Zivilrecht
Sachenrecht
Vindikation & Eigentümer-Besitzer-Verhältnis
Haftung des redlichen Besitzmittlers, 991 II BGB
Haftung des redlichen Besitzmittlers, 991 II BGB
19. Mai 2025
9 Kommentare
4,8 ★ (15.742 mal geöffnet in Jurafuchs)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Bruder B vermietet das von seiner Schwester S geliehene Fahrrad ohne ihre Zustimmung an den redlichen M. Die Weitergabe hatte S zuvor untersagt. M beschädigt bei einer Fahrradtour im Gebirge fahrlässig die Speichen des Hinterrades.
Diesen Fall lösen 83,8 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.
Einordnung des Falls
Haftung des redlichen Besitzmittlers, 991 II BGB
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Zwischen S und M besteht eine Vindikationslage.
Ja!
Jurastudium und Referendariat.
2. Der Schadensersatzanspruch aus §§ 990 Abs. 1, 989 BGB scheitert, da M redlich ist.
Genau, so ist das!
3. Der redliche und unverklagte Besitzer haftet nie auf Schadensersatz aus dem EBV.
Nein, das trifft nicht zu!
4. S hat gegen M einen Anspruch auf Schadensersatz aus §§ 991 Abs. 2, 989 BGB.
Ja!
Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!
Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Antonia
11.5.2022, 10:53:26
Muss ich inzident nur den Anspruch aus dem BMV prüfen? Oder auch solche aus §§ 823 ff. und § 812? Ich dachte, dass dort eine Durchbrechung der
Sperrwirkungstattfindet.

Lukas_Mengestu
12.5.2022, 16:16:06
Hallo Antonia, der Besitzer haftet dem Eigentümer nur in dem Umfang wie er auch gegenüber dem mittelbaren Besitzer haftet. Das bedeutet insbesondere, dass sich der Eigentümer etwaige
Haftungsprivilegierungen aus dem
Besitzmittlungsverhältnisentgegenhalten lassen muss (vgl. Fritzsche, in: BeckOK-BGB, 61.Ed. 01.02.2022, § 991 RdNr. 18). Diese schlagen auch auf etwaige deliktische Ansprüche durch, weswegen insoweit ein Gleichlauf besteht. Eine gesonderte, inzidente Prüfung des §
823 BGBwäre in diesem Fall insoweit nicht zu erwarten, da sich hier keine Unterschiede ergeben. Eine etwas andere Frage ist, welchen
Regelungscharakter§
991 BGBhat. Teilweise wird darin bloß eine Aufhebung der
Sperrwirkunggesehen, sodass der Eigentümer dann direkt einen Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB gegen den Besitzer geltend machen könnte. Überwiegend sieht man §
991 BGBdagegen entweder selbst als Anspruchsgrundlage oder als Rechtsgrundverweisung auf §
989 BGBbzw. §§ 989,
990 BGB(vgl. hierzu Fritzsche, in: BeckOK-BGB, 61.Ed. 01.02.2022, § 991 RdNr. 12). Nach überwiegender Ansicht besteht die
Sperrwirkungalso zwischen Eigentümer und Besitzer weiterhin. Einfallstor der Haftung ist insofern §
991 BGBiVm §§
989, 990BGB. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Petrus
4.4.2023, 08:06:43
Wenn S nun zusätzlich noch Herausgabe fordern würde, läge ein Fall des § 986 I 2 BGB vor oder? Sie müsste vorrangig Herausgabe an B verlangen?
se.si.sc
4.4.2023, 09:01:21
So ist es. Etwas anderes gilt nach § 986 I 2 BGB nur dann, wenn der mittelbare Besitzer den Besitz nicht wieder übernehmen kann oder will, was die Eigentümerin S nachweisen müsste. Rein praktisch gedacht möchte man als Eigentümer in einer solchen Situation aufgrund der offensichtlichen Unzuverlässigkeit des Entleihers aber meist gerne sein Eigentum selbst wieder haben (hier eventuell anders, weil Bruder und Schwester). Die unberechtigte Weitergabe durch den Entleiher ist jedenfalls ein Kündigungsgrund nach §§ 605 Nr 2, 603 S 2 BGB, sodass Eigentümerin S letztlich von B auch Rückgabe des Fahrrads nach § 604 BGB an sie (die S) verlangen könnte, indem sie das vorübergehende
Besitzrechtdes B beseitigt.
Bioshock Energy
11.6.2024, 10:59:54
Hallo, Eventuell stehe ich gerade auf dem Schlauch. Wo liegt denn im vorliegenden Fall der
Schadenfür B? nach der
Differenzhypothesehat B nach dem Schädigenden Ereignis keine schlechtere Vermögenslage als zuvor (er hat ja keine Eigentumsbeeinträchtigung, da er kein Eigentümer ist und auch sonst wird sein Vermögen durch das haftungsbegründende Ereignis nicht gemindert.) Wenn der Anspruch B gegen M inzident zu Prüfen ist, dann gehört dazu doch auch der
Schadendes B?. Wie leitet man einen Anspruch B gegen M ohne
Schadenher, sodass M gegenüber S haftet? Ist es so, dass mit dem "in § 989 bezeichneten
Schaden" (§
991 II), der
Schadender Eigentümerin gemeint ist.? Wenn ja würde das vielleicht meinen Knoten lösen.

Rechthaber
2.7.2024, 16:46:26
Ich hätte den
Schadendes B durch die Grundsätze der
Drittschadensliquidationhergeleitet, der S als Geschädigter hat gegenüber M wegen der
Sperrwirkung des EBVkeine eigenen Ansprüche, der B hat keinen
Schaden, hätte aber einen eigenen Anspruch aus Mietvertrag, Delikt ( berechtigter Besitz), und aus Sicht des M stellt sich diese
Schadensverlagerung aufgrund des Leihvertrages nur zufällig da. Vllt kann man auch sagen, dass
991 II BGBein gesetzlich geregelter Fall einer DSL ist. Das wären jetzt meine spontanen Gedanken dazu.
Quarklo
19.7.2024, 07:54:47
M haftet ggü. S insoweit, wie er B zum Ersatz verpflichtet ist. Eine Ersatzpflicht ggü. B kann sich aus einem
Schadensersatzanspruch aus dem Leihvertrag ergeben (§§ 598, 604, 280 I, 241 II). Der
Schadendes B ergibt sich aus seiner eigenen Ersatzpflicht ggü. S (aus der gleichen Anspruchsgrundlage). Folglich ergibt sich eine Ersatzpflicht ggü. B und somit auch ggü. S. Um eine doppelte Inanspruchnahme des M zu verhindern wird § 851 analog angewendet. Dieser Hinweis könnte gerne auch noch in der Aufgabe ergänzt werden.

Sebastian Schmitt
7.4.2025, 15:23:47
Hallo @[Bioshock Energy](207759), @[Quarklo](252534) hat Deine Frage im Kern schon genau richtig beantwortet: Der
Schadenliegt in der eigenen, vertraglichen Haftung des B ggü S. Mit der
Drittschadensliquidation(DSL) wäre ich hier zurückhaltend, @[Rechthaber](162337). In manchen Ausbildungsunterlagen wird
§ 991 II BGBzwar als "gesetzliche angeordnete DSL" bezeichnet (das ist mE nicht unrichtig), B hat aber, wie eben gesagt, sehr wohl einen
Schaden, der nämlich in seiner vertraglichen Haftung ggü S liegt. Wie man das Ganze dann in der Abwicklung löst, ist eine nicht unkomplexe Frage, Quarklo. Mit einem pauschalen Hinweis auf die analoge Anwendung des § 851 BGB ist es dabei mE nicht getan. § 851 BGB kann man zwar in der Tat analog anwenden, aber auch nur bei Mobilien und nur dann, wenn der redliche und unverklagte M schon an B gezahlt hätte (was wir nach der Sachverhaltsdarstellung hier kaum annehmen können). Wird er vorher über die wahre Rechtslage aufgeklärt, und zahlt in diesem Wissen an B, wird er dadurch ggü S grds gerade nicht frei, sondern muss erneut zahlen und sich das
Geldvon B zurückholen (näher MüKoBGB/Raff, 9. Aufl 2023, § 991 Rn 19). Das dürfte insgesamt doch etwas zu komplex sein, um es iRe Vertiefungshinweises genau aufzuschlüsseln. Wir wollen uns an dieser Stelle daher mit einem allgemeineren Hinweis auf die Abwicklung begnügen und denken darüber nach, auf dieses Problem evtl in einer anderen Aufgabe nochmal genauer einzugehen. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team

johannes.fr
2.5.2025, 09:37:35
Wie würden sich bei § 991 Abs. 2 BGB etwaige Haftungsausschlüsse oder -beschränkungen zwischen
Besitzmittlerund mittelbarem Besitzer (also hier im Verhältnis M-B) auf den Anspruch des Eigentümers aus § 991 Abs. 2 BGB auswirken? Schlägt das dann quasi durch?