Strafrecht

Strafrecht Allgemeiner Teil

Objektive Zurechnung

Ansteckende Grippe als erlaubtes Risiko

Ansteckende Grippe als erlaubtes Risiko

22. November 2024

4,6(57.965 mal geöffnet in Jurafuchs)

[...Wird geladen]

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A ist an Grippe erkrankt. Er geht trotzdem in den Supermarkt, um ein paar Lebensmittel einzukaufen. Dort trifft er seinen Freund B. Während der Unterhaltung wird B mit denselben Viren infiziert und erkrankt ebenfalls an der Grippe.

Diesen Fall lösen [...Wird geladen] der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

...Wird geladen

Einordnung des Falls

Ansteckende Grippe als erlaubtes Risiko

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. A ist die Gesundheitsschädigung des B objektiv zuzurechnen.

Nein!

Objektiv zurechenbar ist ein Erfolg, wenn der Täter (1) eine rechtlich missbilligte Gefahr geschaffen und (2) sich genau diese Gefahr im Erfolg realisiert hat. Keine rechtlich missbilligte Gefahr liegt darin, wenn der Täter zwar ein Verletzungsrisiko hervorruft, sein Verhalten aber vom erlaubten Risiko gedeckt ist. Dies ist der Fall, wenn das Verhalten trotz Gefährlichkeit aufgrund des sozialen Nutzens gemeinschaftsüblich ist und gebilligt wird (sog. Sozialadäquanz).Bei landläufigen Virusinfekten, die schon durch Sprechen und Niesen übertragen werden, ist die Ansteckung generell sehr wahrscheinlich. Es wird vom Kranken nicht erwartet, den Kontakt mit anderen gänzlich zu meiden. Das von ihm gesetzte Risiko wird vielmehr als sozialadäquat anerkannt. Die Schädigung anderer wird hier als deren Pech bewertet, nicht als Unrechtstat des Verursachers.
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

2. A hat die Gesundheitsschädigung des B kausal verursacht.

Genau, so ist das!

Rspr. und hL bestimmen die Kausalität überwiegend nach der Äquivalenztheorie (= conditio-sine-qua-non-Formel). Eine Handlung ist danach kausal, wenn sie nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele.Wäre A nicht in den Supermarkt gegangen und hätte sich mit B unterhalten, hätte er B nicht im Wege der Tröpfcheninfektion mit der Grippe angesteckt.
Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen
Jurafuchs
Eine Besprechung von:
Jurafuchs Brand
facebook
facebook
facebook
instagram

Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!


Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

PAT

Patros

13.1.2020, 07:49:45

Angenommen, es wäre ihm zurechenbar und er handelte auch vorsätzlich: Wäre hier 224 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 StGB einschlägig?

Christian Leupold-Wendling

Christian Leupold-Wendling

14.1.2020, 11:06:14

Hi Patros, unter § 224 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 StGB ("gesundheitsschädliche Stoffe") fallen zwar Bakterien, Viren oder sonstige Krankheitserreger, soweit sie nicht schon zu den Giften zählen. Allerdings ist nach hM zu fordern, dass die Substanz nach ihrer Art und dem konkreten Einsatz zu erheblichen

Gesundheitsschädigung

en geeignet ist (Fischer, StGB, 64.A., 2017, § 224 RdNr. 4). Das müsste man unseres Erachtens hier verneinen. Aber die Frage ist - wie Du richtig gesagt hast - rein hypothetisch und dürfte in einem Strafverfahren nicht relevant werden, da A bereits keine rechtlich missbilligte Gefahr geschaffen hat.

Isabell

Isabell

29.2.2020, 12:37:03

Wenn ich mir anschaue, wie viele Tote die "echte" Grippe allein in Deutschland pro Jahr fordert und wie erheblich man durch die Symptome beeinträchtigt wird, würde ich bei der "echten" Grippe die Geeignetheit bzgl. erheblicher

Gesundheitsschädigung

en durchaus als gegeben ansehen. Anders beim grippalen Infekt, der im allgemeinen Sprachgebrauch als Grippe bezeichnet wird.

Foxtrot Bravo

Foxtrot Bravo

9.11.2020, 10:29:44

Wäre das für SARS-CoV2 / Covid-19 anders zu beantworten?

YU

YU

29.3.2020, 13:42:44

Irgendwie ironisch diese Frage zu beantworten, während man aufgrund der Ausgangssperre wegen des Corona Viruses zuhause sitzen muss.

Marilena

Marilena

29.3.2020, 14:29:54

Hallo Jan, ja das stimmt wohl :)

Peter E.

Peter E.

20.6.2020, 12:00:34

Das Problem liegt hier bei der sozialüblichen Anerkennung. Im Gegensatz zum Corona-Virus werden hier die Folgen noch akzeptiert. Es wird schwer sein, dass was sich als typische Folge wie die Lungenerkrankung oder der Tod bei Infektion mit dem Corona-Virus ergibt, anzuerkennen.

S3T

S3tr

1.7.2020, 13:18:04

Was wäre wenn der Fall so wäre ? A ist Rentner und aufgrund einer Ausgangsbeschränkung nicht erlaubt das Altersheime zu verlassen. Allerdings geht er in den Supermarkt und steckt B an. Ist das dann nicht objektiv zurechenbar?

Simon

Simon

31.8.2020, 22:51:42

Dann würde ich die obj. Zurechnung bejahen. Dadurch, dass dem A eine Ausgangssperre auferlegt ist, kommt ja gerade zum Ausdruck, dass die Gefahr, die er durch das Verlassen des Altersheims setzt, rechtlich missbilligt ist. Diese Gefahr einer Infektion realisiert sich auch gerade in der Absteckung des B.

TFP

tfpkt.

15.10.2020, 21:06:15

Wie ist der Sachverhalt unter den gegebenen Pandemie-Bedingungen zu bewerten? Was wäre, wenn es sich um einen unbewusst/bewusst Corona Infizierten gehandelt hätte?

ELE

Eleonora

31.10.2020, 22:15:27

Würde ich auch sehr gerne wissen.

EL

Elisabeth

4.11.2020, 12:37:15

Das sind jeweils gute Fragen. Ich denke es ist durchaus möglich, dass sich das allgemein anerkannte Lebensrisiko auch verändert. man wird da sicherlich auch differenzieren müssen. Wenn ein bewusst infizierter willentlich handelt andere anzustecken (z.b. das berüchtigte Anhusten in der Ubahn), wird man eine

objektive Zurechnung

einer tatsächlichen Körperverletzung/

Gesundheitsschädigung

bejahen können - meiner Meinung nach - aufgrund der aktuellen Kentnislage über (ich soll niemanden anhusten, weil...) Hingegen wenn jemand unwissentlich infiziert ist, in der U-Bahn hustet und deswegen jemanden ansteckt. Mangels

Vorsatz

ist ein Vollendungsdelikt abwegig. Für §

229 StGB

, also fahrlässiger Verursachung braucht man (1) objektive, vorhersehbare Sorgfaltspflichtverletzung (2) Zurechnung des Erfolg

EL

Elisabeth

4.11.2020, 12:43:46

mit der Pflichtwidrigkeit. Aufgrund der Informationslage (es ist grundsätzlich schlecht jemanden anzuhusten oder weniger als 1,5m zu jemanden zu stehen) könnte man meiner Ansicht nach eine objektive, vorhersehbare (weil es ja auch zum allgemeinen bekannten Risiko gehört durch aerosole jemanden anzustecken) Pflichtverletzung bejahen. Dennoch fehlt meiner Ansicht nach der Pflichtwidrigkeitszzsammenhang, da ich nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sagen kann, dass derjenige gesund geblieben wäre, wenn ich ihn nicht aus Versehen angehustet hätte oder den Abstand eingehalten hätte (nach der

Vermeidbarkeitstheorie

müsste ja der Erfolg vermieden worden sein), weil zb. bereits „verseuchte aerosole“ Dritter in der Luft herumschwirren könnten, die derjenige eingeatmet hat, der auf

EL

Elisabeth

4.11.2020, 12:48:37

fahrlässige Weise angesteckt hat. Also Fazit: vorsätzliche Körperverletzung wird man nicht ausschließen können, je nach dem Willen des Handelnden, Fahrlässigkeit ist die Frage inwiefern der Ansteckungserfolg konkret vermeidbar war oder nicht. Was sich geändert hat sind die Mindestanforderungen an das objektiv fahrlässige Verhalten. So ungefähr sehe ich dies, aber bin sehr gespannt über weitere Anmerkungen!

Rüsselrecht 🐘

Rüsselrecht 🐘

29.12.2020, 10:41:23

Dazu gibt es einen interessanten Aufsatz in der www.zjs-online.com im Heft 03/2020 ...

Roxxi

Roxxi

14.6.2022, 21:28:36

Wie wäre das mit COVID, jetzt wo die Beschränkungen fast vollständig aufgehoben sind ?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

15.6.2022, 13:22:19

Hallo Roxxi, auch wenn die allgemeinen Beschränkungen für Gesunde weitestgehend aufgehoben sind, so gilt für an Covid Erkrankte weiterhin eine Quarantänepflicht. Insofern wird durchaus erwartet, dass sich Erkrankte isolieren und den Kontakt zu anderen meiden. Somit ist in diesem Fall eine

objektive Zurechnung

zu bejahen, da es kein

sozialadäquat

es Risiko darstellt. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Roxxi

Roxxi

15.6.2022, 13:29:12

Also wenn sich die Situation eines Tages "normalisiert", wäre die

objektive Zurechnung

ähnlich zu behandeln wie bei einer Grippe ?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

15.6.2022, 17:26:00

Wenn es irgendwann einma zulässig ist, dass man trotz bestehender Covid-Infektion seinen üblichen Besorgungen nachgeht/Freunde trifft... so wäre eine Ansteckung Dritter in der Tat als

sozialadäquat

es Risiko einzustufen und damit schiede die

objektive Zurechnung

aus. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

BBE

bibu knows best

19.6.2022, 08:20:28

Bei einer Corona Erkrankung bei sowohl offizieller Quarantäne Anordnung als auch bei Festellung der Erkrankung mittels Selbsttest würde das Ergebnis anders ausfallen, richtig ?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

20.6.2022, 10:38:15

So ist es, bibu knows best. Denn in diesem Fall ist es gerade nicht

sozialadäquat

sich in Gesellschaft von anderen Menschen zu begeben. Vielmehr hat man sich hier zu isolieren. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Cosmonaut

Cosmonaut

24.8.2022, 09:09:50

Wäre es möglich diese Aufgabe mit einigen aktuellen Hinweisen zu Covid-Infektionen und leichtfertigem Umgang mit demselben zu aktualisieren? Ich habe das Gefühl die gesetzgeberische / gesellschaftliche Wertung, was im Umgang mit einer Virusinfektion noch „

sozialadäquat

“ ist, hat sich in den vergangenen 2 Jahren der Pandemie verändert. Evtl. ebenso bzgl. Hinweisen auf das InfSchG und Zuwiderhandlungen dagegen? Das wäre super ! Vielen Dank, LG Cosmo

Nora Mommsen

Nora Mommsen

25.8.2022, 15:00:44

Hallo Cosmo, aktuell ist die Rechtslage ja (noch) so, dass eine Isolationspflicht besteht für den Fall einer Infektion. Bei einer Zuwiderhandlung und einer daraus resultierenden Infektion kann man schon aufgrund des Vorliegens ordnungswidrigen Verhaltens nicht von

Sozialadäquanz

ausgehen. Die konkrete Isolations- und Quarantänepflicht richtet sich immer nach den Corona-Schutzverordnungen drer Länder. Sollte sich in der Rechtsprechung eine andere Entwicklung abzeichnen, halten wir euch natürlich up-to-Date! Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

EN

Entenpulli

5.8.2023, 21:38:35

@[

Nora Mommsen

](178057) Eine solche Aktualisierung fände ich gerade jetzt, da es keine Quarantänepflicht mehr gibt, sehr interessant.

la reina de los gatos

la reina de los gatos

27.2.2024, 17:17:35

Jedoch sollte sich die

Sozialadäquanz

auch in Bezug auf andere, schwerwiegendere Erkrankungen seither geändert haben, worunter m.E. die Grippe fällt. In dem SV wäre mein Vorschlag, eher von einem normalen Erkältungsvirus zu sprechen, denn die Grippe ist in vielen Fällen eine schwere Erkrankung, wenngleich sie meist ohne größere Schwierigkeiten bewältigt werden kann.

JO

JohnnyLbd

3.6.2024, 14:39:32

Wie sieht es mit der

sozialadäquanz

im Privaten (nicht beruflichen) bei besonders gefährdeten Gruppen aus ? Hat sich durch die CoronaPandemie was bzgl.

sozialadäquanz

in dem Kontext geändert und gilt das für sämtliche Ansteckende Infektionskrankheiten oder wird nach schwere der Krankheit differenziert ?


Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und mit 15.000+ Nutzer austauschen.
Kläre Deine Fragen zu dieser und 15.000+ anderen Aufgaben mit den 15.000+ Nutzern der Jurafuchs-Community
Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen