Unzulässige Immissionen gem. § 906 BGB
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Jurist J ist glühender Fan der Heavy Metal Band Iron Maiden. Um auch andere in Begeisterung zu versetzen, dreht J die Anlage in seinem Haus um 23 Uhr voll auf. Der Nachbar N (ebenfalls Eigentümer) möchte dies unterbinden, da er nicht schlafen kann.
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Einordnung des Falls
Unzulässige Immissionen gem. § 906 BGB
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. N könnte gegen J einen Anspruch auf Einstellung der Besitzstörung aus § 862 BGB haben.
Genau, so ist das!
Jurastudium und Referendariat.
2. J hat den Besitz des N an seiner Wohnung gestört (§ 862 Abs. 1 BGB), indem er nachts laut Musik hörte.
Ja, in der Tat!
3. Die Besitzstörung könnte auch durch verbotene Eigenmacht erfolgt sein (§ 858 Abs. 1 BGB).
Ja!
4. Das nächtliche Musikhören ist widerrechtlich, wenn N dies nach § 906 Abs. 1 BGB dulden muss.
Nein, das ist nicht der Fall!
5. Bei der Musik handelt es sich um eine Immission (§ 906 BGB).
Ja, in der Tat!
6. N muss die Musik dulden, da es sich nur um unwesentliche bzw. nicht verhinderbare ortsübliche Beeinträchtigungen handelt (§ 906 Abs. 1 S. 1 BGB).
Nein!
7. J ist Störer (§ 862 BGB).
Ja, in der Tat!
8. N hat gegen J einen Anspruch auf Einstellung der Besitzstörung aus § 862 BGB.
Ja!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
JoJoJo
24.4.2021, 14:40:52
Wo ist denn hier der Unterschied zum Berufsmusikerfall, den ihr online habt (BGH, 26.10.2018), und der über 1004 und nicht 862 gelöst wird?
Tigerwitsch
25.4.2021, 00:23:08
Ich denke, der Unterschied liegt zunächst darin, dass der Anspruch aus §
1004 BGBfür den Eigentümer und §
862 BGBder des Besitzers ist. Natürlich kann es sein, dass ein Eigentümer (und gleichzeitiger Besitzer) beide Ansprüche gelten machen kann. Inhaltlicher Art unterscheiden sich die Fälle vor allem darin, dass im vorliegenden die Musik in der Nacht abgespielt wird. Im Berufsmusikerfall sind lediglich Abendstunden o.ä. tangiert. Dort ging es darum, dass der BGH feststellte, dass eine rein individuelle Betrachtung der Belange des Nachbarn auszubleiben hat (Arg.: Ansonsten könnte der Berufsmusiker nie üben bzw Training abhalten, weil es immer jemand geben würde, der sich beschwert). Als Grenzen hat das Gericht dort jedoch u.a. die allgemeinen Ruhezeiten angesehen. Ebenso wie hier (Nacht)
JoJoJo
25.4.2021, 06:10:47
Danke, Tigerwitsch! Also hätten wir hier in beiden Fällen (da beide Anspruchsteller Eigentümer sind) 862 und 1004 zusammen als AGL prüfen können, weil sich die Voraussetzungen im Grunde ähneln? Und das wäre dann vollständiger gewesen?
Tigerwitsch
25.4.2021, 12:44:12
Ich würde sagen, man kann vorliegend beide AGL gleichzeitig bejahen.
Tigerwitsch
25.4.2021, 12:44:55
Bzw anprüfen...
Lukas_Mengestu
11.5.2021, 16:12:31
Hallo JoJoJo, vielen Dank für deine gute Frage. Wie Tigerwitsch schon ausgeführt hat, unterscheiden sich §
862 BGBund §
1004 BGBin erster Linie auf der tatbestandlichen Ebene, da einmal der Besitz und das andere Mal das Eigentum geschützt werden, was aber häufig zusammenfällt. Im Zivilrecht wirst Du in vielen Fällen vor dem Problem stehen, dass es mehr als eine Anspruchsgrundlage (AGL) gibt. Gerade in den Gutachten-Klausuren im ersten Examen wird hier verlangt, dass Du auf alle in Betracht kommenden kurz eingehst und diese erläuterst. Anders ist dies, wenn Du während des Referendariates ein Urteil schreibst. Sobald eine AGL bejaht wird, gewinnt der Kläger seine Klage. Ob daneben noch 4 weitere Ansprüche vorliegen interessiert die Richterin nun wenig.
Lukas_Mengestu
11.5.2021, 16:15:30
In unseren systematischen Kursen fokussieren wir uns ebenfalls in der Regel auf ein Problemfeld. Die Fälle hier sind insoweit häufig nicht abschließend zu verstehen. Das heißt, neben den behandelten Ansprüchen kommen regelmäßig auch andere Ansprüche in Betracht, weswegen Dir manche Fälle beim Durchspielen an unterschiedlichen Standorten wieder begegnen werden. Viel Spaß weiterhin und beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
ri
19.7.2021, 22:30:45
Falls sich jemand fragt, was „unwägbare Stoffe“ / Imponderabilien sind: man kann sie nicht auf die Waage legen Vielleicht trivial, aber ich habe das nicht sofort gecheckt
Blotgrim
27.10.2022, 11:44:17
Also wenn ich die Aufgabe richtig verstanden habe steht in der einen Frage, das das Handeln rechtswidrig ist, wenn eine
Duldungspflicht des N besteht. Ist es nicht genau anders herum ?
Lukas_Mengestu
27.10.2022, 16:58:22
Hallo Blotgrim, in der Tat war die Frage so gestellt. Die Antwort darauf war allerdings: "Stimmt nicht" Denn wie Du schon richtig ausgeführt hast, ist eine Störung rechtmößig, wenn der Nachbar verpflichtet ist, sie zu dulden. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Diaa
15.10.2023, 13:38:13
Ist § 866 etwa eine Ausschlussnorm?
Paulah
15.10.2023, 17:41:10
§ 866 kommt in der Aufgabe gar nicht vor. Was meinst du?
Diaa
15.10.2023, 17:50:14
Das war nicht auf diese Aufgabe bezogen, sondern generell.
CR7
10.1.2024, 10:44:02
§ 866 kommt hier gar nicht zur Anwendung, da J und N zumindest nicht Mitbesitzer derselben Wohnung sind. Es kommt hier nicht auf das Mehrfamilienhaus an, sondern auf den Besitz der jeweils einzelnen Wohnungen.