Einführungsfall: Beurteilungsgrundlage der sachlichen Zuständigkeit

11. Juli 2025

7 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A wird vor dem Amtsgericht angeklagt. Die Vorsitzende rechnet zwar mit einer Strafe unter 4 Jahren, hält aber auch eine Strafe von knapp über vier Jahren für möglich. A wird schließlich nur zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und acht Monaten verurteilt. A geht in Revision. Er meint, das Landgericht sei zuständig gewesen.

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Einordnung des Falls

Einführungsfall: Beurteilungsgrundlage der sachlichen Zuständigkeit

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. As Revision ist begründet, wenn eine Verfahrensvoraussetzung fehlte (§ 337 Abs. 1 StPO).

Ja!

Die Revision ist begründet, wenn das Urteil auf dem Fehlen einer Verfahrensvoraussetzung, einer verfahrensrechtlichen oder einer sachlichrechtlichen Gesetzesverletzung beruht.
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2. Das Vorliegen der sachlichen Zuständigkeit ist eine Verfahrensvoraussetzung (§ 6 StPO).

Genau, so ist das!

Nach § 6 StPO ist die sachliche Zuständigkeit in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen. Bei sachlicher Unzuständigkeit darf keine Sachentscheidung ergehen. Daraus leitet man her, dass die sachliche Zuständigkeit eine Verfahrensvoraussetzung ist.Achtung: Die sachliche Zuständigkeit ist daher nicht erst als absoluter Revisionsgrund (§§ 337, 338 Nr. 4 StPO), sondern bereits bei den von Amts wegen zu prüfenden Verfahrensvoraussetzungen zu prüfen!

3. Das Schöffengericht ist bei einer Strafe von über vier Jahren sachlich zuständig.

Nein, das trifft nicht zu!

Das Amtsgericht ist für Strafsachen zuständig, bei denen die zu erwartende Strafe vier Jahre nicht übersteigt (§ 24 Abs. 1 Nr. 2, § 74 Abs. 1 S. 2 GVG). Der Strafrichter darf nur über Vergehen entscheiden, die Privatklagedelikte sind oder denen eine Straferwartung von nicht mehr als zwei Jahren zugrunde liegt (§ 25 GVG). Im Übrigen, insbesondere bei Verbrechen, ist das Schöffengericht zuständig (§ 28 GVG). Bei einer Straferwartung von über vier Jahren ist das Landgericht sachlich zuständig (§ 74 Abs. 1 S. 2 GVG). Die Landgerichte sind auch zuständig für alle Straftaten, bei denen die Unterbringung (§ 63 StGB) oder Sicherungsverwahrung (§ 66 StGB) zu erwarten ist oder bei denen die Staatsanwaltschaft nach § 24 Abs. 1 Nr. 3 GVG Anklage beim Landgericht erhebt (§ 24 Abs. 1 Nr. 2, 3 GVG, § 74 Abs. 1 GVG).

4. Da bei Eröffnung des Hauptverfahrens eine Strafe von über vier Jahren zu erwarten war, war letztlich das Landgericht sachlich zuständig und die Revision hat Erfolg.

Nein!

Das Landgericht ist für Strafsachen zuständig, bei denen die zu erwartenden Strafe vier Jahre übersteigt (§ 24 Abs. 1 Nr. 2, § 74 Abs. 1 S. 1 GVG). Für die Bestimmung der sachlichen Zuständigkeit kommt es im Rahmen der Revision darauf an, ob der Tatrichter nach den Urteilsfeststellungen bei zutreffender rechtlicher Beurteilung der Tat zuständig war. Im Rahmen der Prognoseentscheidung nach §§ 24 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, 25 Nr. 2 GVG kommt es darauf an, ob diese Entscheidung ex ante mit Blick auf die zu erwartende Strafe vertretbar erschien. Allein die Tatsache, dass A zu einer Freiheitsstrafe unter 4 Jahren verurteilt wurde, rechtfertigt revisionsrechtlich nicht die sachliche Zuständigkeit. Immerhin hielt der Vorsitzende auch eine Strafe knapp über 4 Jahre für möglich, für deren Verhängung er nicht mehr zuständig gewesen wäre. Letztlich erwartete der Vorsitzende eher eine Strafe unter 4 Jahren und rechnete höchstens mit einer Strafe knapp über 4 Jahren. Diese Prognoseentscheidung dürfte hier noch vertretbar sein, zumal „der relevante Sachverhalt und die Persönlichkeit des Angekl[agten] sich am Ende der Hauptverhandlung häufig anders darstellen als nach Aktenlage bei Eröffnung des Hauptverfahrens“ (BGH NJW 1997, 204, 206). Für den Vorsitzenden besteht während des Verfahrens natürlich ohnehin jederzeit die Möglichkeit, die Sache an ein Gericht höherer Ordnung abzugeben (§ 209 Abs. 2 StPO, § 225a Abs. 2 StPO, § 270 Abs. 1 StPO).
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

JURA

juravulpes

31.3.2024, 14:07:10

Ist es wirklich korrekt, hinsichtlich der sachlichen Zuständigkeit ausschließlich auf die tatrichterlichen Feststellungen abzustellen? Dann könnte die StA einen Totschlag zum Strafrichter anklagen und wenn sich im Verfahren herausstellt, dass der Angeklagte sich mangels Vorsatzes nur wegen fahrlässiger Tötung strafbar gemacht hat, läge kein Verfahrenshindernis vor.

JURAFU

jurafuchsles

18.7.2024, 10:15:29

Meiner Meinung nach ist es bei einer Willkürannahme durch das Gericht anders, dann ist es unzuständig.

Nocebo

Nocebo

29.10.2024, 11:37:09

Auf welchen Zeitpunkt abzustellen ist, ist umstritten. Allerdings ist es die im MGS kommentierte hM, die richtige rechtliche Würdigung ( =/= tatrichterliche rechtliche Würdigung) auf Basis der tatrichterlichen Feststellungen zugrunde zu legen, der man in Klausuren auch folgen sollte.

glaenzejenseitsvonnullundachtzehn

glaenzejenseitsvonnullundachtzehn

5.3.2025, 15:57:11

@[juravulpes](240712) eine Anklage zum Strafrichter wäre aber auch deshalb schon unzulässig, weil dieser nach §25 GVG nur für Vergehen zuständig ist.


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