Verantwortlichkeit für zurückgelassene Renovierungsabfälle, die später für eine Brandstiftung genutzt werden?


+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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A vermietet Altbauwohnungen und lagert Renovierungsabfälle im Hauseingangsbereich zwischen. B läuft daran vorbei. Da er schon immer mal einen Brand legen wollte, nutzt er den Abfall als Brandlegungsmittel. Die Mieter M und N kommen bei dem Brand ums Leben.

Einordnung des Falls

Vermieter lagert Renovierungsabfälle im Eingangsbereich zwischen, B legt damit einen Brand.

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. A ist der Tod der M und N objektiv zuzurechnen.

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Nein, das ist nicht der Fall!

Objektiv zurechenbar ist ein Erfolg, wenn der Täter (1) eine rechtlich missbilligte Gefahr geschaffen und (2) sich genau diese Gefahr im Erfolg realisiert hat. Konkretisiert wird das erlaubte Risiko durch den Vertrauensgrundsatz: Jeder darf grundsätzlich auf normgerechtes Verhalten anderer vertrauen.Vom Abfall geht keine Gefahr für eine Selbstentzündung aus. A durfte darauf vertrauen, dass die Abfälle nicht von einem "pyromanisch veranlagten Dritten" als Brandlegungsmittel missbraucht werden. A's Verhalten ist sozialadäquat (erlaubtes Risiko). Er hat keine rechtlich missbilligte Gefahr geschaffen.

2. A hat den Tod von M und N äquivalent kausal verursacht.

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Ja, in der Tat!

Rspr. und hL bestimmen die Kausalität überwiegend nach der Äquivalenztheorie (= conditio-sine-qua-non-Formel). Eine Handlung ist danach kausal, wenn sie nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele.Hätte A die Renovierungsabfälle nicht im Hauseingangsbereich zwischengelagert, hätte B damit keinen Brand legen können und M und N wären nicht infolge dieses Brands zu Tode gekommen.

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LO

loreley

4.2.2020, 20:15:50

Wenn A Bs Mutter wäre und somit Überwachergarantin, könnte man dann eine Strafbarkeit wegen Totschlag durch Unterlassen des Wegräumens der Abfälle annehmen?

LAUE

Laura Esmaty

16.2.2020, 10:32:06

Sie wäre als Mutter Beschützergarantin mit der rechtlichen Pflicht, Gefahren von B abzuwenden ;) A selbst hat aber aufgrund einer Verkehrssicherungspflicht auch ohne jedes Verwandtschaftsverhältnis eine Überwachergarantenstellung inne..

Isabell

Isabell

29.2.2020, 12:39:08

Ist der Vertrauensgrundsatz irgendwo normiert?

Henk

Henk

3.3.2020, 09:19:26

In Deutschland lediglich durch die Rechtsprechung geschaffen, soweit ich weiß. Würde aber aufpassen nicht immer von einem allgemeinen Vertrauensgrundsatz auszugehen. Eher in den einzelnen Gebieten, wie zB Straßenverkehr, nach Sinn und Zweck einen herleiten.

REN

René

20.10.2022, 15:12:19

Ist hier nicht bereits die Kausalität zu verneinen? Es ist normalerweise ja nicht damit zu rechnen, dass abgestellter Abfall durch einen Dritten angezündet werden. Müsste hier nicht ein atypischer Kausalverlauf vorliegen?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

26.10.2022, 13:24:11

Vielen Dank für Deine Nachfrage, René! Die Fallgruppe "atypischer Kausalverlauf" ändert nichts daran, dass das Verhalten des Verursachers kausal war oder nicht. Denn dafür ist ja nach der herrschenden Äquivalenzformel lediglich erforderlich, dass das Verhalten "nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der tatbestandsmäßige Erfolg entfiele". Diese Formel ist denkbar weit! Hätte A dort die Abfälle nicht gelagert, so hätten sie auch nicht angezündet werden können. Das Problem an dieser Formel ist letztlich, dass sie sehr sehr weit reicht. Letztlich ist auch As Mutter kausal für den Brand geworden, indem sie A geboren hat und dieser später dann die Abfälle dort gelagert hat. Um hier die Zurechenbarkeit zu beschränken wird das Merkmal der Kausalität über die objektive Zurechenbarkeit begrenzt. Dadurch entfällt dann zB bei atypische Kausalverläufe der Verantwortungszusammenhang. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

SS

Strand Spaziergang

30.3.2023, 16:24:01

Viele Hausverwaltungen untersagen das Abstellen von Schuborden oder auch von Gerümpel im Flur aus Brandschutzgründen. Wenn die Bauabfälle den N und M im Fluchtweg gestanden haben, könnte das erst zu ihrem Tod geführt haben. Wäre es auch vertretbar, zu sagen dem Vermieter ist das doch zumindest zum Teil objektiv zurechenbar?

taj334

taj334

9.4.2023, 17:51:12

Nein, denn zum einen gibt es im Sachhalt keine Angaben dazu, dass der Müll den Fluchtweg der Opfer versperrt hat. Zum anderen ist der A als Vermieter selbst zum Erlass einer entsprechenden Hausordnung ermächtigt.

DIAA

Diaa

26.6.2023, 22:49:39

Ich kann die Antwort nicht so ganz nachvollziehen. Denn eigentlich hat B hier den Abfall im Brand gesetzt und somit den Tod der anderen zwei kausal verursacht. Wenn wir das Handeln des A als kausale Handlung betrachten, dann wäre das wie der klassische Fall von "Waffenverkauf" also wenn der Täter zu einem Waffengeschäft geht, eine Waffe kauft und eine Straftat begeht. Hier würde man sagen, der Verkäufer ist kausal für die begangene Straftat. Doch das wäre zu willkürlich und deshalb wird es auch nur auf das Handeln des Täter eingeschränkt.

DIAA

Diaa

26.6.2023, 22:51:05

in Brand .....**

Nora Mommsen

Nora Mommsen

27.6.2023, 10:54:06

Hallo Diaa, danke für deine Anmerkung. Deine Bedenken sind total verständlich und finden einen Ausdruck im Rahmen der objektiven Zurechnung - also der Frage, ob der Täter ein rechtlich missbilligtes Risiko gesetzt hat, dass sich im Erfolg realisiert hat. Dies grenzt das weite Ergebnis der Kausalität ein. Denn diese fragt lediglich nach einem objektiven Ursache-Wirkung-Zusammenhang. Das erfasst den Waffenhändler, die Mutter des Täters, die ihr Kind geboren hat und so weiter. Aber der Waffenverkauf ist unter bestimmten Umständen rechtlich gebilligt und das Gebären von Kindern natürlich erst recht. Also wurde kausal eine Ursache gesetzt, aber der Erfolg ist dann nicht zurechenbar. Aus diesem Grund ist aber auch hier die Kausalität zu bejahen - hätte der Vermieter nicht den Abfall dort liegen lassen, hätte B ihn nicht angezündet. Kausalität im Sinne der conditio sine qua non liegt vor. Aber in dem Lagern von Bauschutt liegt schon kein rechtlich missbilligtes Risiko, und selbst wenn man das annimmt, hat sich dessen Risiko (z.B. versperrter Fluchtweg) nicht in dem Anzünden durch B realisiert. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

LUCA

Luca

30.10.2023, 13:15:38

Ich finde die Fragestellung zur Kausalität des Vermieters etwas irreführend. Es haben bereits einige angemerkt, dass sich diese Folge außerhalb der Erfahrung und Erwartung eines nach normaler Lebensanschauung objektiven Dritten befindet. Diese Hinzuziehung der Adäquanztheorie wurde auch während jeglicher Strafrechtsklausuren vorausgesetzt. Wenn in der Fragestellung also Oberflächlich nach der Kausalität gefragt wird, dann denke ich nicht nur an die Äquivalenz-, sondern auch an die Adäquanztheorie. Wäre es nicht sinnvoller, die Fragestellung nach der äquivalenten Kausalität umzuformulieren, um dieser Frage etwas mehr Klarheit zu verschaffen? Denn anders wäre für den Vermieter, zumindest für mich und meiner Fallerfahrung, eine „Kausalität“ zu verneinen. Ansonsten tolle Arbeit!

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

2.11.2023, 09:57:04

Hallo Luca, vielen Dank für dein Feedback. Um die Frage hier noch klarer zu gestalten, haben wir ergänzt, dass es hier zunächst um die Frage geht, ob das Verhalten äquivalent kausal ist. Im Hinblick auf die Verortung der Adäquanztheorie musst Du allerdings ein wenig aufpassen. Bei der Adäquanztheorie handelt es sich im Grunde um einen zivilrechtlichen Begriff, der im Schadensrecht im Rahmen der Kausalität verwendet. Im Strafrecht hat sich die Adäquanztheorie für die Bestimmung der KAUSALITÄT dagegen nicht durchgesetzt. Diesbezüglich wird allein auf die Äquivalenztheorie abgestellt. Die herrschende Lehre hat aber zur Einschränkung der Kausalität die Lehre von der objektiven Zurechnung entwickelt. Im Rahmen der objektiven Zurechnung werden dabei auch die Gedanken der Adäquanztehorie aufgegriffen, indem atypische der allgemeinen Lebenserfahrung widersprechende Kausalverläufe nicht mehr adäquat und damit nicht objektiv zurechenbar sind (vertiefend dazu: Freund, in: MüKoStGB, StGB vor § 13 Rn. 348; Rengier, Strafrecht AT, § 13 RdNr. 9). In einer Fallprüfung an der Uni würdest Du also - wie hier - zunächst die Kausalität bejahen, um dann aber bei der objektiven Zurechnung herauszufallen. Der BGH folgt der Lehre von der objektiven Zurechnung übrigens nicht und löst die von der hL bei der objektiven Zurechnung verorteten Probleme im Rahmen des Vorsatzes, also beim subjektiven Tatbestand. Aus Übersichtlichkeitsgründen ist es in der Klausur aber empfehlenswert, der Aufteilung in Kausalität und objektive Zurechnung zu folgen. Ich hoffe, es wird jetzt noch etwas klarer. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team


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