Strafrecht
Strafrecht Allgemeiner Teil
Objektive Zurechnung
Versuch einer Körperverletzung mit Todesfolge in Form eines „erfolgsqualifizierten Versuchs“ („Gubener Verfolgungsjagd“)
Versuch einer Körperverletzung mit Todesfolge in Form eines „erfolgsqualifizierten Versuchs“ („Gubener Verfolgungsjagd“)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Asylbewerber A wird von 11 bewaffneten Neonazis N verfolgt, bedrängt und massiv bedroht. Um zu entkommen, springt er durch eine geschlossene Glastür. Dabei zieht er sich so tiefe Schnittwunden zu, dass er binnen kurzer Zeit verblutet.
Diesen Fall lösen [...Wird geladen] der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.
Einordnung des Falls
Gubener Verfolgungsfall (kein atypischer Kausalverlauf - BGHSt 48, 34)
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Die 11 N haben den Tod des A kausal verursacht.
Ja!
Jurastudium und Referendariat.
2. A's Sprung durch die geschlossene Glastür ist ein völlig unvorhersehbarer, atypischer Kausalverlauf.
Nein, das ist nicht der Fall!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
DeliktusMaximus
3.8.2022, 11:54:19
Damit hat sich meine vorherige Anmerkung schon erledigt.
Benny
8.5.2023, 21:15:15
Ich höre zum ersten Mal davon, dass es das Konstrukt „Versuchte Körperverletzung mit Todesfolge“ überhaupt gibt. Interessante Entscheidung!
ehemalige:r Nutzer:in
18.7.2023, 11:09:39
Stichwort:
erfolgsqualifizierter Versuch. Ein solcher liegt vor, wenn das Grunddelikt versucht ist und die „schwere Folge" (fahrlässig) herbeigeführt wird.
evanici
12.9.2023, 15:41:28
Bietet die Gestaltung des Falles hier überhaupt genügend Anhaltspunkte für die versuchte Körperverletzung?
as.mzkw
28.8.2024, 09:43:59
Davon würde ich mal ganz stark ausgehen wenn du als Asylbewerber von 11 bewaffneten Neonazis N verfolgt, bedrängt und massiv bedroht wirst.
Skinnynorris
2.12.2023, 14:44:04
Hallo, handelt es sich bei dem Original-Fall dann um einen sog. erfolgsqualifizierten Versuch, wonach der BGH die Täter bestraft hat?
Leo Lee
3.12.2023, 10:00:40
Hallo Skinnynorris, genauso ist es! Zunächst hat die untere Instanz (LG Cottbus) „nur“ wegen fahrlässiger Tötung (aufgrund Ablehnung der Mgl. eines erfolgsqualifizierten Versuchs) verurteilt. Auf die Revisionen des Nebenklägers hin (§ 401 I StPO) hat dann der BGH den erfolgsqualifizierten Versuch noch anerkannt! Die Entscheidung findest du hier https://research.wolterskluwer-online.de/document/8f844fed-6cf1-4c37-ba3d-d2ac712f956e?searchId=69533509 (amtlicher Leitsatz reicht aus!) :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo
Swiss
19.1.2024, 17:40:26
Dies ist mir nicht ganz klar . Lehrbuch folgend kommt der Versuch , sobald ein
Tatumstanddes obj. TB nicht erfüllt ist. Welcher wäre das hier. KS und obj. Zurechnung sind ja - laut Aufgabe - gegeben . Das Hetzen hat folglich den Tod des A in obj. zurechenbarer Weise verursacht ! Dass dann der sub. TB entfällt leuchtet ein. Dies führt sodann zur Fahrlässigkeit.
Lay
25.1.2024, 15:48:37
Wenn ich das Urteil richtig verstanden habe, hat der BGH die vollendete KV verneint, weil die Verletzungen durch die Glastür für N wesentlich vom vorgestellten Kausalverlauf abwichen und daher nicht vom
Vorsatzder N umfasst waren. Den Versuch der KV hat der BGH dann angenommen, weil die N sehr wohl KV-
Vorsatzhatten (nur eben nicht durch die Glastür) und durch die Verfolgung des O auch unmittelbar angesetzt haben. Zur versuchten KV mit Todesfolge kam der BGH dann, weil die Flucht durch die Glasscheibe zwar nicht vom
Vorsatzder N umfasst, aber für sie jedenfalls vorhersehbar war, da eine solche Panikreaktion des O nicht außerhalb jeglicher Lebenserfahrung lag und die Gefahr auch in der KV-Handlung (dem Verfolgen) angelegt war. Die schwere Folge wurde also in diesem Fall fahrlässig herbeigeführt. Sprich: Fahrlässige KV wegen der Glastür (+) und fahrlässige Tötung wegen der Glastür (+), beides tritt aber zurück hinter der versuchten KV mit eingetretener, fahrlässig herbeigeführter Todesfolge als lex specialis, die wiederum beruht aber NICHT auf der Glastür, sondern auf der versuchten KV wegen des geplanten Verprügelns des O (oder was auch immer die N vorhatten)
Swiss
25.1.2024, 15:51:32
Das nenne ich mal eine Antwort ! Danke hierfür!
Lay
25.1.2024, 16:03:46
So ganz kann ich die Begründung des BGH bezüglich des wesentlich abweichenden Kausalverlaufs übrigens nicht nachvollziehen, da auch der BGH davon ausgeht, dass eine
Abweichung vom Kausalverlaufnur dann wesentlich ist, wenn sie sich nicht mehr in den Grenzen des nach allgemeiner Lebenserfahrung Voraussehbaren hält. Gerade diese Voraussehbarkeit des Glasscheibensprungs nimmt der BGH dann bei der versuchten KV mit Todesfolge an, obwohl er sie vorher bei der vollendeten KV abgelehnt hat. Das Urteil ist da etwas dünn 🤔
Swiss
9.2.2024, 21:03:19
Für mich ist die Begründung des BGH rechtsdogmatisch vertretbar , da die Rspr. der Billigungstheorie folgt . Danach bedarf es für die Annahme des
Eventualvorsatzes sowohl eines voluntativen als auch eines kognitiven Elements . Daher hat die Vorhersehbarkeit nicht ausgereicht, um den
Vorsatzzu bejahen allerdings reichte sie aus , um die Fährlässigkeit hinsichtlich der Todesfolge zu begründen!?