Klagebefugnis bei Verpflichtungsklage: Anspruch aus einem Grundrecht: Selbstbindung der Verwaltung 1


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Klassisches Klausurproblem

Landesministerium L bewilligt Corona-Hilfen auf Grundlage des Landeshaushaltsplans und verwaltungsinterner Richtlinien. Die ersten 12 Anträge wurden bewilligt. U, die die Voraussetzungen erfüllt, ist die 13. Antragstellerin. Der abergläubische Sachbearbeiter verweigert U die Hilfen.

Einordnung des Falls

Klagebefugnis bei Verpflichtungsklage: Anspruch aus einem Grundrecht: Selbstbindung der Verwaltung 1

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. U erhebt Klage. Sie will, dass die Behörde verpflichtet wird, ihr die versagten Corona-Hilfen zu gewähren. Statthaft ist die Anfechtungsklage.

Nein!

Die statthafte Klageart richtet sich nach dem Klagebegehren (§§ 88, 86 Abs. 3 VwGO). Es muss unterschieden werden, ob der Kläger gegen einen bereits erlassenen Verwaltungsakt vorgehen will (= Anfechtungsklage) oder den Erlass eines Verwaltungsakts erreichen will (= Verpflichtungsklage). U kommt es darauf an, dass ein Subventionsbescheid zu ihren Gunsten erlassen wird. Gegen die bereits bewilligten zwölf Corona-Hilfen will sie erkennbar nicht vorgehen. Wenn das Klagebegehren nicht ausdrücklich ausformuliert ist, muss es aus den Gesamtumständen ermittelt werden.

2. U ist klagebefugt, wenn möglicherweise ein Anspruch auf Gewährung der Corona-Hilfen besteht.

Genau, so ist das!

Im Sinne des subjektiven Rechtsschutzes ist klagebefugt nur, wer in eigenen Rechten verletzt sein könnte (§ 42 Abs. 2 VwGO). Im Rahmen der Verpflichtungsklage ist der Kläger klagebefugt, wenn möglicherweise ein Anspruch auf Erlass des Verwaltungsakts besteht. Ausreichend ist, dass der geltend gemachte Anspruch nicht offensichtlich ausgeschlossen ist. U müsste geltend machen, einen möglichen Anspruch auf Gewährung der Corona-Hilfen zu haben.

3. Wenn die Gewährung der Hilfen unter den Vorbehalt des Gesetzes fällt und L ohne gesetzliche Grundlage handelt, ist dies rechtswidrig. Dann würden keine Ansprüche auf Gewährung der Prämien bestehen.

Ja, in der Tat!

Wenn staatliches Handeln unter den Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes (Art. 20 Abs. 3 GG) fällt, bedarf es für das Handeln einer gesetzlichen Grundlage. Wenn der Staat Leistungen ohne eine erforderliche gesetzliche Grundlage gewährt, ist dieses Verwaltungshandeln rechtswidrig. Im Sinne der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung können keine Ansprüche von Bürgern auf ein rechtswidriges Handeln der Verwaltung bestehen. Die Grundlage für die Corona-Hilfen durch L besteht nur in Form des Haushaltsplans. Dies ist keine gesetzliche Grundlage. Wenn Ls Handeln unter den Vorbehalt des Gesetzes fällt, hat U von vornherein keinen Anspruch auf Erlass des Verwaltungsakts.

4. Die Gewährung von Leistungen fällt nach h.M. unter den Vorbehalt des Gesetzes. Mangels gesetzlicher Grundlage hat U daher keinen Anspruch auf Zahlung.

Nein!

Strittig ist, ob staatliche Leistungen gesetzlicher Grundlagen bedürfen. Nach der Lehre des Totalvorbehalts muss es für jede staatliche Handlung eine gesetzliche Grundlage geben, egal, ob es sich um belastende Maßnahmen oder aber Leistungen handelt. Nach der h.M. dagegen fällt eine schlichte Leistung des Staates nicht unter den Vorbehalt des Gesetzes. Es reicht danach grundsätzlich aus, dass die Leistungen im Haushaltsplan zur Verfügung gestellt werden. Dies gilt nur dann ausnahmsweise nicht, wenn die Leistungen in Grundrechte eingreifen. Für die h.M. spricht das praktische Argument, dass es zu vielfältige Verwaltungshandlungen gibt, um alle gesetzlich zu regeln.

5. U könnte einen Anspruch auf Gewährung der Corona-Hilfen aus dem Haushaltsplan haben.

Nein, das ist nicht der Fall!

Die Tatsache, dass die Verwaltung Leistungen durch einen Haushaltsplan zur Verfügung stellt, begründet keine Anspruchsgrundlage für die Gewährung dieser Leistung. Durch den Haushaltsplan können Verbindlichkeiten weder begründet noch aufgehoben werden. Er ist lediglich eine Grundlage für Ausgaben der Exekutive. U kann keinen Anspruch auf Gewährung der Hilfen aufgrund des Haushaltsplans geltend machen. Auch Richtlinien, die die Behörde zur Gewährung der Prämien aufgestellt hat, können als behördliches Innenrecht für sich genommen keine unmittelbare Anspruchsgrundlage sein.

6. U hat möglicherweise einen Anspruch auf Gewährung der Corona-Hilfen aus Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. der Verwaltungspraxis.

Ja, in der Tat!

Gewährt die Verwaltung eine Leistung ohne gesetzliche Grundlage, kann sich ein Anspruch des Bürgers nur aus dem Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung ergeben. Der Anspruch folgt aus Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. der Verwaltungspraxis: Regeln Verwaltungsvorschriften die Vergabe einer Leistung, so hat der Leistungsbewerber einen Teilhabeanspruch darauf, nach den festgelegten bzw. praktizierten behördlichen Grundsätzen berücksichtigt zu werden. L hat die Gewährung der Corona-Hilfen durch Richtlinien (= Verwaltungsvorschriften) geregelt und danach bewilligt. Ausgehend hiervon könnte U einen Anspruch aus Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. der Verwaltungspraxis haben. U ist klagebefugt.

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GO

GO

17.9.2023, 18:24:09

Habe ich das so richtig verstanden, dass man immer dann einen Anspruch aus Art.3 I GG iVm der

Selbstbindung der Verwaltung

prüft, wenn keine andere gesetzliche Grundlage für einen Anspruch besteht? Hierzu hatte ich mal einen Fall aus der ZJS bearbeitet, wonach für einen Anspruch auf Aufhebung der Sperrung bzw. Freischaltung des Accounts einer Fan-Page eines öffentlich-rechtlichen Rundfunkbetreibers (ZDF) der Art.3 I GG iVm der

Selbstbindung der Verwaltung

geprüft wurde.

Sambajamba10

Sambajamba10

28.11.2023, 18:48:29

Hey, das ist meines Erachtens nicht richtig. Man prüft die

Selbstbindung der Verwaltung

ja nur, wenn es einen Anlass dazu gibt. Also wenn die Verwaltung eben in gleichgelagerten Fällen rechtmäßig immer auf die gleiche Weise entscheidet. In allen Fallgestaltungen pauschal darauf zurückzugreifen, ergäbe demnach für mich keinen Sinn. Zudem vermengst du möglicherweise verschiedene Bereiche miteinander. Hier folgt ja der Anspruch nicht gerade daraus, dass es keine sonstigen (gesetzlichen) Anspruchsgrundlagen für das Begehren des U gibt (auch wenn das hier zumindest der Fall ist), sondern aus dem Grund, dass die Leistungsverwaltung selbst ohne formell-materielle Gesetzesgrundlage begünstigend tätig wird. So sind aber einige Fälle denkbar, wo der Kläger neben einer gesetzlichen AGL zumindest theoretisch auch auf Art. 3 I iVm der Verwaltungspraxis abstellen könnte, um sein Begehren zu verfolgen.

GO

GO

30.11.2023, 12:10:54

Stimmt! Du hast Recht, dass es es sich bei meiner Frage um zwei verschiedene Konstellationen handelt. Aber in dem Fall aus der ZJS wurde eben gerade keine andere AGL angesprochen. Oder hätte man sich hier auch auf den allgemeinen Anspruch auf den Zugang zu einer öffentlich-rechtlichen Einrichtung nach §10 GemO BW stützen können? Ich glaube, dass mich das dann verwirrt hat..


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