Bluter-Fall (keine Zurechnung bei abnormer Konstitution des Opfers)


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Klassisches Klausurproblem

A bewirft B mit einem kleinen Stein. B erleidet dadurch eine kleine Schnittverletzung. Weil B (was A nicht weiß) an der Bluterkrankheit leidet, führt die Schnittwunde bei ihm jedoch zum Tod.

Einordnung des Falls

Bluter-Fall (keine Zurechnung bei abnormer Konstitution des Opfers)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 1 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. A ist der Tod des B objektiv zuzurechnen.

Nein!

Objektiv zurechenbar ist ein Erfolg, wenn der Täter (1) eine rechtlich missbilligte Gefahr geschaffen und (2) sich genau diese Gefahr im Erfolg realisiert hat. Ein atypischer Kausalverlauf ist gegeben, wenn dieser so sehr außerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung liegt, dass mit ihm vernünftigerweise nicht gerechnet zu werden braucht.Im Tod des B hat sich nicht die von A durch den Steinwurf gesetzte rechtlich missbilligte Gefahr realisiert, sondern die latente krankheitsbedingte Lebensgefahr eines Bluters im täglichen Leben. Die Wahrscheinlichkeit von 1 zu 10.000, einem Bluter zu begegnen, lässt die objektive Voraussehbarkeit des Erfolgs für A verneinen (abnorme Konstitution als außergewöhnlicher Kausalfaktor). B's Tod erscheint als Werk des Zufalls.Hinweis: Anderes Ergebnis vertretbar.

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JUN

Jura Noob

1.2.2020, 21:37:07

Kann man hier nicht auch sagen, dass A keinen Anspruch auf ein gesundes Opfer hat?

MAW

MaW

11.9.2020, 21:39:45

Ich glaube, du verwechselst hier die Frage des Schutzwecks der Norm iRd hauftungsausfüllenden Kausalität bei der Differenzhypothese im Deliktsrecht mit der objektiven Zurechnung im Strafrecht. Hier ist zu Fragen, ob der Täter ein strafrechtlich relevantes Risiko geschaffen hat. Das ist beim Werfen eines kleinen Steins, der zum Tod eines anderen führt offensichtlich nicht der Fall. Wenn es um die KV geht, hingegen ohne Weiteres zu bejahen.

TeamRahad 🧞

TeamRahad 🧞

27.12.2020, 10:34:52

@Jura Noob, ich kann mich aus der Vorlesung Strafrecht AT auch noch an das Stichwort "kein Anspruch auf ein durchschnittlich gesundes Opfer" erinnern! Habe nochmal im Skript von damals nachgeschaut und festgestellt, dass das Argument lediglich zur Bejahung der Kausalität angeführt wurde. Allerdings ist die objektive Zurechnung bei ungewöhnlicher Konstitution des Opfers durchaus umstritten, siehe hier https://strafrecht-online.org/problemfelder/at/tb/obj-zur/vorhersehbar/

Agit

Agit

27.3.2020, 04:12:31

Ja könnte man. Würdest du das aber sagen, würdest du intendieren, das A der Erfolg zurechenbar ist. Allerdings ist es für A nicht ersichtlich, dass B Bluter ist. Es liegt außerhalb seiner Lebenserfahrung. Also würde dieses Argument hier nicht tragen.

FJ

Frida J.

14.12.2020, 14:07:06

Ich hätte hier eine ganz grundlegende Frage: inwiefern sind die konkreten Umstände in die objektive Zurechnung miteinzubeziehen? Also wie bestimmt man die „Vergleichsgruppe“? Nähme man hier einen Bluter als Objektive Vergleichsgruppe, läge ja gerade kein

atypischer Kausalverlauf

vor. Nähme man einen Duchschnittsmenschen als Vergleichsgruppe und wüsste der Täter von der Bluter-Krankheit des Opfers, läge wegen atypischen Kausalverlaufs trotzdem keine vorsätzliche Tötung vor. Dasselbe Problem stellt sich für mich bei dem Zuckerwasser-/Diabetiker-Fall. Kann mir da jemand weiterhelfen?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

27.7.2021, 14:02:43

Hallo Frieda, die Vertreter der Ansicht, die die objektive Zurechnung entfallen lassen wollen, sofern sich ein gänzlich atypisches Risiko aufgrund der besonderen Konstitution des Opfers verwirklicht, berufen sich darauf, dass hier kein "rechtlich missbilligtes Risiko" geschaffen wurde. Im Hinblick auf die Vergleichsgruppe bedeutet dies, dass man grundsätzlich tatsächlich auf die durchschnittliche Konstitution der Bevölkerung abstellen kann und auf die Häufigkeit zB von Blutererkrankungen. Hat der Täter aber konkrete Kenntnis von der körperlichen Konstitution, so ist insoweit die Atypik zu verneinen und im Ergebnis die vorsätzliche bzw. fahrlässige (sofern eigl. nur die Verletzung vom Vorsatz umfasst war) Tötung zu bejahen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

CitiesOfJudah

CitiesOfJudah

12.10.2023, 14:15:42

Ist die Wahrscheinlichkeit von 1 zu 10000 echt und empirisch belegt oder ist das nur als Beispiel gedacht, wann es der Täter nicht mehr zuzurechnen ist?

SE.

se.si.sc

13.10.2023, 13:11:04

Googlen nach "Bluterkrankheit" (oder Hämophilie) und "Häufigkeit" liefert die Antwort, so viel Eigeninitative darf dann doch sein ;)

CitiesOfJudah

CitiesOfJudah

15.10.2023, 22:18:24

Ja, hast ja Recht :D

HADA

Haniel Dardman

27.12.2023, 22:03:05

Die schwere Hämophilie A kommt mit einer Häufigkeit von 1:5000 der männlichen Neugeborenen vor und ist etwa fünf- bis sechsmal häufiger als die Hämophilie B (1:25.000 bis 1:30.000). Es wird davon ausgegangen, dass in Deutschland etwa 6000 Hämophilie-Patienten leben, von denen etwa die Hälfte an der schweren Form leiden. https://www.dhg.de/blutungskrankheiten/haemophilie.html

FAL

FalkTG

3.4.2024, 06:43:46

Wenn ich es richtig erinnere, scheidet eine zivilrechtliche Haftung dadurch *nicht* aus oder?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

3.4.2024, 16:09:22

Hallo FalkTG, danke für deine Frage! Das Zivilrecht legt ja durchaus andere Anforderungen an Kausalität an. Gerade z.B. im Bereich der Arzthaftungsprozesse - wenn auch in diesem Fall nicht relevant - dürfen die Beweiserleichterungen und co nicht vergessen werden. Das Strafrecht kann also nur abschließend für das Strafrecht bescheiden, nicht auch für das Zivilrecht. Was natürlich nicht heißt, dass man zwingend zu einem anderen Ergebnis kommt. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team


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