Zivilrecht
BGB Allgemeiner Teil
Auslegung der Willenserklärung
Wirksamer Vertragsschluss mit „Mr. Noch unbekannt“?
Wirksamer Vertragsschluss mit „Mr. Noch unbekannt“?
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
A bucht online einen Flug. In der Namensspalte gibt er trotz des Hinweises, eine nachträgliche Namensänderung sei nicht möglich, "Noch unbekannt" an. A erhält eine Bestätigung für "Mr. Noch Unbekannt".
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Einordnung des Falls
Wirksamer Vertragsschluss mit „Mr. Noch unbekannt“?
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. A hat ein Angebot zur Buchung eines Flugs für "Mr. Noch Unbekannt" abgegeben (§ 145 BGB).
Ja!
Jurastudium und Referendariat.
2. A hat mit der Fluggesellschaft einen Beförderungsvertrag geschlossen (Werkvertrag, § 631 BGB).
Nein, das ist nicht der Fall!
3. Die Buchungsbestätigung stellt eine Annahmeerklärung dar.
Nein, das trifft nicht zu!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Alex1892
8.9.2020, 08:00:48
Könnte man die Angebotsqualität auch damit ablehnen dass der Vertragspartner als notwendiger Vertragsbestandteil / essentialia( Stichwort Insolvenzrisiko ) gar nicht genannt war ? folglich die Airline nicht durch einfaches Zustimmen den Vertrag herbeiführen konnte . Lg
JoBl
25.11.2020, 10:09:08
M.A.n. ist der Verweis auf § 154 BGB hier nicht richtig, da dieser nur Nebenregelungen erfasst.
Method Man
22.9.2021, 07:34:20
Ich hätte auch angenommen, dass hier ein sog. "
Totaldissens" besteht, der nicht nach § 154 BGB gelöst wird.
Richter Alexander Hold
8.11.2023, 17:33:54
Im BGH Fall, der der Aufgabe zugrunde liegt, ging es tatsächlich auch nicht um die fehlende Benennung der Vertragspartei, die hier den Beförderungsvertrag abschließen wollte, daher also nicht um das Fehlen der essentialia negotii, sondern nur um die fehlende Benennung eines zweiten Mitreisenden, der nicht selbst Vertragspartei sein sollte. Daher handelte es sich im BGH Fall eher um eine Nebenabrede, über die eine Einigung nicht erzielt wurde, nach dem Willen des Bestellers (hier A) aber eine Einigung erzielt werden sollte. Dazu folgende Stelle aus dem verlinkten Urteil: Nach alldem haben die Parteien mit den abgegebenen Erklärungen jedenfalls hinsichtlich des für "noch unbekannt" gebuchten Flugs keinen Beförderungsvertrag geschlossen, da sie sich nicht über die Person des oder der zweiten Reisenden und damit nicht über alle Punkte geeinigt hatten, über die nach Erklärung auch nur einer (Vertrags)Partei - hier der Beklagten - eine Vereinbarung getroffen werden sollte (§ 154 Abs.1 Satz 1 BGB).
IsiRider
22.10.2022, 16:02:33
Ausführungen zum Dissens wären hier hilfreich oder zumindest eine Verweisung zur inhaltlichen Vertiefung.
Lukas_Mengestu
23.10.2022, 14:51:33
Hallo IsiRider, fehlt es bereits an Angebot und Annahme, so ist unzweifelhaft kein Vertrag zustande gekommen. Die Fälle des Dissenses betreffen dagegen Konstellationen, in denen wir auf den ersten Blick durchaus Angebot und Annahme vorliegen haben und eine Einigung erzielt wurde, die Willenserklärungen sich inhaltlich jedoch unterscheiden. Beispiel: Ein amerikanischer und eine australischer Reisende einigen sich in einem Freiburger Hostel über den Verkauf einer Kamera zum Preis von 300 Dollar. Der Amerikaner geht von US-Dollar, die Australieren von australischen Dollar. Liegen objektiv keine Anhaltspunkte für die ein oder andere Seite vor, so scheint eine Einigung gelungen zu sein, faktisch liegt aber ein Totaldisses über wesentliche Vertragsbedingungen vor. Der Vertrag ist damit unwirksam. Ich hoffe, jetzt wird die Abgrenzung etwas deutlicher. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Diaa
19.7.2023, 14:36:32
Ich verstehe die Antwort der zweiten Frage nicht. Wieso wird keine Annahme bejaht?
Laura
22.8.2023, 10:40:56
Weil eine Annahme nur auf ein Angebot erfolgen kann und daran fehlt es hier schon
Sebastian Schmitt
10.9.2024, 16:56:44
Hallo @[Diaa](211889), ein Angebot des A dürfte vorliegen, allerdings gerichtet auf eine Flugbuchung für eine noch unbekannte Person. Dieses Angebot wird aber nicht angenommen. Es dürfte sich hier, so der BGH, nur um eine automatisierte Buchungsbestätigung nach § 312i I Nr 3 BGB handeln (was wir in der Aufgabe ergänzt haben). A konnte jedenfalls nicht davon ausgehen, dass die Fluggesellschaft auf einmal auf das vorab genannte, für sie anscheinend wesentliche Kriterium der Namensangabe verzichtet. Aus dem
objektiven Empfängerhorizontdes A konnte sich die automatisierte Erklärung des Systems daher nicht als Annahme seines Angebots darstellen, gerichtet auf Buchung für einen "Mr. noch unbekannt". Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team
Paulah
19.11.2024, 10:22:34
@[Sebastian Schmitt](263562) Könntest du bitte auch mal zu den Fragen zu "Dissens oder nicht" in den anderen Threads etwas sagen?
silasowicz
4.8.2023, 12:04:28
Ich finde die Begründung, dass der Erklärende von einem automatisierten Buchungssystem ausgehen musste, etwas dürftig, gerade angesichts KI- und Verifizierungsfunktionen oder einfach nur Fehlermeldungen dürfte es für die Fluggesellschaft doch ein Leichtes sein, diese Situationen zu umgehen. Mich würde interessieren, wie man die "funktionierende Buchung" denn dann herleitet: Man würde ja auch nicht sagen, dass kein Vertrag zustande gekommen ist, weil ein automatisiertes Buchungssystem die Flugbestätigung "ausspuckt", oder? Wäre dann die Buchungsbestätigung, die man noch im Browser sieht, wenn man auf "jetzt kaufen" gedrückt hat, noch keine wirksame Annahme und würde man hierfür erst auf eine Bestätigungsemail abstellen (die wahrscheinlich auch vollautomatisiert ist)?
Blotgrim
19.2.2024, 23:06:37
Das ist vom Einzelfall abhängig, eine Empfangsbestätigung ist grundsätzlich nur die Info dass das Angebot angekommen ist. Sie kann aber zu einer Annahme ausgebaut werden. Bei den Flugtickets könnte eine Annahme zum Beispiel dadurch geschehen, dass die Tickets zugesandt werden oder halt durch eine separate Mail, aber eben auch wenn in der Empfangsbestätigung sowas steht wie "die Tickets werden ihnen in Kürze zugesandt, bitte überweisen sie den Ticketpreis bis Tag X". Es stimmt zwar dass eine separate Annahme vielleicht auch automatisch erfolgt, aber es ist halt nicht dasselbe, weil zum Beispiel verschiedene Programme dahinter stehen.
Juraganter
16.7.2024, 14:53:24
Der Verweis an Papiertickets scheitert daran, dass diese bereits vollständig durch E-Tickets ersetzt wurden.
Jakob G.
25.7.2024, 22:05:05
Es wird in der Aufgabe angeführt, der Vertrag sei wegen
Totaldissensi.S. § 154 BGB nichtig. Aber er gilt lediglich als im Zweifel nicht geschlossen.
luc1502
12.9.2024, 09:57:22
Hi @[Jakob G.](132813) Bei einem
Totaldissensfehlt bereits die Einigung über einen wesentlichen Vertragspunkt (essentialia negotii) u. ohne eine Einigung hierüber kann kein Vertrag zustande kommen; §154f. betreffen die sog. accidentalia negotii, also relevante NEBENpunkte.
Stella2244
21.10.2024, 16:22:28
Ich glaube der Verweis auf § 154 I 1 BGB ist falsch in diesem Kontext, könnt ihr ihn rausnehmen. es kommt ja einfach kein Vertrag zustande, weil wir keine Annahme haben oder?