Zivilrecht

Sachenrecht

Vindikation & Eigentümer-Besitzer-Verhältnis

Schadensersatz, §§ 992, 823 I BGB - Besitzverschaffung durch Straftat / Eigentumsverletzung bei Besitzerlangung

Schadensersatz, §§ 992, 823 I BGB - Besitzverschaffung durch Straftat / Eigentumsverletzung bei Besitzerlangung

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A nimmt nach einem Restaurantbesuch versehentlich den Regenschirm des B mit, da es sich um dasselbe Modell handelt. In der Folge beschädigt A den Regenschirm fahrlässig.

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Einordnung des Falls

Schadensersatz, §§ 992, 823 I BGB - Besitzverschaffung durch Straftat / Eigentumsverletzung bei Besitzerlangung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. B hat gegen A einen Anspruch auf Schadensersatz aus §§ 989, 990 Abs. 1 BGB.

Nein, das trifft nicht zu!

Die Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch aus §§ 989, 990 BGB sind (1) das Vorliegen einer Vindikationslage, (2) Verschlechterung, Untergang oder sonstige Unmöglichkeit der Herausgabe, (3) Bösgläubigkeit des Besitzers, (4) ein Verschulden des Besitzers und (5) ein Schaden beim Eigentümer. Die Vindikationslage liegt vor und es liegt durch die Beschädigung auch eine Verschlechterung des Regenschirms vor. A war allerdings bereits nicht bösgläubig, sondern hielt den Regenschirm für seinen eigenen.
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2. B könnte aber gegen A einen Anspruch auf Schadensersatz aus §§ 992, 823 Abs. 1 BGB haben.

Ja!

Im Falle der Besitzverschaffung durch verbotene Eigenmacht oder durch eine Straftat sieht der § 992 BGB vor, dass der Besitzer auch nach deliktischen Vorschriften haftet. Da A dem B ohne dessen Willen den Besitz entzogen hat, liegt gemäß § 858 Abs. 1 BGB verbotene Eigenmacht vor. Damit kommt ein Schadensersatzanspruch nach den §§ 823 ff. BGB in Betracht.

3. Handelt es sich bei § 992 BGB um eine eigenständige Anspruchsgrundlage?

Nein, das ist nicht der Fall!

§ 992 BGB ist eine Rechtsgrundverweisung auf das Deliktsrecht. Die Voraussetzungen der §§ 823 ff. BGB müssen daher stets geprüft werden.

4. Bei der Besitzverschaffung durch eine Straftat oder durch verbotene Eigenmacht ist stets ein Verschulden gefordert.

Nein, das trifft nicht zu!

Bei der Besitzverschaffung durch Straftat ist ein Verschulden notwendig, die verbotene Eigenmacht nach § 858 Abs. 1 BGB hingegen sieht ein solches nicht vor. Eine Ansicht lässt daher auch die unverschuldete verbotene Eigenmacht für einen Anspruch aus §§ 992, 823 Abs. 1 BGB genügen. Die h.M. hingegen nimmt eine teleologische Reduktion des § 992 BGB vor, sodass die verbotene Eigenmacht verschuldet erfolgen muss. Ansonsten bestünde ein Wertungswiderspruch zwischen den beiden Alternativen (verschuldete Straftat und unverschuldete verbotene Eigenmacht) in § 992 BGB.

5. Mangels Verschuldens hat B keinen Anspruch gegen A aus §§ 992, 823 Abs. 1 BGB.

Ja!

Die Voraussetzungen der §§ 992, 823 Abs. 1 BGB sind (1) die Erlangung des unrechtmäßigen Besitzes durch Straftat oder verschuldete verbotene Eigenmacht, (2) eine Eigentumsverletzung, (3) eine Verletzungshandlung des Anspruchsgegners, (4) Kausalität, (5) Rechtswidrigkeit, (6) Verschulden (bzgl. der Verschlechterung der Sache) und (7) ein Schaden. Da A jedoch davon ausging, dass es sich um seinen Regenschirm handelt und auch keine Fahrlässigkeit vorliegt, da es sich um dasselbe Modell handelt, scheidet der Anspruch aus.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Edward Hopper

Edward Hopper

18.2.2023, 11:04:46

Also hat der Eigentümer gar keine Ansprüche? Auch wenn er de Schirm absichtlich zerstört?

TI

Timurso

19.2.2023, 17:13:33

Das würde ich so sehen, ja. Schließlich hält sich der Besitzer ja für den Eigentümer und als solcher dürfte er den Schirm auch absichtlich zerstören. In einem solchen Fall ist allerdings imo fraglich, ob tatsächlich keine Fahrlässigkeit bei der Verwechslung der Schirme vorliegt. (Und um das Gewissen zu beruhigen: In der Praxis wird derjenige weder wissen noch nachweisen können, dass die Schirme vertauscht wurden. Somit behält der eigentliche Eigentümer einfach den anderen und hat keinen Schaden in dem Sinne.)

Amelie

Amelie

11.5.2023, 23:31:55

Habe ich es richtig verstanden, dass (1) bei § 992 i.V.m. § 823 I Fahrlässigkeit nicht ausreicht, (2) ein Anspruch aus § 823 I grds. auch bei Fahrlässigkeit besteht (3) aber der Anspruch aus § 823 I (direkt) wegen § 993 I HS 2 neben dem EBV gesperrt ist?

Carl Wagner

Carl Wagner

13.5.2023, 15:13:37

Gerne helfe ich dir weiter, Amelie! (1) Hier muss ich dich korrigieren: Wenn du der h.M. folgst, kommt es bei § 992 BGB bei der verbotenen Eigenmacht auf ein Verschulden an. Hierfür reicht Vorsatz und Fahrlässigkeit aus. (Kempny, JuS 2008, 858, 860) - die Falllösung geht davon aus, dass keine Fahrlässigkeit gegeben war, weil es sich um das gleiche Modell handelt. (2) und (3) Das ist richtig: § 993 I Hs. 2 BGB sperrt Ansprüche auf Schadensersatz, also insb. §§ 823 ff. BGB. Viele Grüße - Carl für das Jurafuchs-Team

ajboby90

ajboby90

18.2.2024, 12:05:34

Ich glaube was Amelie hier verwirrt hat (und mich auch) war der Umstand, dass bei dem Anspruch aus 992 iVm 823 I für das Verschulden nicht auf die Beschädigungshandlung des Schirms abgestellt wird (diese geschah fahrlässig), sondern offensichtlich auf die verbotene Eigenmacht (geschah ohne Verschulden) als solche.

B.H.

B.H.

6.6.2024, 16:26:23

Wieso wird bei der Frage danach, ob bei der Besitzverschaffung durch verbotene Eigenmacht oder durch Straftat ein Verschulden gefordert wird, als Antwort angegeben, dass dem nicht so sei? Wird hierbei das „stets“ iSv. unstreitig verstanden. Es demnach gerade streitig ist, ob ein solches Doppel-Verschulden erforderlich ist?

Rechtsanwalt B. Trüger

Rechtsanwalt B. Trüger

12.7.2024, 11:46:27

Das stets wird hier wie ein „in beiden Fällen“, also sowohl bei der verbotenen Eigenmacht, als auch bei der Straftat verstanden. Während man für die Straftat ein Verschulden braucht, wird dies im Rahmen der verbotenen Eigenmacht (§ 858) eben nicht gefordert. Demnach ist ein Verschulden nicht in beiden Fällen und damit nicht „stets“ erforderlich. Soweit ich weiß ist das im Rahmen des § 858 auch nicht streitig oder so

Paulah

Paulah

13.7.2024, 12:01:22

Aber ist die Antwort dann nicht falsch? Die Frage ist "Bei der Besitzverschaffung durch eine Straftat oder durch verbotene Eigenmacht ist stets ein Verschulden gefordert." Die Antwort soll lauten "Die Aussage stimmt nicht." Dann steht in der Erklärung: "Bei der Besitzverschaffung durch Straftat ist ein Verschulden notwendig, die verbotene Eigenmacht nach

§ 858 Abs. 1 BGB

hingegen sieht ein solches nicht vor. Eine Ansicht lässt daher auch die unverschuldete verbotene Eigenmacht für einen Anspruch aus §§ 992, 823 Abs. 1 BGB genügen. Die h. M. hingegen nimmt eine teleologische Reduktion des § 992 BGB vor, sodass die verbotene Eigenmacht verschuldet erfolgen muss. Ansonsten bestünde ein Wertungswiderspruch zwischen den beiden Alternativen (verschuldete Straftat und unverschuldete verbotene Eigenmacht) in § 992 BGB." Danach fordert die herrschende Meinung ein Verschulden auch bei der verbotenen Eigenmacht. Jurafuchs folgt in den Antworten der herrschenden Meinung (wird von den Moderatoren in etlichen Threads immer wieder betont). Nach der Erklärung wäre unter Berücksichtigung der h. M. aber sowohl bei verbotener Eigenmacht als auch bei einer Straftat ein Verschulden erforderlich - und damit "stets". Die Antwort auf die Eingangsfrage müsste daher lauten "Die Aussage stimmt."

Rechtsanwalt B. Trüger

Rechtsanwalt B. Trüger

15.7.2024, 11:13:48

Hi Paulah, hier muss zunächst einmal getrennt werden zwischen dem § 858 I und dem § 992. Für die verbotene Eigenmacht nach § 858 I wird kein Verschulden gefordert. Der Wortlaut der Norm gibt für ein Verschulden keine Anhaltspunkte her. Im Rahmen des § 992 allerdings wird von der herrschenden Meinung für beide Alternativen (1. verbotene Eigenmacht; 2. Straftat) Verschulden gefordert. Bei Straftaten ist es so, dass generell ein Verschulden gefordert wird, weshalb es inkonsequent wäre (laut h.M.) im Rahmen der verbotenen Eigenmacht in Bezug auf § 992 kein Verschulden zu fordern, wenn es für die Straftat aber erforderlich ist. Die Alternative stehen nunmal in einem Satz hintereinander und werden damit vom Gesetzgeber „gleichgestellt“. Die Frage mit dem „stets“ hat sich zunächst erstmal auf die verbotene Eigenmacht im Rahmen des § 858 I bezogen (wo kein Verschulden gefordert wird). Die Erklärung mit dem Verschulden im Rahmen des§ 992 ging nur schonmal über die Fragestellung hinaus, wie ich das sehe. Deswegen ist auch „stimmt nicht“ richtig. LG


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