Zivilrecht

Deliktsrecht

§ 823 Abs. 1 BGB

Suizid als Rechtsgutsverletzung nach § 823 Abs. 1 BGB – Mobbing

Suizid als Rechtsgutsverletzung nach § 823 Abs. 1 BGB – Mobbing

22. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Klassisches Klausurproblem

A ist bei B angestellt. Daher versucht B erfolglos, A zu kündigen. In der Folgezeit fühlt sich A zunehmend durch schikanierende, aber legale Maßnahmen der B "gemobbt". Daraufhin begeht A Suizid.

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Einordnung des Falls

Suizid als Rechtsgutsverletzung nach § 823 Abs. 1 BGB – Mobbing

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. A hat eine Rechtsgutsverletzung erlitten (§ 823 Abs. 1 BGB).

Ja, in der Tat!

Die Verletzung des Rechtsguts Leben bedeutet die Verursachung des Todes. Das Leben ist zivilrechtlich bereits in der embryonalen Phase vor der Geburt geschützt. Der Lebensschutz endet mit dem Hirntod. Durch den Suizid wurde das Rechtsgut Leben des A verletzt. Im Strafrecht beginnt der Lebensschutz erst später (mit den Eröffnungswehen), da das ungeborene Leben strafrechtlich durch die Regeln zum Schwangerschaftsabbruch (§§ 218ff. StGB) geschützt ist.
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2. Das "Mobbing" durch B war äquivalent-kausal für die Rechtsgutsverletzung des A.

Ja!

Nach der Äquivalenztheorie ist jede Tatsache ursächlich für einen Schadenseintritt, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass die Rechtsgutsverletzung in ihrer konkreten Gestalt entfiele. Würde man das Mobbing der B hinwegdenken, so hätte A keinen Suizid begangen und wäre nicht am Rechtsgut Leben geschädigt worden. Damit war die Handlung der B äquivalent-kausal für die Rechtsgutsverletzung.

3. Das "Mobbing" durch B war auch adäquat-kausal für die Rechtsgutsverletzung des A.

Nein, das ist nicht der Fall!

Die Äquivalenztheorie umfasst auch völlig unwahrscheinliche Kausalverläufe. Deshalb ist eine Korrektur nach der Adäquanztheorie erforderlich. Nach der Adäquanztheorie sind solche Erfolge nicht zurechenbar, wenn der Geschehensablauf außerhalb jeder Lebenswahrscheinlichkeit liegt. Die Arbeitgeberin B, die Maßnahmen vornimmt, die als Mobbing empfunden werden können, jedoch noch im Rahmen des Legalen liegen, muss nicht damit rechnen, dass ihr Arbeitnehmer A Suizid begeht. Dies gilt nicht, wenn objektiv erkennbare Anhaltspunkte für eine Suizidgefährdung des Arbeitnehmers vorgelegen haben.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Mr_Monsense

Mr_Monsense

9.12.2020, 19:52:01

Auch hier habe ich Bauchschmerzen mit der Bewertung der Adäquanz der Kausalität. Es ist doch kein Geheimnis, dass einige Opfer von Mobbing gerade auf Grund des Mobbings Suizid begangen haben. Dabei kann es nicht davon abhängig sein, ob das Verhalten grds. legal ist. Sobald man den Begriff Mobbing darüberschreiben kann, muss das zu einer Haftung führen. Ansonsten müsste man genau definieren, welches Mobbing einem Suizid des Opfers regelmäßig Vorschub leistet und welches regelmäßig nicht.

Mr_Monsense

Mr_Monsense

9.12.2020, 19:53:59

Das dürfte jedoch nicht möglich sein. Und wenn es dennoch getan würde, wird dies wohl dazu führen, dass einiges Mobbing erlaubt ist, anderes aber nicht, obwohl es sich in jedem Fall um ein Verhalten handelt, das nicht toleriert werden kann, wenn es über einen längeren Zeitraum anhält, selbst wenn die Handlungen für sich genommen legal sein mögen.

GZ

Gratian der Zweite

15.7.2021, 18:20:56

Wurden Sie selbst gemobbt?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

1.10.2021, 09:57:21

Hallo Mr_Monsense, ich kann Deine Bauchschmerzen mehr als nachvollziehen. Gerade in einem so tragischen Fall liegt das Bedürfnis nahe, jemanden dafür zur Verantwortung zu ziehen. Dennoch ist es in einem Rechtsstaat natürlich wichtig, gewisse Maßstäbe zu entwickeln, um objektiv zu ermitteln, wie ein bestimmtes Verhalten zu bewerten ist. Allein der Umstand, wie eine Person ein bestimmtes Verhalten subjektiv empfindet, kann für die straf-/deliktsrechtliche Haftung insoweit nicht allein ausschlaggebend sein.Dreh- und Angelpunkt ist also die Frage, wann ist die Schwelle zum Mobbing objektiv überschritten. Den entsprechenden Maßstab formuliert das BAG wie folgt: „Macht ein Arbeitnehmer konkrete Ansprüche auf Grund „Mobbings” geltend, muss jeweils geprüft werden, ob der in Anspruch Genommene in den vom Kl. genannten Einzelfällen arbeitsrechtliche Pflichten, ein absolutes Recht des Arbeitnehmers i.S. des § 823 I BGB, ein

Schutzgesetz

i.S. des §

823 II BGB

verletzt oder eine

sittenwidrige Schädigung

i.S. des §

826 BGB

begangen hat. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass es Fälle gibt, in welchen die einzelnen, vom Arbeitnehmer dargelegten Handlungen oder Verhaltensweisen seiner Arbeitskollegen, Vorgesetzten oder seines Arbeitgebers für sich allein betrachtet noch keine Rechtsverletzungen darstellen, jedoch die Gesamtschau der einzelnen Handlungen oder Verhaltensweisen zu einer Vertrags- oder Rechtsgutsverletzung führt, weil deren Zusammenfassung auf Grund der ihnen zu Grunde liegenden Systematik und Zielrichtung zu einer Beeinträchtigung eines geschützten Rechtes des Arbeitnehmers führt […] Letzteres ist insbesondere dann der Fall, wenn unerwünschte Verhaltensweisen bezwecken oder bewirken, dass die Würde des Arbeitnehmers verletzt und ein durch Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird. Dies entspricht der in § 3 III AGG erfolgten Definition des Begriffs „Belästigung”, die eine Benachteiligung i.S. des § 1 AGG darstellt. Da ein Umfeld grundsätzlich nicht durch ein einmaliges, sondern durch ein fortdauerndes Verhalten geschaffen wird, sind alle Handlungen bzw. Verhaltensweisen, die dem systematischen Prozess der Schaffung eines bestimmten Umfeldes zuzuordnen sind, in die Betrachtung mit einzubeziehen. Demzufolge dürfen einzelne zurückliegende Handlungen/Verhaltensweisen bei der Beurteilung nicht unberücksichtigt gelassen werden.“ (BAG NJW 2009, 251) Gemessen an diesen Maßstäben konnten die Vorinstanzen aber in den Handlungen des B (u.a. neue Aufgabenzuweisungen) keine Maßnahmen des B erkennen, die die Schwelle des Mobbings überschritten haben (deswegen die Angabe im Sachverhalt „legale Maßnahmen“), auch wenn diese sich für A vielleicht subjektiv als Mobbing darstellten. Ist es so nachvollziehbarer? Beste Grüße Lukas – für das Jurafuchs-Team

JURA

Juranus

19.1.2021, 18:16:36

Ich finde schon den Fall schwer nachvollziehbar. Eine bewusst schikanierende Maßnahme, also bspw. sinnlose Arbeiten oder die Abkopplung von betrieblichen Informationen, greift doch regelmäßig das Wohlbefinden und langfristig die Gesundheit des Arbeitnehmers an. Wie kann das jemals im Einklang mit den Fürsorgepflichten des AG aus dem AV stehen und legal sein? Weiterhin sind die Auswirkungen des Mobbings individuell, soll heißen, was einer wegsteckt, kann einen anderen schon psychisch schwer belasten. Daher finde ich es schwierig so pauschal zu sagen, dass es eine Mobbing-Stufe gibt, auf der ein Suizid außerhalb jeglicher Lebenserwartung steht. Wo will man da eine Grenze ziehen?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

1.10.2021, 10:02:39

Hallo Juranus, Du hast da einen super Punkt, der auch die gerichtliche Praxis immer wieder beschäftigt. Festzuhalten ist zunächst, dass selbstverständlich jede Art von Mobbing zu unterlassen ist. Der zentrale Punkt ist indes die Frage, wann ein Verhalten die Schwelle zum Mobbing überschreitet. Der Schlüssel zur besseren Nachvollziehbarkeit des Falles liegt darin begründet, dass sich hier der Mitarbeiter A gemobbt „fühlt“. Gerichte müssen aber letztlich anhand objektiver Anhaltspunkte feststellen, ob tatsächlich ein entsprechendes Mobbingverhalten vorlag. Allein die subjektive Sicht des "Opfers" kann die Haftung nicht begründen. Den entsprechenden Maßstab formuliert das BAG wie folgt: „Macht ein Arbeitnehmer konkrete Ansprüche auf Grund „Mobbings” geltend, muss jeweils geprüft werden, ob der in Anspruch Genommene in den vom Kl. genannten Einzelfällen arbeitsrechtliche Pflichten, ein absolutes Recht des Arbeitnehmers i.S. des § 823 I BGB, ein

Schutzgesetz

i.S. des §

823 II BGB

verletzt oder eine

sittenwidrige Schädigung

i.S. des §

826 BGB

begangen hat. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass es Fälle gibt, in welchen die einzelnen, vom Arbeitnehmer dargelegten Handlungen oder Verhaltensweisen seiner Arbeitskollegen, Vorgesetzten oder seines Arbeitgebers für sich allein betrachtet noch keine Rechtsverletzungen darstellen, jedoch die Gesamtschau der einzelnen Handlungen oder Verhaltensweisen zu einer Vertrags- oder Rechtsgutsverletzung führt, weil deren Zusammenfassung auf Grund der ihnen zu Grunde liegenden Systematik und Zielrichtung zu einer Beeinträchtigung eines geschützten Rechtes des Arbeitnehmers führt […] Letzteres ist insbesondere dann der Fall, wenn unerwünschte Verhaltensweisen bezwecken oder bewirken, dass die Würde des Arbeitnehmers verletzt und ein durch Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird. Dies entspricht der in § 3 III AGG erfolgten Definition des Begriffs „Belästigung”, die eine Benachteiligung i.S. des § 1 AGG darstellt. Da ein Umfeld grundsätzlich nicht durch ein einmaliges, sondern durch ein fortdauerndes Verhalten geschaffen wird, sind alle Handlungen bzw. Verhaltensweisen, die dem systematischen Prozess der Schaffung eines bestimmten Umfeldes zuzuordnen sind, in die Betrachtung mit einzubeziehen. Demzufolge dürfen einzelne zurückliegende Handlungen/Verhaltensweisen bei der Beurteilung nicht unberücksichtigt gelassen werden.“ (BAG NJW 2009, 251) Gemessen an diesen Maßstäben konnten die Vorinstanzen aber in den Handlungen des B (u.a. neue Aufgabenzuweisungen) keine Maßnahmen sehen, die die Schwelle des Mobbings überschritten haben (deswegen die Angabe im Sachverhalt „legale Maßnahmen“), auch wenn diese sich für A subjektiv als Mobbing darstellen. Ist es so nachvollziehbarer? Beste Grüße Lukas – für das Jurafuchs-Team

MenschlicherBriefkasten

MenschlicherBriefkasten

11.7.2024, 11:22:46

Ich habe es so gelernt, dass das Merkmal der adäquaten Kausalität sehr weit zu fassen ist. "Was liegt schon nicht außerhalb jeder Lebenswahrscheinlichkeit?" - Ein

Suizid nach Mobbing

liegt mE jedenfalls nicht außerhalb jeder Lebenswahrscheinlichkeit. Ich würde es dann möglicherweise am

Schutzzweck der Norm

scheitern lassen in diesem Fall.


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