Zivilrecht

Sachenrecht

Der Besitzschutz

Unzulässige Immissionen gem. § 906 BGB

Unzulässige Immissionen gem. § 906 BGB

22. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Jurist J ist glühender Fan der Heavy Metal Band Iron Maiden. Um auch andere in Begeisterung zu versetzen, dreht J die Anlage in seinem Haus um 23 Uhr voll auf. Der Nachbar N (ebenfalls Eigentümer) möchte dies unterbinden, da er nicht schlafen kann.

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Einordnung des Falls

Unzulässige Immissionen gem. § 906 BGB

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. N könnte gegen J einen Anspruch auf Einstellung der Besitzstörung aus § 862 BGB haben.

Genau, so ist das!

Der Störungsbeseitigungsanspruch aus § 862 Abs. 1 S. 1 BGB hat folgende Voraussetzungen: (1) Störung des Besitzes durch verbotene Eigenmacht, (2) der Anspruchsgegner muss Störer sein, (3) kein Ausschluss des Anspruchs nach § 862 Abs. 2 BGB und (4) kein Erlöschen des Anspruchs nach § 864 BGB.
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2. J hat den Besitz des N an seiner Wohnung gestört (§ 862 Abs. 1 BGB), indem er nachts laut Musik hörte.

Ja, in der Tat!

Eine Besitzstörung ist die Beeinträchtigung des unmittelbaren Besitzes durch einen Eingriff in den Bestand der tatsächlichen Sachherrschaft. Zur tatsächlichen Sachherrschaft über eine Wohnung gehört auch, zu Ruhezeiten in dieser ohne gravierende Beeinträchtigungen schlafen zu können. Dies kann N aufgrund der lauten Musik nicht.

3. Die Besitzstörung könnte auch durch verbotene Eigenmacht erfolgt sein (§ 858 Abs. 1 BGB).

Ja!

Verbotene Eigenmacht (§ 858 Abs. 1 BGB) ist jede widerrechtlich vorgenommene Beeinträchtigung des unmittelbaren Besitzers in der Ausübung seiner tatsächlichen Sachherrschaft. Widerrechtlich ist die Besitzbeeinträchtigung, wenn sie ohne den Willen des Besitzers erfolgt und gesetzlich nicht besonders gestattet ist. Die Beeinträchtigung kann in einer Sachentziehung oder in einer sonstigen Störung bestehen. J beeinträchtigte den N ohne dessen Willen in seinem Besitz. Fraglich ist aber, ob dies widerrechtlich erfolgte.

4. Das nächtliche Musikhören ist widerrechtlich, wenn N dies nach § 906 Abs. 1 BGB dulden muss.

Nein, das ist nicht der Fall!

Widerrechtlich ist die Besitzbeeinträchtigung, wenn sie ohne den Willen des Besitzers erfolgt und gesetzlich nicht besonders gestattet ist. Sofern eine Duldungspflicht nach § 906 Abs. 1 BGB besteht, handelte J somit rechtmäßig. Eine Duldungspflicht aus § 906 BGB besteht unter folgenden Voraussetzungen: (1) Vorliegen einer Immission, (2) Unwesentlichkeit der Einwirkung oder um eine wesentliche, aber ortsübliche Beeinträchtigung, die nicht mit wirtschaftlich zumutbaren Mitteln verhindert werden kann.

5. Bei der Musik handelt es sich um eine Immission (§ 906 BGB).

Ja, in der Tat!

Immissionen sind Einwirkungen auf andere Grundstücke, die in der Regel in ihrer Ausbreitung weitgehend unkontrollierbar und unbeherrschbar sind. § 906 Abs. 1 S. 1 BGB benennt in seiner beispielhaften Aufzählung "Geräusche" als Immission. Laute Musik verursacht Geräusche. Die Rspr. hat diverse Musik unter "Geräusche" subsumiert, etwa Hausmusik, Musik einer Kirche, Volksfest usw. Die vorliegenden Geräusche sind auch grundstücksüberschreitend.

6. N muss die Musik dulden, da es sich nur um unwesentliche bzw. nicht verhinderbare ortsübliche Beeinträchtigungen handelt (§ 906 Abs. 1 S. 1 BGB).

Nein!

Eine Duldungspflicht aus § 906 BGB besteht nur, wenn es sich um unwesentliche Einwirkungen handelt oder um eine wesentliche, aber ortsübliche Beeinträchtigung, die nicht mit wirtschaftlich zumutbaren Mitteln verhindert werden kann. Bei den durch die Musik verursachten Geräuschen handelt es sich um Immissionen. Ob eine Beeinträchtigung wesentlich oder unwesentlich ist, richtet sich ausgehend vom Empfinden eines verständig wertenden Durchschnittsmenschen nach einer Interessenabwägung. Der verständig wertende Durchschnittsmensch empfindet nächtliche laute Musik als wesentliche Beeinträchtigung. Diese ist auch nicht ortsüblich.

7. J ist Störer (§ 862 BGB).

Ja, in der Tat!

Störer ist derjenige, der die Besitzstörung durch seine Handlung selbst bewirkt hat (unmittelbarer Handlungsstörer). Zum anderen ist Störer, wer einen Dritten durch seine Willensbetätigung zur Störung bestimmt (mittelbarer Handlungsstörer). Weiterhin ist Störer, wer durch eine Sache die Störung verursachte (Zustandsstörer). J ist hier sowohl Handlungs- als auch Zustandsstörer. Zum einen hat J die Musik selbst laut aufgedreht, zum anderen verursacht J die Störung durch seine Anlage.

8. N hat gegen J einen Anspruch auf Einstellung der Besitzstörung aus § 862 BGB.

Ja!

Der Störungsbeseitigungsanspruch aus § 862 Abs. 1 S. 1 BGB hat folgende Voraussetzungen: (1) Störung des Besitzes durch verbotene Eigenmacht, (2) der Anspruchsgegner muss Störer sein, (3) kein Ausschluss des Anspruchs nach § 862 Abs. 2 BGB und (4) kein Erlöschen des Anspruchs nach § 864 BGB. J beeinträchtigte den Besitz des N durch das Aufdrehen der Musik. Da N darin nicht eingewilligt hatte und dies auch nicht dulden musste, handelte J mit verbotener Eigenmacht. J ist ebenso Störer. Der Anspruch ist auch nicht nach § 862 Abs. 2 BGB ausgeschlossen oder nach § 864 BGB erloschen.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

JOJ

JoJoJo

24.4.2021, 14:40:52

Wo ist denn hier der Unterschied zum Berufsmusikerfall, den ihr online habt (BGH, 26.10.2018), und der über 1004 und nicht 862 gelöst wird?

Tigerwitsch

Tigerwitsch

25.4.2021, 00:23:08

Ich denke, der Unterschied liegt zunächst darin, dass der Anspruch aus §

1004 BGB

für den Eigentümer und §

862 BGB

der des Besitzers ist. Natürlich kann es sein, dass ein Eigentümer (und gleichzeitiger Besitzer) beide Ansprüche gelten machen kann. Inhaltlicher Art unterscheiden sich die Fälle vor allem darin, dass im vorliegenden die Musik in der Nacht abgespielt wird. Im Berufsmusikerfall sind lediglich Abendstunden o.ä. tangiert. Dort ging es darum, dass der BGH feststellte, dass eine rein individuelle Betrachtung der Belange des Nachbarn auszubleiben hat (Arg.: Ansonsten könnte der Berufsmusiker nie üben bzw Training abhalten, weil es immer jemand geben würde, der sich beschwert). Als Grenzen hat das Gericht dort jedoch u.a. die allgemeinen Ruhezeiten angesehen. Ebenso wie hier (Nacht)

JOJ

JoJoJo

25.4.2021, 06:10:47

Danke, Tigerwitsch! Also hätten wir hier in beiden Fällen (da beide Anspruchsteller Eigentümer sind) 862 und 1004 zusammen als AGL prüfen können, weil sich die Voraussetzungen im Grunde ähneln? Und das wäre dann vollständiger gewesen?

Tigerwitsch

Tigerwitsch

25.4.2021, 12:44:12

Ich würde sagen, man kann vorliegend beide AGL gleichzeitig bejahen.

Tigerwitsch

Tigerwitsch

25.4.2021, 12:44:55

Bzw anprüfen...

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

11.5.2021, 16:12:31

Hallo JoJoJo, vielen Dank für deine gute Frage. Wie Tigerwitsch schon ausgeführt hat, unterscheiden sich §

862 BGB

und §

1004 BGB

in erster Linie auf der tatbestandlichen Ebene, da einmal der Besitz und das andere Mal das Eigentum geschützt werden, was aber häufig zusammenfällt. Im Zivilrecht wirst Du in vielen Fällen vor dem Problem stehen, dass es mehr als eine Anspruchsgrundlage (AGL) gibt. Gerade in den Gutachten-Klausuren im ersten Examen wird hier verlangt, dass Du auf alle in Betracht kommenden kurz eingehst und diese erläuterst. Anders ist dies, wenn Du während des Referendariates ein Urteil schreibst. Sobald eine AGL bejaht wird, gewinnt der Kläger seine Klage. Ob daneben noch 4 weitere Ansprüche vorliegen interessiert die Richterin nun wenig.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

11.5.2021, 16:15:30

In unseren systematischen Kursen fokussieren wir uns ebenfalls in der Regel auf ein Problemfeld. Die Fälle hier sind insoweit häufig nicht abschließend zu verstehen. Das heißt, neben den behandelten Ansprüchen kommen regelmäßig auch andere Ansprüche in Betracht, weswegen Dir manche Fälle beim Durchspielen an unterschiedlichen Standorten wieder begegnen werden. Viel Spaß weiterhin und beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

ri

ri

19.7.2021, 22:30:45

Falls sich jemand fragt, was „unwägbare Stoffe“ / Imponderabilien sind: man kann sie nicht auf die Waage legen Vielleicht trivial, aber ich habe das nicht sofort gecheckt

BL

Blotgrim

27.10.2022, 11:44:17

Also wenn ich die Aufgabe richtig verstanden habe steht in der einen Frage, das das Handeln rechtswidrig ist, wenn eine

Duldung

spflicht des N besteht. Ist es nicht genau anders herum ?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

27.10.2022, 16:58:22

Hallo Blotgrim, in der Tat war die Frage so gestellt. Die Antwort darauf war allerdings: "Stimmt nicht" Denn wie Du schon richtig ausgeführt hast, ist eine Störung rechtmößig, wenn der Nachbar verpflichtet ist, sie zu dulden. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

DIAA

Diaa

15.10.2023, 13:38:13

Ist § 866 etwa eine Ausschlussnorm?

Paulah

Paulah

15.10.2023, 17:41:10

§ 866 kommt in der Aufgabe gar nicht vor. Was meinst du?

DIAA

Diaa

15.10.2023, 17:50:14

Das war nicht auf diese Aufgabe bezogen, sondern generell.

CR7

CR7

10.1.2024, 10:44:02

§ 866 kommt hier gar nicht zur Anwendung, da J und N zumindest nicht Mitbesitzer derselben Wohnung sind. Es kommt hier nicht auf das Mehrfamilienhaus an, sondern auf den Besitz der jeweils einzelnen Wohnungen.


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