Wirkung der Rechtsmittelrücknahme

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Uwe wird vom Amtsgericht Tiergarten zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen verurteilt. Noch im Gerichtssaal gibt er zu Protokoll, er lege Revision ein. Nach Rücksprache mit Strafverteidigerin Miranda, schickt er dem Amtsgericht die unterschriebene Erklärung, dass er die Revision zurücknehme.

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Einordnung des Falls

Wirkung der Rechtsmittelrücknahme

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Kann der Angeklagte ohne Zustimmung der Staatsanwaltschaft ein bereits eingelegtes Rechtsmittel wieder zurücknehmen?

Genau, so ist das!

Nach § 302 Abs. 1 S. 1 StPO ist der Angeklagte berechtigt, ein eingelegtes Rechtsmittel bis zum Abschluss des Rechtsmittelverfahrens zurückzunehmen oder sogar gänzlich auf Rechtsmittel zu verzichten. Umgekehrt bedarf die Staatsanwaltschaft für die Rücknahme eines Rechtsmittels dagegen der Zustimmung des Angeklagten (§ 302 Abs. 1 S. 3 StPO).Die Voraussetzungen für die Rücknahme und den Verzicht sind weitgehend identisch, sodass die nachfolgenden Ausführungen auch für den Verzicht gelten.
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2. Die Rücknahme ist nur bis zum Abschluss der Rechtsmitteleinlegungsfrist möglich (§ 302 Abs. 1 StPO).

Nein, das trifft nicht zu!

§ 302 Abs. 1 S. 1 StPO stellt zwar klar, dass die Rücknahme und der Verzicht noch vor Ablauf der Rechtsmitteleinlegungsfristen erklärt werden können. Der Erklärungszeitraum ist hierauf aber nicht beschränkt. Vielmehr kann der Angeklagte bis zum Abschluss des Rechtsmittelverfahrens zu jedem Zeitpunkt das Rechtsmittel zurücknehmen bzw. den Rechtsmittelverzicht erklären.Dagegen ist die Erklärung eines Rechtsmittelverzichts vor Erlass der angegriffenen Entscheidung unwirksam.

3. Die Rücknahme ist stets gegenüber dem Rechtsmittelgericht zu erklären (§ 302 Abs. 1 StPO).

Nein!

Die Zuständigkeit für die Entgegennahme liegt bei dem Gericht, bei dem das Verfahren aktuell anhängig ist. Erklärungsadressat des Verzichts und der Rücknahme ist daher zunächst das Ausgangsgericht, das die Entscheidung erlassen hat. Das Rechtsmittelgericht wird erst Adressat der Erklärung, wenn ihm die Akten zur Entscheidung über das Rechtsmittel vorgelegt worden (=dort eingegangen) sind. Im Revisionsverfahren werden die Akten erst im Anschluss an die Revisionsbegründung über die Staatsanwaltschaft an das Revisionsgericht übermittelt (§ 347 Abs. 2 StPO).

4. Hätte U die Revision auch telefonisch zurücknehmen können (§ 302 Abs. 1 StPO)?

Nein, das ist nicht der Fall!

§ 302 StPO trifft keine spezielle Anordnung zur Form der Rechtsmittelrücknahme oder des Rechtsmittelverzichts. Nach allgemeiner Ansicht richtet sich aber die Form zum Schutz vor übereilten Erklärungen nach der Form für die Einlegung des Rechtsmittels, auf das sich die Erklärung bezieht.Die Revision kann nur zu Protokoll der Geschäftsstelle oder schriftlich eingelegt werden. (§ 341 Abs. 1 StPO). Entsprechend kann auch die Rücknahme nicht einfach telefonisch erfolgen. Us schriftliche Rücknahmeerklärung genügt indes den Formanforderungen.Für nicht auf freiem Fuß befindliche Beschuldigte hält § 299 StPO eine Sonderregelung bereit. Sie können die Rücknahme und den Verzicht zu Protokoll der Geschäftstelle des Amtsgerichts im Bezirk des Verwahrungsorts erklären.

5. Die Rücknahmeerklärung ist nur wirksam, wenn U bei seinem Entschluss nicht unzulässig beeinflusst wurde.

Ja, in der Tat!

Explizit geregelt ist in § 302 Abs. 1 S. 2 StPO lediglich die Unwirksamkeit des Verzichts im Falle einer vorangegangenen Verständigung. In Rechtsprechung und Literatur ist aber anerkannt, dass die Erklärungen auch aus anderen Gründen unwirksam sein können. So kann sich die Unwirksamkeit u.a. daraus ergeben, dass die Erklärung auf schweren Willensmängeln (unzulässiger Zwang, Täuschung, Verursachung eines Irrtums durch unrichtige Auskunft des Gerichts) beruht oder aufgrund des Umstands, dass der Angeklagte keine Gelegenheit hatte, sich ausreichend mit seinem Verteidiger zu beraten.Im vorliegenden Fall hat sich U mit seiner Verteidigerin beraten. Auch andere Unwirksamkeitsgründe sind hier nicht ersichtlich. Achte hier auf entsprechende Sachverhaltsinformationen. Dies ist ein beliebtes Einfallstor der Prüfungsämter, um Rücknahmeerklärungen zu Fall zu bringen.

6. U überlegt es sich am Tag nach dem Zugang seiner Rücknahmeerklärung bei Gericht anders. Kann er die Rücknahme widerrufen, sodass die bereits eingelegte Revision wieder auflebt?

Nein!

Nach ihrem Wirksamwerden können Rücknahme- und Verzichtserklärung nicht mehr widerrufen oder wegen Willensmängeln angefochten werden.Hat U also die Rücknahme wirksam erklärt, muss er sich daran festhalten lassen. Die Erklärungen werden grundsätzlich wirksam, wenn sie formgerecht bei dem für die Entgegennahme zuständigen Gericht eingehen. (Ausnahme: § 299 Abs. 1 StPO).

7. U kann nach h.M. aber nach der erklärten Rücknahme erneut Revision einlegen.

Nein, das ist nicht der Fall!

Eine wirksame Rücknahme führt nach st. Rspr. zum Verlust des Rechtsmittels und damit zur Rechtskraft der Entscheidung. Eine erneute Einlegung ist unzulässig.Die wirksame Rücknahme steht damit einer erneuten Revisionseinlegung entgegen.Ohnehin dürfte regelmäßig auch die kurze Einlegungsfrist abgelaufen sein. Eine Wiedereinsetzung kommt aufgrund des Verschuldens des Rechtsmittelführers regelmäßig nicht in Betracht (anders nur bei unwirksamem Verzicht bzw. unwirksamer Rücknahme.Schwerpunkt der Klausur ist in der Regel die Begründetheitsprüfung der Revision. Sofern sich in der Akte also Anhaltspunkte für einen Rechtsmittelverzicht oder eine vorangehende Rechtsmittelrücknahme finden, so wird diese normalerweise aus irgendeinem Grund unwirksam sein. Ansonsten müssten die gesamten Ausführungen zur Begründetheit in einem Hilfsgutachten erfolgen.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

LUKAA

Lukaas

26.7.2024, 15:48:35

Hey, ist diese Aussage tatsächlich richtig? „Umgekehrt bedarf die

Staatsanwaltschaft

für die Rücknahme eines Rechtsmittels dagegen der Zustimmung des Angeklagten (§ 302 Abs. 1 S. 3 StPO).“ Im Wortlaut des § 302 Abs. 1 S. 3 StPO steht doch eigentlich recht eindeutig, dass die StA nur bei der Rücknahme eines Rechtsmittels zugunsten des Beschuldigten dessen Zustimmung braucht. Leider habe ich dazu auch nichts im Kommentar gefunden. Es würde mich aber wundern, wenn die StA auch die Zustimmung des Beschuldigten braucht, wenn sie ein Rechtsmittel zuungunsten des Beschuldigten zurücknehmen will. Liebe Grüße :)


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