Unrechtszweifel-Rechtsprechung 8
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
T ist der Vater von O und glaubt an ein elterliches Züchtigungsrecht. Als dieser ihn eines Tages reizt, beschließt er, diesem abends kräftige Hiebe auf den Hintern zu geben. T versucht nicht, vorab einen der 35 Anwälte in seiner Stadt zu erreichen. 20 davon hätten ihm die Rechtmäßigkeit aber ohnehin bescheinigt.
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Einordnung des Falls
Unrechtszweifel-Rechtsprechung 8
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. T hat eine rechtswidrige Körperverletzung begangen.
Ja!
Jurastudium und Referendariat.
2. T hatte bei Tatbegehung die Einsicht ,unrechtmäßig zu handeln.
Nein, das ist nicht der Fall!
3. Hätte T den Irrtum vermeiden können?
Nein, das trifft nicht zu!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
lecker Brei 🥣
22.2.2023, 09:07:09
Ist das mit den 20 Anwälten eine
hypothetische Kausalitätdie nicht berücksichtigt wird wie z.B. das Opfer wäre sowieso 15sek später an Krebs gestorben
Timurso
22.2.2023, 10:40:16
Nein, die 20 Anwälte werden ja gerade berücksichtigt. Wenn der T sich erkundigt hätte, hätte sein Rechtsirrtum sich (mit gewisser Wahrscheinlichkeit/in dubio pro reo) nicht aufgelöst. Deswegen war der Irrtum unvermeidbar.
lecker Brei 🥣
22.2.2023, 19:30:02
Ja „hätte“, hat er aber nicht und hypothetische Kausal erläutert sind unbeachtlich und deswegen war der Irrtum vermeidbar. So würde ich denken
Nora Mommsen
3.3.2023, 12:23:56
Hallo ihr beiden, bei der Vermeidbarkeit des Irrtums ist natürlich zu berücksichtigen wie wahrscheinlich, der Irrtum bei Einholung einer Rechtsauskunft hätte beseitigt werden können. Es ist somit vergleichbar mit den Überlegungen zur "Quasi-Kausalität" im Tatbestand. Vorliegend hätten über die Hälfte der möglichen Rechtsauskünfte nicht beseitigt. Da muss man natürlich überlegen, ob man der Mindermeinung folgt und vertritt, dass das Irrtumsrisiko zumindest verringert worden wäre, wenn er nachgefragt hätte. Unter Rechtsstaatsgesichtspunkten ist es durchaus naheliegend zu sagen, "in dubio pro reo" wäre der Irrtum nicht beseitigt worden. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
jannis21
27.9.2023, 16:00:57
Ein Irrtum ist dann vermeidbar, wenn der Täter auch nach Anspannung all seiner Erkenntnis- und Gewissenskräfte zweifelsfrei zu dem Ergebnis kommt, dass er keinem Irrtum unterliegt bzw. rechtmäßig handelt. Die Anforderungen an diese geforderte Anspannung sind streng (hoch) anzusetzen. Vorliegend hat T nichtmal versucht Anwälte zu erreichen, geschweige denn mal zu googeln oder Freunde/Bekannte zu fragen. Wie kann es also sein, dass der Irrtum unvermeidbar gewesen sein soll, nur weil bei einem hypothetischem Anruf 20 von 35 Anwälten einen falschen Rechtsrat gegeben hätten? In meinen Augen hat der T sein Gewissens- und Erkenntniskräfte in keinster Weise angespannt.
Leo Lee
1.10.2023, 13:08:31
Hallo jannis21, in der Tat mag die Aufgabe etwas verwirrend rüberkommen. Dies ist der Tatsache geschuldet, dass die Vermeidbarkeit selbst ein hypothetisches Element beinhaltet (was wäre wenn er doch sein Gewissen angespannt hätte?). Genau dies ist der Ausgangspunkt für die letzte Aufgabe dieses Falles: Er hat vorliegend sich zwar nicht die Mühe gemacht, die Anwälte zu kontaktieren. Wenn er aber die Kräfte angespannt hätte (also Anwälte konsultieren in diesem Fall), wäre mit überwiegender Wahrscheinlichkeit sein Irrtum immer noch mit vermeidbar gewesen (weil über 50% der Anwälte ebenfalls „falsch“ beraten hätten). Somit kann nicht abschließend festgestellt werden, ob unser Täter bei Anspannung etc. auf einmal doch die Unrechtseinsicht gehabt hätte, weshalb wir in dubio pro reo davon ausgehen, der Irrtum wäre nie vermeidbar gewesen :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo
Schwanzanwaltschaft
28.3.2024, 20:36:26
Moin Moin, soweit man den in dubio pro reo Grundsatz in dieser Weise bezüglich der Vermeidbarkeit anwendet; werden doch Täter priviligiert die gerade keinen Rechtsrat einholen. Den es musste nach diesem Ansatz ja ausreichen, dass nur ein Anwalt von 100 dem T eine falsche Auskunft gegeben hätte, damit man in dubio pro reo davon ausgehen muss, dass falls er doch einen Anwalt angerufen hätte, den mit der falschen Auskunft angerufen hätte.
Nico
16.6.2024, 18:17:34
Ist das aber nicht auch irgendwie eine
hypothetische Reserveursache, bei der es egal ist, ob hinterher etwas sowieso eingetreten ist? Kann man die Vermeidbarkeit nicht an einem ernstlichten Bemühen festmachen?
Robinski
28.6.2024, 19:31:58
Gibt es eine Faustregel ab wie viel Prozent Wahrscheinlichkeit man von einer Vermeidbarkeit ausgehen kann?