Schuld: Verbotsirrtum (Unrechtszweifel-Rechtsprechung)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
T ist der Vater von O und glaubt an ein elterliches Züchtigungsrecht. Als dieser ihn eines Tages reizt, beschließt er, diesem abends kräftige Hiebe auf den Hintern zu geben. Seinen Anwalt A, den er um Rat bitten wollte, erreicht er davor nicht. A geht von einer alten Rechtslage aus und hätte T die Rechtmäßigkeit bescheinigt.
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Einordnung des Falls
Schuld: Verbotsirrtum (Unrechtszweifel-Rechtsprechung)
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. T hat eine rechtswidrige Körperverletzung begangen.
Ja!
Jurastudium und Referendariat.
2. T hatte bei Tatbegehung die Einsicht, unrechtmäßig zu handeln.
Nein, das ist nicht der Fall!
3. Hätte T den Irrtum vermeiden können (§ 17 StGB)?
Nein, das trifft nicht zu!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Faby
2.5.2023, 12:57:20
Weil es mich interessiert hat, wie die Formulierung damals war: Bis 1979 stand in § 16
31 BGBdazu nichts. Ab 1980 wurde Absatz 2 aufgenommen, der damals lautete: "Entwürdigende Erziehungsmaßnahmen sind unzulässig." 1998 wurde ergänzt in: "Entwürdigende Erziehungsmaßnahmen, insbesondere körperliche und seelische Mißhandlungen, sind unzulässig." Ab 2000 dann: "Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig."
Nora Mommsen
3.5.2023, 11:29:40
Danke Faby für die Recherche! Man wundert sich, wie kurz oder lang manche Sachen erst geregelt sind... Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
Diaa
29.7.2023, 17:45:09
Wieso gilt hier nicht das Kriterium der Übernahmeschuld? und wieso werden zukünftige Geschehnisse beachtet?
Dini2010
2.8.2023, 19:51:18
Zukünftige bzw. Hypothetische Geschehnisse müssen ja berücksichtigt werden um in Erfahrung bringen zu können, ob der Täter den Irrtum hätte vermeiden können. Sprich, hätte er seinen Anwalt erreicht, hätte der ihm die
Rechtmäßigkeitbejaht, also Irrtum unvermeidbar.
Leo Lee
5.8.2023, 10:51:56
Hallo Diaa, die Übernahmefahrlässigkeit (ich gehe davon aus, dass du das meintest), ist eine Frage, die i.R.d. Sorgfaltspflichtverletzung angesprochen wir in den Fällen, wo der Täter aufgrund der fehlenden Kompetenz (Zahnarzt operiert obwohl er nicht Chirurg ist) als schuldlos (ihm kann nicht vorgeworfen werden nicht gut genug operiert zu haben, weil er eben Zahnarzt war und kein Chirurg) eingestuft wird. Sodann wird ihm aber vorgeworfen, in sorgfaltswidriger Weise die Handlung übernommen zu haben (also dass er sich der Operation annahm, obwohl er wusste, dass er hierzu nicht in der Lage ist). Vorliegend geht es nicht um die Frage, ob der Vater in fahrlässiger Weise eine bestimmte Aufgabe übernahm trotz seiner fehlenden Kompetenz, sondern um seine Unrechtseinsicht generell :) Liebe Grüße - für das Jurafuchsteam - Leo
Lars C
29.1.2024, 19:52:54
Moin, selbiges habe ich mich auch gefragt und möchte dementsprechend nun noch einmal daran anknüpfen. Im vorhergegangenen Fall des veruntreuten Geldes eines Aufsichtsratsmitgliedes wurde unter Bezugnahme der Übernahmeschuld darauf abgestellt, dass die Aufsichtsrätin sich vor Übernahme der Position über etwaige Themen wie das Veruntreuen von Geldern hätte informieren müssen. Die Argumentation klingt für mich schlüssig, allerdings empfinde ich dies auch hier als anwendbar. Bei intensiver vorhergehender Recherche (spätestens ab dem Zeitpunkt der bewussten Übernahme der Vaterposition) hätte der Vater wissen können, dass das Züchtigungsrecht nicht mehr existiert. Wenn er sich an dem Punkt an seinen Anwalt gerichtet hätte und dieser ihm die falsche Auskunft gegeben hätte, wäre es allerdings auch wieder unvermeidbar. Kommt das so hin? 😅
Entenpulli
19.9.2023, 08:28:34
Wieso konnte ihm nicht zugemutet werden kurz zu googlen, die Polizei oder einen anderen Anwalt anzurufen oder zumindest abzuwarten, bis er seinen Anwalt erreicht? Er war sich ja nicht sicher, ob er rechtmäßig handelt und ein akutes Handeln war keinenfalls notwendig. Bei ungeklärter Rechtslage trotzdem zu handeln wäre somit auf jeden Fall vermeidbar.
Lukas_Mengestu
21.9.2023, 12:54:41
Hallo Entenpulli, vielen Dank für die gute Nachfrage. Der BGH hat in einem etwas anders gelagerten Fall betont, dass die Vermeidbarkeit nicht bereits deshalb angenommen werden kann, weil der Täter seiner Erkundigungspflicht nicht nachkam. Vielmehr müsse auch hinzutreten, dass er bei Vornahme der entsprechenden Erkundigung zu einer richtigen Auskunft gelangt wäre (vgl. BGH, Urt. v. 7.4.2016 − 5 StR 332/15 - https://openjur.de/u/889316.html). Daran fehlt es in dem vorliegenden, konstruierten Fall. Hätte T seinen Anwalt angerufen, so hätte er eine veraltete Rechtsauskunft erhalten und wäre damit bei seiner Auffassung geblieben. In der Tat ist aber auch eine andere Ansicht gut vertretbar, insbesondere im Hinblick auf die Frage, von welchen Erkundigungsmöglichkeiten T hier hätte Gebrauch machen müssen(reicht zB der Rat des Anwalts oder wären nicht tatsächlich weitere Erkenntnisquellen, zB Internet, Zweitmeinung... erforderlich). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team