Zivilrecht

Schuldrecht Allgemeiner Teil

Dreipersonenverhältnisse

Einbeziehungsinteresse – Leistung im Interesse des Dritten erbracht

Einbeziehungsinteresse – Leistung im Interesse des Dritten erbracht

17. Mai 2025

18 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Klassisches Klausurproblem

Die todkranke E will F ihre Rolex vermachen. E vereinbart mit Anwalt A einen Termin, um ein Testament inklusive Vermächtnis zu errichten. A soll einen Notar mitbringen, um dieses öffentlich zu errichten (§ 2232 BGB). A versäumt den Termin und alle weiteren Termine. E verstirbt und ihre Tochter T erbt alles.

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Einordnung des Falls

Einbeziehungsinteresse – Leistung im Interesse des Dritten erbracht

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Wenn E ihr Testament wirksam aufgesetzt hätte, wäre F nach Es Tod unmittelbar Eigentümerin der Rolex geworden.

Nein!

Nach dem Grundsatz der Universalsukzession treten die Erben des Erblassers unmittelbar in alle Rechte und Pflichten des Erblassers ein (§ 1922 Abs. 1 BGB). Mit dessen Tod werden sie deshalb (Mit-)Eigentümer der Sachen des Erblassers. Derjenige, dem ein Vermächtnis zugewandt wird (Vermächtnisnehmer), erwirbt dagegen "nur" einen schuldrechtlichen Anspruch gegen die Erben, auf Herausgabe des vermachten Gegenstandes (§ 1939 BGB).E wollte F ihre Rolex vermachen. Eine Erbeinsetzung war damit nicht verbunden. Unabhängig der Wirksamkeit des Testaments, hätte F allenfalls einen Anspruch auf Herausgabe der Rolex.
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2. F hat nach Es Tod einen Anspruch gegen T auf Herausgabe der Rolex.

Nein, das ist nicht der Fall!

Der Vermächtnisnehmer hat nach Tod des Erblassers einen schuldrechtlichen Anspruch gegen die Erben, auf Herausgabe des vermachten Gegenstandes (§ 1939 BGB). Mit Ausnahme der gesetzlichen geregelten Vermächtnisse (§§ 1932, 1969 BGB) kann ein Vermächtnis allerdings nur durch wirksame letztwillige Verfügung (Testament, Erbvertrag) zugewandt werden.E starb, bevor sie ihr Testament machen konnte. Somit hat sie F die Rolex nicht wirksam vermacht. F hat keinen Anspruch gegen T auf Herausgabe der Rolex.

3. F hat einen Schadensersatzanspruch gegen A nach § 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB.

Nein, das trifft nicht zu!

Der Anspruch aus §280 Abs. 1 BGB setzt voraus: (1) ein bestehendes Schuldverhältnis, (2) eine (Schutz-) Pflichtverletzung des Schuldners, (3) die dieser zu vertreten hat und (4) durch die dem Gläubiger ein Schaden entstanden ist. Lediglich E und A hatten hier einen Vertrag über die Testamentserrichtung (Geschäftsbesorgungsvertrag, § 611 BGB iVm § 675 BGB) abgeschlossen. Somit lag zwischen F und A kein eigenes Schuldverhältnis vor.

4. F könnte gegen A ein Schadensersatzanspruch nach §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB i.V.m. den Grundsätzen des Vertrags mit Schutzwirkung Dritter (VSD) zustehen.

Ja!

Zunächst muss ein Vertrag zwischen Gläubiger und Schuldner bestehen. Die Einbeziehung nach dem VSD setzt sodann (1) Leistungsnähe des Dritten, (2) Einbeziehungsinteresse des Gläubigers, (3) Erkennbarkeit für den Schuldner und (4) Schutzbedürftigkeit des Dritten voraus. LeGES: Leistungsnähe, Gläubigernähe, Erkennbarkeit, Schutzbedürftigkeit. Für Lateinliebhaber: Leges ist der Plural von "lex" und bedeutet übersetzt „Gesetze“.

5. Im Hinblick auf die vertraglichen Pflichten des A, lag für F Leistungsnähe vor.

Genau, so ist das!

Leistungsnähe bedeutet, dass der Dritte bestimmungsgemäß mit der Leistung in Berührung kommt und den Gefahren einer Pflichtverletzung ebenso ausgesetzt ist wie der Gläubiger. Zu fragen ist, ob der Dritte mit der Verletzung der Nebenpflicht, die Rechtsgüter des anderen zu schützen (§ 241 Abs. 2 BGB), typischerweise ebenso in Berührung kam wie der Gläubiger selbst. Die Pflicht zur Beurkundung des Testaments durch A diente nicht nur E, sondern betrifft in gleicher Weise die darin eingesetzten Erben und Vermächtnisnehmer.

6. E hatte ein Interesse daran, dass F in die Schutzpflichten aus dem Testamentserrichtungsvertrag einbezogen wird.

Ja, in der Tat!

Einbeziehungsinteresse bedeutet: Der Gläubiger ist entweder für das "Wohl und Wehe" des Dritten verantwortlich oder hat ein sonstiges besonderes Interesse an dessen Einbeziehung, das bei Vertragsauslegung eine Ausdehnung des Vertrags rechtfertigt. Ein solch gerechtfertigtes Interesse liegt insbesondere vor, wenn die geschuldete Leistung im Interesse des Dritten erbracht wird oder direkt an ihn fließt.Vorliegend ist unerheblich, dass E nicht für das Wohl und Wehe der F verantwortlich ist. Wenn A seine Leistung nicht erbringt, droht gerade F als Dritte ein Vermögensschaden. As Leistung (Errichten des Testaments) liegt insoweit in ihrem Interesse.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

MAT

Matschegenga

21.2.2023, 17:32:48

Als Begründung für die

Gläubigernähe

, also das Interesse der Erblasserin an der Einbeziehung der F, wird hier nur angeführt, dass die Pflichtverletzung des A zu einer Schädigung der F führe. Dieses Argument geht allerdings nicht über das hinaus, was zur Begründung der

Leistungsnähe

der F angeführt wird: Es wird einfach ein Interesse des Gläubigers ohne weiteres aus dem Interesse des Dritten konstruiert. Das kann doch zur Begründung der

Gläubigernähe

, als zusätzlicher Voraussetzung, nicht ausreichend sein?

Stefan B.

Stefan B.

3.3.2023, 07:55:42

Nach meinem Verständnis liegt in diesem Fall ein VSD vor, weil der ausgeweitete Vertrag E-A allein zum Zweck der Begünstigung der F eingerichtet werden soll. Die

Gläubigernähe

ergibt sich also aus dem Vertragszweck.

QUIG

QuiGonTim

13.3.2024, 19:59:50

Inwieweit spielen die strengen Formvorschriften des Erbrechts hier eine Rolle? Die letztwillige Verfügung soll gerade nur bei der Einhaltung bestimmter Formvorschriften wirksam sein. Wie kann dann aus einer überhaupt nicht vollzogenen letztwilligen Verfügung eine rechtliche Bindung zwischen E und F, aus der ein Einbeziehungsinteresse folgen soll, entstehen?

LMA

Lt. Maverick

4.5.2025, 12:57:03

Zunächst muss man hier zwei

Rechtsgeschäft

e voneinander unterscheiden: Zum einen den

Geschäftsbesorgungsvertrag

mit A und zum anderen die letztwillige Verfügung der E als einseitiges

Rechtsgeschäft

. Die letztwillige Verfügung ist grundsätzlich nicht beurkundungspflichtig, sondern muss lediglich handschriftlich aufgesetzt werden. E beauftragte A aber mit der Vorbereitung und Durchführung der letztwilligen Verfügung unter notarieller Beurkundung. A hat zunächst seine

Hauptleistungspflicht

aus dem

Geschäftsbesorgungsvertrag

verletzt und zum anderen die Rücksichtnahmepflicht hinsichtlich der rechtlichen Interessen der E gemäß § 241 II BGB verletzt. Die Nebenpflichtverletzung bezieht sich folglich nur auf den

Geschäftsbesorgungsvertrag

. Es kommt also nicht auf die Wirksamkeit der letztwilligen Verfügung an, sondern darauf, dass diese mangels Vorbereitung und Durchführung aufgrund eines Fehlverhaltens des A gar nicht erst zustande kam. F wurde folglich in den

Geschäftsbesorgungsvertrag

zwischen E und A einbezogen, da E gegenüber A kommunizierte ein Testament nebst Vermächtnisregelungen zugunsten von F unter Zuhilfenahme des A zu errichten. E hatte demnach ein Interesse daran, dass gerade auch zugunsten von F, als geplanter Bedachter, A zeitig bei der Umsetzung der letztwilligen Verfügung mitwirkt.

OKA

okalinkk

28.3.2025, 14:45:03

Ihr schreibt: „

Leistungsnähe

bedeutet, dass der Dritte bestimmungsgemäß mit der Leistung in Berührung kommt und den Gefahren einer Pflichtverletzung ebenso ausgesetzt ist wie der Gläubiger. Zu fragen ist, ob der Dritte mit der Verletzung der NEBENPFLICHT, die Rechtsgüter des anderen zu schützen (§ 241 Abs. 2 BGB), typischerweise ebenso in Berührung kam wie der Gläubiger selbst.“ wieso genügt nicht auch die Verletzung einer

Hauptleistungspflicht

?

_a-k.wgd_

_a-k.wgd_

19.4.2025, 11:43:45

Die Verletzung einer

Hauptleistungspflicht

genügt nicht, um als

Dritter

einen Anspruch aus VSD geltend zu machen, da die

Hauptleistungspflicht

(grds.) nur an den Gläubiger gerichtet ist. Ein

Dritter

kann (grds.) gar nicht in die Sphäre der Verletzung einer HLP kommen, da es einfach nicht für ihn gedacht ist. (Sonst könnte sich der

Schuld

ner auch gegen nahezu jedermann

Schaden

sersatzpflichtig machen). Einbeziehung des obigen Falles: 1. Was war die

Hauptleistungspflicht

des A? = Ein Testament für E zu errichten. - F spielt in der HLP gar keine Rolle. Nur E und A sind für die HLP zentral. 2. Was war die

Nebenleistungspflicht

des A, welche - über den Vertrag hinaus - auch Dritte schützen sollte? = (U.a.) Die rechtlichen Interessen der E zu wahren. - Das rechtliche Interesse der E war darauf gerichtet, dass F die Rolex erhält. F ist nur mit im Bild, da sie davon begünstigt worden wäre. Da F nur bzgl. der NLP eine Rolle spielt, kann sie nur dort andocken!! Natürlich kann die Verletzung der

Hauptleistungspflicht

eine „Doppelfunktion“ haben und so auch eine Verletzung der

Nebenleistungspflicht

sein, wie im obigen Fall. Indem er kein Testament errichtet hat (HLP), hat er gleichzeitig nicht die rechtlichen Interessen der E gewahrt (NLP). Trotzdem ist für den Dritten aber nur der Weg über die verletzte NLP eröffnet. (Bitte ergänzen/korrigieren falls etwas nicht passt)

LELEE

Leo Lee

19.4.2025, 12:56:09

Hallo okalinkk, vielen Dank für die sehr gute und wichtige Frage! In der Tat könnte man sich die Frage stellen, weshalb man hier auf die Nebenpflicht abstellt und nicht "gleich" auf die

Hauptleistungspflicht

, zumal diese "wichtiger" ist. Beachte allerdings wie akwgd angerissen hat, dass es beim VSD darum geht, dass man von vornherein einen

Schaden

sersatzanspruch aufgrund einer Nebenpflichtverletzung ausweitet. Denn wenn es etwa darum geht, dass die

Hauptleistungspflicht

(etwa bei 433 die Übergabe und

Übereignung

) nicht ordnungsgem. geleistet wurde, gibt es eben keinen Grund - außer bei Fällen des VzD - den Dritten mit in den Schutzbereich zu ziehen. Denn er hat erstmal nichts mit dieser Hauptleistung zu tun. Anders in Fällen, wo eben auch 241 II betroffen ist, da - wie etwa beim Mietvertrag - jeder, der auch nur pot. mit dieser Gefahrensphäre in Berührung kommt, geschädigt werden kann. Kurzum: Der VSD betrifft nur die Nebenpflicht, weshalb der Dritte auch bestimmungsgem. mit der Nebenpflicht in Berührung kommen muss. Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre vom MüKo-BGB 9. Auflage, Gottwald § 328 Rn. 167 ff. sehr empfehlen :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

JulianF

JulianF

14.5.2025, 10:30:34

Es geht darum, dass gegenüber dem Dritten nur

Schutzpflichten

(

Nebenpflichten

) entstehen können, die sich vor allem dadurch von

Leistungspflichten

unterscheiden, dass sie nicht selbstständig einklagbar sind, sondern nur im Nachhinein

Schaden

sersatzansprüche zeitigen. Diese Schutzpflicht (Nebenpflicht) kann aber mE – anders als hier dargestellt – gegenüber dem Vertragsgläubiger durchaus auch

Leistungspflicht

sein. So ist es ja auch beim Mietvertrag, die Instandhaltungspflicht, die in den Fällen mangelnder Reparatur verletzt wird, ist gegenüber dem Mieter

Leistungspflicht

, sie ist selbstständig einklagbar. Gegenüber dem Dritten ist sie lediglich Schutzpflicht. Besser wäre es, auf den Schutzcharakter der Pflicht abzustellen, nicht die dogmatische Einordnung. Die Instandhaltungspflicht hat Schutzcharakter, da die Rechtsgüter des Mieters in der Mietwohnung besonders exponiert sind. Von dieser

Leistungspflicht

mit Schutzcharakter ist der Dritte ebenso betroffen wie der Mieter selbst, sodass sie sich als Schutzpflicht auch auf den Dritten erstreckt.


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