Zivilrecht
BGB Allgemeiner Teil
Anfechtung der Willenserklärung
Gemeinsamer Kalkulationsirrtum („Brockeneisenfall“)
Gemeinsamer Kalkulationsirrtum („Brockeneisenfall“)
2. April 2025
17 Kommentare
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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
V verkauft K einen auf seinem Lagerplatz liegenden Haufen Altmetall. V und K schätzen unabhängig voneinander die Menge auf 40 Eisenbahnwaggons und setzen daraufhin den Gesamtpreis fest (€10.000). Beim Abtransport stellt sich heraus, dass die Menge 80 Waggons beträgt. V verlangt von K €20.000. K weigert sich mehr zu zahlen.
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Einordnung des Falls
Gemeinsamer Kalkulationsirrtum („Brockeneisenfall“)
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Zwischen K und V ist ein Kaufvertrag über das gesamte Altmetall zu €10.000 zustande gekommen.
Ja!
Jurastudium und Referendariat.
2. V kann seine Willenserklärung wegen eines „Kalkulationsirrtums“ anfechten (§§ 142 Abs. 1 Alt. 1, 119 Abs.1 BGB).
Nein, das ist nicht der Fall!
3. Eine Verdoppelung des Kaufpreises lässt sich im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung ermitteln (§ 157 BGB).
Nein, das trifft nicht zu!
4. Vorliegend ist eine Vertragsanpassung wegen Störung der Geschäftsgrundlage dahingehend vorzunehmen, dass ein doppelter Kaufpreis gilt (§ 313 Abs. 1, 2 BGB).
Nein!
5. V kann vom Vertrag zurücktreten (§ 313 Abs. 3 BGB).
Genau, so ist das!
6. Eine Vertragsanpassung kann grundsätzlich wegen Störung der Geschäftsgrundlage erfolgen (§ 313 Abs. 1, 2 BGB).
Ja, in der Tat!
Fundstellen
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Helena
13.2.2022, 17:10:10
Ich bin etwas verwirrt hier, wieso die Vertragsanpassung nicht zumutbar ist. Die Verdopplung des Kaufpreises ist ja nicht die einzige Anpassung des Vertrags. Hätte eine einvernehmliche Abrede zu einem erhöhten Kaufpreis nicht auch Vorrang vorm
Rücktritt? (Z. B. Kaufpreis Erhöhung auf 17.000 €)

Lukas_Mengestu
15.2.2022, 18:38:05
Hallo Helena, wann einen Anpassung unzumutbar ist und insofern nur der
Rücktrittin Betracht kommt, ist leider wieder extrem einzelfallabhängig. In der zugrundeliegenden Originalentscheidung war das Institut der
Störung der Geschäftsgrundlagevon der Rechtsprechung überhaupt noch nicht übernommen werden. Sofern eine einvernehmliche Abrede hier in Betracht gekommen wäre, lägen in der Tat die Voraussetzungen des
Rücktritts nicht mehr vor. Wir haben zur Klarstellung die Weigerung des K mit aufgenommen. Im Hinblick darauf, dass er mit deutlich geringeren Kosten gerechnet hat, ist diese auch berechtigt, weshalb dann wiederum auch der
Rücktrittdes V zulässig ist. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
QuiGonTim
1.3.2022, 09:17:31
Ich kann keine
Unzumutbarkeitfür V erkennen. Wer einen Vertrag auf Grundlage einer Schätzung schließt, geht ganz bewusst das Risiko ein, dass sich die Schätzung als falsch erweist.

Lukas_Mengestu
2.3.2022, 11:34:10
Hallo QuiGonTIm, das lässt sich gut hören. Das Merkmal der
Unzumutbarkeitist letztlich sehr wertungsoffen und einzelfallabhängig. Insofern kann man hier mit den entsprechenden Argumenten auch zu einer abweichenden Lösung kommen. Beste Grüße, Lukas -für das Jurafuchs-Team

Isabell
3.4.2022, 18:44:10
Ist das tatsächlich ein geänderter Umstand, der nicht Vertragsbestandteil geworden ist?

Lukas_Mengestu
4.4.2022, 13:56:44
Hallo Isabell, Vertragsinhalt war ja primär, dass der Haufen Altmetall gegen einen Gesamtpreis von 10.000€ verkauft werden sollte. Der genaue Umfang wurde nicht explizit Vertragsinhalt, sondern war lediglich Geschäftsgrundlage. Beide gingen aber davon aus, dass es sich hierbei um etwa 40 Eisenbahnwaggons handelte. Hier stellte sich diese Geschäftsgrundlage spöter als falsch heraus (§313 Abs. 2 BGB). Denn tatsächlich waren es ja 80 Wagen. Insoweit kann man heutzutage die Regelungen zur
Störung der Geschäftsgrundlageanwenden (das RG hatte damals noch zurückverwiesen, um prüfen zu lassen, ob nicht doch eine Anfechtung in Betracht kommt. Denn die Regelungen zur
Störung der Geschäftsgrundlagewaren da noch nicht in der Rechtsprechung verankert. Diese wurden erst mit der Hyperinflation in den 1920er Jahren von der Rechtsprechung übernommen und erst 2002 gesetzlich kodifiziert). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Isabell
4.4.2022, 14:03:36
Danke dir. Ich finde die Begriffe und die Definition aus diesem Regelungskreis so sperrig. Da bekomme ich immer Knoten ins Hirn.
Raphaeljura
19.5.2023, 07:23:24
Aber wenn die Leistung bereits erbracht wurde erscheint mir der
Rücktrittnur bedingt zufriedenstellend.
Timurso
19.5.2023, 09:26:59
Wieso das? V kann dann versuchen, dass Metall für 20.000€ an jemand anderen zu verkaufen

Nora Mommsen
20.5.2023, 15:18:43
Hallo Raphaeljura, danke für deine Anmerkung. Das
Rücktrittsregime, das ja nicht nur bei
Störung der GeschäftsgrundlageAnwendung findet, sondern über die Verweise auch im Kaufrecht, Werkvertragsrecht und Co. sieht die Rückabwicklung Zug um Zug vor. Das kann man fragwürdig finden, macht aber im Ergebnis Sinn. So besteht die Möglichkeit, sich bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen vom Vertrag relativ leicht lösen zu können und anschließend die kostengünstigste Rückabwicklung absolvieren zu können. Wenn man überlegt, um welche Wertsummen es z.T. geht ist nachvollziehbar, dass die Parteien die nicht mehr an den Vertrag gebunden sein (wollen)/sind auch mit dem Vertragsobjekt nichts mehr zu tun haben wollen. Statt damit belastet zu werden, es doch noch weiterzuverkaufen und ggfs. schon vorher eine hohe
Wertersatzschuld begleichen zu müssen werden die Leistungsgegenstände zurückausgetauscht und eine Abwicklung kann stattfinden. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
Maurice66
3.7.2023, 17:42:25
Müsste sich hier der Verkäufer nach erklärtem
Rücktrittan einem Kaufvertrag über 40 Waggons für 10.000€ festhalten lassen?

Richter Alexander Hold
14.11.2023, 15:11:41
Nein, der
Rücktrittführt gem. § 346 I BGB zur Aufhebung der beiderseitigen Vertragspflichten und zum Rückgewährschuldverhältnis.
Niro95
29.3.2024, 08:27:14
Könnte man mittlerweile (nicht nach Rspr des RGs) nicht ggf. auch von einem
Eigenschaftsirrtumausgehen, weil hier ein Irrtum über die Quantität einer Sache vorliegt, ähnlich, wie wenn man von einem geringeren Goldanteil bei einem Schmuckstück ausgeht? Das Gewicht des Altmetalls ist ja eine
verkehrswesentliche Eigenschaftund verrechnet haben sie sich hier nicht, nur die Eigenschaft der Sache falsch eingeschätzt. Was meint ihr?

Gruttmann
29.3.2024, 10:37:14
Hallo, grundsätzlich problematisch ist das Konkurrenzverhältnis im Fall des beiderseitigen
Motivirrtums. Nach einer Ansicht soll hier ausnahmsweise allein
§ 313 BGBeinschlägig sein. Begründet wird dies damit, dass es sonst vom Zufall abhinge, welche Partei im Fall des beiderseitigen Irrtums zuerst die Anfechtung erkläre und sich damit nach §
122 BGBschadensersatz
pflichtig mache. Eine Anfechtung nach § 119 II BGB führe also zu unbilligen Ergebnissen. Nach herrschender Auffassung bleibt es hingegen beim Vorrang der Anfechtung. Denn welche Partei den Vertrag anficht, hängt nicht vom Zufall ab. Vielmehr wird dies regelmäßig nur diejenige Partei tun, für die der geschlossene Vertrag nachteilig ist. In diesem Fall erscheint es jedoch nicht unbillig der anderen Partei das
negative Interessenach §
122 BGBzu ersetzen. Für
§ 313 BGBverbleibt der Anwendungsbereich somit nur für solche Irrtümer, die nicht zugleich ein Anfechtungsrecht begründen In diesem Fall ging man davon aus, dass ein Irrtum nicht allein aufgrund einer Schätzung vorliegt, sondern dass es darauf ankommt, ob die Schätzung zum Gegenstand der
rechtsgeschäftlichen Erklärungen gemacht wurde und ob die tatsächlichen Umstände eine solche Annahme rechtfertigen. Es wird betont, dass Versehen bei der Preisberechnung, die nicht Gegenstand der Verhandlungen waren, keinen Irrtum über den Vertragsinhalt begründen können. Ich denke mit der richtigen Argumentation kann man auch einen anfechtbaren Irrtum annehmen. Liebe Grüße, Gruttmann.

Pilea
3.6.2024, 09:33:17
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