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Haftung der Erzeugnisse und getrennten Bestandteile – 2. Entfernung nach Beschlagnahme und Veräußerung
Haftung der Erzeugnisse und getrennten Bestandteile – 2. Entfernung nach Beschlagnahme und Veräußerung
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
E gehört ein Hausgrundstück auf dem eine Hypothek lastet. Im Haus ist eine Einbauküche eingebaut, die E an K veräußert. Das Gericht ordnet die Zwangsversteigerung an, der Versteigerungsvermerk ist im Grundbuch eingetragen. Nun holt der unwissende K die Küche vom Grundstück des E ab.
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Einordnung des Falls
Haftung der Erzeugnisse und getrennten Bestandteile – 2. Entfernung nach Beschlagnahme und Veräußerung
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Die Einbauküche ist Zubehör (§ 97 BGB) des Hauses.
Ja!
Jurastudium und Referendariat.
2. Die Küche gehört zum Haftungsverband der Hypothek.
3. Nach erfolgter Beschlagnahme ist eine Enthaftung stets ausgeschlossen.
Nein, das trifft nicht zu!
4. K hat gegenüber dem Hypothekar Eigentum an der Küche nach § 929 S. 1 BGB erlangt.
Nein!
5. K hat gegenüber dem Hypothekar gutgläubig Eigentum nach §§ 929 S. 1. 136, 135 Abs. 2 BGB, 932ff. BGB an der Küche erlangt.
Nein, das ist nicht der Fall!
6. K hat gegenüber dem Hypothekar gutgläubig Eigentum nach §§ 929 S. 1, 1121 Abs. 2 S. 1 BGB an der Küche erlangt.
Nein, das trifft nicht zu!
7. § 1121 bewirkt gegenüber den §§ 932ff. BGB eine Verschiebung bzgl. des Anknüpfungspunkts der Gutgläubigkeit.
Ja!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Gero1
4.6.2021, 20:31:10
Verstehe ich es richtig, dass der Gesetzgeber in solchen Situationen also mittelbar vom Käufer verlangt, er habe sich beim Grundbuchamt zu informieren, um tatsächlich Eigentum zu erwerben? Klingt für mich ziemlich unrealistisch 😅
Lukas_Mengestu
7.6.2021, 00:27:52
In der Tat, zumindest in den Fällen, in denen die Einbauküche als
Zubehördes Grundstücks einzuordnen ist. Da eine Küche oftmals auch keine ganz günstige Anschaffung ist, dürfte sich der Blick ins Grundbuch durchaus lohnen, wenn man auf Nummer sicher gehen will :D
Maurice Fritz
21.4.2023, 11:27:27
Eine ergänzende Frage: Welche Bedeutung hat denn der §1121 Abs. 2 Satz 1?
ajboby90
10.4.2024, 23:43:21
Das habe ich mich auch gefragt. Es muss wohl so sein, dass der Gesetzgeber davon ausgeht, dass jemand der ein
Zubehörteil von einem Grundstück erwirbt, die Pflicht hat sich zu informieren ob das
Zubehörnicht zum Haftungsverband einer Hypothek gehört. Jedenfalls solange es in räumlicher Beziehung zum Grundstück steht ... nach der Entfernung kann er das nicht wissen.
CR7
6.8.2024, 12:07:23
Machen wir uns nicht vor, dass das nicht so leicht zugänglich ist beim ersten Mal. Ich teile hier gern mal meinen Spickzettel, der im Wesentlichen auf MüKo/Lieder, BGB, 2023, § 1121 Rn. 22-34 beruht und auf diesem Video: https://www.youtube.com/watch?v=xDyLqx0YXEI&t=2603s Und die Aufgaben bei JF finde ich sehr gut! Vertiefte Zusammenfassung:
Haftungsverband der Hypothekund
Enthaftung1. Was ist der Haftungsverband einer Hypothek? Der Haftungsverband einer Hypothek umfasst all jene Gegenstände, die zur Sicherung der Hypothek dienen. Dies ist in §
1120 BGBgeregelt und beinhaldet: a) Das Grundstück selbst: Dies ist selbstverständlich und bedarf keiner weiteren Erklärung. b) Wesentliche Bestandteile des Grundstücks (§§ 93,
94 BGB): - Dies sind Sachen, die fest mit dem Grundstück verbunden sind. - Beispiel: Ein Haus auf dem Grundstück ist rechtlich kein eigenständiger Gegenstand, sondern Teil des Grundstücks. c) Erzeugnisse des Grundstücks (§ 99 BGB): - Solange sie nicht getrennt sind, gelten sie als Bestandteile. - Nach der Trennung fallen sie nur in den Haftungsverband, wenn sie im Eigentum des Grundstückseigentümers stehen (§ 953 BGB). d)
Zubehördes Grundstücks (§§ 97, 98 BGB): - Bewegliche Sachen, die dem wirtschaftlichen Zweck des Grundstücks dienen. - Beispiel: Ein Traktor auf einem Bauernhof. Wichtig: Der Haftungsverband erstreckt sich auch auf Miet- und Pachtzinsforderungen (§ 1123 BGB) sowie Versicherungsforderungen (§ 1
127 BGB). 2. Welche Phasen gibt es im Kontext der
Enthaftung? Im Kontext der
Enthaftungsind drei Ereignisse von zentraler Bedeutung: 1. Veräußerung (V): Die dingliche
Übereignungeiner beweglichen Sache, ohne dass das Grundstück mitübereignet wird. 2. Entfernung (E): Die dauerhafte räumliche Trennung der Sache vom Grundstück. 3. Beschlagnahme (B): Der Beginn der Zwangsvollstreckung, in der Regel durch Anordnung der Zwangsversteigerung (§ 20 ZVG). Die Beschlagnahme bewirkt ein relatives Veräußerungsverbot (§ 23 Abs. 1 ZVG). 3. Wie kann man diese Phasen einteilen? Die möglichen Reihenfolgen lassen sich nach dem jeweils letzten Ereignis kategorisieren: 1. Beschlagnahme zuletzt: V-E-B und E-V-B 2. Entfernung zuletzt: V-B-E und B-V-E 3. Veräußerung zuletzt: E-B-V und B-E-V Eine Sonderkonstellation ist V-B-E, bei der die Beschlagnahme zwischen Veräußerung und Entfernung erfolgt. 4. Welche Rechtsfolgen haben die verschiedenen Phasen? a) Beschlagnahme zuletzt (V-E-B und E-V-B): -
Enthaftungtritt ein nach § 1121 Abs. 1 BGB - Guter Glaube des Erwerbers ist irrelevant - Begründung: Die Sache hat den Haftungsverband bereits verlassen, bevor die Beschlagnahme wirksam wurde b) Entfernung zuletzt (V-B-E oder B-V-E): -
Enthaftungnach § 1121 Abs. 2 S. 2 BGB möglich - Guter Glaube des Erwerbers bei der Entfernung ist entscheidend - Maßgeblicher Zeitpunkt für den guten Glauben ist die Entfernung, nicht die Veräußerung c) Veräußerung zuletzt (E-B-V oder B-E-V): - Zwei Möglichkeiten: 1. Wenn die Entfernung § 1
122 BGBerfüllt (im Rahmen ordnungsmäßiger Wirtschaft):
Enthaftungtritt ein 2. Wenn nicht: Gutgläubiger Erwerb bezüglich des Veräußerungsverbots möglich (§§ 135, 136,
932ff. BGB) d) Sonderfall (V-B-E): - § 1121 Abs. 2 S. 1 BGB verhindert gutgläubigen lastenfreien Erwerb - Verfügung wird nachträglich relativ unwirksam -
Enthaftungnur bei Gutgläubigkeit bezüglich der Beschlagnahme möglich → Vertiefung: Ausgangslage (V-B-E): Veräußerung erfolgt zuerst Dann kommt die Beschlagnahme Zuletzt erfolgt die Entfernung Möglichkeit des gutgläubigen Erwerbs: Auch hier ist ein gutgläubiger Erwerb möglich, aber er bezieht sich auf die Beschlagnahme, nicht auf die Hypothek. § 1121 Abs. 2 S. 2 BGB ist hier anwendbar. Entscheidender Zeitpunkt: Der maßgebliche Zeitpunkt für den guten Glauben ist hier die Entfernung, nicht die Veräußerung. Der Erwerber muss also bei der Entfernung gutgläubig in Bezug auf die Beschlagnahme sein. Voraussetzungen für den gutgläubigen Erwerb: Der Erwerber darf im Moment der Entfernung keine Kenntnis von der Beschlagnahme haben. Er darf auch nicht grob fahrlässig unwissend sein. Wichtig zu beachten: Ein Versteigerungsvermerk im Grundbuch würde den guten Glauben ausschließen (§ 23 Abs. 2 ZVG). Der gute Glaube bezieht sich nur auf die Beschlagnahme, nicht auf die Existenz der Hypothek. Wirkung bei erfolgreichem gutgläubigen Erwerb: Wenn der Erwerber gutgläubig ist, erwirbt er das Eigentum frei von der Hypothek. Die Sache scheidet aus dem Haftungsverband aus (
Enthaftung). 5. Wie kann man problematische Situationen überwinden? a) Bei Beschlagnahme vor Entfernung: - Gutgläubiger Erwerb möglich, wenn der Erwerber die Beschlagnahme nicht kannte (§ 1121 II S. 2 BGB) - Achtung: Versteigerungsvermerk im Grundbuch schließt guten Glauben aus (§ 23 Abs. 2 ZVG) b) Bei Entfernung vor Beschlagnahme: -
Enthaftungnach § 1
122 BGB, wenn Entfernung im Rahmen ordnungsgemäßer Wirtschaft - Sonst: Gutgläubiger Erwerb hinsichtlich des Veräußerungsverbots möglich, welches durch die Beschlagnahme entsteht c) Generell: - Guter Glaube bezieht sich nur auf die Beschlagnahme oder das Veräußerungsverbot, nicht auf die Hypothek - §
936 BGB(gutgläubiger lastenfreier Erwerb) ist nicht anwendbar 6. Auch auf Grundschuld übertragbar? 5. Die Regelungen gelten über § 1192 Abs. 1 BGB auch für Grundschulden. 7. Mögliche Klausurkonstellationen 1. Prüfung des
Duldungsanspruchs nach §
1147 BGB2. Verhinderung der
Enthaftungdurch die Bank (§§ 1134, 1135 BGB) 3. Schadensersatzansprüche bei erfolgter
Enthaftung(§ 823 BGB) 4. Zwangsvollstreckungsrechtliche Probleme (z.B. Drittwiderspruchsklage nach § 771 ZPO)
CR7
6.8.2024, 12:08:42
Sorry, die Formatierung hat es leider nicht übernommen. :/
Stella
16.8.2024, 13:37:27
Wow richtig toller Kommentar, danke!! Hab es so aufgeschlüsselt tatsächlich noch viel besser verstehen können :)
Flohm
24.10.2024, 12:45:47
Vielen vielen Dank @[CR7](145419) ! Die Jura-Fuchs-Community ist einfach klasse
frausummer
9.10.2024, 08:42:33
Vielleicht ist es noch zu früh für meinen Kopf, aber in § 1211 II 2 steht doch, dass der Erwerber in Ansehnung der Beschlagnahme NICHT in gutem Glauben ist. Weshalb kann er dann das Eigentum erwerben, wenn er gutgläubig war?
Leo Lee
13.10.2024, 06:29:16
Hallo frausummer, vielen Dank für die sehr gute und wichtige Frage! In der Tat steht in der Norm, dass die Beschlagnahme vor Entfernung nur dann wirksam ist, wenn der Erwerber NICHT gutgläubig war. D.h., wenn er bei Entfernung um die Beschlagnahme in dem Moment wusste, kann er sich nicht hierauf berufen. Wenn er aber gerade gutgläubig war, dann ist eben die Beschlagnahme ihm ggü. NICHT wirksam (denn dafür muss er ja gerade NICHT gutgläubig sein). Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre vom MüKo-BGB 9. Auflage, Rn. 22 ff. sehr empfehlen :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo