Strafrecht

Strafrecht Allgemeiner Teil

Schuld

Schuld: Verbotsirrtum (Unrechtszweifel-Rechtsprechung)

Schuld: Verbotsirrtum (Unrechtszweifel-Rechtsprechung)

22. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

T ist der Vater von O und glaubt an ein elterliches Züchtigungsrecht. Als dieser ihn eines Tages reizt, beschließt er, diesem abends kräftige Hiebe auf den Hintern zu geben. Seinen Anwalt A, den er um Rat bitten wollte, erreicht er davor nicht. A geht von einer alten Rechtslage aus und hätte T die Rechtmäßigkeit bescheinigt.

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Einordnung des Falls

Schuld: Verbotsirrtum (Unrechtszweifel-Rechtsprechung)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. T hat eine rechtswidrige Körperverletzung begangen.

Ja!

Die Hiebe stellen eine üble, unangemessene Behandlung dar, die Os körperliche Unversehrtheit mehr als nur unerheblich beeinträchtigt. Ein Züchtigungsrecht der Eltern existiert nicht mehr. Die ursprünglichen entsprechenden Normen in §§ 1626 und 1631 BGB aF sind im Jahr 2000 entfallen und wurden durch § 1631 Abs. 2 BGB ersetzt, der den Kindern ein Recht auf gewaltfreie Erziehung zugesteht. Die Körperverletzung erfolgte somit auch rechtswidrig.
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2. T hatte bei Tatbegehung die Einsicht, unrechtmäßig zu handeln.

Nein, das ist nicht der Fall!

Unrechtseinsicht ist die Erkenntnis der Rechtswidrigkeit der Tat, mithin das Einsehen, dass die Tat vom Gesetz verboten wird. T geht von einem elterlichen Züchtigungsrecht als Rechtfertigungsgrund aus und unterliegt daher einem Erlaubnisirrtum.

3. Hätte T den Irrtum vermeiden können (§ 17 StGB)?

Nein, das trifft nicht zu!

Vermeidbar ist ein Verbotsirrtum, wenn der Täter nach den Umständen des Falles, seiner Persönlichkeit sowie seines Lebens- und Berufskreises zuzumutenden Anspannung des Gewissens die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens hätte erkennen können Der Täter muss dafür alle seine Erkenntniskräfte einsetzen und bei etwaigen Zweifeln verlässlichen und sachkundigen Rechtsrat einholen. Dies hat T vorliegend versucht, aber seinen Anwalt nicht erreicht. Zu beachten ist aber auch, dass A von der Rechtmäßigkeit ausgegangen ist und der Rechtsrat daher zu keinem anderen Ergebnis geführt hätte. Auch nach der Rechtsprechung ist ein Vermeidbarkeitszusammenhang erforderlich, was erfordert, dass der Täter bei Einhaltung der Sorgfaltspflichten die Rechtswidrigkeit erkannt hätte. Vorliegend ist davon auszugehen, dass T nur seinen Anwalt gefragt hätte und auf dessen Rat vertraut hätte, sodass auch eine Rücksprache mit diesem die Unrechtseinsicht nicht herbeigeführt hätte.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

FABY

Faby

2.5.2023, 12:57:20

Weil es mich interessiert hat, wie die Formulierung damals war: Bis 1979 stand in § 16

31 BGB

dazu nichts. Ab 1980 wurde Absatz 2 aufgenommen, der damals lautete: "Entwürdigende Erziehungsmaßnahmen sind unzulässig." 1998 wurde ergänzt in: "Entwürdigende Erziehungsmaßnahmen, insbesondere körperliche und seelische Mißhandlungen, sind unzulässig." Ab 2000 dann: "Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig."

Nora Mommsen

Nora Mommsen

3.5.2023, 11:29:40

Danke Faby für die Recherche! Man wundert sich, wie kurz oder lang manche Sachen erst geregelt sind... Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

DIAA

Diaa

29.7.2023, 17:45:09

Wieso gilt hier nicht das Kriterium der Übernahmeschuld? und wieso werden zukünftige Geschehnisse beachtet?

DI

Dini2010

2.8.2023, 19:51:18

Zukünftige bzw. Hypothetische Geschehnisse müssen ja berücksichtigt werden um in Erfahrung bringen zu können, ob der Täter den Irrtum hätte vermeiden können. Sprich, hätte er seinen Anwalt erreicht, hätte der ihm die

Rechtmäßigkeit

bejaht, also Irrtum unvermeidbar.

LELEE

Leo Lee

5.8.2023, 10:51:56

Hallo Diaa, die Übernahmefahrlässigkeit (ich gehe davon aus, dass du das meintest), ist eine Frage, die i.R.d. Sorgfaltspflichtverletzung angesprochen wir in den Fällen, wo der Täter aufgrund der fehlenden Kompetenz (Zahnarzt operiert obwohl er nicht Chirurg ist) als schuldlos (ihm kann nicht vorgeworfen werden nicht gut genug operiert zu haben, weil er eben Zahnarzt war und kein Chirurg) eingestuft wird. Sodann wird ihm aber vorgeworfen, in sorgfaltswidriger Weise die Handlung übernommen zu haben (also dass er sich der Operation annahm, obwohl er wusste, dass er hierzu nicht in der Lage ist). Vorliegend geht es nicht um die Frage, ob der Vater in fahrlässiger Weise eine bestimmte Aufgabe übernahm trotz seiner fehlenden Kompetenz, sondern um seine Unrechtseinsicht generell :) Liebe Grüße - für das Jurafuchsteam - Leo

Lars C

Lars C

29.1.2024, 19:52:54

Moin, selbiges habe ich mich auch gefragt und möchte dementsprechend nun noch einmal daran anknüpfen. Im vorhergegangenen Fall des veruntreuten Geldes eines Aufsichtsratsmitgliedes wurde unter Bezugnahme der Übernahmeschuld darauf abgestellt, dass die Aufsichtsrätin sich vor Übernahme der Position über etwaige Themen wie das Veruntreuen von Geldern hätte informieren müssen. Die Argumentation klingt für mich schlüssig, allerdings empfinde ich dies auch hier als anwendbar. Bei intensiver vorhergehender Recherche (spätestens ab dem Zeitpunkt der bewussten Übernahme der Vaterposition) hätte der Vater wissen können, dass das Züchtigungsrecht nicht mehr existiert. Wenn er sich an dem Punkt an seinen Anwalt gerichtet hätte und dieser ihm die falsche Auskunft gegeben hätte, wäre es allerdings auch wieder unvermeidbar. Kommt das so hin? 😅

EN

Entenpulli

19.9.2023, 08:28:34

Wieso konnte ihm nicht zugemutet werden kurz zu googlen, die Polizei oder einen anderen Anwalt anzurufen oder zumindest abzuwarten, bis er seinen Anwalt erreicht? Er war sich ja nicht sicher, ob er rechtmäßig handelt und ein akutes Handeln war keinenfalls notwendig. Bei ungeklärter Rechtslage trotzdem zu handeln wäre somit auf jeden Fall vermeidbar.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

21.9.2023, 12:54:41

Hallo Entenpulli, vielen Dank für die gute Nachfrage. Der BGH hat in einem etwas anders gelagerten Fall betont, dass die Vermeidbarkeit nicht bereits deshalb angenommen werden kann, weil der Täter seiner Erkundigungspflicht nicht nachkam. Vielmehr müsse auch hinzutreten, dass er bei Vornahme der entsprechenden Erkundigung zu einer richtigen Auskunft gelangt wäre (vgl. BGH, Urt. v. 7.4.2016 − 5 StR 332/15 - https://openjur.de/u/889316.html). Daran fehlt es in dem vorliegenden, konstruierten Fall. Hätte T seinen Anwalt angerufen, so hätte er eine veraltete Rechtsauskunft erhalten und wäre damit bei seiner Auffassung geblieben. In der Tat ist aber auch eine andere Ansicht gut vertretbar, insbesondere im Hinblick auf die Frage, von welchen Erkundigungsmöglichkeiten T hier hätte Gebrauch machen müssen(reicht zB der Rat des Anwalts oder wären nicht tatsächlich weitere Erkenntnisquellen, zB Internet, Zweitmeinung... erforderlich). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team


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