problematik zu kennen 😅

Isabell

Isabell

13.1.2021, 20:03:05

Das stimmt. Deswegen ja auch die Einschränkung auf den Fall, dass es da Unterschiede gibt 🤗

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

3.10.2021, 13:05:20

Hallo ihr beiden, in der Tat ist diese Entscheidung für beide Examen relevant. Denn auch wenn in der Referendariatsausbildung noch eine praktische Einkleidung hinzukommt (zB Anklageschrift entwerfen), bleibt das materielle Recht der zentrale Schwerpunkt. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

JO

Johnny

2.10.2021, 21:41:46

Ist es nicht widersprüchlich, dass in der (dritten?) Frage festgestellt werden muss, dass T mit einem falschen Schlüssel eindrang, obwohl dann in der nächsten (vierten?) Frage aufgeklärt wird, dass der BGH einen falschen Schlüssel gerade in diesem konkreten Fall verneint hat?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

3.10.2021, 13:10:16

Hi Johnny, das kann auf den ersten Blick tatsächlich verwirrend sein. Der Teufel steckt da im Detail. In der vierten Frage geht es darum, dass der Schlüssel falsch ist, wenn er entwidmet wurde. Das ist erst einmal nur der Maßstab. In der fünften Frage wird dann subsumiert und festgestellt, dass der Schlüssel durch das bloße Vergessen nicht entwidmet wird. Insofern liegt auch kein falscher Schlüssel vor. Wird es so etwas klarer? Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

JO

Johnny

3.10.2021, 15:02:33

Richtig! Ich habe die "Wenn-Einschränkung" im zweiten Halbsatz der Frage überlesen.

Helena

Helena

2.5.2022, 17:37:15

Ich bin etwas verwirrt, wieso eine Entwidmung nicht in der Trennung von F und ihrem ehemaligen Ehemann gesehen werden kann. Könnte darin, dass die ehemaligen Schwiegereltern und F keinerlei Beziehung mehr zueinander haben eine

konkludent

e Entwidmung gesehen werden beziehungsweise zumindest, dass der Schlüssel nicht mehr so verwendet werden soll.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

3.5.2022, 14:57:58

Hallo Helena, das Ergebnis ist durchaus nicht zwingend. An das Beziehungsende anzuknüpfen ist insofern etwas schwierig, da es sich hierbei ja nicht um eine Willenserklärung der Schwiegereltern handelt. Aber denkbar wäre in der Tat auch eine

konkludent

e Erklärung in Form des Kontaktabbruches. Die Literatur geht noch einen anderen Weg und sieht jedenfalls bei gänzlichem Vergessen eines Schlüssels eine Entwidmung (vgl. RdNr. 22 mwN). Neu hinzugekommen in unsere aktuelle Rspr. ist ein Fall, in dem der Mieter von Anfang an keine Kenntnis von der Existenz eines weiteren Schlüssels hatte. Dort hatte der BGH dann aber in der Entgegennahme der vom Vermieter übergebenen Schlüssel die

konkludent

e Erklärung gesehen, dass keine weiteren Schlüssel existieren würden. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

I-m-possible

I-m-possible

9.8.2022, 21:59:13

Handelt es sich bei Privat-Wohnungen gemäß §244 nicht um dauerhaft genutzte Räume?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

10.8.2022, 19:12:43

Hallo I-m-possible, spielst Du auf § 244 Abs. 4 StGB an? Dieser setzt zunächst voraus, dass es sich um einen Wohungseinbruchsdiebstahl iSv § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB handelt. Da es daran bereits fehlt, kommt es hier nicht mehr darauf an, ob es sich um eine

dauerhaft genutzte Privatwohnung

handelt. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

ErdbärIn

ErdbärIn

4.2.2024, 08:46:55

Mich verwirrt etwas, dass T doch eigentlich kein Teil der Widmung war. Die galt doch eigentlich nur für F und ihren Ex-Mann. Bedeutet das, dass es bei der Widmung garnicht darauf ankommt, wer zum Benutzen des Schlüssels berechtigt wurde?

TI

Timurso

5.2.2024, 20:31:38

Das ist richtig, ja. Dem Wortlaut gemäß kommt es nur darauf an, ob der Schlüssel falsch ist. Dies ist der dann, wenn er gar nicht vom Berechtigten zur Öffnung gewidmet war. Ob der Schlüssel vom Berechtigten benutzt wird, ist dagegen kein Bestandteil des Tatbestands.

<I

<isa_hh>

23.10.2024, 08:31:59

Ich kann nicht so recht nachvollziehen, warum man hier lediglich vom Grundtatbestand des § 242 Abs. 1 und vom Hausfriedensbruch ausgeht. Wenn der Schlüssel nicht falsch ist, müsste mE doch zum Missbrauch eines richtigen Schlüssels abgegrenzt werden. Im Vordergrund der Strafbarkeit steht doch das Eindringen in die besonders geschützte Privatssphäre, die eine

dauerhaft genutzte Privatwohnung

inne hat.

Tobias Krapp

Tobias Krapp

24.10.2024, 14:26:03

Hallo @[](179671), der Missbrauch eines richtigen Schlüssels reicht für das Tatbestandsmerkmal "falscher Schlüssel" gerade nicht aus, da, wie in der Aufgabe dargestellt, eine Entwidmung erforderlich ist. Das beruht laut BGH auf dem Gedanken, dass nur bei einem Schlüssel, der nach dem Willen des Berechtigten nicht zur Öffnung des Schlosses dienen soll, das Eindringen in die Wohnung

verwerflich

er und daher strafwürdiger erscheint als beim Grunddelikt des §

242 StGB

. Gegen die bloß unbefugte Verwendung eines echten Schlüssels, so der BGH, kann sich der Berechtigte im allgemeinen selbst besser schützen, dies soll nicht das Strafrecht übernehmen (Strafrecht nur als ultima-ratio). Die Auswirkungen, die das Eindringen in die besonders geschützte Privatssphäre aber auf das Opfer hat, können aber je nach Einzelfall im Rahmen der Strafzumessung berücksichtigt werden. Außerdem steht § 123 StGB hier aus Klarstellungsgründen in Tateinheit zu §

242 StGB

. Der Umstand, dass der Täter m

ehre

re Delikte tateinheitlich verwirklicht, kann ebenso strafschärfend berücksichtigt werden. Im Ergebnis kann man also dennoch durchaus zu einer erhöhten, schuldangemessenen Strafe kommen. Viele Grüße - für das Jurafuchsteam - Tobias


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