Bewerbungsgespräch (Vorstrafen)

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Unternehmer U sucht einen Fahrer für Geldtransporte. Ex-Knacki E bewirbt sich. Auf die Frage nach Vorstrafen verschweigt E Verurteilungen wegen (1) Unterschlagung, (2) Körperverletzung, (3) Trunkenheit im Verkehr. Letzteres wurde bereits aus dem Bundeszentralregister gelöscht.

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Einordnung des Falls

Bewerbungsgespräch (Vorstrafen)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. E hat U arglistig getäuscht (§ 123 Abs. 1 BGB).

Ja!

Tatsachen sind alle Umstände der Gegenwart oder Vergangenheit, die dem Beweis zugänglich sind. Vorstrafen sind solche Umstände der Gegenwart. E täuschte auch vorsätzlich über diese Tatsachen hinweg und handelte mithin arglistig.
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2. U kann wegen der arglistigen Täuschung über die Unterschlagung (§ 246 StGB) anfechten.

Genau, so ist das!

Fragen nach Vorstrafen sind problematisch, weil sie zum einen den ehemaligen Straftäter an einer Arbeitsfindung und damit an der Resozialisierung hindern können. Auf der anderen Seite hat ein Arbeitgeber möglicherweise ein Interesse, über bestimmte Vorstrafen informiert zu werden. Daher dürfen Vorstrafen abgefragt werden, wenn sie einen Bezug zum Beruf haben, z.B. Vermögensdelikte. Die Unterschlagung (§ 246 StGB) ist ein Vermögensdelikt. U möchte E mit Geldtransporten betrauen. Es ist daher von Relevanz, ob E bereits Straftaten gegen fremdes Vermögen verübt hat. Damit steht E kein Recht zur Lüge zu und die Täuschung war rechtswidrig.

3. U kann wegen der arglistigen Täuschung über die Körperverletzung (§ 223 StGB) anfechten.

Nein, das trifft nicht zu!

Vorstrafen dürfen nur abgefragt werden, wenn sie einen Bezug zum Beruf haben, z.B. Vermögensdelikte. Hierbei sind grundsätzlich auch laufende Ermittlungsverfahren von Relevanz. Eine Körperverletzung (§ 223 StGB) kann dann Bezug zum Beruf haben, wenn das Berufsbild Kundenkontakt vorsieht und/oder Konfliktpotenzial hat, z.B. Türsteher. Die Eskalationsgefahr bei Transportfahrten ist jedoch als gering anzusehen. Damit fehlt es am Bezug der Vorstrafe zum Beruf und E steht ein Recht zur Lüge zu. Somit war die Täuschung nicht rechtswidrig.Falls das Fahren des Geldtransporters mit einem Führen einer Waffe einhergehen sollte (zur Sicherheit), scheint es auch sehr gut vertretbar, den Bezug zu bejahen!

4. U kann wegen der arglistigen Täuschung über die Trunkenheit im Verkehr (§ 316 StGB) anfechten.

Nein!

Grundsätzlich hat Trunkenheit im Verkehr einen Bezug zu dem Berufsbild eines Transportfahrers, da er sich sicher im Straßenverkehr verhalten muss. Damit steht dem E grundsätzlich kein Recht zur Lüge auf eine solche Vorstrafe zu. Allerdings soll es auch verurteilten Straftätern möglich sein, sich wieder zu resozialisieren. Der Makel der Verurteilung soll ehemaligen Straftäter also kein Leben lang erschweren, eine Arbeit zu bekommen. Daher darf sich eine Person als vorstrafenlos verhalten, wenn ihre Vorstrafe bereits aus dem Bundeszentralregister gelöscht wurde. Damit steht E ein Recht zur Lüge zu und die Täuschung war nicht rechtswidrig.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

SI

silasowicz

7.8.2023, 22:46:40

Würde sich eine zwischenzeitliche Löschung von einschlägigen Vermögensdelikten aus dem Bundeszentralregister in irgendeiner Weise wie im Falle der Trunkenheit im Verkehr auf die Lösung hier auswirken? Bedeutet das im Umkehrschluss aber, dass letztere nicht verschwiegen werden dürfte, sofern sie noch im Bundeszentralregister steht?

LELEE

Leo Lee

9.8.2023, 16:04:23

Hallo silasowicz, hinsichtlich deiner ersten Frage: Hier gibt es - i.Ü. auch lt. Urteil - keine feste Antwort. ES kommt nämlich - Überraschung - immer auf den Einzelfall an. Grundsätzlich müssen Vorstrafen dann mitgeteilt werden, wenn Sie einen Bezug haben zur Tätigkeit und zudem noch nicht getilgt sind im BZR, § 53 BZRG. Ansonsten ist immer entscheidend, ob im Einzelfall obj. Zweifel an der Eignung begründet wird. Wenn also der Bewerber sich schon fünf Mal wegen Unterschlagung in Millionenhöhe strafbar gemacht hat, werden auch 5 Jahre, die seitdem verstrichen sind, nicht ausreichen. Hat er sich aber nur ein Mal vor 30 Jahren wegen Untreue i.H.v. 1.000 Euro (oder auch DM) strafbar gemacht, wird dies eher für die Bejahung eines Schweigerechts sprechen. Hierzu kann ich die Lektüre von MüKo-BGB, 9. Auflage, Armbruster § 123 Rn. 47 und Seite 9 der hier zitierten Entscheidung sehr empfehlen (https://www.prinz.law/urteile/BAG_1_AZR_594-56):). Liebe Grüße - für das Jurafuchsteam - Leo

Felix_99

Felix_99

26.10.2023, 18:24:41

Warum eine Anfechtung wegen Trunkenheit im Verkehr nicht möglich sein, erschließt sich mir nicht.

Nora Mommsen

Nora Mommsen

27.10.2023, 14:43:10

Hallo Warda, danke für deine Rückfrage. Die Anfechtung wegen einer Lüge über eine Verurteilung wegen Trunkenheit im Verkehr ist nicht per se ausgeschlossen. Aber auch verurteilten Straftätern soll eine Resozialisierung möglich gemacht werden, und sie sollen nicht ein Leben lang daran aufgehalten werden. Bei Delikten, die mit einem Eintrag ins Bundesfahreignungsregister einhergehen, nimmt man die Tilgung der Punkte als Zeitgrenze, ab der nicht mehr darüber informiert werden muss. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

JI

jingerale

19.1.2024, 14:37:41

Ich dachte, ich hätte mal gelesen (ich glaube als ich StrafR gelernt habe), dass Geldtransport-Fahrer i.d.R. bewaffnet sind, um das Transportgut notfalls beschützen zu können, weshalb eine Vorstrafe im Bereich der Körperverletzungsdelikte eben doch relevant wäre...? Kann mir da jemand weiterhelfen?

LELEE

Leo Lee

20.1.2024, 06:53:24

Hallo jingerale Vielen Dank für dein Feedback! In der Tat hast du völlig Recht, dass manche Geldtransporterfahrer mit einer Waffe ausgestattet sein können. In diesem Fall gibt es sehr wohl eine Eskalationsgefahr, weshalb ein Bezug der Vorstrafe im Bereich der Körperverletzung zu der Tätigkeit sehr gut vertretbar ist mMn. Wir haben diese Konstellation nun als Vertiefung bei der entsprechenden Aufgabe ergänzt und danken dir vielmals dafür, dass du uns dabei hilfst, die App zu perfektionieren :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

DDoubleYou

DDoubleYou

13.6.2024, 15:10:22

Liebes Jurafuchs-Team, warum kann hier wegen der Unterschlagung angefochten werden, aber nicht wegen der Trunkenheit? Also warum das wegen der Trunkenheit nicht geht, erschließt sich mir aus den Antworten der anderen hier gestellten Fragen. Müsste der Resozialisierungsgedanke dann nicht auch für die Unterschlagung gelten? Danke :)

TI

Timurso

13.6.2024, 16:04:26

Der Unterschied ist, dass die Trunkenheit schon aus dem BZR gelöscht ist. Daraus folgt, dass E deswegen nicht mehr als vorbestraft gilt. Insofern muss er sie auch nicht angeben. Die Unterschlagung steht jedoch noch drin. Die muss er daher angeben. Für den Job relevant sind sie beide, der Knackpunkt ist hier die BZR-Eintragung. Natürlich gilt der Grundgedanke der Resozalisierung auch bezüglich der Unterschlagung. Allerdings überwiegt hier aufgrund des geringen Zeitablaufs seit der Verurteilung noch der Schutz des Rechtsverkehrs, da hier noch mit höherer Wahrscheinlichkeit mit einem Rückfall zu rechnen ist.

TI

Timurso

13.6.2024, 16:06:22

Beziehungsweise scheint es nicht starr am BZR zu hängen, sondern eine Abwägung im Einzelfall zu sein, siehe den Thread zwei weiter unten.

DDoubleYou

DDoubleYou

13.6.2024, 16:19:00

Danke für die schnelle und hilfreiche Antwort!


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