Zivilrecht

Sachenrecht

Vindikation & Eigentümer-Besitzer-Verhältnis

Schadensersatz, §§ 992, 823 I - Eigentumsverletzung bei Besitzerlangung

Schadensersatz, §§ 992, 823 I - Eigentumsverletzung bei Besitzerlangung

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A will nach einem Restaurantbesuch versehentlich den Regenschirm des B mitnehmen, da es sich um dasselbe Modell handelt. Beim Greifen nach dem Regenschirm reißt er jedoch fahrlässig den Griff ab.

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Einordnung des Falls

Schadensersatz, §§ 992, 823 I - Eigentumsverletzung bei Besitzerlangung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Zwischen A und B lag bei der Beschädigung des Regenschirms eine Vindikationslage vor.

Nein, das ist nicht der Fall!

Die Vindikationslage setzt voraus, dass (1) der Anspruchsteller Eigentümer und (2) der Anspruchsgegner Besitzer (3) ohne Recht zum Besitz (§ 986 BGB) ist. B war Eigentümer und hat das Eigentum auch nicht verloren. A wurde durch die verbotene Eigenmacht (§ 858 Abs. 1 BGB) Besitzer. Allerdings hat er den Regenschirm bereits beschädigt, als er gerade dabei war, den Besitz zu begründen. Zum Zeitpunkt der Schädigung bestand also noch keine Vindikationslage, sondern erst im Anschluss.
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2. Ansprüche des B aus dem EBV sind daher ausgeschlossen.

Ja, in der Tat!

Besteht keine Vindikationslage, sind auch die Ansprüche aus dem EBV ausgeschlossen. Sowohl die §§ 989, 990 Abs. 1 BGB als auch der § 992 BGB setzen das Bestehen einer Vindikationslage voraus, damit der Tatbestand überhaupt erfüllt ist.

3. B hat aber zumindest einen deliktischen Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB.

Ja!

Da eine Vindikationslage nicht vorliegt, greift auch die Sperrwirkung des § 993 Abs. 1 Hs. 2 BGB nicht. B kann daher für die durch A fahrlässig verursachte Verletzung seines Eigentums den deliktischen Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB geltend machen.

4. A steht damit schlechter, als hätte er den Regenschirm erst später beschädigt.

Genau, so ist das!

Nach h.M. muss im Rahmen des § 992 BGB (Haftung des deliktischen Besitzers im EBV) die verbotene Eigenmacht verschuldet gewesen sein. Da A aber im vorliegenden Fall nicht wusste, dass es sich um den Regenschirm des B handelt und dies auch nicht fahrlässig war, schiede der Anspruch aus. Dieses Verschulden ist für die Haftung aus § 823 Abs. 1 BGB aber irrelevant. Maßgeblich ist dort nur das Verschulden bei der Beschädigung des Regenschirms. Somit gelten hier geringere Anforderungen an die Haftung.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

MAT

Matschegenga

20.3.2023, 11:41:59

Wie rechtfertigt die hM ihre Ansicht, dass der Begriff der verbotenen Eigenmacht im Rahmen des § 992 auf verschuldete Fälle zu begrenzen sei vor dem Hintergrund des Wertungswiderspruchs, der in Sachverhalten wie dem Vorliegenden entsteht? Warum sollte jemand dadurch privilegiert werden können, dass er einen fremden Gegenstand erstmal eine Sekunde in Besitz nimmt, bevor er ihn beschädigt?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

20.3.2023, 12:39:13

Hallo Matschegenga, das Erfodernis des Verschuldens kommt aus dem Vergleich mit der zweiten Alternative. Wenn es ein Äquivalent zu "durch Straftat" sein soll, ist nicht jede verbotene Eigenmacht gleichwertig. Daher wurde von der herrschenden Meinung das Erfordernis des Verschuldens ergänzt, um so einen gewissen Gleichlauf zur zweiten Alternative zu schaffen. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

DIAA

Diaa

8.10.2023, 17:50:15

Wieso greift ihr hier bei der letzten Antwort auf 992 zurück, obwohl hier kein EBV vorliegt?

TI

Timurso

9.10.2023, 01:01:49

Die letzte Antwort erklärt, wie die Haftung im EBV aussähe, um daran zu begründen, dass er ohne EBV schlechter steht.

LELEE

Leo Lee

14.10.2023, 15:25:42

Hallo Diaa, wie Timurso zutreffend anmerkt wollten wir nur vor Augen führen, dass aufgrund des Zeitpunkts/Zufalls die Rechtslage sich wesentlich bessern/verschlechtern kann :). Liebe Grüße - für das Jurafuchsteam - Leo

JulianF

JulianF

15.8.2024, 09:28:39

Wieso ist bei § 823 I irrelevant, ob er die Fremdheit des Eigentums schuldhaft verkennt? Ansonsten zerstört er ja nach subjektiver schuldloser Einschätzung nur eine ihm selbst gehörende Sache, was an anderen Stellen nie haftungsbegründend ist. Wieso setzt eine schuldhafte

Eigentumsverletzung

nicht auch an sich schon Schuldhaftigkeit bezüglich des Umstands voraus, dass es sich überhaupt um Eigentum „eines anderen“ handelt? Unter §§ 990, 989 kann der gutgläubige Eigenbesitzer eine scheinbar eigene Sache ohne Haftungsauslösung zerstören, nur weil er (sogar einfach fahrlässig) denkt, dass nicht ein anderer Eigentümer ist.

JI

Jimmy105

11.9.2024, 14:26:24

Also das zuvor genannte Schema (in der vorherigen Aufgabe) zu 992, 823 I muss dann wohl unvollständig sein... Wenn ich es richtig verstanden habe sind die Anforderungen die folgenden: Vindikationslage erlangung des unrechtmäßigen besitzes durch straftat oder verschuldete verbotene eigenmacht

Eigentumsverletzung

Verletzungshandlung Kausalität Rechtswidrigkeit Verschulden Schaden


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