Zivilrecht

Sachenrecht

Vindikation & Eigentümer-Besitzer-Verhältnis

Haftung des redlichen Besitzmittlers, 991 II BGB

Haftung des redlichen Besitzmittlers, 991 II BGB

19. Mai 2025

9 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Bruder B vermietet das von seiner Schwester S geliehene Fahrrad ohne ihre Zustimmung an den redlichen M. Die Weitergabe hatte S zuvor untersagt. M beschädigt bei einer Fahrradtour im Gebirge fahrlässig die Speichen des Hinterrades.

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Einordnung des Falls

Haftung des redlichen Besitzmittlers, 991 II BGB

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Zwischen S und M besteht eine Vindikationslage.

Ja!

Die Vindikationslage setzt voraus, dass (1) der Anspruchsteller Eigentümer und (2) der Anspruchsgegner Besitzer (3) ohne Recht zum Besitz (§ 986 BGB) ist. S war Eigentümerin und hat das Eigentum durch die Leihe auch nicht verloren. M ist Besitzer. Ein eigenes Besitzrecht des M ist nicht ersichtlich. B hatte durch die Leihe zwar ein Besitzrecht, war allerdings nicht zur Weitergabe berechtigt. M konnte sein Besitzrecht daher nicht von B ableiten (vgl. § 986 Abs. 1 S. 2 BGB). Er war somit ohne Recht zum Besitz.
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2. Der Schadensersatzanspruch aus §§ 990 Abs. 1, 989 BGB scheitert, da M redlich ist.

Genau, so ist das!

Die Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch aus §§ 990 Abs. 1, 989 BGB sind (1) das Vorliegen einer Vindikationslage, (2) Verschlechterung, Untergang oder sonstige Unmöglichkeit der Herausgabe, (3) Bösgläubigkeit des Besitzers, (4) ein Verschulden des Besitzers und (5) ein Schaden beim Eigentümer. Da M redlich war, kommt ein Anspruch mangels Bösgläubigkeit nicht in Betracht. In der Klausur solltest Du regelmäßig (zumindest kurz) auch die übrigen Voraussetzungen prüfen. Dadurch zeigst Du, dass Du systematisch arbeiten kannst. Der Weg ist bekanntlich das Ziel.

3. Der redliche und unverklagte Besitzer haftet nie auf Schadensersatz aus dem EBV.

Nein, das trifft nicht zu!

Grundsätzlich ist der redliche und unverklagte Besitzer privilegiert und soll keinen Ansprüchen aus dem EBV ausgesetzt sein. Eine Ausnahme davon statuiert allerdings § 991 Abs. 2 BGB. Danach haftet auch der gutgläubige Besitzer zumindest in dem Umfang, in dem er auch dem mittelbaren Besitzer gegenüber haften würde. Dahinter steht die Überlegung, dass der Besitzer mit dieser Haftung ohnehin rechnen muss und dementsprechend dahingehend nicht schutzwürdig ist.

4. S hat gegen M einen Anspruch auf Schadensersatz aus §§ 991 Abs. 2, 989 BGB.

Ja!

Die Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch aus §§ 991 Abs. 2, 989 BGB sind (1) das Vorliegen einer Vindikationslage, (2) die Redlichkeit des Besitzers (3) das Vorliegen eines Besitzmittlungsverhältnisses und (4) die Verantwortlichkeit gegenüber dem mittelbaren Besitzer. Eine Vindikationslage liegt vor und M ist redlich. Der Mietvertrag zwischen B und M begründet zudem ein Besitzmittlungsverhältnis. Schließlich würde M dem B nach § 280 Abs. 1 BGB aus dem Mietvertrag auf Schadensersatz haften. Somit kann auch S in gleichem Maße nach §§ 991 Abs. 2, 989 BGB von M Schadensersatz verlangen. Hier ist also inzident der vertragliche Anspruch von B gegen M zu prüfen. M wiederum haftet für den Schaden vertraglich gegenüber S. Bei der Schadensabwicklung ist zu beachten, dass S den Schadensersatz nicht doppelt erhalten darf, also nicht ein Mal von B und ein Mal von M.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Antonia

Antonia

11.5.2022, 10:53:26

Muss ich inzident nur den Anspruch aus dem BMV prüfen? Oder auch solche aus §§ 823 ff. und § 812? Ich dachte, dass dort eine Durchbrechung der

Sperrwirkung

stattfindet.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

12.5.2022, 16:16:06

Hallo Antonia, der Besitzer haftet dem Eigentümer nur in dem Umfang wie er auch gegenüber dem mittelbaren Besitzer haftet. Das bedeutet insbesondere, dass sich der Eigentümer etwaige

Haftungsprivilegierung

en aus dem

Besitzmittlungsverhältnis

entgegenhalten lassen muss (vgl. Fritzsche, in: BeckOK-BGB, 61.Ed. 01.02.2022, § 991 RdNr. 18). Diese schlagen auch auf etwaige deliktische Ansprüche durch, weswegen insoweit ein Gleichlauf besteht. Eine gesonderte, inzidente Prüfung des §

823 BGB

wäre in diesem Fall insoweit nicht zu erwarten, da sich hier keine Unterschiede ergeben. Eine etwas andere Frage ist, welchen

Regelungscharakter

§

991 BGB

hat. Teilweise wird darin bloß eine Aufhebung der

Sperrwirkung

gesehen, sodass der Eigentümer dann direkt einen Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB gegen den Besitzer geltend machen könnte. Überwiegend sieht man §

991 BGB

dagegen entweder selbst als Anspruchsgrundlage oder als Rechtsgrundverweisung auf §

989 BGB

bzw. §§ 989,

990 BGB

(vgl. hierzu Fritzsche, in: BeckOK-BGB, 61.Ed. 01.02.2022, § 991 RdNr. 12). Nach überwiegender Ansicht besteht die

Sperrwirkung

also zwischen Eigentümer und Besitzer weiterhin. Einfallstor der Haftung ist insofern §

991 BGB

iVm §§

989, 990

BGB. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

PET

Petrus

4.4.2023, 08:06:43

Wenn S nun zusätzlich noch Herausgabe fordern würde, läge ein Fall des § 986 I 2 BGB vor oder? Sie müsste vorrangig Herausgabe an B verlangen?

SE.

se.si.sc

4.4.2023, 09:01:21

So ist es. Etwas anderes gilt nach § 986 I 2 BGB nur dann, wenn der mittelbare Besitzer den Besitz nicht wieder übernehmen kann oder will, was die Eigentümerin S nachweisen müsste. Rein praktisch gedacht möchte man als Eigentümer in einer solchen Situation aufgrund der offensichtlichen Unzuverlässigkeit des Entleihers aber meist gerne sein Eigentum selbst wieder haben (hier eventuell anders, weil Bruder und Schwester). Die unberechtigte Weitergabe durch den Entleiher ist jedenfalls ein Kündigungsgrund nach §§ 605 Nr 2, 603 S 2 BGB, sodass Eigentümerin S letztlich von B auch Rückgabe des Fahrrads nach § 604 BGB an sie (die S) verlangen könnte, indem sie das vorübergehende

Besitzrecht

des B beseitigt.

BE

Bioshock Energy

11.6.2024, 10:59:54

Hallo, Eventuell stehe ich gerade auf dem Schlauch. Wo liegt denn im vorliegenden Fall der

Schaden

für B? nach der

Differenzhypothese

hat B nach dem Schädigenden Ereignis keine schlechtere Vermögenslage als zuvor (er hat ja keine Eigentumsbeeinträchtigung, da er kein Eigentümer ist und auch sonst wird sein Vermögen durch das haftungsbegründende Ereignis nicht gemindert.) Wenn der Anspruch B gegen M inzident zu Prüfen ist, dann gehört dazu doch auch der

Schaden

des B?. Wie leitet man einen Anspruch B gegen M ohne

Schaden

her, sodass M gegenüber S haftet? Ist es so, dass mit dem "in § 989 bezeichneten

Schaden

" (§

991 II

), der

Schaden

der Eigentümerin gemeint ist.? Wenn ja würde das vielleicht meinen Knoten lösen.

Rechthaber

Rechthaber

2.7.2024, 16:46:26

Ich hätte den

Schaden

des B durch die Grundsätze der

Drittschadensliquidation

hergeleitet, der S als Geschädigter hat gegenüber M wegen der

Sperrwirkung des EBV

keine eigenen Ansprüche, der B hat keinen

Schaden

, hätte aber einen eigenen Anspruch aus Mietvertrag, Delikt ( berechtigter Besitz), und aus Sicht des M stellt sich diese

Schaden

sverlagerung aufgrund des Leihvertrages nur zufällig da. Vllt kann man auch sagen, dass

991 II BGB

ein gesetzlich geregelter Fall einer DSL ist. Das wären jetzt meine spontanen Gedanken dazu.

QUAR

Quarklo

19.7.2024, 07:54:47

M haftet ggü. S insoweit, wie er B zum Ersatz verpflichtet ist. Eine Ersatzpflicht ggü. B kann sich aus einem

Schaden

sersatzanspruch aus dem Leihvertrag ergeben (§§ 598, 604, 280 I, 241 II). Der

Schaden

des B ergibt sich aus seiner eigenen Ersatzpflicht ggü. S (aus der gleichen Anspruchsgrundlage). Folglich ergibt sich eine Ersatzpflicht ggü. B und somit auch ggü. S. Um eine doppelte Inanspruchnahme des M zu verhindern wird § 851 analog angewendet. Dieser Hinweis könnte gerne auch noch in der Aufgabe ergänzt werden.

Sebastian Schmitt

Sebastian Schmitt

7.4.2025, 15:23:47

Hallo @[Bioshock Energy](207759), @[Quarklo](252534) hat Deine Frage im Kern schon genau richtig beantwortet: Der

Schaden

liegt in der eigenen, vertraglichen Haftung des B ggü S. Mit der

Drittschadensliquidation

(DSL) wäre ich hier zurückhaltend, @[Rechthaber](162337). In manchen Ausbildungsunterlagen wird

§ 991 II BGB

zwar als "gesetzliche angeordnete DSL" bezeichnet (das ist mE nicht unrichtig), B hat aber, wie eben gesagt, sehr wohl einen

Schaden

, der nämlich in seiner vertraglichen Haftung ggü S liegt. Wie man das Ganze dann in der Abwicklung löst, ist eine nicht unkomplexe Frage, Quarklo. Mit einem pauschalen Hinweis auf die analoge Anwendung des § 851 BGB ist es dabei mE nicht getan. § 851 BGB kann man zwar in der Tat analog anwenden, aber auch nur bei Mobilien und nur dann, wenn der redliche und unverklagte M schon an B gezahlt hätte (was wir nach der Sachverhaltsdarstellung hier kaum annehmen können). Wird er vorher über die wahre Rechtslage aufgeklärt, und zahlt in diesem Wissen an B, wird er dadurch ggü S grds gerade nicht frei, sondern muss erneut zahlen und sich das

Geld

von B zurückholen (näher MüKoBGB/Raff, 9. Aufl 2023, § 991 Rn 19). Das dürfte insgesamt doch etwas zu komplex sein, um es iRe Vertiefungshinweises genau aufzuschlüsseln. Wir wollen uns an dieser Stelle daher mit einem allgemeineren Hinweis auf die Abwicklung begnügen und denken darüber nach, auf dieses Problem evtl in einer anderen Aufgabe nochmal genauer einzugehen. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team

johannes.fr

johannes.fr

2.5.2025, 09:37:35

Wie würden sich bei § 991 Abs. 2 BGB etwaige Haftungsausschlüsse oder -beschränkungen zwischen

Besitzmittler

und mittelbarem Besitzer (also hier im Verhältnis M-B) auf den Anspruch des Eigentümers aus § 991 Abs. 2 BGB auswirken? Schlägt das dann quasi durch?


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