Zivilrecht

Deliktsrecht

§ 823 Abs. 1 BGB

Herrenreiter-Fall (Vertiefung mit Fokus Schaden)

Herrenreiter-Fall (Vertiefung mit Fokus Schaden)

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs
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Klassisches Klausurproblem

Der in die Jahre gekommene Promi P ist leidenschaftlicher Turnierreiter. Hersteller H verwendet ein Bild von P auf dessen Turnierpferd zur Werbung für sein Potenzmittel. P ist empört. Er hätte so einer Verwendung nie zugestimmt.

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Einordnung des Falls

Bei der Herrenreiter-Entscheidung handelt es sich um eine der wichtigsten höchstrichterlichen Entscheidungen zum zivilrechtlichen Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes. In ihr wurde die Möglichkeit eröffnet, Schmerzensgeld bei der unbefugten Veröffentlichung von Bildern zu verlangen.

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. P hat einen Anspruch wegen der Verwendung seines Bildes (§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 22 KunstUrhG).

Genau, so ist das!

§ 823 Abs. 2 BGB setzt ein Schutzgesetz voraus. Ein Schutzgesetz ist jede materielle Rechtsnorm, die nicht allein den Schutz der Allgemeinheit bezweckt, sondern gerade darauf gerichtet ist, den einzelnen oder einen bestimmten Personenkreis vor Verletzungen zu bewahren. Durch § 22 KunstUrhG soll sichergestellt werden, dass jeder darüber entscheiden darf, welche Bilder von seiner Person im Umlauf sind. Es schützt somit ein besonderes Persönlichkeitsrecht. Mit der Verwendung des Bildes ohne die Einwilligung des P wurde es auch verletzt.
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2. H hat in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des P eingegriffen, indem er dessen Bild zu Werbezwecken verwendet hat (§ 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG).

Ja, in der Tat!

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt als negative Ausschlussfunktion das Recht "in Ruhe gelassen zu werden" und in positiver Hinsicht die freie Entfaltung der Persönlichkeit und die Handlungsfreiheit. Die Intensität des Eingriffs in das APR kann in die (1) Sozialsphäre, (2) Privatsphäre und (3) Intimsphäre unterteilt werden. Je intensiver der Eingriff, desto schwerer ist er zu rechtfertigen. Hier hat H ohne Zustimmung des P zu einer kommerziellen Nutzung Informationen aus dessen persönlichen Bereich (Bild) weitergegeben. Dadurch verletzt er auch wirtschaftliche Interessen des P. Damit ist der Schutzbereich des APR tangiert.

3. Dieser Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des P ist auch rechtswidrig.

Ja!

Grundsätzlich wird die Rechtswidrigkeit indiziert. Aufgrund des flexiblen Tatbestandes muss bei einer Verletzung des APR die Rechtswidrigkeit allerdings durch eine Güter- und Interessenabwägung festgestellt werden. Als Gegenrecht des H kommt die Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG) in Betracht. Zwar ist die öffentliche Erwähnung einer Person oder eine öffentliche Aussage über sie grundsätzlich erlaubt und unterliegt dem Schutz der Meinungsfreiheit, allerdings muss es der persönlichen Entscheidung eines jeden überlassen bleiben, ob er diese auch zu Werbezwecken einsetzen will. Daher kann das Interesse des H nicht das Interesse des P überwiegen.

4. P kann einen Schaden in Höhe des Geldes geltend machen, welches er bei Abschluss eines Werbevertrags erhalten hätte.

Genau, so ist das!

Ein Schaden ist jede unfreiwillige Vermögenseinbuße, die auf der Rechtsgutsverletzung beruht. Die Ersatzfähigkeit des Schadens richtet sich nach den §§ 249ff. BGB. Niemand soll durch den Eingriff in vermögenswerte Rechte besser gestellt werden, als er im Falle einer durch den Rechtsinhaber ordnungsgemäß erteilten Erlaubnis gestanden hätte. Daher wird der Schade in seiner Höhe auf das Entgelt beziffert, welches der Abgebildete normalerweise für die Verwendung der Bilder hätte verlangen können (Lizenzanalogie). Problematisch ist, dass P niemals Werbung für Potenzmittel gemacht hätte, weshalb nach alter Rspr. kein Schaden vorgelegen hätte. Nach neuerer Rspr. setzt eine Lizenzanalogie nicht mehr voraus, dass die beeinträchtigte Person im Zeitpunkt des Eingriffs zur Vermarktung ihrer Persönlichkeit bereit oder in der Lage war.In der Praxis genügt es in Fällen der Lizenzanalogie regelmäßig Ansprüche aus Nichtleistungskondiktion zu prüfen (§ 812 Abs. 1 S. 2 BGB), da es hier nicht auf das zusätzliche Kriterium des Verschuldens ankommt und eine Anspruchsgrundlage genügt, um der Klage stattzugeben (vgl. BGH, NJW 2021, 1303 RdNr. 70).Im (Klausur-)Gutachten musst Du dagegen alle in Betracht kommenden Ansprüche prüfen.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

L

L

12.1.2022, 11:46:39

Würde man in einer Klausur ebenfalls § 823 II vor § 823 I prüfen?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

12.1.2022, 16:54:37

Hallo L, innerhalb der deliktischen Ansprüche bist Du in der Reihenfolge der Anspruchsgrundlagen frei. Da Du bei § 823 Abs. 1 BGB bei der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aber ebenfalls inzident § 22 KunstUrhG prüfen würdest, kann es sich empfehlen hier zunächst mit § 823 Abs. 2 BGB zu beginnen. Dafür spricht weiter, dass § 823 Abs. 2 BGB im konkreten Fall mangels (Vermögens-)Schaden abgelehnt wurde. Denn das Begehr des P richtete sich vielmehr dahin, Genugtuung für die Persönlichkeitsrechtsverletzung zu erlangen. Dieser immaterielle Schaden wird aber nur über § 823 Abs. 1 BGB ersetzt, nicht über § 823 Abs. 2 BGB. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

JO

JonasRehder

9.2.2023, 17:01:38

Bei den Konstellationen der Lizenzanalogie wird § 812 regelmäßig vor § 823 geprüft, da dies der „einfachere“ Anspruch in dem vorliegenden Fall ist (kein Verschuldenserfordernis). Vielleicht ließe sich das in einem Vertiefungshinweis formulieren. Siehe nur: III. Ob dem Kl. daneben auch – wie das BerGer. angenommen hat – ein Verschulden voraussetzender Schadensersatzanspruch aus § 823 I BGB iVm Art. 1 I, Art. 2 I GG bzw. § 823 II BGB iVm §§ 22, 23 KUG zusteht, bedarf keiner Entscheidung. Seine Höhe wäre nicht anders als die des

bereicherungsrecht

lichen Anspruchs nach § 812 I 1 Fall 2 BGB zu bemessen. (BGH, NJW 2021, 1303 Rn. 70, beck-online)

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

10.2.2023, 17:14:44

Super Hinweis, Jonas! Das haben wir hier noch mit aufgenommen :-) Danke Dir!

EVA

evanici

11.9.2023, 11:38:26

Wäre § 823 I i.V.m. APR denn ebenfalls nur subsidiär heranzuziehen wie § 823 I i.V.m. Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb oder würde Anspruchskonkurrenz bestehen bei der Verletzung anderer absolut geschützter Rechte i.S.d. § 823 I?

OFAC

omnimodo facturus

16.11.2023, 09:09:46

Ich finde die Dogmatik der Lizenzanalogie nur auf den ersten Blick überzeugend. Zwar soll das Deliktsrecht kein Strafschadensersatz zubilligen, aber im Ergebnis kann es doch nicht sein, dass der Verwender des Bildes einfach genau das Geld zahlt, das er auch billigerweise zahlen müsste, wenn sich der Abgebildete freiwillig drauf eingelassen hätte? Dadurch entsteht doch gar kein Anreiz für den Verwender die Benutzung des Bildes zu unterlassen, wenn er genauso gestellt wird, wie wenn er ganz normal einen Vertrag geschlossen hätte. Der Abgebildete wird somit quasi zu einem "faktischen Vertrag" genötigt und kann sich nicht gut wehren. Oder ist das eher Aufgabe des Strafrechts zu regulieren?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

16.11.2023, 10:31:09

Hallo omnímodo facturus, danke für deine Anmerkung! Der Gedanke des Schadensersatzes ist ja, die Person so zu stellen, wie sie ohne das schädigende Ereignis gestanden hätte. Die Nichtnutzung des Bildes geht rückwirkend eben nicht mehr. Den dadurch verursachten Schaden wirtschaftlich zu kalkulieren ist schwierig, am nächsten dran am wirtschaftlichen Wert der Nutzung ist die Lizenzgebühr. Daher nutzt man das so. Es ist gerade nicht Aufgabe des

Schadensrecht

s solche Handlung in einem strafrechtlichen Sinne zu sanktionieren. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

Tomˑ

Tomˑ

9.7.2024, 13:10:23

Im Praxistipp der letzten Frage heißt es, dass in Fällen der Lizenzanalogie regelmäßig Ansprüche aus Nichtleistungskondiktion zu prüfen sind und es auf § 823 Abs. 1 idR gar nicht ankommt. Zitiert wird hierbei "§ 812 Abs. 1 S. 2 BGB", obgleich es richtigerweise "§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB" (so auch das zitierte BGH-Urteil) heißen müsste. Könnte hier u.U. für Verwirrung sorgen. Gruß

DerChristoph

DerChristoph

15.8.2024, 10:48:08

Könnten alle drei Schäden parallel geltend gemacht werden oder wird die Schadensberechnung irgendwie begrenzt? Es kommt mir "etwas zu viel" vor, dass der Verletzte einerseits das erhält, was er fiktiv durch einen Werbevertrag erhalten hätte, andererseits aber auch das, was der Schädiger erlangt hat und obendrein noch etwaige Verluste durch "Image-Schaden".

CR7

CR7

21.8.2024, 11:23:58

Nein, er kann nur auf einer AGL SE tatsächlich ziehen, aber mehrere AGL geltend machen (Ansprüche kann man nie genug haben). Beachte auch das

schadensrecht

liche Bereicherungsverbot: In den USA ja, aber in DE soll man durch das schädigende Ereignis nicht profitieren dürfen; das

Schadensrecht

soll nicht zu einem Geschäftsmodell werden. Man sucht sich die für den Geschädigten günstigste Methode aus, aber nicht kombiniert.


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