Zivilrecht
BGB Allgemeiner Teil
Anfechtung der Willenserklärung
Anfechtung der Willenserklärung – arglistige Täuschung bei Verschweigen des biologischen Geschlechts
Anfechtung der Willenserklärung – arglistige Täuschung bei Verschweigen des biologischen Geschlechts
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Frauenärztin A sucht eine Arzthelferin für ihre Praxis. Die transgeschlechtliche T, deren Geschlechtsangleichung noch nicht abgeschlossen ist, bewirbt sich. A macht deutlich, dass sie wegen ihrer Patientinnen für die gesuchte Stelle nur Frauen einstellt. T verschweigt ihr biologisches Geschlecht.
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Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. T hat A arglistig getäuscht (§ 123 Abs. 1 BGB).
Ja, in der Tat!
Jurastudium und Referendariat.
2. Eine arglistige Täuschung muss auch rechtswidrig sein.
Ja!
3. A kann wegen arglistiger Täuschung anfechten (§ 123 Abs. 1 BGB).
Nein, das ist nicht der Fall!
4. A kann wegen eines Eigenschaftsirrtums anfechten (§ 119 Abs. 2 BGB).
Nein, das trifft nicht zu!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
simon175
10.11.2022, 14:34:09
Ich finde das letzte Argument überhaupt nicht überzeugend. Warum sollte es den Patientinnen nicht auf das biologische Geschlecht, sondern eher auf das Verhalten und das äußere Erscheinungsbild ankommen, wenn sie sich ausschließlich von Frauen untersuchen lassen wollen? Das ist ein Widerspruch in sich. Laut dem Sachverhalt sucht sie Frauenärztin gerade weibliche Ärztinnen, weil es explizit darauf ankommt wenn man den Intimbereich anderer Frauen untersucht. Im letzten Fall wurde gesagt, dass die Schwangerschaft ua keine
verkehrswesentliche Eigenschaftist, weil sie der Frau nicht dauerhaft anhaftet. Hier ist es aber so, dass die XY Chromosome dem Mann auch nach einer Geschlechtsumwandlung anhaften. Nach dem AGG sind Diskriminierungen auf Grundlage des Geschlechts ohne Rechtfertigung
unzulässig, mir fällt allerding keine passerende Konstellation für einen besseren Rechtfertigungsgrund ein als die Untersuchung von Frauen im Intimbereich.
Nora Mommsen
11.11.2022, 12:59:58
Hallo simon175, danke für deine Anmerkungen zum Fall. Das ist natürlich streitbar und wie von dir dargestellt gibt es auch Argumente für die andere Seite. Rechtlich ist T eine Frau, sobald die Geschlechtsumwandlung abgeschlossen ist. Zudem ist sie eine weiblich gelesene Person, wird also als Frau wahrgenommen auch wenn sie andere Chromosomen hat. Gerade im Vergleich mit einem Transmann, der ja auch unverändert weibliche Chromosomen hat aber als männliche Person wahrgenommen wird wird deutlich, dass es auf das gelesene Geschlecht ankommt. Denn auch wenn die Chromsomen ein biologisch weibliches Geschlecht ergeben, wird diese Person als Mann wahrgenommen. Eine solche Behandlung würde naheliegenderweise abgelehnt von einem Patienten, dem es gerade auf das weibliche Geschlecht ankommt. Das macht deutlich, dass die Chromosomen nicht ausschlagggebend sind. Zumal es unüblich ist, die behandelnde Person danach zu fragen. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
Gnu
7.1.2023, 18:53:48
Hallo liebes Team, die bessere Bezeichnung wäre hier „transgeschlechtlich“ und nicht „transsexuell“, da es sich um eine Geschlechtsidentität handelt, nicht um eine sexuelle Orientierung :)
Lukas_Mengestu
9.1.2023, 17:28:08
Vielen Dank für den Hinweis, Gnu! In der
Tatwird der Begriff der Transsexualität von Betroffenen aufgrund der sprachlichen Nähe zum Begriff Sexualität teilweise abgelehnt. Wir haben den Fall entsprechend angepasst! Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Elias Von der Brelie
23.6.2023, 19:53:51
Aber was soll A jetzt machen? Wenn die Patientinnen nun mal nicht von einer Person welche sie Möglicherweise als Mann wahrnehmen untersucht werden wollen, dann wird es da ordentlich Probleme geben. Müssen die Patientinnen sich dann einfach damit Abfinden, auch wenn sie sich dabei möglicherweise sehr unwohl fühlen? Es ist ja nicht
verwerflichsich unwohl zu fühlen, wenn man als Frau von einer Person welche man als Mann Wahrnimmt im Intimbereich untersucht wird. Muss A sich dann damit abfinden potentiell einige Kunden zu verlieren? Hier sind meiner Meinung nach wirklich nur die Interessen einer Seite akzeptabel geschützt.
Elias Von der Brelie
23.6.2023, 19:58:03
Ich denke völlig unabhängig von Politischen Ansichten hätten die meisten Frauen damit ein Problem.
Gnu
24.6.2023, 10:48:30
A hat ja nicht mal selbst erkannt, dass die T trans ist. Ob es dann für Patientinnen erkennbar ist, ist bereits fraglich. Wenn ich als Patientin aber von einer bestimmten Person nicht untersucht werden möchte, bin ich aber natürlich nicht gezwungen. Den Behandlungsvertrag gehe ich frei ein, und kann die mich untersuchende Person auch ablehnen. Sehe das Problem da nicht wirklich.
Elias Von der Brelie
24.6.2023, 15:01:54
Naja gut da hast du natürlich recht. Dadurch, dass Patientinnen allerdings potentiell deshalb verweigern ist die Frage meiner Meinung nach in dem Bewerbungsgespräch Relevant, und ich sehe nicht warum Lügen darüber primär geschützt sein sollte. Es geht die A schließlich durchaus etwas an. So sehe ich das auch bei generell allen anderen Fragen welche die Arbeitsgeber Objektiv etwas angehen. Über berechtigte Fragen zu Lügen finde ich einfach weniger Schützenswert.
Elias Von der Brelie
24.6.2023, 15:07:30
Die Frage ist ja auch ob es für die Patientinnen wirklich irrelevant ist, nur weil sie es nicht sofort bemerken, oder ob es das nicht eher unangenehmer macht, da sie dadurch eben nicht die Chance haben zu äußern dass sie damit nicht einverstanden sind. Es kann ja auch später, oder während der Inspektion auffallen. Ich finde hier sind die Interessen von der A und den Patientinnen einfach zu wenig geschützt.
Bilbo
12.7.2023, 13:39:52
Transfrauen sind Frauen. Ob sich die Patient*innen bei ihrer Ärztin und deren Team wohlfühlen hängt von diversen Faktoren ab, darüber hinaus nehmen die Arzthelfer*innen idR nicht selbst die Behandlung vor - die Transidentität einer Person oder der Fortschritt ihrer Geschlechtsangleichung kann keine Rückschlüsse auf die Eignung als Arzthelferin zulassen, bzw. Rückschlüsse darauf, wie sie von den Patient*innen aufgenommen wird. T will einen Job, sie "schleicht" sich nicht "ein" und hat als qualifizierte Frau ein Recht darauf als solche eine Chance auf Einstellung zu bekommen.
Elias Von der Brelie
12.7.2023, 15:58:34
Sehr sauber Argumentiert. Genauso würde das vermutlich auch die Herrschende Meinung argumentieren. Ich Stimme eben nicht vollkommen zu weil ich der Meinung bin das eine Seite hinreichend geschützt ist (was auch gut so ist) allerdings die anderen Seiten nicht. Für mich ist das eine zu starke Prioritisierung.
BenKenobi
29.11.2023, 17:23:17
Die Interessenabwägung gestaltet sich schon schwierig, weil das biologische Geschlecht im Lichte des
APRder Intimssphäre unterfallen dürfte. Demnach handelt es sich um einen höchstpersönlichen Bereich der T, der wegen der Nähe zur Menschenwürde abwägungsfest ist. Eine Zuordnung zur Privatssphäre wäre m.E. schwer zu begründen und eher vom Ergebnis her gedacht.
paul1ne
15.7.2024, 23:22:09
Was das Unwohlsein bei Patientinnen bei Untersuchungen im Intimbereich angeht, ist in meiner Wahrnehmung neben der Professionalität der behandelnden Person wenn, dann eher auf die Sexualität und nicht auf die Genitalien der/des Untersuchenden einzugehen.
Diaa
20.7.2023, 15:57:43
Die Argumen
tation letztlich ist sehr abwegig. Hier wurde die Wichtigkeit des äußeren Erscheinungsbildes einer Pers. über die des Intimbereiches gestellt. Ich gehe davon aus, dass es keine h.M. und andere Ansicht vertretbar ist
ehemalige:r Nutzer:in
26.9.2023, 14:44:45
Vielleicht weniger mutmaßen und mehr lesen.l
Kind als Schaden
23.4.2024, 14:30:35
Wenn man sein Geschlecht doch (auch ausdrücklich der Gesetze) ändern lassen kann, dann ist das Geschlecht ja eigentlich bereits keine Eigenschaft, da es einer Person nicht dauerhaft anhaftet -> Siehe auch das neue Selbstbestimmungsgesetz, was eine Vereinfachung bewirkt hat, seine Geschlechtseintragung ändern zu lassen.
Timurso
24.4.2024, 11:30:40
Ich denke es geht hier primär um das Geschlecht bei Geburt / biologische Geschlecht. Dieses stellt schon eine Eigenschaft dar und kann nicht geändert werden.
DeliktusMaximus
12.12.2024, 22:28:49
Das Problem beginnt schon damit, dass weder im öffentlichen noch im juristischen Diskurs konsequent zwischen dem biologischen Geschlecht (das eine feste Eigenschaft ist) und der Geschlechtsidentität (die keine feste Eigenschaft ist) unterschieden wird; vgl. 1 BvR 2019/16.
Antonia
6.9.2024, 17:23:37
Wenn eine „Transfrau“ rechtlich zur Frau wird mit Abschluss der Geschlechtsangleichung (sprich Entfernung der männlichen Genitalien), sollte die Frauenärztin im vorliegenden Fall denn dann nicht auch gerechtfertigt sein, wenn sie sich nach dem Geschlecht erkundigt, weil sie gerade nur weibliche Mitarbeiter anstellen möchte? Schließlich geht von der Transfrau bis zur vollkommenen operativen Geschlechtsangleichung das potentielle Risiko aus, dass sie Patientinnen mit diesen sexuell misshandelt. Meines Erachtens liegt eine widerrechtliche
arglistige Täuschung vor bis zur OP.