Referendariat

Die Revisionsklausur im Assessorexamen

Begründetheit I: Vorliegen der Verfahrensvoraussetzungen

Sachliche Zuständigkeit - Entscheidung durch ein höherrangiges Gericht

Sachliche Zuständigkeit - Entscheidung durch ein höherrangiges Gericht

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A wurde wegen gewerbsmäßigen Betruges in zehn Fällen (§ 263 Abs. 1, 3 Nr. 1 Alt. 1 StGB) vor dem Landgericht angeklagt. Nach einer Straferwartung von fünf Jahren wurden drei von zehn Taten eingestellt und A zu drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. A rügt mit der Revision die fehlende Zuständigkeit.

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Einordnung des Falls

Sachliche Zuständigkeit - Entscheidung durch ein höherrangiges Gericht

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Das Landgericht ist ab einer Straferwartung von vier Jahren sachlich zuständig (§74 Abs. 1 GVG).

Genau, so ist das!

Das Landgericht ist sachlich zuständig, wenn die Straferwartung vier Jahre übersteigt (§ 74 Abs. 1 GVG). Für die Bestimmung der sachlichen Zuständigkeit kommt es darauf an, ob der Tatrichter nach den Urteilsfeststellungen bei zutreffender Beurteilung der Tat zuständig war.
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2. Muss das Landgericht an ein Gericht niederer Ordnung verweisen, wenn sich erst im Laufe des Verfahrens herausstellt, dass die zu verhängende Strafe unter vier Jahren liegen wird?

Nein, das trifft nicht zu!

Zwar liegt die sachliche Zuständigkeit beim Amtsgericht, wenn die Straferwartung bei Eröffnung des Verfahrens unter vier Jahren liegt (§24 Abs. 1 Nr. 2 GVG). Während des Hauptverfahrens ist eine Verweisung nur an ein Gericht höherer Ordnung möglich (§ 269 StPO, § 225a Abs. 1 StPO, § 270 Abs. 1 StPO). Aus Gründen der Prozessökonomie ist die Zuständigkeit von Gerichten niedrigerer Ordnung von der Zuständigkeit der Gerichte höherer Ordnung umfasst. Das Landgericht muss deshalb das Verfahren nicht verweisen, auch wenn die ursprünglich prognostizierte Straferwartung unterschritten wird. Merke: Durch ein „Hinaufheben“ des Verfahrens vor ein höherrangiges Gericht ist der Angeklagte nicht beschwert.

3. War das Landgericht aber sachlich unzuständig, da es seine Zuständigkeit zum Zeitpunkt des Eröffnungsbeschlusses objektiv willkürlich annahm?

Nein!

Das Landgericht ist ausnahmsweise dann unzuständig, wenn es seine Zuständigkeit bei der Eröffnungsentscheidung objektiv willkürlich angenommen hat. Denn in diesem Fall wiegt der Eingriff in das Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 GG) so schwer, dass die Prozessökonomie zurücktritt. Willkür liegt vor, wenn die Annahme der Zuständigkeit nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist, oder wenn sie unter keinem denkbaren Aspekt mehr rechtlich vertretbar ist und sich der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht. Die Straferwartung des Landgerichts lag unter Berücksichtigung des Strafrahmens und der Anzahl der Taten nachvollziehbar bei fünf Jahren. Es war nicht objektiv willkürlich, die eigene Zuständigkeit anzunehmen. Dass sich die Straferwartung später änderte, hat hierauf keinen Einfluss.

4. Das Revisionsgericht hebt das Urteil auf und verweist das Verfahren an das zuständige Gericht zurück (§ 355 StPO).

Nein, das ist nicht der Fall!

War das Gericht, das das Urteil gefällt hat, sachlich unzuständig, fehlt eine Verfahrensvoraussetzung. Das Revisionsgericht hebt dann das Urteil auf und verweist die Sache an das zuständige Gericht zurück (§ 355 StPO). Das Landgericht hat als höherrangiges Gericht entschieden. Eine Verweisung an ein Gericht niedrigerer Ordnung war nicht nötig. Insbesondere hatte das Landgericht seine Zuständigkeit nicht willkürlich angenommen. Damit lag die Verfahrensvoraussetzung der sachlichen Zuständigkeit vor. Die Revision hat also keinen Erfolg.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

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Entenpulli

23.7.2024, 17:11:00

Bei der Frage "Das Landgericht ist ab einer Straferwartung von vier Jahren sachlich zuständig (§ 74 Abs. 1 GVG)." wird diese als richtig angesehen. Der Wortlaut des § 74 I GVG besagt aber "Sie sind auch zuständig für alle Straftaten, bei denen eine höhere Strafe als vier Jahre Freiheitsstrafe". "Höher als vier Jahre" bedeutet doch, dass die Zuständigkeit bis einschließlich 4 Jahre nicht gegeben ist, oder? In § 24 II GVG steht zudem "Das Amtsgericht darf nicht auf eine höhere Strafe als vier Jahre Freiheitsstrafe"

FABY

Faby

18.9.2024, 11:53:57

Die Nennung des Paragrafen in der Aufgabe sollte in § 263 Abs. 1, Abs. 3 S. 2 Nr. 1 Alt. 1 StGB korrigiert werden. Es fehlt also "S. 2" :)

Linne_Karlotta_

Linne_Karlotta_

18.9.2024, 14:30:36

Hallo Faby, vielen Dank für Deinen Hinweis! Wir haben den Fehler auf unsere Liste gesetzt und werden ihn im nächsten Korrekturgang beheben. Deine Aufmerksamkeit hilft uns, die Qualität unserer Inhalte hochzuhalten. Wir werden diesen Thread als erledigt markieren, sobald wir den Fehler behoben haben. Beste Grüße, Linne_Karlotta_, für das Jurafuchs-Team

FABY

Faby

18.9.2024, 11:55:26

In der einen Lösung ist eine Box mit "Eselsbrücke". Mir erschließt sich nur nicht so ganz, was daran eine Eselsbrücke ist. Es ist ja eher ein Text, der in eine Box mit dem Titel "Merke" (o.ä.) gehören würde, oder? :)

Linne_Karlotta_

Linne_Karlotta_

18.9.2024, 14:30:09

Hallo Faby, danke für die Anmerkung, die ich jetzt umgesetzt habe. Viele Grüße - Linne, für das Jurafuchs-Team


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