Öffentliches Recht
Examensrelevante Rechtsprechung ÖR
Entscheidungen von 2020
Ausnahmsweise baurechtlich geschützte schöne Aussicht
Ausnahmsweise baurechtlich geschützte schöne Aussicht
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
A ist Eigentümer eines Grundstücks, von dem aus er eine außergewöhnlich schöne Aussicht über den Rhein und das Rheintal hat. Nach dem neuen Bebauungsplan soll auf dem Nachbargrundstück ein Haus gebaut werden, das ihm diese Sicht nehmen würde.
Diesen Fall lösen 79,3 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.
Einordnung des Falls
Ausnahmsweise baurechtlich geschützte schöne Aussicht
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 10 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. A hält den Bebauungsplan für unwirksam. Ist die verwaltungsgerichtliche Normenkontrolle (§ 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) statthaft?
Ja, in der Tat!
Jurastudium und Referendariat.
2. Kann jede Person, die mit den Festsetzungen eines Bebauungsplans unzufrieden ist, einen Normenkontrollantrag erheben?
Nein!
3. Besondere Ortsrand- und Aussichtslage sind immer rechtlich schutzwürdige Belange, die im Rahmen der Abwägung nach § 1 Abs. 7 BauGB im Planaufstellungsverfahren zu berücksichtigen sind.
Nein, das ist nicht der Fall!
4. Das Bauvorhaben wurde auf Grundlage einer dem Bauherrn erteilten Baugenehmigung mittlerweile errichtet. Kann dies As Rechtsschutzbedürfnis entgegenstehen?
Ja, in der Tat!
5. Der Normenkontrollantrag ist begründet, wenn der angegriffene Bebauungsplan formell oder materiell gegen höherrangiges Recht verstößt (§ 47 Abs. 5 S. 2 VwGO).
Ja!
6. An dem Gemeinderatsbeschluss zum Bebauungsplan hat Gemeinderat M mitgewirkt. M war zugleich für den durch den Plan Begünstigen tätig, und zwar als Planer des vorhabenbezogenen B-Plans. Ist der Plan trotzdem formell rechtmäßig?
Nein, das ist nicht der Fall!
7. Der Bebauungsplan ist u.a. dann materiell rechtswidrig, wenn die Gemeinde ihr Planungsermessen nicht ordnungsgemäß ausgeübt hat.
Ja, in der Tat!
8. Die Ortsrand- oder Aussichtslage eines Grundstücks kann ausnahmsweise unter besonderen Umständen einen abwägungserheblichen Belang nach §§ 1 Abs. 7, 2 Abs. 3 BauGB darstellen.
Ja!
9. Der Bebauungsplan lässt die Errichtung einer Garage im Waldabstand (§ 4 Abs. 3 LBO) zu. Könnte die Gemeinde dadurch gegen das Gebot gerechter Abwägung gem. § 1 Abs. 7 BauGB verstoßen haben?
Genau, so ist das!
10. Verstößt die Gemeinde gegen das Gebot der planerischen Konfliktbewältigung, wenn sie es der Bauaufsichtsbehörde überlässt, eine mögliche durch Bebauung im Waldabstand verursachte Gefahrenlage zu prüfen?
Ja, in der Tat!
Fundstellen
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Anony Mous
25.8.2023, 08:25:33
Was hat der Antragsteller in diesem Fall konkret von seinem Obsiegen (da der Bau ja wegen des Bestandsschutzes ohnehin bleibt)?
Philipp von Pentz
31.8.2023, 23:31:40
Aber wenn es materiell illegal errichtet wurde greift das doch gar nicht? Ob die Voraussetzungen einer Abrissverfügung vorliegen und ob da der Bestandsschutz dem entgegensteht ist eine Frage der Schutzwürdigkeit des Einzelfalls, oder?
Wendelin Neubert
20.9.2023, 11:27:19
Sehr gute Frage @[Anony Mous](207571)! Erst einmal wurde in diesem Normenkontrollverfahren (§ 47 Abs. 1 VwGO) die Unwirksamkeit des B-Plans festgestellt. Dabei handelt es sich ja um ein objektives Beanstandungsverfahren, ein „Obsiegen“ – wie etwa im Rahmen einer Anfechtungsklage – gibt es daher in diesem Sinne nicht. Normalerweise hätte die für den Antragsteller positive Entscheidung des VGH die Folge, dass mangels Wirksamkeit des B-Plans keine Baugenehmigungen auf seiner Grundlage hätte erteilt werden können. Deshalb hatte der Antragsteller auch schon Eilrechtsschutz beantragt, um die legalisierende Wirkung des B-Plans zu verhindern, war dort aber noch gescheitert. In der Zwischenzeit war dann die Baugenehmigung erteilt worden und bestandskräftig geworden, der
Normenkontrollantragentfaltet ja keine Art aufschiebender Wirkung hinsichtlich der angegriffenen untergesetzlichen Norm. Nun ist das Kind für ihn in den Brunnen gefallen. Anwaltlich hätte man dem Antragsteller raten müssen, als Nachbar
Drittanfechtungsklagegegen die Baugenehmigung zu erheben, um inzident dann die
Rechtmäßigkeitdes B-Plans zu überprüfen. Das hat der Antragsteller aber offenbar nicht getan. Denkbar bliebe für ihn jetzt allenfalls noch ein
Amtshaftungsanspruchgegen die Gemeinde wegen der negativen finanziellen Folgen, die der formell und
materiell rechtswidrige B-Plan für ihn in der Folge hatte; an den Anspruch sind aber strenge Anforderungen gestellt. Hoffe das hilft Dir! Beste Grüße - Wendelin für das Jurafuchs-Team
Wendelin Neubert
20.9.2023, 11:33:13
Danke auch für Deine Nachfrage Philipp von Pentz! Eine Abrissverfügung setzt immer
formelle und materielle Illegalitätdes Bauvorhabens voraus. Da aber hier eine Baugenehmigung erteilt und bestandskräftig wurde, ist das Vorhaben des Nachbarn jedenfalls formell legal errichtet worden. Deshalb kann er sich in der Tat auf den Bestandsschutz berufen, den die ursprüngliche Baugenehmigung vermittelt. Beste Grüße - Wendelin für das Jurafuchs-Team
Wendelin Neubert
20.9.2023, 11:39:21
U.U. denkbar wäre noch, dass die Baugenehmigungs
behördedie infolge der Unwirksamkeit des Bebauungsplans nachträglich
materiell rechtswidriggewordene Baugenehmigung zurücknimmt (§ 48 Abs. 1 VwVfG). In der Folge entfiele rückwirkend auch die formelle Legalität. Dies dürfte aber mit Blick auf das besondere Interesse des Nachbarn an seiner Baugenehmigung und angesichts der Tatsache, dass das Vorhaben bereits errichtet wurde,
ermessensfehlerhaftsein. Gleiches gälte für eine daran anschließend ausgesprochene Abrissverfügung. Hier ist der Vertrauensschutz des Nachbarn höher zu gewichten.
Wendelin Neubert
20.9.2023, 11:42:50
Insgesamt handelt es sich um einen sehr schwierigen Fall, den wir genau deshalb ausgewählt haben. Er behandelt nicht nur ausgefallene Fragen der formellen und materiellen
Rechtmäßigkeiteines Bebauungsplans, sondern auch eine prozessual ausgesprochen seltene Konstellation, die den Antragsteller geradezu wahnsinnig machen muss. Zentrales Element ist dabei zu erkennen, dass dem Antragsteller bislang noch nicht ausreichend effektiver Rechtsschutz gewährt wurde (Art. 19 Abs. 4 GG), weil im Rahmen des Eilrechtsschutzes noch seine Antragsbefugnis nach summarischer Prüfung des Gerichts versagt worden war – dies hat zur Folge, dass ihm nun nicht das Rechtsschutzbedürfnis für seinen
Normenkontrollantragfehlt! Wir hoffen, dass ihr diesen Fall nicht in einer Klausur bearbeiten müsst, aber sollte es dazu kommen, seid ihr nun gewappnet! Beste Grüße - Wendelin für das Jurafuchs-Team
Whale
14.8.2024, 14:25:58
Wenn der
Normenkontrollantragdes Antragstellers hier in der Zulässigkeit beim Rechtsschutzbedürfnis abgelehnt worden wäre, wie hätte er sich dagegen w
ehren können? Käme hier dann ein allgemeiner Justizgewährleistungsanspruch, der ausnahmsweise nach Art. 19 IV GG greifen würde, in Betracht? Oder gilt dies nur bei einer möglichen Verletzung des rechtlichen Gehörs nach Art. 103 I GG?