Zivilrecht

BGB Allgemeiner Teil

Auslegung der Willenserklärung

Wirksamer Vertragsschluss mit „Mr. Noch unbekannt“?

Wirksamer Vertragsschluss mit „Mr. Noch unbekannt“?

12. Dezember 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A bucht online einen Flug. In der Namensspalte gibt er trotz des Hinweises, eine nachträgliche Namensänderung sei nicht möglich, "Noch unbekannt" an. A erhält eine Bestätigung für "Mr. Noch Unbekannt".

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Einordnung des Falls

Wirksamer Vertragsschluss mit „Mr. Noch unbekannt“?

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. A hat ein Angebot zur Buchung eines Flugs für "Mr. Noch Unbekannt" abgegeben (§ 145 BGB).

Ja!

Das Angebot ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung. Sie ist nach dem wahren Willen und dem objektiven Empfängerhorizont unter Beachtung der Verkehrssitte und Treu und Glauben auszulegen (§§ 133, 157 BGB). Auch wenn Willenserklärungen über ein automatisiertes Buchungssystem abgeben werden, ist für die Auslegung das Verständnis eines (hypothetischen) menschlichen Adressaten maßgeblich. Der hinter dem System stehende Angestellte würde erkennen, dass ein Flug für einen noch unbekannten Passagier gebucht werden sollte. Die Erklärung des A ist in diesem Sinne auszulegen.
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2. A hat mit der Fluggesellschaft einen Beförderungsvertrag geschlossen (Werkvertrag, § 631 BGB).

Nein, das ist nicht der Fall!

Ein Beförderungsvertrag ist seiner Rechtsnatur nach ein Werkvertrag, da der Unternehmer die Herbeiführung eines konkreten Erfolgs (die Beförderung) schuldet (§ 631 BGB). Der Abschluss eines solchen Vertrages setzt zwei inhaltlich korrespondierende Willenserklärungen (Angebot und Annahme, §§ 145, 147 BGB) voraus. Die Auslegung der Erklärungen nach dem objektiven Empfängerhorizont (§§ 133, 157 BGB) ergibt, dass keine Willenserklärung der Fluglinie vorlag, die mit der Erklärung des A übereinstimmte. Der Vertrag ist wegen Dissens nichtig (§ 154 Abs. 1 S. 1 BGB).

3. Die Buchungsbestätigung stellt eine Annahmeerklärung dar.

Nein, das trifft nicht zu!

Eine Annahme nimmt auf das Angebot Bezug und korrespondiert mit diesem. Sie ist eine grundsätzlich empfangsbedürftige Willenserklärung und muss nach dem wahren Willen und dem objektiven Empfängerhorizont ausgelegt werden (§§ 133, 157 BGB).Erklärender ist nicht das Computersystem, sondern die dahinter stehende Person. Bei der Auslegung der auf "Mr. Noch Unbekannt" lautenden Bestätigung ist daher auf den objektiv erkennbaren Willen des Angestellten der Fluggesellschaft abzustellen. A musste davon ausgehen, dass es sich nur um eine automatische Reaktion des Buchungssystems in Form einer Bestellbestätigung nach § 312i I Nr 3 BGB handelte.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

ALE

Alex1892

8.9.2020, 08:00:48

Könnte man die Angebotsqualität auch damit ablehnen dass der Vertragspartner als notwendiger Vertragsbestandteil / essentialia( Stichwort Insolvenzrisiko ) gar nicht genannt war ? folglich die Airline nicht durch einfaches Zustimmen den Vertrag herbeiführen konnte . Lg

JOB

JoBl

25.11.2020, 10:09:08

M.A.n. ist der Verweis auf § 154 BGB hier nicht richtig, da dieser nur Nebenregelungen erfasst.

MEMA

Method Man

22.9.2021, 07:34:20

Ich hätte auch angenommen, dass hier ein sog. "

Totaldissens

" besteht, der nicht nach § 154 BGB gelöst wird.

Richter Alexander Hold

Richter Alexander Hold

8.11.2023, 17:33:54

Im BGH Fall, der der Aufgabe zugrunde liegt, ging es

tat

sächlich auch nicht um die fehlende Benennung der Vertragspartei, die hier den Beförderungsvertrag abschließen wollte, daher also nicht um das Fehlen der essentialia negotii, sondern nur um die fehlende Benennung eines zweiten Mitreisenden, der nicht selbst Vertragspartei sein sollte. Daher handelte es sich im BGH Fall eher um eine Nebenabrede, über die eine Einigung nicht erzielt wurde, nach dem Willen des Bestellers (hier A) aber eine Einigung erzielt werden sollte. Dazu folgende Stelle aus dem verlinkten Urteil: Nach alldem haben die Parteien mit den abgegebenen Erklärungen jedenfalls hinsichtlich des für "noch unbekannt" gebuchten Flugs keinen Beförderungsvertrag geschlossen, da sie sich nicht über die Person des oder der zweiten Reisenden und damit nicht über alle Punkte geeinigt hatten, über die nach Erklärung auch nur einer (Vertrags)Partei - hier der Beklagten - eine Vereinbarung getroffen werden sollte (§

154 A

bs.1 Satz 1 BGB).

IS

IsiRider

22.10.2022, 16:02:33

Ausführungen zum Dissens wären hier hilfreich oder zumindest eine Verweisung zur inhaltlichen Vertiefung.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

23.10.2022, 14:51:33

Hallo IsiRider, fehlt es bereits an Angebot und Annahme, so ist unzweifelhaft kein Vertrag zustande gekommen. Die Fälle des Dissenses betreffen dagegen Konstellationen, in denen wir auf den ersten Blick durchaus Angebot und Annahme vorliegen haben und eine Einigung erzielt wurde, die Willenserklärungen sich inhaltlich jedoch unterscheiden. Beispiel: Ein amerikanischer und eine australischer Reisende einigen sich in einem Freiburger Hostel über den Verkauf einer Kamera zum Preis von 300 Dollar. Der Amerikaner geht von US-Dollar, die Australieren von australischen Dollar. Liegen objektiv keine Anhaltspunkte für die ein oder andere Seite vor, so scheint eine Einigung gelungen zu sein, faktisch liegt aber ein Totaldisses über wesentliche Vertragsbedingungen vor. Der Vertrag ist damit unwirksam. Ich hoffe, jetzt wird die Abgrenzung etwas deutlicher. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

DIAA

Diaa

19.7.2023, 14:36:32

Ich verstehe die Antwort der zweiten Frage nicht. Wieso wird keine Annahme bejaht?

LAURA

Laura

22.8.2023, 10:40:56

Weil eine Annahme nur auf ein Angebot erfolgen kann und daran fehlt es hier schon

Sebastian Schmitt

Sebastian Schmitt

10.9.2024, 16:56:44

Hallo @[Diaa](211889), ein Angebot des A dürfte vorliegen, allerdings gerichtet auf eine Flugbuchung für eine noch unbekannte Person. Dieses Angebot wird aber nicht angenommen. Es dürfte sich hier, so der BGH, nur um eine automatisierte Buchungsbestätigung nach § 312i I Nr 3 BGB handeln (was wir in der Aufgabe ergänzt haben). A konnte jedenfalls nicht davon ausgehen, dass die Fluggesellschaft auf einmal auf das vorab genannte, für sie anscheinend wesentliche Kriterium der Namensangabe verzichtet. Aus dem objektiven

Empfängerhorizont

des A konnte sich die automatisierte Erklärung des Systems daher nicht als Annahme seines Angebots darstellen, gerichtet auf Buchung für einen "Mr. noch unbekannt". Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team

Paulah

Paulah

19.11.2024, 10:22:34

@[Sebastian Schmitt](263562) Könntest du bitte auch mal zu den Fragen zu "Dissens oder nicht" in den anderen Threads etwas sagen?

SI

silasowicz

4.8.2023, 12:04:28

Ich finde die Begründung, dass der Erklärende von einem automatisierten Buchungssystem ausgehen musste, etwas dürftig, gerade angesichts KI- und Verifizierungsfunktionen oder einfach nur Fehlermeldungen dürfte es für die Fluggesellschaft doch ein Leichtes sein, diese Situationen zu umgehen. Mich würde interessieren, wie man die "funktionierende Buchung" denn dann herleitet: Man würde ja auch nicht sagen, dass kein Vertrag zustande gekommen ist, weil ein automatisiertes Buchungssystem die Flugbestätigung "ausspuckt", oder? Wäre dann die Buchungsbestätigung, die man noch im Browser sieht, wenn man auf "jetzt kaufen" gedrückt hat, noch keine wirksame Annahme und würde man hierfür erst auf eine Bestätigungsemail abstellen (die wahrscheinlich auch vollautomatisiert ist)?

BL

Blotgrim

19.2.2024, 23:06:37

Das ist vom

Einzelfall

abhängig, eine Empfangsbestätigung ist grundsätzlich nur die Info dass das Angebot angekommen ist. Sie kann aber zu einer Annahme ausgebaut werden. Bei den Flugtickets könnte eine Annahme zum Beispiel dadurch geschehen, dass die Tickets zugesandt werden oder halt durch eine separate Mail, aber eben auch wenn in der Empfangsbestätigung sowas steht wie "die Tickets werden ihnen in Kürze zugesandt, bitte überweisen sie den Ticketpreis bis Tag X". Es stimmt zwar dass eine separate Annahme vielleicht auch automatisch erfolgt, aber es ist halt nicht dasselbe, weil zum Beispiel verschiedene Programme dahinter stehen.

Juraganter

Juraganter

16.7.2024, 14:53:24

Der Verweis an Papiertickets scheitert daran, dass diese bereits vollständig durch E-Tickets ersetzt wurden.

Jakob G.

Jakob G.

25.7.2024, 22:05:05

Es wird in der Aufgabe angeführt, der Vertrag sei wegen

Totaldissens

i.S. § 154 BGB nichtig. Aber er gilt lediglich als im Zweifel nicht geschlossen.

LUC1502

luc1502

12.9.2024, 09:57:22

Hi @[Jakob G.](132813) Bei einem

Totaldissens

fehlt bereits die Einigung über einen wesentlichen Vertragspunkt (essentialia negotii) u. ohne eine Einigung hierüber kann kein Vertrag zustande kommen; §154f. betreffen die sog. accidentalia negotii, also relevante NEBENpunkte.

STE

Stella2244

21.10.2024, 16:22:28

Ich glaube der Verweis auf § 154 I 1 BGB ist falsch in diesem Kontext, könnt ihr ihn rausnehmen. es kommt ja einfach kein Vertrag zustande, weil wir keine Annahme haben oder?


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