Zivilrecht

Schuldrecht Allgemeiner Teil

Dreipersonenverhältnisse

Einbeziehungsinteresse – Leistung im Interesse des Dritten erbracht

Einbeziehungsinteresse – Leistung im Interesse des Dritten erbracht

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs
Tags
Klassisches Klausurproblem

Die todkranke E will F ihre Rolex vermachen. E vereinbart mit Anwalt A einen Termin, um ein Testament inklusive Vermächtnis zu errichten. A soll einen Notar mitbringen, um dieses öffentlich zu errichten (§ 2232 BGB). A versäumt den Termin und alle weiteren Termine. E verstirbt und ihre Tochter T erbt alles.

Diesen Fall lösen 72,5 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

Einordnung des Falls

Einbeziehungsinteresse – Leistung im Interesse des Dritten erbracht

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Wenn E ihr Testament wirksam aufgesetzt hätte, wäre F nach Es Tod unmittelbar Eigentümerin der Rolex geworden.

Nein!

Nach dem Grundsatz der Universalsukzession treten die Erben des Erblassers unmittelbar in alle Rechte und Pflichten des Erblassers ein (§ 1922 Abs. 1 BGB). Mit dessen Tod werden sie deshalb (Mit-)Eigentümer der Sachen des Erblassers. Derjenige, dem ein Vermächtnis zugewandt wird (Vermächtnisnehmer), erwirbt dagegen "nur" einen schuldrechtlichen Anspruch gegen die Erben, auf Herausgabe des vermachten Gegenstandes (§ 1939 BGB).E wollte F ihre Rolex vermachen. Eine Erbeinsetzung war damit nicht verbunden. Unabhängig der Wirksamkeit des Testaments, hätte F allenfalls einen Anspruch auf Herausgabe der Rolex.
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

2. F hat nach Es Tod einen Anspruch gegen T auf Herausgabe der Rolex.

Nein, das ist nicht der Fall!

Der Vermächtnisnehmer hat nach Tod des Erblassers einen schuldrechtlichen Anspruch gegen die Erben, auf Herausgabe des vermachten Gegenstandes (§ 1939 BGB). Mit Ausnahme der gesetzlichen geregelten Vermächtnisse (§§ 1932, 1969 BGB) kann ein Vermächtnis allerdings nur durch wirksame letztwillige Verfügung (Testament, Erbvertrag) zugewandt werden.E starb, bevor sie ihr Testament machen konnte. Somit hat sie F die Rolex nicht wirksam vermacht. F hat keinen Anspruch gegen T auf Herausgabe der Rolex.

3. F hat einen Schadensersatzanspruch gegen A nach § 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB.

Nein, das trifft nicht zu!

Der Anspruch aus §280 Abs. 1 BGB setzt voraus: (1) ein bestehendes Schuldverhältnis, (2) eine (Schutz-) Pflichtverletzung des Schuldners, (3) die dieser zu vertreten hat und (4) durch die dem Gläubiger ein Schaden entstanden ist. Lediglich E und A hatten hier einen Vertrag über die Testamentserrichtung (Geschäftsbesorgungsvertrag, § 611 BGB iVm § 675 BGB) abgeschlossen. Somit lag zwischen F und A kein eigenes Schuldverhältnis vor.

4. F könnte gegen A ein Schadensersatzanspruch nach §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB i.V.m. den Grundsätzen des Vertrags mit Schutzwirkung Dritter (VSD) zustehen.

Ja!

Zunächst muss ein Vertrag zwischen Gläubiger und Schuldner bestehen. Die Einbeziehung nach dem VSD setzt sodann (1) Leistungsnähe des Dritten, (2) Einbeziehungsinteresse des Gläubigers, (3) Erkennbarkeit für den Schuldner und (4) Schutzbedürftigkeit des Dritten voraus. LeGES: Leistungsnähe, Gläubigernähe, Erkennbarkeit, Schutzbedürftigkeit. Für Lateinliebhaber: Leges ist der Plural von "lex" und bedeutet übersetzt „Gesetze“.

5. Im Hinblick auf die vertraglichen Pflichten des A, lag für F Leistungsnähe vor.

Genau, so ist das!

Leistungsnähe bedeutet, dass der Dritte bestimmungsgemäß mit der Leistung in Berührung kommt und den Gefahren einer Pflichtverletzung ebenso ausgesetzt ist wie der Gläubiger. Zu fragen ist, ob der Dritte mit der Verletzung der Nebenpflicht, die Rechtsgüter des anderen zu schützen (§ 241 Abs. 2 BGB), typischerweise ebenso in Berührung kam wie der Gläubiger selbst. Die Pflicht zur Beurkundung des Testaments durch A diente nicht nur E, sondern betrifft in gleicher Weise die darin eingesetzten Erben und Vermächtnisnehmer.

6. E hatte ein Interesse daran, dass F in die Schutzpflichten aus dem Testamentserrichtungsvertrag einbezogen wird.

Ja, in der Tat!

Einbeziehungsinteresse bedeutet: Der Gläubiger ist entweder für das "Wohl und Wehe" des Dritten verantwortlich oder hat ein sonstiges besonderes Interesse an dessen Einbeziehung, das bei Vertragsauslegung eine Ausdehnung des Vertrags rechtfertigt. Ein solch gerechtfertigtes Interesse liegt insbesondere vor, wenn die geschuldete Leistung im Interesse des Dritten erbracht wird oder direkt an ihn fließt.Vorliegend ist unerheblich, dass E nicht für das Wohl und Wehe der F verantwortlich ist. Wenn A seine Leistung nicht erbringt, droht gerade F als Dritte ein Vermögensschaden. As Leistung (Errichten des Testaments) liegt insoweit in ihrem Interesse.
Dein digitaler Tutor für Jura

7 Tage kostenlos* ausprobieren

* Nach dem Probeabo ab 7,99€ /Monat (weitere Infos). Ich akzeptiere die AGB und habe die Datenschutzerklärung zur Kenntnis genommen.

Jurafuchs kostenlos testen


Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

MAT

Matschegenga

21.2.2023, 17:32:48

Als Begründung für die Gläubigernähe, also das Interesse der Erblasserin an der Einbeziehung der F, wird hier nur angeführt, dass die Pflichtverletzung des A zu einer Schädigung der F führe. Dieses Argument geht allerdings nicht über das hinaus, was zur Begründung der Leistungsnähe der F angeführt wird: Es wird einfach ein Interesse des Gläubigers ohne weiteres aus dem Interesse des Dritten konstruiert. Das kann doch zur Begründung der Gläubigernähe, als zusätzlicher Voraussetzung, nicht ausreichend sein?

Stefan B.

Stefan B.

3.3.2023, 07:55:42

Nach meinem Verständnis liegt in diesem Fall ein VSD vor, weil der ausgeweitete Vertrag E-A allein zum Zweck der Begünstigung der F eingerichtet werden soll. Die Gläubigernähe ergibt sich also aus dem Vertragszweck.

QUIG

QuiGonTim

13.3.2024, 19:59:50

Inwieweit spielen die strengen Formvorschriften des Erbrechts hier eine Rolle? Die letztwillige Verfügung soll gerade nur bei der Einhaltung bestimmter Formvorschriften wirksam sein. Wie kann dann aus einer überhaupt nicht vollzogenen letztwilligen Verfügung eine rechtliche Bindung zwischen E und F, aus der ein Einbeziehungsinteresse folgen soll, entstehen?


Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und mit 15.000+ Nutzer austauschen.
Kläre Deine Fragen zu dieser und 15.000+ anderen Aufgaben mit den 15.000+ Nutzern der Jurafuchs-Community
Dein digitaler Tutor für Jura

7 Tage kostenlos* ausprobieren

* Nach dem Probeabo ab 7,99€ /Monat (weitere Infos). Ich akzeptiere die AGB und habe die Datenschutzerklärung zur Kenntnis genommen.