Zivilrecht

Sachenrecht

Vindikation & Eigentümer-Besitzer-Verhältnis

Haftung des redlichen Besitzmittlers, 991 II BGB

Haftung des redlichen Besitzmittlers, 991 II BGB

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Bruder B vermietet das von seiner Schwester S geliehene Fahrrad ohne ihre Zustimmung an den redlichen M. Die Weitergabe hatte S zuvor untersagt. Dieser beschädigt bei einer Fahrradtour im Gebirge fahrlässig die Speichen des Hinterrades.

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Einordnung des Falls

Haftung des redlichen Besitzmittlers, 991 II BGB

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Zwischen S und M besteht eine Vindikationslage.

Ja!

Die Vindikationslage setzt voraus, dass (1) der Anspruchsteller Eigentümer und (2) der Anspruchsgegner Besitzer (3) ohne Recht zum Besitz (§ 986 BGB) ist. S war Eigentümerin und hat das Eigentum durch die Leihe auch nicht verloren. M ist Besitzer. Ein eigenes Besitzrecht des M ist nicht ersichtlich. B hatte durch die Leihe zwar ein Besitzrecht, war allerdings nicht zur Weitergabe berechtigt. M konnte sein Besitzrecht daher nicht von B ableiten. Er war somit ohne Recht zum Besitz.
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2. Der Schadensersatzanspruch aus §§ 990 Abs. 1, 989 BGB scheitert, da M redlich ist.

Genau, so ist das!

Die Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch aus §§ 990 Abs. 1, 989 BGB sind (1) das Vorliegen einer Vindikationslage, (2) Verschlechterung, Untergang oder sonstige Unmöglichkeit der Herausgabe, (3) Bösgläubigkeit des Besitzers, (4) ein Verschulden des Besitzers und (5) ein Schaden beim Eigentümer. Da M redlich war, kommt ein Anspruch mangels Bösgläubigkeit nicht in Betracht. In der Klausur solltest Du regelmäßig (zumindest kurz) auch die übrigen Voraussetzungen prüfen. Dadurch zeigst Du, dass Du systematisch arbeiten kannst. Der Weg ist bekanntlich das Ziel.

3. Der redliche und unverklagte Besitzer haftet nie auf Schadensersatz aus dem EBV.

Nein, das trifft nicht zu!

Grundsätzlich ist der redliche und unverklagte Besitzer privilegiert und soll keinen Ansprüchen aus dem EBV ausgesetzt sein. Eine Ausnahme davon statuiert allerdings § 991 Abs. 2 BGB. Danach haftet auch der gutgläubige Besitzer zumindest in dem Umfang , in dem er auch dem mittelbaren Besitzer gegenüber haften würde. Dahinter steht die Überlegung, dass der Besitzer mit dieser Haftung ohnehin rechnen muss und dementsprechend dahingehend nicht schutzwürdig ist.

4. S hat gegen M einen Anspruch auf Schadensersatz aus §§ 991 Abs. 2, 989 BGB.

Ja!

Die Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch aus §§ 991 Abs. 2, 989 BGB sind (1) das Vorliegen einer Vindikationslage, (2) die Redlichkeit des Besitzers (3) das Vorliegen eines Besitzmittlungsverhältnisses und (4) die Verantwortlichkeit gegenüber dem mittelbaren Besitzer. Eine Vindikationslage liegt vor und M ist redlich. Der Mietvertrag zwischen B und M begründet zudem ein Besitzmittlungsverhältnis. Schließlich würde M dem B nach § 280 Abs. 1 BGB aus dem Mietvertrag auf Schadensersatz haften. Somit kann auch S in gleichem Maße nach §§ 991 Abs. 2, 989 BGB von M Schadensersatz verlangen. Hier ist also inzident der vertragliche Anspruch von B gegen M zu prüfen.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Antonia

Antonia

11.5.2022, 10:53:26

Muss ich inzident nur den Anspruch aus dem BMV prüfen? Oder auch solche aus §§ 823 ff. und § 812? Ich dachte, dass dort eine Durchbrechung der Sperrwirkung stattfindet.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

12.5.2022, 16:16:06

Hallo Antonia, der Besitzer haftet dem Eigentümer nur in dem Umfang wie er auch gegenüber dem mittelbaren Besitzer haftet. Das bedeutet insbesondere, dass sich der Eigentümer etwaige Haftungsprivilegierungen aus dem Besitzmittlungsverhältnis entgegenhalten lassen muss (vgl. Fritzsche, in: BeckOK-BGB, 61.Ed. 01.02.2022, § 991 RdNr. 18). Diese schlagen auch auf etwaige deliktische Ansprüche durch, weswegen insoweit ein Gleichlauf besteht. Eine gesonderte, inzidente Prüfung des § 823 BGB wäre in diesem Fall insoweit nicht zu erwarten, da sich hier keine Unterschiede ergeben. Eine etwas andere Frage ist, welchen Regelungscharakter § 991 BGB hat. Teilweise wird darin bloß eine Aufhebung der Sperrwirkung gesehen, sodass der Eigentümer dann direkt einen Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB gegen den Besitzer geltend machen könnte. Überwiegend sieht man § 991 BGB dagegen entweder selbst als Anspruchsgrundlage oder als Rechtsgrundverweisung auf § 989 BGB bzw. §§ 989,990 BGB (vgl. hierzu Fritzsche, in: BeckOK-BGB, 61.Ed. 01.02.2022, § 991 RdNr. 12). Nach überwiegender Ansicht besteht die Sperrwirkung also zwischen Eigentümer und Besitzer weiterhin. Einfallstor der Haftung ist insofern § 991 BGB iVm §§ 989, 990 BGB. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

PET

Petrus

4.4.2023, 08:06:43

Wenn S nun zusätzlich noch Herausgabe fordern würde, läge ein Fall des § 986 I 2 BGB vor oder? Sie müsste vorrangig Herausgabe an B verlangen?

SE.

se.si.sc

4.4.2023, 09:01:21

So ist es. Etwas anderes gilt nach § 986 I 2 BGB nur dann, wenn der

mittelbare Besitzer

den Besitz nicht wieder übernehmen kann oder will, was die Eigentümerin S nachweisen müsste. Rein praktisch gedacht möchte man als Eigentümer in einer solchen Situation aufgrund der offensichtlichen Unzuverlässigkeit des Ent

leihe

rs aber meist gerne sein Eigentum selbst wieder haben (hier eventuell anders, weil Bruder und Schwester). Die unberechtigte Weitergabe durch den Ent

leihe

r ist jedenfalls ein Kündigungsgrund nach §§ 605 Nr 2, 603 S 2 BGB, sodass Eigentümerin S letztlich von B auch Rückgabe des Fahrrads nach § 604 BGB an sie (die S) verlangen könnte, indem sie das vorübergehende

Besitzrecht

des B beseitigt.

BE

Bioshock Energy

11.6.2024, 10:59:54

Hallo, Eventuell stehe ich gerade auf dem Schlauch. Wo liegt denn im vorliegenden Fall der Schaden für B? nach der

Differenzhypothese

hat B nach dem Schädigenden Ereignis keine schlechtere Vermögenslage als zuvor (er hat ja keine Eigentumsbeeinträchtigung, da er kein Eigentümer ist und auch sonst wird sein Vermögen durch das haftungsbegründende Ereignis nicht gemindert.) Wenn der Anspruch B gegen M inzident zu Prüfen ist, dann gehört dazu doch auch der Schaden des B?. Wie leitet man einen Anspruch B gegen M ohne Schaden her, sodass M gegenüber S haftet? Ist es so, dass mit dem "in § 989 bezeichneten Schaden" (§ 991 II), der Schaden der Eigentümerin gemeint ist.? Wenn ja würde das vielleicht meinen Knoten lösen.

Rechthaber

Rechthaber

2.7.2024, 16:46:26

Ich hätte den Schaden des B durch die Grundsätze der

Drittschadensliquidation

hergeleitet, der S als Geschädigter hat gegenüber M wegen der Sperrwirkung des EBV keine eigenen Ansprüche, der B hat keinen Schaden, hätte aber einen eigenen Anspruch aus Mietvertrag, Delikt ( berechtigter Besitz), und aus Sicht des M stellt sich diese Schadensverlagerung aufgrund des Leihvertrages nur zufällig da. Vllt kann man auch sagen, dass 991 II BGB ein gesetzlich geregelter Fall einer DSL ist. Das wären jetzt meine spontanen Gedanken dazu.

QUAR

Quarklo

19.7.2024, 07:54:47

M haftet ggü. S insoweit, wie er B zum Ersatz verpflichtet ist. Eine Ersatzpflicht ggü. B kann sich aus einem Schadensersatzanspruch aus dem Leihvertrag ergeben (§§ 598, 604, 280 I, 241 II). Der Schaden des B ergibt sich aus seiner eigenen Ersatzpflicht ggü. S (aus der gleichen Anspruchsgrundlage). Folglich ergibt sich eine Ersatzpflicht ggü. B und somit auch ggü. S. Um eine doppelte Inanspruchnahme des M zu verhindern wird § 851 analog angewendet. Dieser Hinweis könnte gerne auch noch in der Aufgabe ergänzt werden.


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