"Falscher Schlüssel" bei Vergessen der Existenz? - Jurafuchs


+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs Illustration: T nimmt einen Wohnungsschlüssel aus einem Schlüsselkasten in Gedanken an das Entwenden von Geld aus der Wohnung.
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besonders examenstauglich

T entnimmt aus dem Schlüsselkasten seiner neuen Freundin F den Wohnungsschlüssel ihrer ehemaligen Schwiegereltern. Diese hatten vergessen, dass F noch einen Schlüssel besitzt. T weiß, dass die Schwiegereltern im Urlaub sind und betritt mithilfe des Schlüssels deren Wohnung. Er entwendet Geld und Wertsachen.

Einordnung des Falls

Ob ein Schlüssel falsch ist, hängt von der Widmung des Schlüssels zur Öffnung durch den Berechtigten ab. Die (Ent-)Widmung des Schlüssels müsse laut BGH ausdrücklich oder zumindest konkludent geschehen. Hat der Berechtigte jedoch die Existenz des Schlüssels nur vergessen, macht dies ihn nicht zu einem falschen Schlüssel. Denn beim Vergessen finde eine Willensbildung gerade nicht statt.

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Normiert § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB den sogenannten „Wohnungseinbruchsdiebstahl“?

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Genau, so ist das!

§ 244 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 4 StGB regeln den Qualifikationstatbestand des Wohnungseinbruchsdiebstahls. Es handelt sich zugleich um einen Spezialfall des Regelbeispiels in § 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StGB. Mit ihm ist ein gravierender Eingriff in die Opfersphäre verbunden, der häufig ein dauerhaftes Bedrohtheits- und Schutzlosigkeitsgefühl entstehen lässt, das über das Gefühl des Verlustes persönlicher Gegenstände hinausreicht. Wohnungen sind abgeschlossene und überdachte Räume, die Menschen zumindest vorübergehend als Unterkunft dienen. Der Täter muss zur Ausführung der Tat in die Wohnung einbrechen, einsteigen, mit einem falschen Schlüssel eindringen oder sich im Verborgenen halten. Ein schlichtes „Hineingelangen“ reicht indes nicht aus.

2. Ist T zur Ausführung der Tat in eine Wohnung „eingebrochen“ (§ 244 Abs. 1 Nr. 3 Alt. 1 StGB)?

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Nein, das trifft nicht zu!

Der Täter bricht ein, wenn er eine den Zutritt verwehrende Umschließung – regelmäßig gewaltsam – von außen öffnet oder eine bereits vorhandene Lücke so erweitert, dass ein Zutritt möglich wird. Erforderlich ist eine gewisse Kraftentfaltung im Sinne des Überwindens eines Hindernisses.T hat die Tür zur Wohnung mit einem Schlüssel aufgeschlossen. Eine Kraftentfaltung war nicht notwendig.

3. Ist T zur Ausführung der Tat in eine Wohnung „eingestiegen“ (§ 244 Abs. 1 Nr. 3 Alt. 2 StGB)?

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Nein!

Der Täter steigt ein, wenn er in die Wohnung auf eine an sich nicht vorgesehene Weise gelangt (z.B. Übersteigen oder Hindurchkriechen eines Hindernisses). Im Unterschied zum Einbrechen muss er die Umschließung mit Geschicklichkeit oder Kraft überwinden, ohne sie aufzubrechen oder zu beseitigen.T hat die Tür zur Wohnung mit einem Schlüssel aufgeschlossen. Dies entspricht der völlig typischen Zutrittsweise.

4. Ist T mit einem „falschen Schlüssel“ in eine Wohnung eingedrungen (§ 244 Abs. 1 Nr. 3 Alt. 3 StGB), wenn der Schlüssel zum Tatzeitpunkt nach dem Willen des Berechtigten nicht zur Öffnung bestimmt ist?

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Genau, so ist das!

Falsch ist ein Schlüssel, der zum Tatzeitpunkt vom zur Verfügung über die Wohnung Berechtigten nicht oder nicht mehr zur Öffnung bestimmt ist. Die Bestimmung zur Öffnung muss ein bestimmtes Schloss und einen bestimmten Schlüssel betreffen. Sie kann durch eine vom Willen des Berechtigten getragene Entwidmung enden. Der Wille kann ausdrücklich erklärt werden oder sich konkludent durch ein erkennbar auf eine Entwidmung gerichtetes Verhalten ergeben.

5. Haben die Schwiegereltern den Schlüssel entwidmet, indem sie die Existenz des Schlüssels vergessen haben?

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Nein, das trifft nicht zu!

BGH: Dem Vergessen sei immanent, dass eine Willensbildung des Berechtigten in Bezug auf den Gebrauch gerade nicht stattfinde. Gegen eine Erweiterung des Anwendungsbereichs auf Fälle des bloßen Vergessens spreche, dass die Qualifikation des § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB und die verschärfte Strafdrohung des § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StGB gänzlich unabhängig vom Willen des Berechtigten zur Anwendung kommen würden. Ein vergessener Schlüssel sei nur dann ein falscher Schlüssel, wenn der Berechtigte sich wieder an den Schlüssel erinnere und ihn dann ausdrücklich oder konkludent als endgültig verloren betrachte (BGH, RdNr. 15ff.).

6. Macht T sich bezüglich der Entwendung des Geldes und der Wertsachen aus der Wohnung unter anderem wegen Diebstahls (§ 242 Abs. 1 StGB) strafbar?

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Ja!

Mangels bewusster Entwidmung des Schlüssels durch die ehemaligen Schwiegereltern der F, benutzte T hier keinen „falschen Schlüssel“. Damit ist in erster Linie der Grundtatbestand des Diebstahls (§ 242 Abs. 1 StGB) einschlägig. Ebenfalls verwirklicht ist auch der Hausfriedensbruch (§ 123 Abs. 1 StGB), da T ohne das Einverständnis der Schwiegereltern - und damit widerrechtlich - in ihre Wohnung eindringt. Da T nicht die Qualifikation des Wohnungseinbruchsdiebstahl verwirklicht hat, tritt der Hausfriedensbruch nicht auf Konkurrenzebene (Konsumtion) zurück.

Prüfungsschema

Wie prüfst Du die Strafbarkeit wegen Diebstahls (§ 242 Abs. 1 StGB)?

  1. Tatbestandsmäßigkeit
    1. Subjektiver Tatbestand
      1. Vorsatz
      2. Absicht rechtswidriger Zueignung
    2. Objektiver Tatbestand
      1. Fremde bewegliche Sache
      2. Wegnahme
  2. Rechtswidrigkeit
  3. Schuld

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