Strafrecht

Strafrecht Allgemeiner Teil

Schuld

Unrechtszweifel-Rechtsprechung 8

Unrechtszweifel-Rechtsprechung 8

12. November 2024

4,5(5.813 mal geöffnet in Jurafuchs)

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

T ist der Vater von O und glaubt an ein elterliches Züchtigungsrecht. Als dieser ihn eines Tages reizt, beschließt er, diesem abends kräftige Hiebe auf den Hintern zu geben. T versucht nicht, vorab einen der 35 Anwälte in seiner Stadt zu erreichen. 20 davon hätten ihm die Rechtmäßigkeit aber ohnehin bescheinigt.

Diesen Fall lösen 0,0 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

Einordnung des Falls

Unrechtszweifel-Rechtsprechung 8

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. T hat eine rechtswidrige Körperverletzung begangen.

Ja!

Die Hiebe stellen eine üble, unangemessene Behandlung dar, die Os körperliche Unversehrtheit mehr als nur unerheblich beeinträchtigt. Ein Züchtigungsrecht der Eltern existiert nicht mehr. Die ursprünglichen entsprechenden Normen in §§ 1626 und 1631 BGB aF sind im Jahr 2000 entfallen und wurden durch § 1631 Abs. 2 BGB ersetzt, der den Kindern ein Recht auf gewaltfreie Erziehung zugesteht. Die Körperverletzung erfolgte somit auch rechtswidrig.
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

2. T hatte bei Tatbegehung die Einsicht ,unrechtmäßig zu handeln.

Nein, das ist nicht der Fall!

Unrechtseinsicht ist die Erkenntnis der Rechtswidrigkeit der Tat, mithin das Einsehen, dass die Tat vom Gesetz verboten wird. T geht von einem elterlichen Züchtigungsrecht als Rechtfertigungsgrund aus und unterliegt daher einem Erlaubnisirrtum.

3. Hätte T den Irrtum vermeiden können?

Nein, das trifft nicht zu!

Vermeidbar ist ein Verbotsirrtum, wenn der Täter nach den Umständen des Falles, seiner Persönlichkeit sowie seines Lebens- und Berufskreises zuzumutenden Anspannung des Gewissens die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens hätte erkennen können Vorliegend hätte ein Großteil der Anwälte den T falsch beraten. Die Frage ist daher, wie die Kausalität zu bestimmen ist. Geht man in dubio pro reo vor, dann kann nicht ausgeschlossen werden, dass T bei hinreichender Erfüllung seiner Sorgfaltspflicht an einen der 20 Anwälte geraten wäre, die ihn falsch beraten hätte. Teilweise wird auch ein Maßstab vertreten, der der Risikoerhöhungslehre entspricht: Dadurch, dass T seine Sorgfaltspflicht nicht erfüllt hat, hat er die sonst bestehende Möglichkeit zur Einsicht ausgeschlossen, was als Schuldvorwurf ausreichend ist. Die wohl herrschende Meinung in der Literatur vertritt den Ansatz im Zweifel für den Angeklagten zu entscheiden.
Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen
Jurafuchs
Eine Besprechung von:
Jurafuchs Brand
facebook
facebook
facebook
instagram

Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!


Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

lecker Brei 🥣

lecker Brei 🥣

22.2.2023, 09:07:09

Ist das mit den 20 Anwälten eine

hypothetische Kausalität

die nicht berücksichtigt wird wie z.B. das Opfer wäre sowieso 15sek später an Krebs gestorben

TI

Timurso

22.2.2023, 10:40:16

Nein, die 20 Anwälte werden ja gerade berücksichtigt. Wenn der T sich erkundigt hätte, hätte sein Rechtsirrtum sich (mit gewisser Wahrscheinlichkeit/in dubio pro reo) nicht aufgelöst. Deswegen war der Irrtum unvermeidbar.

lecker Brei 🥣

lecker Brei 🥣

22.2.2023, 19:30:02

Ja „hätte“, hat er aber nicht und hypothetische Kausal erläutert sind unbeachtlich und deswegen war der Irrtum vermeidbar. So würde ich denken

Nora Mommsen

Nora Mommsen

3.3.2023, 12:23:56

Hallo ihr beiden, bei der Vermeidbarkeit des Irrtums ist natürlich zu berücksichtigen wie wahrscheinlich, der Irrtum bei Einholung einer Rechtsauskunft hätte beseitigt werden können. Es ist somit vergleichbar mit den Überlegungen zur "Quasi-Kausalität" im Tatbestand. Vorliegend hätten über die Hälfte der möglichen Rechtsauskünfte nicht beseitigt. Da muss man natürlich überlegen, ob man der Mindermeinung folgt und vertritt, dass das Irrtumsrisiko zumindest verringert worden wäre, wenn er nachgefragt hätte. Unter Rechtsstaatsgesichtspunkten ist es durchaus naheliegend zu sagen, "in dubio pro reo" wäre der Irrtum nicht beseitigt worden. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

JAN

jannis21

27.9.2023, 16:00:57

Ein Irrtum ist dann vermeidbar, wenn der Täter auch nach Anspannung all seiner Erkenntnis- und Gewissenskräfte zweifelsfrei zu dem Ergebnis kommt, dass er keinem Irrtum unterliegt bzw. rechtmäßig handelt. Die Anforderungen an diese geforderte Anspannung sind streng (hoch) anzusetzen. Vorliegend hat T nichtmal versucht Anwälte zu erreichen, geschweige denn mal zu googeln oder Freunde/Bekannte zu fragen. Wie kann es also sein, dass der Irrtum unvermeidbar gewesen sein soll, nur weil bei einem hypothetischem Anruf 20 von 35 Anwälten einen falschen Rechtsrat gegeben hätten? In meinen Augen hat der T sein Gewissens- und Erkenntniskräfte in keinster Weise angespannt.

LELEE

Leo Lee

1.10.2023, 13:08:31

Hallo jannis21, in der Tat mag die Aufgabe etwas verwirrend rüberkommen. Dies ist der Tatsache geschuldet, dass die Vermeidbarkeit selbst ein hypothetisches Element beinhaltet (was wäre wenn er doch sein Gewissen angespannt hätte?). Genau dies ist der Ausgangspunkt für die letzte Aufgabe dieses Falles: Er hat vorliegend sich zwar nicht die Mühe gemacht, die Anwälte zu kontaktieren. Wenn er aber die Kräfte angespannt hätte (also Anwälte konsultieren in diesem Fall), wäre mit überwiegender Wahrscheinlichkeit sein Irrtum immer noch mit vermeidbar gewesen (weil über 50% der Anwälte ebenfalls „falsch“ beraten hätten). Somit kann nicht abschließend festgestellt werden, ob unser Täter bei Anspannung etc. auf einmal doch die Unrechtseinsicht gehabt hätte, weshalb wir in dubio pro reo davon ausgehen, der Irrtum wäre nie vermeidbar gewesen :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

SCH

Schwanzanwaltschaft

28.3.2024, 20:36:26

Moin Moin, soweit man den in dubio pro reo Grundsatz in dieser Weise bezüglich der Vermeidbarkeit anwendet; werden doch Täter priviligiert die gerade keinen Rechtsrat einholen. Den es musste nach diesem Ansatz ja ausreichen, dass nur ein Anwalt von 100 dem T eine falsche Auskunft gegeben hätte, damit man in dubio pro reo davon ausgehen muss, dass falls er doch einen Anwalt angerufen hätte, den mit der falschen Auskunft angerufen hätte.

NIC

Nico

16.6.2024, 18:17:34

Ist das aber nicht auch irgendwie eine

hypothetische Reserveursache

, bei der es egal ist, ob hinterher etwas sowieso eingetreten ist? Kann man die Vermeidbarkeit nicht an einem ernstlichten Bemühen festmachen?

ROB

Robinski

28.6.2024, 19:31:58

Gibt es eine Faustregel ab wie viel Prozent Wahrscheinlichkeit man von einer Vermeidbarkeit ausgehen kann?


Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und mit 15.000+ Nutzer austauschen.
Kläre Deine Fragen zu dieser und 15.000+ anderen Aufgaben mit den 15.000+ Nutzern der Jurafuchs-Community
Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen