Irrtum und geheimer Vorbehalt bei eBay

23. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

V will sein E-Bike auf eBay für €2.600 verkaufen. Um eBay-Gebühren zu sparen, gibt er jedoch einen „Sofort-Kaufen-Preis von €100 an. Seine Absicht gibt er im Angebotstext deutlich zu erkennen. K liest und versteht den Text, klickt auf „Sofort-Kaufen“, will aber nur €100 bezahlen.

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Einordnung des Falls

Irrtum und geheimer Vorbehalt bei eBay

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. K hat die Annahme des Angebots (zu €2.600) erklärt, indem er auf die Schaltfläche „Sofort-Kaufen“ geklickt hat.

Ja, in der Tat!

V durfte zum maßgeblichen Zeitpunkt des Zugangs der Annahmeerklärung mangels gegenteiliger Anhaltspunkte nach seinem Empfängerhorizont (§§ 133, 157 BGB) davon ausgehen, dass K durch die vorbehaltlose Betätigung des Sofortkauf-Buttons die Annahme seines Angebots uneingeschränkt erklärt hat. Einen Willen, die Annahmeerklärung auf einen Kaufpreis von €100 zu beschränken (§ 150 Abs. 2 BGB), hat K nicht zum Ausdruck gebracht. K hat damit objektiv das auf einen Kaufpreis von €2.600 lautende Angebot des V angenommen.
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2. V hat mit der Einstellung des E-Bikes ein Angebot gerichtet auf Abschluss eines Kaufvertrags (zu €100) abgegeben.

Nein!

Das Angebot ist so auszulegen, wie Treu und Glaube und die Verkehrssitte es erfordern (§§ 133, 157 BGB). Dabei sind zwar die eBay-AGB zu berücksichtigen, wird von ihnen jedoch erkennbar abgerückt, so kommt deren Heranziehung nicht mehr in Betracht. Vielmehr muss zur Bestimmung des wirklichen Erklärungstatbestands stets die insgesamt abgegebene Erklärungen berücksichtigt werden. Es dürfen nicht nur einzelne Erklärungsbestandteile als vermeintlich maßgebend herausgegriffen werden. Zwar sticht zunächst der Festpreis von €100 ins Auge. Allerdings brachte V im Angebotstext unmissverständlich zum Ausdruck, dass der Preis tatsächlich €2.600 betragen sollte.

3. K kann seine Annahme-Erklärung anfechten, da er auf einen Vertragsschluss zu €100 vertraut hat.

Nein, das ist nicht der Fall!

K kann seine Erklärung nur anfechten, wenn er einem Irrtum unterlag. K hat hier allerdings erkannt, dass das Angebot des V auf €2.600 lautete. Auch wenn er einen Vertragsschluss zu €100 herbeiführen wollte, so unterlag K keinem Irrtum. Vielmehr behielt sich K insgeheim vor, die Rechtsfolgen des Erklärten nicht zu wollen. Dieser gegenüber V bewusst verheimlichte Vorbehalt (sog. „Mentalreservation“) ist unbeachtlich (§ 116 S. 1 BGB). Dies folgt schon aus der Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont (§§ 133, 157 BGB). Der Rechtsverkehr vertraut auf die abgegebene Erklärung. K kann daher nicht anfechten.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Elijah

Elijah

5.11.2019, 23:33:32

Der vorherige Fall ist genau derselbe. Darin wurde behauptet, K kann anfechten. Im hier vorliegenden Fall wird behauptet, er könne nicht anfechten. Was stimmt denn nun? Was hat der BGH entschieden?

ROB

Robitobbi

6.11.2019, 08:06:17

Die beiden Fälle unterscheiden sich dahingehend, dass K in diesem Fall der wahre

Geschäftswille

des V bekannt war, weil er den Beschreibungstext gelesen hat. Somit unterlag er gerade keinen Irrtum, womit eine Anfechtung ausgeschlossen ist.

Elijah

Elijah

10.11.2019, 11:31:29

Wie peinlich, danke für den Hinweis!

Christian Leupold-Wendling

Christian Leupold-Wendling

12.11.2019, 16:39:11

@Robitobbi, danke für die Erläuterung! @Elijah, jeder übersieht mal was. Wahrscheinlich hilft Deine Nachfrage auch anderen Nutzern. Danke dafür.

EL

Elisabeth

31.8.2020, 11:55:41

Ich kenne diese innere

Mentalreservation

als „

protestatio facto contraria non valet

“? Ist das dasselbe im Vergleich z.B. zu der Konstellation: Ich steige in die U-Bahn ein mit einem Schild um den Hals „Ich möchte keinen entgeltliche Beförderungsvertrag“ abschließen, da jedoch der

objektive Empfängerhorizont

zu schützen ist, kann ich mich nicht darauf berufen.

EL

Elisabeth

31.8.2020, 12:00:51

ah ne, sorry, hätte den Fall erst nochmal durchlesen sollen.

Mentalreservation

ist ja natürlich innerlicher Vorbehalt, deswegen sowieso nicht schutzwürdig und das von mir genannte ist der ausdrückliche „äußerlicher Vorbehalt“, da ist die Frage nicht die Anfechtung, sondern ob ein Vertrag zustande gekommen ist. Die Römer hatten für den inneren Vorbehalt wohl noch keinen Fachbegriff... ;)

MCD

McD

29.9.2020, 14:00:24

Ohne unmittelbaren Fallbezug, sprich ihr könnt den Kommentar gerne jederzeit löschen, aber mir ist in diesem Unterkapitel aufgefallen, dass ihr das große sz im VERSALSATZ uneinheitlich mal mit "ß" (kleines sz), mal mit "SS" ersetzt. Das "ß" ist jedenfalls falsch. Seit 2017 kann man zwischen "SS" und dem neuen offiziellen "ẞ" (großes sz) wählen. Laut Wikipedia empfiehlt die 2020er DIN 5008 das "ẞ".

PRE

Philipp Reichardt

20.4.2023, 09:53:59

Soweit ich das Urteil verstanden habe, geht der BGH davon aus, dass das Vertrauen auf ein Angebot über 100 € ausreicht, auch wenn die ganze Anzeige gelesen wurde: „27 Insoweit kann dahin stehen, ob der Kläger, wie er behauptet hat, das Kaufangebot nicht zu Ende gelesen und deshalb die nach seiner Sicht im "Kleingedruckten" stehende Erläuterung nicht zur Kenntnis genommen hat, oder ob er die Erläuterung aus sonstigen Gründen, etwa wegen einer unzulässigen Abweichung von den durch eBay vorgegebenen Regeln, für unmaßgeblich gehalten hat.“

JuraBiene

JuraBiene

20.4.2023, 16:07:55

Wie kann hier bewiesen werden, dass tatsächlich eine

Mentalreservation

vorlag? Es könnte ja durchaus sein, dass K den Text nicht gelesen hat. Wie wäre es also nachträglich beweisbar, dass er den Text gelesen hat?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

25.4.2023, 13:36:37

Hallo Fleißiges Bienchen, im Zivilprozess gilt der Grundsatz, dass jeder die für sich günstigen Umstände beweisen muss. V muss also darlegen, dass eine Annahmeerklärung des K vorliegt, die objektiv dahingehend zu verstehen ist, dass K für €2.600 das E-Bike kaufen will. Will sich K darauf berufen, dass er bei Abgabe der Annahmeerklärung einem Irrtum unterlag, so ist er hierfür darlegungs- und beweispflichtig. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

JuraBiene

JuraBiene

25.4.2023, 15:11:15

Okay, vielen Dank für die Antwort 😊 Jetzt verstehe ich den Fall besser.

BL

Blotgrim

18.1.2024, 09:42:29

Was wäre wenn K denken würde, es würde reichen, wenn man für sich denkt man will nicht Preis A sondern Preis B zahlen, würde das für eine Anfechtung reichen? Oder bleibt es trotzdem ein geheimer Vorbehalt nach § 116?

LELEE

Leo Lee

20.1.2024, 07:28:02

Hallo Blotgrim, vielen Dank für die sehr gute Frage! In deinem Fall würde es trotzdem bei der gleichen Wertung bleiben: Wenn der K nur „denkt“, dass er 100 Euro zahlt bzw. zahlen will, dann ist dies nicht erkennbar und somit auch mMn eine

Mentalreservation

gem. § 116 1 BGB. Denn der K hat den Angebotstext gelesen und verstanden. Dass er hier was anderes „denkt“, ist für den V nicht erkennbar aus dem obj.

Empfängerhorizont

:). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

UN

Unterfertigter

25.3.2024, 11:16:37

Wie wäre es, wenn K davon ausgeht, dass 100€ ungeachtet des Angebotstextes gelten? In dem Fall unterliegt K doch einem Irrtum

LELEE

Leo Lee

29.3.2024, 03:24:00

Hallo Unterfertiger, vielen Dank für die sehr gute Frage! In dem Fall, wo K den Text nicht liest und von den 100 € ausgeht, unterliegt er einem Erklärungsirrtum (er wusste nicht genau, was er mit dem Klicken „kaufen“ bewirkt --> er dachte nämlich, er zahlt 100). In diesem Fall kann er in der Tat anfechten. Hierauf geht i.Ü. die vorige Aufgabe ein (findest du hier: https://applink.jurafuchs.de/sgqg5HQ1kIb) :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

UN

Unterfertigter

29.3.2024, 17:19:27

Danke dir für dir Antwort. Ich meinte allerdings die etwas anders gelagerte Konstellation, dass K nämlich den Angebotstext zwar liest, dennoch von einem Kaufpreis von 100€ ausgeht. Halte ich für ziemlich realitätsnah. In dem Fall bin ich der Ansicht, dass K einem Irrtum unterliegt

UN

Unterfertigter

29.3.2024, 17:26:06

Meine Frage hat sich erledigt. Ich habe mir gerade nochmal die Definition vom Inhaltsirrtum vor Augen geführt. Hier kann wohl kaum von einem unbewussten Auseinanderfallen von objektiv Erklärtem und subjektiv Gewolltem die Rede sein

UN

Unterfertigter

29.3.2024, 18:24:57

Nach erneuter Recherche möchte ich nochmal das Forum bemühen😅 aus: https://lorenz.userweb.mwn.de/urteile/vzb150_07.htm „Im Bereich des

Rechtsfolgenirrtum

s vertritt die Rechtsprechung seit langem einen relativ weiten Begriff des Inhaltsirrtums. Danach ist der

Rechtsfolgenirrtum

dann als zur Anfechtung berechtigender Inhaltsirrtum anzusehen, wenn "infolge Verkennung oder Unkenntnis seiner rechtlichen Bedeutung ein Rechtsgeschäft erklärt ist, das nicht die mit seiner Vornahme erstrebte, sondern eine davon wesentlich verschiedene Rechtswirkung, die nicht gewollt ist, hervorbringt" RGZ 88, 278). Die Rechtsprechung ist denn auch in vielen Fällen zu einem Lösungsrecht des "Irrenden" von einem Rechtsgeschäft gekommen, das er zwar vornehmen wollte, über dessen Folgen er sich freilich nicht im Klaren war. In der Literatur wird hingegen eine engere Auffassung vertreten. Gebräuchlich ist die Abgrenzung danach, ob sich der Irrtum auf gerade die Rechtsfolgen bezieht, auf deren Herbeiführung die Erklärung nach ihrem Inhalt unmittelbar gerichtet ist (dann

Anfechtbarkeit

), oder ob sich der Irrtum auf "entferntere" Rechtsfolgen bezieht, die unabhängig vom Willen des Erklärenden von der Rechtsordnung an die Willenserklärung geknüpft werden (dann keine

Anfechtbarkeit

).“ Wäre demnach die Annahme eines anfechtungsberechtigenden Irrtums nicht vertretbar, wenn K den Angebotstext zwar liest, allerdings davon ausgeht, dass der Sofort-Kaufen-Preis maßgeblich ist (schließlich ist es mE gem. Ebay-AGB verboten, zur Einsparung von Gebühren einen niedrigeren Preis im System einzutragen, sodass insb. ein juristische Laie wohl davon ausgehen könnte, hier zu einem Kaufpreis von 100€ zu kontrahieren)?

MAS

Mar St

24.4.2024, 20:29:27

Ich schließe mich @[Unterfertigter](158363) an. Wäre schön, wenn auf Frage eingegangen werden könnte. Danke schonmal!

JulianF

JulianF

5.10.2024, 11:49:54

Der

Rechtsfolgenirrtum

spricht hier nicht gegen die

Anfechtbarkeit

. Die Höhe des Kaufpreises ist gerade Inhalt und Rechtsfolge des Rechtsgeschäfts selbst, keine gesetzliche Rechtsfolge. Der fragliche Irrtum bezieht sich auf die Höhe des Kaufpreises. Wenn K davon ausgeht, dass die objektive Auslegung des Angebots 100 EUR ergibt, dann irrt er sich über den Inhalt seiner Annahmeerklärung. Dies ist selbst dann denkbar, wenn K den ganzen Angebotstext gelesen hat, aber davon überzeugt ist, dass ein Gericht hier auf einen Vertragsschluss zu 100 EUR entscheiden würde.

Kind als Schaden

Kind als Schaden

18.4.2024, 17:05:22

Liegt hier nicht auch noch ein Fall des § 116 S.1 vor? Oder wäre es eine unzulässige Unterstellung, zu sagen, dass K in Wahrheit sich vorbehielt keine Erklärung über 2600€ abgeben zu wollen?

Kathi

Kathi

18.5.2024, 11:34:38

Hey Kind als Schaden, das steht sogar so in der Erklärung. Es liegt ein geheimer Vorbehalt ("

Mentalreservation

") i.S.d § 116 S.1 BGB vor.

BEN

benjaminmeister

14.11.2024, 14:31:20

Ich halte die letzte Frage-Antwort und den Begründungstext mit folgender Argumentation für falsch: K hat zwar das komplette Angebot gelesen, ging aber davon aus, dass trotz Erläuterung in der Beschreibung der V ein wirksames Angebot zu 100 € gemacht hat, dass er mit dem Klick auf den Sofortkaufen-Button annehmen kann. Zwar wird die Annahmeerklärung des K nach dem

objektiven Empfängerhorizont

tatsächlich über 2.600 € gehen, aber K unterliegt dabei einem Inhaltsirrtum. K weiß nämlich nicht, was er mit dem Klick auf den Sofortkaufen-Button inhaltlich erklärt. Er ging davon aus, sich in Höhe von 100 € zu binden, nicht in Höhe von 2.600 €. Der BGH schreibt in Rn. 27 ganz klar, dass es dahinstehen kann, ob der Käufer das vollständige Angebot bloß nicht gelesen hat (das ist der andere Jurafuchs-Fall) oder ob er davon ausging, dass es sich bei der Erklärung des V in der Beschreibung um eine unzulässige Abweichung von den eBay-Regeln und deshalb um eine unmaßgebliche Erläuterung gehandelt hat (das ist der vorliegende Jurafuchs-Fall). Wenn es dahinstehen kann und der BGH im Urteil trotzdem einen Inhaltsirrtum bejaht, dann ist dieser Jurafuchs-Fall hier falsch gelöst, weil man den Inhaltsirrtum in beiden Konstellationen bejahen muss (siehe auch Argumentation oben). Das wäre nur nicht der Fall, wenn man K hier unterstellt, 100% zu wissen, dass man den Angebotstext bei der Auslegung mit einbeziehen muss und er auch weiß, dass er mit dem Klick auf den Sofortkaufen-Button auch eine Annahme zu 2.600 € erklärt. Aus "K hat die Beschreibung gelesen und verstanden" kann man das aber nicht rauslesen und so ein Fall wäre in der Praxis auch fernliegend. Vielmehr wird man davon ausgehen, dass der andere nur wirksam zu 100 € ein Angebot unterbreitet hat und man deshalb auch nur zu 100 € annimmt, weil es nach den eBay-Regeln unzulässig ist in der Beschreibung einen anderen Preis anzugeben.


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