Zivilrecht

BGB Allgemeiner Teil

Stellvertretung

Gesetzliche Verpflichtungsermächtigung - die Schlüsselgewalt nach § 1357 BGB

Gesetzliche Verpflichtungsermächtigung - die Schlüsselgewalt nach § 1357 BGB

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

F und M sind verheiratet und haben einen gemeinsamen Haushalt. Da der Staubsauger seit Kurzem kaputt ist, geht M ohne Fs Wissen ins Geschäft des V und kauft in seinem und in Fs Namen ein neues Gerät. Die Bezahlung soll bei Lieferung am nächsten Tag erfolgen.

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Einordnung des Falls

Gesetzliche Verpflichtungsermächtigung - die Schlüsselgewalt nach § 1357 BGB

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. M hat eine eigene Willenserklärung abgegeben.

Ja, in der Tat!

Eine wirksame Stellvertretung setzt nach § 164 Abs. 1 S. 1 BGB voraus, dass der Vertreter eine eigene Willenserklärung abgibt und nicht nur diejenige seines Geschäftsherrn überbringt. Dadurch wird die Stellvertretung von der Botenschaft abgegrenzt. Ob eine Person als Vertreter oder als Bote agiert, ist dabei aus Sicht eines objektiven Empfängers (§§ 133, 157 BGB) zu beurteilen. Hat die Person hiernach ein gewisses Maß an Entschließungsfreiheit und Handlungsspielraum, so ist sie Vertreter. M hat den Staubsauger bei V selbst ausgesucht. Er hatte ein gewisses Maß an Entschließungsfreiheit.
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2. M hat die Willenserklärung im Namen der F abgegeben.

Ja!

Nach § 164 Abs. 1 S. 1 BGB muss der Vertreter die Willenserklärung im Namen des Vertretenen abgeben (Offenkundigkeit). Dies erfordert, dass nach objektivem Empfängerhorizont erkennbar ist, dass der Vertreter für eine andere Person auftritt. Dabei macht es keinen Unterschied, ob die Erklärung ausdrücklich im Namen des Vertretenen erfolgt oder ob die Umstände ergeben, dass sie in dessen Namen erfolgen soll (§ 164 Abs. 1 S. 2 BGB). M hat gegenüber V erwähnt, dass er auch für die F handelt.

3. F hat M eine Vollmacht zum Kauf des Staubsaugers erteilt.

Nein, das ist nicht der Fall!

Die rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht wird gemäß § 166 Abs. 2 S. 1 BGB auch Vollmacht genannt. Die Vollmachterteilung (Bevollmächtigung) ist eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung. Sie kann sowohl gegenüber dem Vertreter (Innenvollmacht) als auch gegenüber dem Geschäftspartner (Außenvollmacht) erklärt werden, gegenüber dem die Vertretung stattfinden soll (§ 167 Abs. 1 BGB). F hat dem M keine Vollmacht zum Kauf des Staubsaugers erteilt. Vielmehr wusste sie gar nicht, dass M einen Staubsauger kaufen wird.

4. Der Kauf des Staubsaugers stellt ein Geschäft zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs im Sinne des § 1357 Abs. 1 BGB dar.

Ja, in der Tat!

Jeder Ehegatte ist berechtigt, Geschäfte zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs der Familie mit Wirkung auch für den anderen Ehegatten zu besorgen. Durch solche Geschäfte werden beide Ehegatten berechtigt und verpflichtet (§ 1357 Abs. 1 BGB = sog. Schlüsselgewalt). Der Lebensbedarf umfasst den unmittelbaren Bedarf (Kosten des Haushalts) und den persönlichen Bedarf jedes Ehepartners (vgl. § 1360a BGB). Seine Deckung ist angemessen, wenn sie den konkreten wirtschaftlichen Verhältnissen und Lebensgewohnheiten der Familie entspricht. Der Kauf eines Staubsaugers dient der angemessenen Deckung des Lebensbedarfs der Familie.

5. Auch ohne Vollmachtserteilung durch F konnte M die F in Bezug auf den Abschluss des Kaufvertrags verpflichten.

Ja!

§ 1357 Abs. 1 BGB verschafft einem Ehegatten eine gesetzliche Verpflichtungsermächtigung für Geschäfte zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs. Damit kann ein Ehegatte den anderen Ehegatten bei solchen Geschäften auch dann wirksam mit verpflichten, wenn ihm keine Vollmacht erteilt worden ist. Zudem hilft § 1357 Abs. 1 BGB bei Geschäften zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs über mangelnde Offenkundigkeit hinweg. Der andere Ehegatte wird auch dann verpflichtet, wenn der handelnde Ehegatte nicht erwähnt, dass seine Willenserklärung auch für diesen gelten soll.

6. Nur M ist zur Kaufpreiszahlung verpflichtet.

Nein, das ist nicht der Fall!

Eine wirksame Vertretung nach § 1357 Abs. 1 BGB hat zur Folge, dass beide Ehegatten berechtigt und verpflichtet werden. Für die Verpflichtungen haften beide Ehegatten dann als Gesamtschuldner gemäß §§ 421, 427 BGB. Bei Gesamtschuldnern wirkt die Erfüllung durch einen Gesamtschuldner auch für die übrigen Schuldner (§ 422 Abs. 1 S. 1 BGB) M und F sind gesamtschuldnerisch zur Kaufpreiszahlung verpflichtet. Leistet einer der beiden, so wirkt die Erfüllung auch für den jeweils anderen.Aufgrund der Unterschiede zur Stellvertretung (Doppelverpflichtung, keine Offenkundigkeit), sieht die h.M. in § 1357 BGB keinen Fall der Stellvertretung nach § 164 BGB, sondern eine gesetzliche Verpflichtungsermächtigung eigener Art (=sui generis). Es bedarf nicht des "Umwegs" über § 164 BGB.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

JAN

Janina

13.12.2021, 14:28:35

Beide Ehegatten werden zwar verpflichtet und berechtigt, allerdings gewährt § 1357 dem Ehepartner keine Vertretungsmacht. Wurde mir in meiner letzten Probeexamenklausur so angestrichen 😅

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

13.12.2021, 17:54:14

Vielen lieben Dank für den Hinweis, Janina! In der Tat wird die Schlüsselgewalt von der herrschenden Meinung als gesetzliche Verpflichtungsermächtigung eigener Art verstanden und nicht als "Vertretungsmacht" iSd § 164 BGB. Hintergrund hierfür sind die strukturellen Unterschiede (keine Offenkundigkeit notwendig, Verpflichtung beider Ehepartner und nicht nur des Vertretenen) zwischen der Schlüsselgewalt und der Stellvertretung. Wir haben das nun im Fall etwas präzisiert. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

QUIG

QuiGonTim

23.3.2022, 17:15:27

Wie sollte man denn in einem Fall wie dem vorliegenden Vorgehen? 164 BGB prüfen und feststellen, dass mangels Vertretungsmacht keine wirksame Stellvertretung gegeben, und im Anschluss die Verpflichtungsermächtigung aus 1357 BGB prüfen? Oder könnte man hier 164 BGB aufgrund der Spezialität des 1357 BGB ganz außer acht lassen?

ahimes

ahimes

15.11.2023, 16:40:29

Wie man 1357 bgb in der Klausur prüft bzw. An welcher Stelle, würde mich auch sehr interessieren

JCF

JCF

2.8.2024, 18:06:45

In dem Satz "Sie kann sowohl gegenüber dem Vertreter (Innenvollmacht), als auch gegenüber dem Geschäftspartner (Außenvollmacht) erklärt werden" sollte das Komma entfernt werden. In dem Satz "Auch ohne Vollmachtserteilung durch F, konnte M die F in Bezug auf den Abschluss des Kaufvertrags verpflichten" sollte das Komma ebenfalls entfernt werden. 😉

Foxxy

Foxxy

2.8.2024, 21:03:05

Hallo JCF, vielen Dank für Deinen Hinweis! Wir haben den Fehler auf unsere Liste gesetzt und werden ihn im nächsten Korrekturgang beheben. Deine Aufmerksamkeit hilft uns, die Qualität unserer Inhalte hochzuhalten. Wir werden diesen Thread als erledigt markieren, sobald wir den Fehler behoben haben. Beste Grüße, Foxxy, für das Jurafuchs-Team

Mila Streicher

Mila Streicher

2.9.2024, 11:03:33

Hallo @[JCF](53331), vielen Dank für Deinen Hinweis. Wir haben die Aufgabe entsprechend angepasst. Beste Grüße - Mila für das Jurafuchs-Team

Natze

Natze

27.8.2024, 10:54:22

Da der Thread oben schon länger her ist, wollte ich auch gerne wissen, wie die Prüfungsreihenfolge wäre bzw wie man mit der Stellvertretung umgehen soll in der Klausur :)

AS

as.mzkw

29.8.2024, 17:16:14

Ich würde es wie folgt prüfen, wenn der Vertragspartner „Ehegatten 2“, als den, der nicht mit ihm kontrahiert hat in Anspruch nehmen will: 1) Einigung zwischen Vertragspartner und Ehegatte 2 (-), nur Einigung mit Ehegatten 1 2) Wirkung der WE des Ehegatten 1 für und gegen Ehegatten 2 gem. § 164 BGB (-), wenn kein Handeln in fremden Namen und/ohne mangels Vertretungsmacht 3) Mitverpflichtung des Ehegatten 2 gem. § 1357 I BGB So ähnlich ist es mir jedenfalls schon in einer Lösung im Uni Klausurenkurs begegnet.

AS

as.mzkw

29.8.2024, 17:16:29

*also

Natze

Natze

29.8.2024, 17:55:21

Zum zweiten Mal heute dankeschöööööön :)


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