Zivilrecht

Examensrelevante Rechtsprechung ZR

Entscheidungen von 2017

Silberfische in geringem Umfang begründen keinen Sachmangel

Silberfische in geringem Umfang begründen keinen Sachmangel

21. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

V verkauft K eine Eigentumswohnung unter Ausschluss der Gewährleistung. Die Wohnung ist 19 Jahre alt und seit Errichtung nicht saniert worden. Bei Übergabe leben dort sechs Silberfischchen, was V weiß. Zwei Monate später sind es Hunderte. K wird sie nicht mehr los.

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Einordnung des Falls

Silberfische in geringem Umfang begründen keinen Sachmangel

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Auch wenn die Kaufsache der vertraglich vorausgesetzten Verwendung (§ 434 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 BGB) entspricht, kann sich K darauf stützen, dass die Wohnung sich nicht zur gewöhnlichen Verwendung eignet (§ 434 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 BGB).

Nein, das ist nicht der Fall!

OLG Hamm: Der Rückgriff auf den Auffangtatbestand des § 434 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 BGB sei in Fällen, in denen dem Vertrag eine Zweckbestimmung zugrunde liegt, weder möglich noch erforderlich.
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2. Die von V verkaufte Wohnung weist einen Sachmangel auf, da sie sich nicht für die vom Vertrag vorausgesetzte Verwendung eignet (§ 434 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 BGB).

Nein, das trifft nicht zu!

OLG Hamm: Eine Eigentumswohnung, hinsichtlich derer sich keine abweichende Zweckbestimmung ergibt, müsse sich in erster Linie für Wohnzwecke von Menschen eignen. Geeignet sei sie, wenn sie eine Beschaffenheit aufweist, die bei Eigentumswohnungen üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten kann.OLG Hamm: Der Erwerber einer 19 Jahre alten Eigentumswohnung könne nicht erwarten, dass die Wohnung völlig frei von Silberfischchen sei. Von den Tieren gehe auch keine Gefahr für Menschen aus. Die im Zeitpunkt der Übergabe (§ 446 S. 1 BGB) vorhandenen sechs Silberfischchen begründeten somit keinen Sachmangel i.S.v. § 434 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 BGB.Seit 1.1.2022: § 434 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 BGB n.F. = § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BGB a.F.

3. K kann Rückzahlung des Kaufpreises aus c.i.c. verlangen (§§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2, 249 BGB).

Nein!

Das Kaufrecht enthält eine abschließende Regelung für pflichtwidriges Verhalten des Verkäufers, das sich auf die Kaufsache bezieht. Ausnahmen: wenn der Verkäufer 1) arglistig/vorsätzlich handelt oder 2) Beratungspflichten übernimmt. V hat jedoch nicht arglistig gehandelt. Das Verschweigen von Tatsachen begründet nur dann eine Haftung, wenn der andere Teil nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung redlicherweise Aufklärung erwarten durfte. Das ist bei sechs Silberfischchen in der Wohnung nicht der Fall.

4. Trotz Ausschluss der Gewährleistung kann K vom Kaufvertrag zurücktreten (§§ 437 Nr. 2, 323, 346 Abs. 1 BGB), wenn V einen Sachmangel arglistig verschwiegen hat.

Genau, so ist das!

Das ergibt sich aus § 444 BGB. Der Käufer soll vor einer unredlichen Freizeichnung des Verkäufers geschützt werden. Der Verkäufer kann jedoch die Haftung über § 444 BGB hinaus beschränken, indem er den Käufer über die den Mangel begründenden Umstände aufklärt. Denn wenn der Käufer einen Mangel kennt, kann er daraus keine Gewährleistungsrechte herleiten (§ 442 Abs. 1 S. 1 BGB).
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

-T

- tsch

3.10.2021, 18:03:56

Hallo:) Wäre es nicht möglich unter den Mangel nach 434 I 2 Nr 1 die 6 Silberfischchen als Anlage/Ursache bereits bei GÜ für die spätere Unbewohnbarkeit zu sehen? Oder war die Wohnung trotz dessen auch später bewohnbar? Liebe Grüße!

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

4.10.2021, 13:31:10

Hallo tschali, daran könnte man durchaus denken. In den Sinn kommen dabei vor allem die Konstellationen des sog.

Weiterfresserschaden

s, also der Situation in der ein anfänglicher kleiner Schaden zur weiteren Beschädigung des Kaufgegenstandes führt. Hier ist aber zu berücksichtigen, dass die anfängliche Population gerade keinen Mangel darstellt. Das Gericht hat zudem maßgeblich darauf abgestellt, dass die weitere Vermehrung der Tierchen maßgeblich durch Umwelteinflüsse begünstigt wurde, die von der Klägerin selbst gesetzt wurden (u.a. nicht ausreichende Belüftung, eingebrachte Feuchtigkeit, erhöhte Außentemperatur). Insofern lag die große Population weniger an den ursprünglich vorhandenen Tierchen, als vielmehr an den von der Klägerin geschaffenen Umweltbedingungen. Auch dies spricht dafür, die ursprünglich vorhandenen Tierchen nicht als angelegter Mangel einzuordnen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Blackpanther

Blackpanther

21.3.2022, 11:26:45

Wie wäre die Entscheidung, dass das Vorliegen der vertraglich vorausgesetzten Verwendung (§ 434 II 1 Nr. 2 nF) einen Mangel an der gewöhnlichen

Beschaffenheit

(§ 434 III 1 Nr. 1 nF) ausschließt nach der Kaufrechtsreform zu beurteilen? M.E. kann die objektive Mangelfreiheit einen subjektiven Mangel jetzt nicht mehr ausschließen (vgl. § 434 I nF). Einzige Ausnahme: § 434 III 1 nF: "soweit nichts anderes *vereinbart*", was mE nur die

Beschaffenheitsvereinbarung

und nicht die vorausgesetzte Verwendung betrifft.

Blackpanther

Blackpanther

21.3.2022, 11:37:52

Beispiel: V verkauft Künstler K ein fahruntüchtiges Auto, dass K für eine Skulptur benötigt. K hat keine Kenntnis von der

fahruntüchtigkeit

und es liegt keine

Beschaffenheitsvereinbarung

vor. Das Vorhaben des K war V bekannt, weshalb ihn wohl keine Aufklärungspflicht trifft. Später verlangt K Schadenersatz, weil er das Auto nun doch fahren möchte. Liegt ein Mangel vor?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

23.3.2022, 14:29:42

Hallo Blackpanther, nach Ansicht von Weidenkaff geht auch nach der Novellierung die subjektiv vorausgesetzte Verwendung vor (Weidenkaff, in: Grüneberg, BGB, 81. 2022, § 434 RdNr. 25). Unter Verweis auf den Wortlaut lässt sich nun aber sehr gut argumentieren, dass lediglich eine explizite

Beschaffenheitsvereinbarung

Vorrang vor den objektiven Anforderungen hat. Dafür sprechen letztlich auch die besonderen Voraussetzungen, die für den

Verbrauchsgüterkauf

hinsichtlich negativer

Beschaffenheitsvereinbarung

en festgelegt wurden (§ 476 Abs. 1 S. 2 BGB). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

MarieCW

MarieCW

30.11.2022, 12:28:45

Es ist meiner Kenntnis nach nicht richtig, dass eine nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung den Rückgriff auf den Auffangtatbestand (gewöhnliche Verwendung) grundsätzlich ausschließt (so scheint es in der Erklärung einer Frage aber zu sein). Hier muss differenziert werden. Es kommt auf die jeweilige Verwendung an. Es kann eine bestimmte Verwendung vorausgesetzt werden - die dann auch vorliegt. Aufgrund einer ANDEREN, nicht gewöhnlichen Verwendung kann die Sache dann trotzdem mangelhaft sein. Bsp: Die Parteien setzen voraus, dass ein Stift sich auch dazu eignet, als Laserpointer verwendbar zu sein. Jetzt schreibt der Stift aber nicht und eignet sich deswegen nicht für die gewöhnliche Verwendung ,schreiben‘. So pauschal kann man das also meiner Meinung nach nicht behaupten.

MarieCW

MarieCW

30.11.2022, 12:30:52

Aufgrund der konkreten nach dem Vertrag vorausgesetzten Verwendung kann die Sache dann nicht mehr wegen einer fehlenden gewöhnlichen Verwendung mangelhaft sein. Nur zur Klarstellung :-)

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

9.12.2022, 10:56:16

Hallo Marie, vielen Dank für die Nachfrage. Hier muss man etwas differenzieren. Wenn im Vertrag wirksam „nur“ eine bestimmte Verwendung vereinbart wird, dann ist es durchaus unschädlich, wenn der Gegenstand sich dann nicht für die gewöhnliche Verwendung eignet (vgl. Weidenkaff, in: Grüneberg, BGB, 81.A. 2022, § 434 RdNr. 25; Staudinger/Annemarie Matusche-Beckmann (2013) BGB § 434, Rn. 82 f.). Beispiel: A verkauft über Ebay ein Bastlerfahrrad, das als Ersatzteillager dienen und nicht mehr zum Fahren dienen soll. Dass das Fahrrad sich nicht für die gewöhnliche Verwendung (Fortbewegungsmittel) eignet, ist hier unerheblich und begründet keinen Mangel. Der von Dir gebildete Fall liegt dabei etwas anders, da eben nicht vereinbart war, dass sich der Stift „nur“ als Laserpointer verwenden lässt, sondern er „auch“ diese Funktion haben soll. Deshalb kann man in Deinem Beispiel in der Tat auf den Auffangtatbestand des § 434 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 BGB zurückgreifen, wenn bezüglich der normalen Verwendung keine Absprache erfolgt ist. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team


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