Öffentliches Recht

VwGO

Verpflichtungsklage

Klagebefugnis bei Verpflichtungsklage: Anspruch aus einem Grundrecht: Art. 3 Abs. 1 GG (Selbstbindung der Verwaltung 2)

Klagebefugnis bei Verpflichtungsklage: Anspruch aus einem Grundrecht: Art. 3 Abs. 1 GG (Selbstbindung der Verwaltung 2)

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Klassisches Klausurproblem

Ministerium M gewährt nach seinem Haushaltsplan und Verwaltungsrichtlinien Prämien, wenn Eigentümer mindestens 5 Hektar Land verpachten. P beantragt eine Subvention für 4,5 Hektar. M lehnt die Subvention ab. M hat schon viele Subventionen an Verpächter von 4,5 Hektar bewilligt.

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Einordnung des Falls

Klagebefugnis bei Verpflichtungsklage: Anspruch aus einem Grundrecht: Art. 3 Abs. 1 GG (Selbstbindung der Verwaltung 2)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. P erhebt die statthafte Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO) auf Bewilligung der Prämie. P ist klagebefugt, wenn möglicherweise ein Anspruch auf Gewährung der Prämie besteht.

Ja!

Im Sinne des subjektiven Rechtsschutzes ist klagebefugt nur, wer in eigenen Rechten verletzt sein könnte (§ 42 Abs. 2 VwGO). Im Rahmen der Verpflichtungsklage ist der Kläger klagebefugt, wenn möglicherweise ein Anspruch auf Erlass des Verwaltungsakts besteht. Ausreichend ist, dass der geltend gemachte Anspruch nicht offensichtlich ausgeschlossen ist. P müsste geltend machen, einen möglichen Anspruch auf Gewährung der Prämie zu haben.
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2. Wenn die Gewährung der Prämie unter den Vorbehalt des Gesetzes fällt und M ohne gesetzliche Grundlage handelt, ist dies rechtswidrig. Dann würden keine Ansprüche auf Gewährung der Prämien bestehen.

Genau, so ist das!

Wenn staatliches Handeln unter den Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes (Art. 20 Abs. 3 GG) fällt, bedarf es für das Handeln einer gesetzlichen Grundlage. Wenn der Staat Leistungen ohne eine erforderliche gesetzliche Grundlage gewährt, ist dieses Verwaltungshandeln rechtswidrig. Im Sinne der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung können keine Ansprüche von Bürgern auf ein rechtswidriges Handeln der Verwaltung bestehen. Die Grundlage für die Prämiengewährung durch M besteht nur in Form des Haushaltsplans. Dies ist keine gesetzliche Grundlage. Wenn Ms Handeln unter den Vorbehalt des Gesetzes fällt, hat P von vornherein keinen Anspruch auf Erlass des Verwaltungsakts.

3. Die Gewährung von Leistungen fällt nach h.M. unter den Vorbehalt des Gesetzes. Mangels gesetzlicher Grundlage hat P daher keinen Anspruch auf Zahlung.

Nein, das trifft nicht zu!

Strittig ist, ob staatliche Leistungen gesetzlicher Grundlagen bedürfen. Nach der Lehre des Totalvorbehalts muss es für jede staatliche Handlung eine gesetzliche Grundlage geben, egal, ob es sich um belastende Maßnahmen oder aber Leistungen handelt. Nach der h.M. dagegen fällt eine schlichte Leistung des Staates nicht unter den Vorbehalt des Gesetzes. Es reicht danach grundsätzlich aus, dass die Leistungen im Haushaltsplan zur Verfügung gestellt werden. Dies gilt nur dann ausnahmsweise nicht, wenn die Leistungen in Grundrechte eingreifen. Für die h.M. spricht das praktische Argument, dass es zu vielfältige Verwaltungshandlungen gibt, um alle gesetzlich zu regeln.

4. P könnte einen Anspruch auf Gewährung der Prämie aus dem Haushaltsplan haben.

Nein!

Die Tatsache, dass die Verwaltung Leistungen durch einen Haushaltsplan zur Verfügung stellt, begründet keine Anspruchsgrundlage für die Gewährung dieser Leistung. Durch den Haushaltsplan können Verbindlichkeiten weder begründet noch aufgehoben werden. Er ist lediglich eine Grundlage für Ausgaben der Exekutive. P kann keinen Anspruch auf Gewährung der Prämie aufgrund des Haushaltsplans geltend machen. Auch Richtlinien, die die Behörde zur Gewährung der Prämien aufgestellt hat, können als Innenrecht für sich genommen keine unmittelbare Anspruchsgrundlage sein.

5. P hat möglicherweise einen Anspruch auf Gewährung der Prämie aus Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. der Verwaltungspraxis.

Genau, so ist das!

Gewährt die Verwaltung eine Leistung ohne gesetzliche Grundlage, kann sich ein Anspruch des Bürgers nur aus dem Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung ergeben. Der Anspruch folgt aus Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. der Verwaltungspraxis: Regeln Verwaltungsvorschriften die Vergabe einer Leistung, so hat der Leistungsbewerber einen Teilhabeanspruch darauf, nach den festgelegten bzw. praktizierten behördlichen Grundsätzen berücksichtigt zu werden. M hat die Gewährung der Prämien durch Richtlinien (= Verwaltungsvorschriften) geregelt und danach bewilligt. Ausgehend hiervon könnte P einen Anspruch aus Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. der Verwaltungspraxis haben.

6. P erfüllt nicht die Vorgaben, weil sie nur 4,5 Hektar Land verpachtet. Ein Anspruch aus Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. der Verwaltungspraxis ist damit offensichtlich ausgeschlossen.

Nein, das trifft nicht zu!

Die Verwaltungsvorschriften erlangen nur mittelbar über Art. 3 Abs. 1 GG Außenwirkung. Im Sinne des Vertrauensschutzes ist für den Anspruch aus Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. der Verwaltungspraxis nicht bedeutsam, was die Verwaltung in ihren (internen) Richtlinien festgeschrieben hat. Vielmehr ist die tatsächliche Verwaltungspraxis entscheidend. M hat die Prämien bereits wiederholt an Verpächter von 4,5 Hektar Land gewährt. Nach der tatsächlichen Verwaltungspraxis ist es nicht offensichtlich ausgeschlossen, dass P einen Anspruch auf Gewährung der Prämie hat. P ist klagebefugt.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

KATE

Kate

11.11.2021, 10:37:13

Hallo, wie genau prüft man den möglichen Anspruch aus Art. 3 I GG i.V.m. der Verwaltungspraxis dann in der Begründetheit der Klage?

VIC

Victor

12.11.2021, 09:44:27

Hey, hier meine Herangehensweise, die auf jeden Fall nicht zwingend bzw. verbindlich ist. Zuerst würde ich den möglichen Anspruch herleiten. Dabei würde ich auf den Gleichheitsgrundsatz eingehen. Das die Behörde grundsätzlich Ermessen hat. Es aber gerade im Hinblick auf Art. 3 GG Ausnahmen gibt. Dann würde ich prüfen, ob allgemein eine gewisse Verwaltungspraxis gilt und die Behörde sich selbst bindet. Schließlich würde ich prüfen, ob der Anspruchsinhaber auch von dieser Praxis erfasst ist.

Juraluchs

Juraluchs

2.9.2022, 11:30:55

Wenn der Haushaltsplan 5 Hektar zur Voraussetzung macht, müsste doch in Abhängigkeit von dessen Rechtsnatur ein Verstoß gegen den Vorrang des Gesetzes vorliegen und damit die Berufung auf Art. 3 I GG scheitern (

keine Gleichheit im Unrecht

). Nur ein spontaner Gedanke. Das Problem gäbe es natürlich nicht, wenn die Voraussetzung schlicht aus den Verwaltungsrichtlinien hervorgeht.

Nora Mommsen

Nora Mommsen

8.9.2022, 14:06:11

Hallo Juraluchs, du hast Recht, dass die Vergabe an Eigentümer, die die Kriterien nicht erfüllen, dann rechtswidrig wäre. Allerdings lässt sich aus dem Haushaltsgesetz mangels Außenwirkung kein Anspruch herleiten. Auch die Anfechtung der anderen Verwaltungsakte wäre mangels drittschützender Norm ausgeschlossen. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team


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