Fall zur Klagebefugnis bei Verpflichtungsklage: Anspruch wegen möglicher Verletzung eines Grundrechts? - Jurafuchs


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Jurafuchs-Illustration zum Fall zur Klagebefugnis bei Verpflichtungsklage: Anspruch wegen möglicher Verletzung eines Grundrechts?: Eine Frau möchte eine Baugenehmigung erhalten. Ein Adler verweigert ihr die Baugenehmigung.

A will im Geltungsbereich eines Bebauungsplans eine Open-Air-Disco errichten. Das Vorhaben widerspricht dem Bebauungsplan. Behörde B lehnt den Antrag auf Baugenehmigung deswegen ab. A meint, sie habe einen Anspruch auf Erteilung der Genehmigung aus Art. 14 Abs. 1 GG.

Einordnung des Falls

Klagebefugnis bei Verpflichtungsklage: Anspruch wegen möglicher Verletzung eines Grundrechts?

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Ist A klagebefugt, wenn sie einen möglichen Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung geltend machen kann?

Ja!

Im Rahmen der Verpflichtungsklage ist der Kläger klagebefugt, wenn möglicherweise ein Anspruch auf Erlass des Verwaltungsakts besteht. A begehrt den Erlass der Baugenehmigung (= Verwaltungsakt). Statthaft ist deswegen die Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO). Sie ist klagebefugt, wenn sie einen möglichen Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung geltend machen kann.

2. Richtet sich, ob eine Norm als Anspruchsgrundlage in Betracht kommt, nach der sogenannten Adressatentheorie?

Nein, das ist nicht der Fall!

Ob eine Norm Anspruchscharakter hat, bestimmt sich nach der sogenannten Schutznormtheorie. Eine Norm kommt danach als Anspruchsgrundlage in Betracht, wenn sie nicht nur die Interessen der Allgemeinheit schützt, sondern (zumindest auch) den Individualinteressen des Klägers dienen soll. Die Theorie muss nicht immer ausgeführt werden, vor allem dann nicht, wenn allgemein anerkannte Anspruchsgrundlagen einschlägig sind oder die Norm offensichtlich Individualinteressen dient (z.B. bei Baugenehmigungen). Dann reicht es, die Theorie zu erwähnen. Ausführlicher muss man werden, wenn Ansprüche aus Normen hergeleitet werden sollen, die nicht offensichtlich subjektiven Interessen dienen.

3. Sind Ansprüche aus subjektiven Rechten vorrangig aus dem einfachen Recht abzuleiten?

Ja, in der Tat!

Grundrechte sind subjektive Rechte im Sinne der Schutznormtheorie. Der Gesetzgeber ist aber zur näheren Ausgestaltung der meisten Grundrechte und insbesondere der normgeprägten Grundrechte durch einfaches Recht berufen. Normiert er Teilhabe- und Leistungsrechte einfachgesetzlich, scheiden die Grundrechte als Anspruchsgrundlage regelmäßig aus. Gewährt also das einfache öffentliche Recht subjektive Rechtspositionen, genießt dieses - als konkrete Ausgestaltung der verfassungsrechtlichen Vorgaben - Vorrang. Die Grundrechte strahlen aber weiterhin in das einfache Recht aus, indem sie bei der Auslegung beachtet werden müssen (= norminterne Wirkung der Grundrechte).

4. Hat A einen Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung aus der landesrechtlichen Bauordnung (= einfaches Recht)?

Nein!

Nach den Vorschriften der landesrechtlichen Bauordnungen (z.B. § 70 Abs. 1 S. 1 NBauO, § 74 Abs. 1 HBO, Art. 68 Abs. 1 S. 1 BayBO, § 74 Abs. 1 BauO NRW) ist eine Baugenehmigung zu erteilen, wenn das Vorhaben den öffentlich-rechtlichen Vorschriften entspricht. Die Norm dient (offensichtlich) dem individuellen Interesse des Bauherren, seine potenzielle Baufreiheit zu verwirklichen (Schutznormtheorie). As Bauvorhaben widerspricht dem Bebauungsplan und ist damit nicht mit den öffentlich-rechtlichen Vorschriften vereinbar. Sie hat keinen Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung nach den landesrechtlichen Vorschriften.

5. Kommen Grundrechte nur ganz ausnahmsweise als direkte Anspruchsgrundlage in Betracht?

Genau, so ist das!

Der grundsätzliche Vorrang des einfachen Rechts endet dort, wo das Mindestniveau des grundrechtlich garantierten Schutzes nicht erreicht wird. Das kann passieren, wenn grundrechtliche Gewährleistungen für einen konkreten Lebensbereich überhaupt nicht in einfaches Recht gekleidet wurden oder die Ausgestaltung des einfachen Rechts den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht genügt und auch eine verfassungskonforme Auslegung des einfachen Rechts nicht möglich ist. Kritisiert wird daran, dass Grundrechte zu unbestimmt seien, um daraus konkrete Ansprüche abzuleiten. Deswegen hat der Rückgriff auf Grundrechte eine selten genutzte Reservefunktion.

6. Hat A einen Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung aus Art. 14 Abs. 1 GG?

Nein, das trifft nicht zu!

Ansprüche werden vorrangig aus dem einfachen Recht begründet. Besteht eine einfachgesetzliche Konkretisierung der Grundrechte für den konkreten Lebensbereich, scheidet ein direkter Anspruch aus Grundrechten aus. Das einfache Recht genießt Vorrang. Der Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung ist einfachgesetzlich in den landesrechtlichen Bauordnungen ausgestaltet. Ein Rückgriff auf die in Art. 14 Abs. 1 GG angelegte potenzielle Baufreiheit scheidet damit aus. A hat keinen Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung aus Art. 14 Abs. 1 GG.

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H. Schmidt von Church

H. Schmidt von Church

13.6.2023, 15:16:07

Hallo zusammen, ich hatte die ganze Zeit den Grundsatz lex specialis derogat legi generali im Kopf und habe mich daher bei dieser Aufgabe mit der Begrifflichkeit "einfache(s) Recht" etwas schwer getan. Für mich ergab sich der Anwendungsvorrang der BauO gerade aus diesem Grundsatz und nicht, weil es "nur" einfaches Recht ist. In der Lösung wurde zwar dann gesagt, dass das einfach Recht eine Ausprägung ist, aber der Grundsatz lex specialis derogat legi generali wurde nicht erwähnt. Habe ich da einen Denkfehler? Grüße!

Sambajamba10

Sambajamba10

28.11.2023, 17:00:57

@[H. Schmidt von Church](22827) Hey, ich verstehe deinen Gedankengang, dennoch ist dies ein Fehler, der dir bestenfalls in der Klausur nicht widerfahren sollte. Aus der Normenhierarchie und unserer Verfassung als höchsten nationalen Rechtssatz ergibt sich, dass eine untergesetzliche Norm niemals lex Specialis des GG sein kann. Wie hier bereits steht, ist einfaches Recht immer nur eine

Konkretisierung

des Verfassungsrecht. Wenn eine untergesetzliche Norm spezieller als das Grundgesetz wäre, würde das bedeuten, dass sie regelmäßig bspw. ein Grundrecht verdrängen würde und dieses dann keinen Anwendungsbereich für etwaige Fälle hätte. Das kann nicht richtig sein. Dieses Ergebnis wird auch durch den Grundsatz lex Superior derogat legi inferiori gestützt. Hier von Spezialität zu sprechen wäre daher mE sehr verfehlt


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