Strafrecht
Examensrelevante Rechtsprechung SR
Entscheidungen von 2020
"Falscher Schlüssel" bei Vergessen der Existenz?
"Falscher Schlüssel" bei Vergessen der Existenz?
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
T entnimmt aus dem Schlüsselkasten seiner neuen Freundin F den Wohnungsschlüssel ihrer ehemaligen Schwiegereltern. Diese hatten vergessen, dass F noch einen Schlüssel besitzt. T weiß, dass die Schwiegereltern im Urlaub sind und betritt mithilfe des Schlüssels deren Wohnung. Er entwendet Geld und Wertsachen.
Diesen Fall lösen 81,5 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.
Einordnung des Falls
Ob ein Schlüssel falsch ist, hängt von der Widmung des Schlüssels zur Öffnung durch den Berechtigten ab. Die (Ent-)Widmung des Schlüssels müsse laut BGH ausdrücklich oder zumindest konkludent geschehen. Hat der Berechtigte jedoch die Existenz des Schlüssels nur vergessen, macht dies ihn nicht zu einem falschen Schlüssel. Denn beim Vergessen finde eine Willensbildung gerade nicht statt.
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Normiert § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB den sogenannten „Wohnungseinbruchsdiebstahl“?
Genau, so ist das!
Jurastudium und Referendariat.
2. Ist T zur Ausführung der Tat in eine Wohnung „eingebrochen“ (§ 244 Abs. 1 Nr. 3 Alt. 1 StGB)?
Nein, das trifft nicht zu!
3. Ist T zur Ausführung der Tat in eine Wohnung „eingestiegen“ (§ 244 Abs. 1 Nr. 3 Alt. 2 StGB)?
Nein!
4. Ist T mit einem „falschen Schlüssel“ in eine Wohnung eingedrungen (§ 244 Abs. 1 Nr. 3 Alt. 3 StGB), wenn der Schlüssel zum Tatzeitpunkt nach dem Willen des Berechtigten nicht zur Öffnung bestimmt ist?
Genau, so ist das!
5. Haben die Schwiegereltern den Schlüssel entwidmet, indem sie die Existenz des Schlüssels vergessen haben?
Nein, das trifft nicht zu!
6. Macht T sich bezüglich der Entwendung des Geldes und der Wertsachen aus der Wohnung unter anderem wegen Diebstahls (§ 242 Abs. 1 StGB) strafbar?
Ja!
Fundstellen
Prüfungsschema
Wie prüfst Du die Strafbarkeit wegen Diebstahls (§ 242 Abs. 1 StGB)?
- Tatbestandsmäßigkeit
- Subjektiver Tatbestand
- Vorsatz
- Absicht rechtswidriger Zueignung
- Objektiver Tatbestand
- Fremde bewegliche Sache
- Wegnahme
- Subjektiver Tatbestand
- Rechtswidrigkeit
- Schuld
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Isabell
4.1.2021, 19:11:24
Könnt ihr - falls da tatsächlich Unterschieden bestehen - präzisieren, ob sich die Examensrelevanz auf's erste oder zweite Examen bezieht?
Speetzchen
4.1.2021, 19:25:15
ich glaube, dass es für beide Examina nicht schadet dieses Urteil bzw. Problematik zu kennen 😅
Isabell
13.1.2021, 20:03:05
Das stimmt. Deswegen ja auch die Einschränkung auf den Fall, dass es da Unterschiede gibt 🤗
Lukas_Mengestu
3.10.2021, 13:05:20
Hallo ihr beiden, in der Tat ist diese Entscheidung für beide Examen relevant. Denn auch wenn in der Referendariatsausbildung noch eine praktische Einkleidung hinzukommt (zB Anklageschrift entwerfen), bleibt das materielle Recht der zentrale Schwerpunkt. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Johnny
2.10.2021, 21:41:46
Ist es nicht widersprüchlich, dass in der (dritten?) Frage festgestellt werden muss, dass T mit einem falschen Schlüssel eindrang, obwohl dann in der nächsten (vierten?) Frage aufgeklärt wird, dass der BGH einen falschen Schlüssel gerade in diesem konkreten Fall verneint hat?
Lukas_Mengestu
3.10.2021, 13:10:16
Hi Johnny, das kann auf den ersten Blick tatsächlich verwirrend sein. Der Teufel steckt da im Detail. In der vierten Frage geht es darum, dass der Schlüssel falsch ist, wenn er entwidmet wurde. Das ist erst einmal nur der Maßstab. In der fünften Frage wird dann subsumiert und festgestellt, dass der Schlüssel durch das bloße Vergessen nicht entwidmet wird. Insofern liegt auch kein falscher Schlüssel vor. Wird es so etwas klarer? Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Johnny
3.10.2021, 15:02:33
Richtig! Ich habe die "Wenn-Einschränkung" im zweiten Halbsatz der Frage überlesen.
Helena
2.5.2022, 17:37:15
Ich bin etwas verwirrt, wieso eine Entwidmung nicht in der Trennung von F und ihrem ehemaligen Ehemann gesehen werden kann. Könnte darin, dass die ehemaligen Schwiegereltern und F keinerlei Beziehung mehr zueinander haben eine
konkludente Entwidmung gesehen werden beziehungsweise zumindest, dass der Schlüssel nicht mehr so verwendet werden soll.
Lukas_Mengestu
3.5.2022, 14:57:58
Hallo Helena, das Ergebnis ist durchaus nicht zwingend. An das Beziehungsende anzuknüpfen ist insofern etwas schwierig, da es sich hierbei ja nicht um eine Willenserklärung der Schwiegereltern handelt. Aber denkbar wäre in der Tat auch eine
konkludente Erklärung in Form des Kontaktabbruches. Die Literatur geht noch einen anderen Weg und sieht jedenfalls bei gänzlichem Vergessen eines Schlüssels eine Entwidmung (vgl. RdNr. 22 mwN). Neu hinzugekommen in unsere aktuelle Rspr. ist ein Fall, in dem der Mieter von Anfang an keine Kenntnis von der Existenz eines weiteren Schlüssels hatte. Dort hatte der BGH dann aber in der Entgegennahme der vom Vermieter übergebenen Schlüssel die
konkludente Erklärung gesehen, dass keine weiteren Schlüssel existieren würden. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
I-m-possible
9.8.2022, 21:59:13
Handelt es sich bei Privat-Wohnungen gemäß §244 nicht um dauerhaft genutzte Räume?
Lukas_Mengestu
10.8.2022, 19:12:43
Hallo I-m-possible, spielst Du auf § 244 Abs. 4 StGB an? Dieser setzt zunächst voraus, dass es sich um einen Wohungseinbruchsdiebstahl iSv § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB handelt. Da es daran bereits fehlt, kommt es hier nicht mehr darauf an, ob es sich um eine
dauerhaft genutzte Privatwohnunghandelt. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
ErdbärIn
4.2.2024, 08:46:55
Mich verwirrt etwas, dass T doch eigentlich kein Teil der Widmung war. Die galt doch eigentlich nur für F und ihren Ex-Mann. Bedeutet das, dass es bei der Widmung garnicht darauf ankommt, wer zum Benutzen des Schlüssels berechtigt wurde?
Timurso
5.2.2024, 20:31:38
Das ist richtig, ja. Dem Wortlaut gemäß kommt es nur darauf an, ob der Schlüssel falsch ist. Dies ist der dann, wenn er gar nicht vom Berechtigten zur Öffnung gewidmet war. Ob der Schlüssel vom Berechtigten benutzt wird, ist dagegen kein Bestandteil des Tatbestands.
<isa_hh>
23.10.2024, 08:31:59
Ich kann nicht so recht nachvollziehen, warum man hier lediglich vom Grundtatbestand des § 242 Abs. 1 und vom Hausfriedensbruch ausgeht. Wenn der Schlüssel nicht falsch ist, müsste mE doch zum Missbrauch eines richtigen Schlüssels abgegrenzt werden. Im Vordergrund der Strafbarkeit steht doch das Eindringen in die besonders geschützte Privatssphäre, die eine
dauerhaft genutzte Privatwohnunginne hat.
Tobias Krapp
24.10.2024, 14:26:03
Hallo @[
er und daher strafwürdiger erscheint als beim Grunddelikt des §
242 StGB. Gegen die bloß unbefugte Verwendung eines echten Schlüssels, so der BGH, kann sich der Berechtigte im allgemeinen selbst besser schützen, dies soll nicht das Strafrecht übernehmen (Strafrecht nur als ultima-ratio). Die Auswirkungen, die das Eindringen in die besonders geschützte Privatssphäre aber auf das Opfer hat, können aber je nach Einzelfall im Rahmen der Strafzumessung berücksichtigt werden. Außerdem steht § 123 StGB hier aus Klarstellungsgründen in Tateinheit zu §
242 StGB. Der Umstand, dass der Täter m
ehrere Delikte tateinheitlich verwirklicht, kann ebenso strafschärfend berücksichtigt werden. Im Ergebnis kann man also dennoch durchaus zu einer erhöhten, schuldangemessenen Strafe kommen. Viele Grüße - für das Jurafuchsteam - Tobias